Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 11 KA 18/14 - Urteil vom 25.11.2015
Bei Pfändung der Honoraransprüche des Vertragsarztes muss die in Anspruch genommene Kassenärztliche Vereinigung zumindest dann nicht die Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen i.S.d. § 850c ZPO beachten, wenn im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nicht das unpfändbare Einkommen nach §§ 850 ff ZPO ausgenommen worden ist.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Auszahlung von vertragsärztlichem Honorar.
Er war bis zum Verzicht auf seine Zulassung im November 2010 als Kinderarzt in Y zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, ist verheiratet und Vater von vier 1990, 1991, 1993 und 1994 geborenen Kindern.
Am 01.08.2003 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet (Amtsgericht X, Az: 160 IN 39/03). Den Praxisbetrieb gab der Insolvenzverwalter im Jahr 2005 in vollem Umfang aus der Insolvenzmasse frei. Nachfolgend wurden von zahlreichen Neugläubigern in etlichen Fällen die Honoraransprüche des Klägers gegen die Beklagte gepfändet, zum Teil durch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse der Amtsgerichte X, Y und Z, zum Teil durch Pfändungs- und Einziehungsverfügungen bzw. Pfändungs- und Überweisungsverfügungen des Finanzamts und anderer Behörden (nachfolgend einheitlich PfÜB). Die PfÜB enthielten z.T. einen Verweis auf die Tabelle nach § 850c Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO). In keiner Pfändungsmaßnahme war ein Pfändungsfreibetrag ausdrücklich bestimmt. In einigen war eine Anwendbarkeit von § 850c ZPO ausdrücklich ausgeschlossen. Viele PfÜB enthielten weder Angaben zu einem Pfändungsfreibetrag noch eine Bezugnahme auf die Tabelle zu § 850c ZPO. Solche PfÜB lagen der Beklagten zu jedem Zahlungszeitpunkt in einer Höhe vor, die 2.190,00 € überstieg. Aufgrund der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zahlte die Beklagte dem Kläger seit Dezember 2009 kein Honorar mehr aus. Inzwischen sind die Forderungen bis Nr. 31 der Aufstellung der Beklagten, soweit sie nicht - wie vereinzelt geschehen - von den Gläubigern zurückgenommen wurden, durch Zahlungen der Beklagten beglichen; die letzte Zahlung erfolge im April 2011. Über die ausgezahlte Summe hinausgehende Honoraransprüche des Klägers bestehen nicht.
Unter dem 01.06.2010 bat der Kläger die Beklagte, ihm den unpfändbaren Teil des Honorars auszuzahlen. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 07.06.2010, dass es ihr aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen unmöglich sei, den unpfändbaren Teil des Honorars selbst zu ermitteln. Ihr seien weder die Familienverhältnisse des Klägers noch die Höhe seiner steuerlichen Verpflichtungen, der privaten Altersvorsorge bzw. der Aufwendungen zur privaten Altersvorsorge oder der sonstigen Praxisvorhaltekosten bekannt. Da der Vertragsarzt in keinem Lohnabhängigkeitsverhältnis zur Kassenärztlichen Vereinigung stehe, sei dieser nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehalten, die der Pfändbarkeit entzogenen Anteile seines Honoraranspruchs durch gesonderten Beschluss des Gerichts nach § 850f Abs. 1a Zivilprozessordnung (ZPO) festsetzen zu lassen.
Der Kläger entgegnete unter dem 05.07.2010, dass es sich bei dem Vertragsarzthonorar um Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 ZPO handele, bei dessen Pfändung die Vorschriften der §§ 850a bis 850i ZPO zu beachten seien. Wenn der Beklagten als Drittschuldnerin die Verhältnisse des Schuldners nicht bekannt seien, müsse sie zumindest den Grundfreibetrag nach § 850c ZPO an den Schuldner auszahlen. Dieser Verpflichtung sei sie aber nach Eingang der Pfändung eines Neugläubigers im Dezember 2009 nicht nachgekommen. Der Hinweis der Beklagten auf § 850f ZPO gehe fehl, da diese Vorschrift nur den (z.B. nach § 850c ZPO) pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens betreffe. Da sich die Höhe des nach § 850c ZPO pfändungsfreien Arbeitseinkommens bereits aus der Tabelle und den der Beklagten vorliegenden Informationen ergebe, könne der Schuldner nicht dessen Feststellung durch den Rechtspfleger beantragen. Die Beklagte möge daher den für die Monate Dezember 2009 bis Juni 2010 aufgelaufenen Grundfreibetrag in Höhe von 989,99 €, also insgesamt 6.929,93 €, bis zum 25.06.2010 an den Anwalt des Klägers überweisen. Der Kläger werde ihr unverzüglich weitere Belege zu Unterhaltspflichten, Steuerzahlungen und Krankenversicherungsbeiträgen zukommen lassen, nach denen sie in Zukunft das Unpfändbare berechnen könne.
Die Beklagte leistete auch weiterhin keine Zahlungen an den Kläger und wies zur Begründung am 15.07.2010 darauf hin, dass der Vertragsarzt sich darauf verweisen lassen müsse, die der Pfändbarkeit entzogenen Anteile durch das Vollstreckungsgericht nach § 850f ZPO feststellen zu lassen, da auch der Grundfreibetrag nach § 850c Abs. 1 ZPO an das Nettoeinkommen des Schuldners anknüpfe, welches sie, die Beklagte, nicht ermitteln könne.
Unter dem 23.07.2010 beantragte der Kläger beim Amtsgericht Y in den dort anhängigen Zwangsvollstreckungssachen die Feststellung, dass der unpfändbare Teil des schuldnerischen Arbeitseinkommens 2.190,00 € betrage. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Y teilte daraufhin in der Zwangsvollstreckungssache 24 M 0718/10 unter dem 15.09.2010 mit, dass sich das Vollstreckungsgericht der Argumentation des Klägers anschließe: Bei dem von der Kassenärztlichen Vereinigung geschuldeten Honorar handele es sich um Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 ZPO, schon im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei angegeben, dass die Grenzen des § 850c ZPO einzuhalten seien, so dass für den beantragten Feststellungsbeschluss kein Raum sei. Von diesem Schreiben des Vollstreckungsgerichts setzte der Kläger die Beklagte unter dem 23.09.2010 in Kenntnis und forderte sie auf, bis zum 28.09.2010 mitzuteilen, ob sie ihren Verpflichtungen ab sofort nachkommen und zu Händen seines Anwalts einen Betrag in Höhe von 5.000,00 € überweisen werde, von dem der Kläger seinen und seiner Familie Lebensunterhalt sichern könne. Unter Bezug auf die beigefügten Kopien der Geburtsurkunden seiner vier Kinder machte er geltend, dass angesichts seiner Unterhaltsverpflichtungen für seine Frau und die Kinder ein monatlicher Betrag von 2.189,99 € unpfändbar und deshalb ohne weiteren Beschluss des Vollstreckungsgerichts an ihn auszuzahlen sei.
Am 29.10.2010 hat der Kläger beim Amtsgericht X in der Zwangsvollstreckungssache 32 M 1329-10, der bei der Beklagten unter laufender Nummer 33 geführten Pfändungsmaßnahme, beantragt, "gem. § 850i ZPO ... den pfändungsfreien Betrag auf 12.200,61 € einmalig festzusetzen" und bis zur endgültigen Entscheidung die Zwangsvollstreckung einstweilig einzustellen. Dieser Antrag ist nicht beschieden, sondern als erledigt weggelegt worden, nachdem der Kläger trotz mehrfacher Aufforderung Mängel seines Antrags nicht behoben hatte.
Am 05.10.2010 hat der Kläger beim Landgericht A Klage eingereicht mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihm 15.329,93 € nebst Zinsen zu zahlen. Das Landgericht hat das Verfahren mit Beschluss vom 14.10.2010 an das Sozialgericht (SG) Dortmund verwiesen.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger ausgeführt, dass er sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinde und von der Beklagten wegen vorliegender Pfändungen keine Auszahlungen mehr erhalte und damit über keine Mittel zum Lebensunterhalt mehr verfüge. Die Ansicht der Beklagten, dass sie erst dann Zahlungen an ihn leisten könne, wenn zuvor ein Pfändungsfreibetrag durch das Vollstreckungsgericht festgestellt worden sei, treffe nicht zu. Denn als Drittschuldnerin von Arbeitseinkommen nach § 850 ZPO müsse die Beklagte den Pfändungsschutz nach § 850c ZPO und damit die Pfändungstabelle beachten. Er sei verheiratet und habe vier schulpflichtige Kinder ohne eigenes Einkommen. Somit seien für die Monate März bis September 2010 monatlich 2.189,99 € unpfändbar, woraus sich die Klageforderung ergebe. Eine vorherige Berechnung des Nettoeinkommens sei nicht erforderlich. Denn insoweit gehe es nicht um den vorrangigen Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern, vielmehr müsse der Vertragsarzt aus dem Bruttohonorar die Praxiskosten bestreiten. Die sich für die Zeit vom 01.03. bis 18.11.2010 bei fünf Unterhaltsberechtigten ergebenden Grundfreibeträge beliefen sich auf 18.600,00 €. Beigefügt hat er eine Übersicht der Beklagten über Pfändungen zu den laufenden Nummern 20 bis 37 sowie seine Erklärung, mit der er unter dem 04.10.2010 an Eides statt versicherte, dass seine vier Kinder bei ihm wohnten, dass er seit dem 01.08.2010 für die Unterkunft der Familie keine Miete mehr zahlen könne und dass er zur Zeit weder Einkommen noch Vermögen habe.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm 18.600,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Amtsgericht Z hat mitgeteilt, dass dort kein Freibetragsfestsetzungsverfahren anhängig gewesen sei.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 30.01.2014 abgewiesen. Die Honorarforderungen des Vertragsarztes gegen die Kassenärztliche Vereinigung unterlägen zwar einem teilweisen Pfändungsschutz, weil es sich um Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 ZPO handele. Soweit die sich aus §§ 850 ff. ZPO ergebenden Pfändungsgrenzen in den vorliegend ergangenen PfÜB nicht berücksichtigt worden seien, sei die Beklagte aber zur vollständigen Auszahlung an die Gläubiger verpflichtet. Um den pfändungsfreien Teil seines Honorars zu erhalten, müsse der Kläger erst eine entsprechende Abänderung des Beschlusses erreichen. Soweit im Übrigen die PfÜB nur einen pauschalen Hinweis auf die Pfändungsschutzvorschriften nach §§ 850 ff ZPO, insbesondere auf § 850c ZPO und die Tabelle zu dessen Abs. 3 enthalten sollten, ohne den danach zu beachtenden Pfändungsfreibetrag konkret zu beziffern, obliege es dem Kläger, beim Rechtspfleger (bzw. bei der Vollstreckungsbehörde) eine Klarstellung über die Höhe der pfändungsfreien Beträge herbeizuführen. Denn bei einer Pfändung des Vertragsarzthonorars sei der Kassenärztlichen Vereinigung als Drittschuldnerin die Höhe des Nettohonorars und regelmäßig auch die Zahl der Unterhaltsberechtigten weder bekannt noch ohne Weiteres erkennbar. Der (Netto-) Arbeitsverdienst des Vertragsarztes sei der Gewinn, den er als selbständiger Unternehmer aus seiner vertragsärztlichen Tätigkeit beziehe. Er lasse sich erst nach Abzug des gesamten den Umsatz schmälerndes Aufwandes, insbesondere der Kosten des Personals, der Miete, der Aufwendungen für Geräte etc. feststellen. Der Verweis auf die Tabelle nach § 850c ZPO bei der Pfändung des vertragsärztlichen Honoraranspruchs verbiete sich deshalb von vornherein. Wenn der Drittschuldner, wie es für die Kassenärztliche Vereinigung stets erforderlich wäre, über die Verwertung eigener Unterlagen und eine Befragung des Schuldners hinaus eigene Ermittlungen anstellen müsste, um einen Blankettbeschluss ausführen zu können, sei ein solcher Beschluss unstatthaft. Angesichts der Schwierigkeiten, das vertragsärztliche Nettoeinkommen zu berechnen, sei zu erwägen, den Vertragsarzt generell auf § 850f ZPO zu verweisen. Jedenfalls sei es eine Obliegenheit des Schuldners, also des Klägers, einen Antrag beim Vollstreckungsgericht zu stellen und die Höhe seines Nettoeinkommens offenzulegen und nachzuweisen. Da der Kläger dieser Obliegenheit allenfalls unzureichend nachgekommen sei und keine Klarstellung des pfändungsfreien Betrages durch das Vollstreckungsgericht herbeigeführt habe, habe er von der Beklagten als Drittschuldnerin keine Zahlung verlangen können, solange die Forderungen der Vollstreckungsgläubiger den Honorarbetrag übersteigen.
Gegen das ihm am 28.02.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.03.2014 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Entscheidung des SG stelle ihm hinsichtlich seines Existenzminimums schutzlos. Die Beklagte könne ohne weitere Prüfung den Sockelbetrag für Alleinstehende auszahlen. Wenn ihr - so wie von ihm - Unterhaltsberechtigte nachgewiesen seien, könne sie auch die erhöhten Sockelbeträge zahlen. Das SG wandele grundlos eine zu seinen Gunsten bestehende Schutznorm in eine Schutznorm für den Drittschuldner um. Stelle der Drittschuldner nicht auf das Netto- sondern auf das Bruttoeinkommen ab, benachteilige er den Schuldner und begünstige den Gläubiger. Aus Gläubigersicht könne es daher kein den Drittschuldner belastender Umstand sein, wenn dieser auf das Bruttoeinkommen abstelle. Er - der Kläger - habe bereits vorgetragen, dass er mangels liquider Mittel und mangels Unterstützung seiner bisherigen Steuerberater überhaupt nicht in der Lage gewesen sei, einen halbwegs schlüssigen und belegten Antrag nach § 850f Abs. 1 ZPO zu stellen. Daraus könne nicht folgen, dass ihm nicht einmal der existenzsichernde Sockelbetrag zur Verfügung gestellt werde. Die Auffassung, das Honorar des Vertragsarztes sei zwar Arbeitseinkommen, § 850c ZPO jedoch nicht anwendbar, überzeuge nicht. Er sei als Vater von drei im Haushalt lebenden Kindern dringend auf das Existenzminimum angewiesen gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.01.2014 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 18.600,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit 05.10.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Ihrer Auffassung nach sei § 850c ZPO auf Vertragsärzte als freiberuflich tätige Ärzte nicht unmittelbar anwendbar. Sie sei auch nicht zur Ermittlung des Nettoeinkommens verpflichtet, weil ihr hierzu entsprechende Unterlagen und Informationen regelmäßig fehlten. Würde ihr als Drittschuldnerin die Aufgabe übertragen, das pfändbare Einkommen des Arztes zu ermitteln, müsste sie hierfür Maßstäbe oder Regelungen entwickeln, um bspw. abzugsfähige Einkommensteuer oder vom Schuldner geleistete Beiträge an eine private Krankenversicherung zu berechnen. Dies widerspräche dem Wesen des PfÜB als staatlichem Hoheitsakt. Die Ermittlung von dessen normativen Inhalt sei originäre Aufgabe des Vollstreckungsgerichts. Setze das Vollstreckungsgericht - wie vorliegend - keinen Pfändungsfreibetrag fest, habe der Schuldner durch Antrag eine Feststellung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrages herbeizuführen. Andernfalls seien dem Drittschuldner aufgrund der Bindung durch die Pfändung Auszahlungen an den Schuldner untersagt. Der Schuldner sei auch nicht schutzlos gestellt, da er einen Antrag auf Festsetzung des Pfändungsfreibetrages beim Vollstreckungsgericht stellen könne. Hintergrund von § 850f ZPO sei nicht allein der Schutz des Schuldners. Wesentlicher Zweck sei auch, dass die Pfändung den Schuldner nicht in die Sozialsysteme treibe und die Allgemeinheit vor einer einseitigen Begünstigung privatrechtlicher vor öffentlich-rechtlichen Gläubigern geschützt werde. Es sei also auch der Schutz der Interessen der Allgemeinheit bezweckt. Daher würden bei direkter Anwendung des §850c ZPO durch den Arbeitgeber oder indirekter Anwendung im Rahmen des §850f ZPO durch das Vollstreckungsgericht das Bruttoeinkommen um Steuern und Sozialbeiträge bereinigt, so dass derartige Beträge de facto unpfändbar gestellt würden. Die Auffassung des Klägers widerspreche diesem Sinn des Pfändungsschutzes. Müsste der Schuldner allein aus dem Sockelbetrag Steuern und Abgaben bestreiten, sei ihm dies regelmäßig mangels Leistungsfähigkeit nicht möglich. Damit würde er stetig weitere Schulden öffentlich-rechtlicher Gläubiger und damit zu Lasten der Allgemeinheit anhäufen. Schlimmstenfalls könne er dann Sozialleistungen in Anspruch nehmen, obwohl er entsprechende Beiträge zu Gunsten vorrangiger Gläubiger im Rahmen der Pfändung abführen müsse und damit nicht in die Sozialleistungssysteme einzahle. Genau dies solle der Pfändungsschutz nach § 850f ZPO aber verhindern. Dies erkennend hätten weder das SG noch sie - die Beklagte - den Schuldnerschutz in der Zwangsvollstreckung grundsätzlich in Frage gestellt. Dem Schuldner sei der ihm zustehende Pfändungsschutz auf Antrag durch die zuständige Stelle zu gewähren. Der Kläger hätte seinen Antrag beim Amtsgericht X mit Hilfe von Beratungs- und Prozesskostenhilfe weiter betreiben können. Letztlich habe sie - die Beklagte - mit der berechtigten Auszahlung der der Pfändung unterliegenden Beträge an den jeweiligen Pfändungsgläubiger die Honoraransprüche des Klägers mit schuldbefreiender Wirkung erfüllt. Ein Zahlungsanspruch des Klägers bestehe nicht mehr.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, insbesondere gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Honorarzahlungen. Insbesondere musste die Beklagte nicht an den Kläger die - hier allein streitigen - Beträge nach der Tabelle zu § 850c Abs. 3 ZPO auszahlen. Dabei kann dahinstehen, ob die Honorarzahlungen der Beklagten das Haupteinkommen des Klägers aus seiner Erwerbstätigkeit dargestellten und damit Arbeitseinkommen im Sinne von § 850 ZPO waren (vgl. dazu Senat, Urteil vom 25.04.2012 - L 11 KA 67/10 -; Bundesgerichtshof <BGH>, Urteile vom 11.05.2010 - IX ZR 139/09 - und 05.12.1985 - IX ZR 9/85 -; Ahrens in Prüttung/Gehrlein, ZPO, 7. Auflage, 2015, § 850 Rdn. 28; Becker in Musielak, ZPO, 9. Auflage, 2012, § 850 Rdn. 11; Kemper in Saenger, ZPO, 6. Auflage, 2015, § 850 Rdn. 14; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Auflage, 2012, § 850 Rdn. 11; Stöber in Zöller, ZPO, 30. Auflage, 2014, § 850 ZPO Rdn. 9 ; zum insoweit vergleichbaren Lotsengeld BGH, Beschluss vom 20.05.2015 - VII ZB 50/14 -). Angaben dazu, welches Einkommen der Kläger aus anderen Tätigkeiten - bspw. der von ihm bis November 2010 unterhaltenen Chiropraxen - hatte, fehlen.
Mit den streitgegenständlichen PfÜB wurde dem Drittschuldner (der Beklagten) - soweit die Forderung gepfändet war - verboten, an den Schuldner (Kläger) zu zahlen (vgl. hierzu § 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Gleichzeitig wurde der Drittschuldner verpflichtet, die gepfändete Forderung an den (Vollstreckungs-)gläubiger zu zahlen. Die PfÜB waren wirksam. Nach den - von der Beklagten in Höhe von insgesamt 115.118,58 € bedienten - PfÜB von ….. sowie weiteren, von der Beklagten nicht mehr bedienten PfÜB sind die gesamten gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte gepfändet worden, ohne dass unpfändbares Einkommen nach §§ 850 ff ZPO ausgenommen worden wäre. Insbesondere enthalten diese PfÜB auch keinen Verweis auf die Tabelle nach § 850c Abs. 3 Satz 2 ZPO. Diese PfÜB betrafen die gesamten Honorarforderungen des Klägers gegen die Beklagte, da die Pfändungsbeschlüsse keine Einschränkung der Pfändung enthielten (Riedel in BeckOK, ZPO, Stand 01.09.2015, § 850 Rdn. 10). Die Vollstreckungsschutzvorschriften der §§ 811, 850 ff ZPO sind von den Vollstreckungsorganen von Amts wegen zu beachten (BGH, Urteil vom 20.11.1997 - IX ZR 136/97 -), wobei der Pfändungsbeschluss die der Pfändung nicht unterworfenen Einkommenteile bezeichnen muss (Landgericht <LG> Hamburg, Urteil vom 02.05.2008 - 318 O 154/07 -; Stöber in Zöller, ZPO, 30. Auflage, 2014, § 850 Rdn. 17). Selbst wenn das Vollstreckungsgericht bzw. die Vollstreckungsbehörden gegen die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff ZPO verstoßen haben sollten, hätte dies keine - auch nur teilweise - Nichtigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen zur Folge (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.09.1978 - 3 W 207/78 -; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., Einf. §§ 850 - 852 Rdn. 8; Lüke in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Auflage, 1999, § 850 Rdn. 22). Vollstreckungsakte als staatliche Hoheitsakte sind - wie Verwaltungsakte - grundsätzlich wirksam, auch wenn sie bei richtiger Handhabung ganz unterbleiben oder anders hätten ergehen müssen. Ihre Fehlerhaftigkeit führt lediglich dazu, dass sie auf entsprechenden Rechtsbehelf hin oder von Amts wegen in den dafür vorgesehenen Verfahren abzuändern oder aufzuheben sind. Solange dies - wie hier - nicht geschieht, ist die betreffende Vollstreckungsmaßnahme gültig (BGH, Urteil vom 06.04.1979 - V ZR 216/77 -). Nichtig und ohne Wirkung sind Vollstreckungshandlungen nur ganz ausnahmsweise, nämlich bei besonders schweren, offenkundigen Fehlern (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17.12.1992 - IX ZR 226/91 -). Ein Verstoß gegen ein Pfändungsverbot zählt nicht dazu. Er führt nur zur Anfechtbarkeit; der PfÜB ist bis zu dessen Aufhebung zu beachten (BGH, Beschluss vom 23.10.2008 - VII ZB 16/08 -; LSG Bayern, Urteil vom 14.03.2012 - L 13 R 695/09 -; Oberlandesgericht <OLG> Hamm, Urteil vom 19.05.1978 - 5 UF 296/78 -). Dem Drittschuldner ist es sogar verwehrt, gegenüber dem Gläubiger die Unpfändbarkeit des gepfändeten Anspruchs geltend machen, wenn dieser - wie hier - lediglich gemäß §§ 850b Abs. 2, 850c ZPO relativ unpfändbar ist (BGH, Urteil vom 21.01.1998 - XII ZR 140/96 -; OLG Thüringen, a.a.O.; OLG Celle, Entscheidung vom 29.06.1962 - 10 U 19/62 -).
Hier ist kein PfÜB - aufgrund von Rechtsbehelfen des Klägers - gerichtlich aufgehoben worden. Sie gelten daher alle nach § 836 Abs. 2 ZPO zugunsten des Drittschuldners (der Beklagten) dem Schuldner (Kläger) gegenüber als rechtsbeständig, selbst wenn sie zu Unrecht erlassen worden sein sollten (Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 27.11.2013 - 8 Sa 218/13 -; Verwaltungsgericht München, Urteil vom 06.12.2004 - M 12 K 03.4720 -; LG Lüneburg, Urteil vom 19.06.2008 - 1 S 22/08 -). Die Wirkung eines PfÜB bleibt nach § 836 Abs. 2 ZPO ungeachtet seiner möglichen Unzulässigkeit solange bestehen, bis er aufgehoben wird und die Aufhebung zur Kenntnis des Drittschuldners gelangt (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 12.06.1992 - 11 Rar 139/90 -; OLG Thüringen, Beschluss vom 12.04.2012 - 1 UF 648/11 -). Da der Beklagten somit zu jedem Auszahlungszeitpunkt unbeschränkte PfÜB in einer Höhe vorlagen, die die vom Kläger geltend gemachten Beträge nach der Tabelle zu § 850c Abs. 3 ZPO überstieg, hatte die Beklagte die gepfändeten Forderungen vollständig an die Gläubiger des Klägers auszuzahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).