Tatbestand:

Streitig ist eine Absenkung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II -Alg II-) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) um 30% der Regelleistung für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.01.2011.

Der Kläger bezog Alg II von der Beklagten. Mit Bescheid vom 27.09.2010 wurden ihm Leistungen für die Zeit vom 01.11.2010 bis 30.04.2011 i.H.v. monatlich 674,13 EUR (359 EUR Regelleistung und 315,13 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) bewilligt. Unter Aufhebung dieser Bewilligungsentscheidung ab 01.01.2011 gewährte die Beklagte mit den Änderungsbescheiden vom 23.12.2010 und 23.05.2011 u.a. für Januar 2011 Alg II i.H.v. 682,13 EUR (364 EUR Regelleistung und 427,33 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung, abzüglich 109,20 EUR bzgl. einer Sanktion).

Im Rahmen eines Beratungsgespräches am 14.09.2010 um 8:30 Uhr wurde dem Kläger neben einem sofortigen Vermittlungsvorschlag bezüglich der Firma i. GmbH, K., ein weiteres Stellenangebot bei der Firma C. Personalmanagement (C.), A-Stadt, zur unverzüglichen Eingliederung in Arbeit übergeben. Er wurde darin jeweils aufgefordert, sich "jetzt unverzüglich" zur Vorstellung zu den jeweiligen Firmen zu begeben. Darüber hinaus wurde in dem jeweiligen Vermittlungsvorschlag auf die Rechtsfolgen bei der Nichtbefolgung der Verpflichtung hingewiesen. Die Kenntnisnahme des Vermittlungsvorschlages und der Rechtsfolgenbelehrung sowie eine ausreichende Erläuterung und deren Verstehen bestätigte der Kläger unterschriftlich. Nach einem Aktenvermerk vom 14.09.2010 sei dem Kläger gesagt worden, er habe sich noch am selben Tag bei C. persönlich zu melden.

Der Kläger sprach am 14.09.2010 nicht bei C. vor. Die Beklagte "kürzte" daraufhin mit Bescheid vom 08.10.2010 das Alg II des Klägers für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.01.2011 um 30% der Regelleistung. Entgegen der Aufforderung, sich noch am 14.09.2010 persönlich bei C. vorzustellen, habe er dies erst am 22.09.2010 getan, weshalb ein Beschäftigungsverhältnis nicht zustande gekommen sei. Da kein wichtiger Grund für sein Verhalten gegeben sei, sei die Regelleistung zwingend für drei Monate abzusenken. Die Berechnung könne der Anlage entnommen werden. Dem Bescheid war ein Berechnungsbogen für November 2010 beigefügt.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er habe bei seiner Vorsprache bei der Beklagten auf seinen Operationstermin am 23.09.2010 in E. mit einem Klinikaufenthalt von neun Tagen hingewiesen. Die Beklagte sei über seinen Gesundheitszustand - er habe Atembeschwerden und dürfe sich körperlich nicht anstrengen - informiert gewesen. Er habe sich - wie besprochen - zuerst schriftlich beworben (Bewerbung vom 15.09.2010). Am 22.09.2010 habe er sich dann persönlich bei C. vorgestellt. Die Rechtsfolgenbelehrung habe er am 14.09.2010 am Ende unterschreiben müssen. Den Sinn, unverzüglich zu C. gehen zu müssen, habe er bis heute nicht verstanden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.2011 zurück. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde der Kläger darauf hingewiesen, eine Klage könne innerhalb eines Monats nach "Zustellung" erhoben werde.

Der Kläger hat am 04.08.2011 u.a. gegen den Bescheid vom 08.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2011 Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben (S 9 AS 528/11). Mit Beschluss vom 24.10.2011 hat das SG dieses Begehren abgetrennt und unter dem Aktenzeichen S 9 AS 774/11 fortgeführt. Der Kläger hat ausgeführt, er sei am 14.09.2010 wegen einer Behinderung der Nasenatmung körperlich nicht in der Lage gewesen, sich bei C. unverzüglich zu melden. Wegen der chronischen Nasenatmungsbehinderung habe er im Zeitraum vom 18.10.2010 bis 18.01.2011 keine körperlichen und schweren Arbeiten verrichten dürfen. Mit Urteil vom 12.04.2012 hat das SG die Klage abgewiesen. Die am 04.08.2011 erhobene Klage sei verfristet. Der Widerspruchsbescheid sei am 22.03.2011 zur Post gegeben worden und gelte damit am 25.03.2011 als bekanntgegeben. Die Klagefrist sei somit am 25.04.2011 abgelaufen. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.

Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung hat der Kläger vorgetragen, er habe den Satz, er müsse sich unverzüglich zu C. begeben, nicht verstanden. Sein deutsch-persisches Wörterbuch kenne den Begriff "begeben" nicht. Er habe gedacht, er müsse sofort seine Bewerbungsunterlagen an C. verschicken. Er habe sich am 15.09.2010 bei C. beworben und am 22.09.2010 dort ein persönliches Vorstellungsgespräch gehabt.

Der Kläger beantragt, 

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12.04.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2011 und unter Abänderung des Bescheides vom 23.12.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.05.2011 zu verurteilen, weiteres Arbeitslosengeld II für die Monate November und Dezember 2010 in Höhe von jeweils 107,70 EUR und für Januar 2011 in Höhe von 109,20 EUR an ihn zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, 

die Berufung zurückzuweisen.

Auf Anfrage des Gerichts hat C. mitgeteilt, es könne von dort nicht mehr festgestellt werden, ob der spätere Zeitpunkt der Bewerbung Einfluss auf die Einstellungschancen gehabt haben könnte.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 08.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dies gilt auch für den Bescheid vom 23.12.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.05.2011, soweit damit für Januar 2011 die Leistungen um 109,20 EUR gemindert wird. Der Kläger hat Anspruch auf weiteres Alg II für die Monate November und Dezember 2010 i.H.v. jeweils 107,70 EUR und für Januar 2011 in i.H.v. 109,20 EUR

Streitgegenstand ist vorliegend der Bescheid vom 08.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2010, mit dem die Beklagte das Alg II des Klägers für den Zeitraum vom 01.11.2010 bis 31.01.2011 um monatlich 30% der Regelleistung "gekürzt", d.h. die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung festgestellt hat. Der Bescheid vom 23.12.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.05.2011 ist ebenfalls Gegenstand des Verfahrens, soweit damit die ursprüngliche Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 27.09.2010 für den Monat Januar 2011 aufgehoben und u.a. unter Berücksichtigung der Leistungskürzung wegen der Sanktion die Höhe des Alg II neu geregelt worden ist. Im Hinblick auf die leistungsrechliche Umsetzung der Sanktion bildet er mit dem Absenkungsbescheid vom 08.10.2010 eine rechtliche Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheids zur Höhe des Alg II in dem von der Absenkung betroffenen Zeitraum (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2010 - B 4 AS 68/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr. 4 - m.w.N.).

Statthafte Klage ist unter Berücksichtigung des klägerischen Begehrens zunächst die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG), mit der der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 08.10.2010 begehrt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194-201). Darüber hinaus hat der Kläger aber auch eine Leistungsklage (§ 54 Abs. SGG i.V.m. § 56 SGG) erhoben. Ihm geht es unabhängig von einer Aufhebung des Sanktionsbescheides (auch) um die Nachzahlung des mit Bescheid vom 27.09.2010 bewilligten, teilweise einbehaltenen Alg II. Dies bringt er in seiner Klageschrift an das SG zum Ausdruck, worin er u.a. die "ungekürzten Zahlungen" für November 2010 bis Januar 2011 fordert. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Streitgegenstandes ist das vom Kläger Gewollte. Insofern hätte das SG nicht an dem vom Kläger formulierten Anfechtungsbegehren alleine hinsichtlich des Bescheides vom 08.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2011 festhalten dürfen; eine Erörterung der Konsequenzen einer solchen Beschränkung des Streitgegenstandes mit dem Kläger ist nicht ersichtlich, so dass über das gesamte klägerische Begehren zu befinden ist (vgl. dazu auch BSG a.a.O.). Der Leistungsklage kommt auch - neben der reinen Anfechtungsklage - Bedeutung für den Fall zu, dass der Sanktionbescheid zwar rechtmäßig ist, mangels Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung aber weiterhin ein Zahlungsanspruch aus dem Bescheid vom 27.09.2010 besteht, dem die Beklagte gegebenenfalls zu Unrecht allein den Sanktionsbescheid entgegen hält.

Die Klage ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie nicht verfristet (vgl. Beschluss des Senates vom 10.07.2012).

Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 08.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2011 und den Bescheid vom 23.12.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.05.2011 ist begründet. Es fehlt zur Überzeugung des Senats an einer Pflichtverletzung.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl I 1706 ) wird das Alg II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 v.H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen u.a. weigert, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen. Weigern in diesem Sinne bedeutet regelmäßig die vorsätzliche, ausdrückliche oder stillschweigende, schriftlich, mündlich oder in anderer Weise dem Leistungsträger oder dem Arbeitgeber zum Ausdruck gebrachte fehlende Bereitschaft, sich an die durch das Gesetz auferlegte Pflicht zu halten. Die Aufnahme einer Tätigkeit kann mithin auch durch konkludentes Verhalten verweigert werden (BSG, Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R - juris - m.w.N.; S.Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 31 Rn 40). Ein vorwerfbares Fehlverhalten bezieht sich auf die Aufnahme einer Tätigkeit, worin sämtliches Verhalten bis zu dem eine Tätigkeit etwa durch Abschluss eines Arbeitsvertrages verfestigt wird, mithin auch vorbereitende Handlungen wie etwa im Hinblick auf Bewerbungen und Vorstellungsgespräche (vgl. S.Knickrehm/Hahn a.a.O. Rn 42).

Ein solches vorwerfbares Verhalten kann beim Kläger nicht festgestellt werden. Unstreitig hat sich der Kläger am 15.09.2010 schriftlich bei C. beworben und am 22.09.2010 dort ein Vorstellungsgespräch. Seiner Verpflichtung zur Bewerbung und Vorsprache ist er damit nachgekommen. Eine Obliegenheit, sich schon am 14.09.2010 persönlich bei C. vorzustellen, bestand nicht. Es ist in der Verwaltungsakte der Beklagten in keinster Weise hinreichend dokumentiert worden, ob und dass eine sofortige Vorstellung am 14.09.2010 zwingend notwendig sei, um die Arbeitsstelle zu bekommen. Zwar mag es sein, dass im Bereich der Zeitarbeit eine zeitnahe Bewerbung vorteilhaft und teilweise erforderlich ist. Ob dies in Bezug auf die konkrete Stelle der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. So konnte auch C. auf Anfrage des Gerichts nicht mehr mitteilen, ob sich die Einstellungschancen des Klägers durch die schriftliche Bewerbung am 15.09.2010 und die persönliche Vorstellung am 22.09.2010 verschlechtert haben. Dagegen spricht aber schon, dass er der Kläger zu einem persönlichen Vorstellungstermin wohl nicht mehr eingeladen worden wäre, wenn seine schriftliche Bewerbung am 15.09.2010 aussichtslos gewesen wäre.

Hinzu kommt, dass der Kläger sich auch am 14.09.2010 unverzüglich zur Firma i. GmbH nach K. hätte begeben sollen. Dass auch bei der dortigen Firma zufälligerweise nur eine Bewerbung am selben Tage Sinn gemacht hätte, erscheint nicht nachvollziehbar, so dass der Eindruck entsteht, die Beklagte hat in ihrem Bewerbungsaufforderungen vom 14.09.2010 generell auf eine Bewerbung am selben Tage ohne notwendigen Anlass bestanden. Schließlich erscheint es ungewiss, ob der Kläger, der über kein eigenes Fahrzeug verfügt hat, in der Lage gewesen wäre, tatsächlich beide persönlichen Vorstellungstermine am 14.09.2010 erfüllen zu können. Sofern die Beklagte in ihrem Aktenvermerk vom 14.09.2010 festgehalten hat, dem Kläger sei gesagt worden, er habe sich noch am selben Tag bei C. persönlich zu melden, bleibt unklar, ob er dies auch so verstanden hat. Dies weicht zudem vom Wortlaut des schriftlichen Vermittlungsvorschlages ab, wonach die Vorstellung "jetzt unverzüglich", mithin zeitlich weitaus weniger konkret, erfolgen sollte. Die nachgewiesene schriftliche Rechtsfolgenbelehrung bezog sich insofern auch nur auf den schriftlichen Vermittlungsvorschlag.

Eine Weigerung des Klägers, die Arbeit bei C. aufzunehmen, liegt damit nicht vor. Er hat sich "unverzüglich" schriftlich bei C. beworben. Eine Leistungsabsenkung für die Zeit vom 01.11.2010 bis 31.01.2011 scheidet folglich aus. Die Leistungsklage auf Auszahlung der mit Bescheid vom 27.09.2010 für November und Dezember 2010 ist daher begründet. Dieser Bescheid ist für den genannten Zeitraum nicht teilweise nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben worden (vgl. dazu BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr. 3) und mangels Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 08.10.2010 auch nicht aufhebbar gewesen.

Im Hinblick auf die Gewährung von ungekürzten Leistungen für Januar 2011 war der Bescheid vom 23.12.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.05.2011 abzuändern. Die dort berücksichtigte Leistungsabsenkung infolge der Sanktion durfte - wie oben ausgeführt - nicht erfolgen, eine wesentliche Änderung ist insoweit nicht eingetreten. Eine bloße Aufhebung dieses Bescheides war allerdings nicht möglich, da darin über die Berücksichtigung der Leistungsabsenkung hinaus dem Kläger im Hinblick auf die Erhöhung der Regelleistung ab 01.01.2011 und den Wegfall des Abzuges für Warmwasser sowie die Berücksichtigung einer im Januar 2011 fälligen Nebenkostenabrechnung höhere Leistungen bewilligt worden sind.

Die Berufung war damit hinsichtlich der erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage erfolgreich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.