Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) für die Klägerin wegen der gesundheitlichen Folgen massiver Nachstellungen (sog. "Stalking").

Die 1950 geborene Klägerin ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern und hat den Beruf einer Sozialpädagogin erlernt. Zuletzt war sie von 1992 bis Juni 2003 als Nachtwache in einer Wohnstätte für behinderte Menschen in I. beschäftigt.

Seit Mai 2001 lebte die Klägerin in einer Beziehung mit dem 1960 geborenen J. (im Folgenden: Nachsteller). Die Beziehung mit dem - alkoholkranken - Nachsteller entwickelte sich konfliktreich, so dass die Klägerin sie bereits ab Oktober 2001 wieder zu beenden versuchte. Der Nachsteller akzeptierte dieses nicht und belegte die Klägerin in der Folgezeit mit zahlreichen Telefonanrufen und elektronischen Kurznachrichten (SMS), zudem alarmierte er über die entsprechenden Notrufnummern wiederholt die Polizei, die Feuerwehr und den Notarzt zu vorgeblichen Streitigkeiten, Schlägereien bzw. Bränden in der Wohnung der Klägerin, ohne dass bei Eintreffen der Einsatzkräfte entsprechende Gefährdungs- oder Schadenslagen festgestellt werden konnten. Ferner wurden von dem Nachsteller - ohne entsprechenden Bedarf - u.a. wiederholt Taxen zur Wohnanschrift der Klägerin bestellt. Die Klägerin erwirkte daraufhin erstmals am 7.1.2002 eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts (AG) I. - 52 C 0047/02 - gegen den Nachsteller, in der diesem unter Androhung von Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, untersagt wurde, die Klägerin zu bedrohen oder zu belästigen sowie in ihrem Namen "die Polizei und Feuerwehr, andere Rettungsdienste, Bestattungsunternehmen, Taxiunternehmen und so weiter zu alarmieren". Dies veranlasste den Nachsteller indes nicht, sein Verhalten gegenüber der Klägerin zu ändern. Unter anderem ereigneten sich im Weiteren die folgenden Vorfälle:

Am 5.3.2002 rief (vermutlich) der Nachsteller mehrfach am Arbeitsplatz der Klägerin an und teilte mit, dass "bei Euch eine Bombe hochgehen" werde, wenn die Klägerin "noch mal in das Haus kommt".

Am 6.3.2002 rief der Nachsteller bei der - seinerzeit 81-jährigen - Mutter der Klägerin an und teilte ihr mit, dass ihre Tochter - die Klägerin - in wenigen Minuten tot sein werde. Einige Minuten später teilte er der Mutter der Klägerin telefonisch mit, dass die Klägerin nunmehr tot sei. Nach Eintreffen der daraufhin zum Wohnort der Klägerin verständigten Polizei rief (vermutlich) der Nachsteller wiederholt in Gegenwart der Polizei auf dem Mobiltelefon und dem Festnetzanschluss der Klägerin an, legte jedoch zunächst ohne ein Wort zu sagen wieder auf. Bei einem neuerlichen Anruf teilte (vermutlich) der Nachsteller dem den Anruf nunmehr entgegennehmenden Polizeibeamten wörtlich mit: "Jetzt muss sie fürchterliche Angst haben!" und legte auf. Am Abend des gleichen Tages meldeten sich mehrere "Pizza-Services" bei der Klägerin, die ihr eine vermeintlich von ihr bestellte Pizza bringen wollten.

Am 7.3.2002 rief der Nachsteller wiederholt die Mutter der Klägerin an und teilte ihr mit, dass die Klägerin "heute sterben" werde.

Am 16.3.2002 rief (vermutlich) erneut der Nachsteller wiederholt am Arbeitsplatz der Klägerin an und teilte mit, dass "eine Bombe fliegen" werde.

Am 22.3.2002 ließ der Nachsteller der Klägerin an ihrem Arbeitsplatz ausrichten, demnächst werde ein Gerichtsvollzieher "vor ihrer Tür stehen".

Derartige Telefonanrufe wiederholten sich auch in der Folgezeit mehrfach sowohl gegenüber der Klägerin als auch gegenüber ihrer Mutter und ihren Arbeitskollegen. Einen daraufhin von der Klägerin gestellten Antrag, entsprechend der einstweiligen Verfügung vom 7.1.2002 ein Ordnungsgeld gegen den Nachsteller festzusetzen, nahm die Klägerin am 22.5.2002 zurück, nachdem sich der Nachsteller in einer Vereinbarung mit ihr vom 18.4.2002 verpflichtet hatte, entsprechende Anrufe zu unterlassen, in seinem Besitz befindliche persönliche Daten der Klägerin zu löschen, an ihrer Wohnung nicht mehr aufzutauchen oder zu klingeln, sie nicht mehr anzusprechen, "jegliche Kontaktaufnahme bei zufälligem Zusammentreffen" zu unterlassen und nichts mehr zu tun oder zu veranlassen, "was (der Klägerin) persönlich oder ihrer Familie schadet oder schaden könnte". Die Klägerin erklärte sich im Gegenzug bereit "zu dulden", dass der Nachsteller ihr "ab und zu einen Brief" schreibt, "der per Post zugestellt wird". Am 17.6.2002 nahm die Klägerin gegenüber dem AG I. auch "die einstweilige Verfügung zurück".

Am 26.3.2003 bedrohte der Nachsteller die Klägerin erneut in deren Haus. Er schrie sie an, sie werde ihn nun "von einer anderen Seite" kennen lernen; sie wisse nicht, wozu er fähig sei. Er fange zuerst mit der Tochter (der Klägerin) an; er habe "Beziehungen" in ganz K. (dem damaligen Wohnort der Tochter). Dann komme der Sohn (der Klägerin) "dran"; er solle auf sein Auto aufpassen. Der Nachsteller fügte hinzu: "Wenn du überfallen, vergewaltigt oder belästigt wirst, habe ich nichts damit zu tun. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Du hast Zeit bis morgen, um mit mir zu reden. Dann geht der Tanz los. Du hast selber schuld, du hast mich fallen lassen!". Abschließend sagte er: "In vier Wochen sind L. und M. (die Kinder der Klägerin) tot."

Der Nachsteller belegte die Klägerin zudem erneut mit einer Vielzahl von Briefen und Postkarten teils beleidigenden, teils versöhnlichen Inhalts, lauerte ihr am Arbeitsplatz und vor ihrer Haustür auf, verfolgte sie, sprach sie an, belästigte und bedrohte sie und ihre Kinder, bestellte auf den Namen der Klägerin ungefragt Versandhausartikel, beauftragte ein Bestattungsunternehmen und einen Schlüsseldienst zur Wohnanschrift der Klägerin etc. Er rief weiterhin missbräuchlich u.a. die Notrufnummer der Polizei an, so u.a. am 7./8.7.2003 wegen einer angeblichen Massenschlägerei bei der Wohnanschrift der Klägerin oder - allein am Abend des 24.6.2003 sechzehnmal - unter Vorgabe vermeintlicher Gewalttaten zu Lasten der Klägerin bzw. seines eigenen (angeblich) bevorstehenden Freitodes, um entsprechende Einsätze zu bewirken.

Am 18.7.2003 wartete er die Klägerin vor dem Hauseingang ihrer Wohnung in N. ab und folgte ihr von dort bis zur Bushaltestelle, während er ununterbrochen auf sie einredete. Er bestieg sodann den selben Bus wie die Klägerin und folgte ihr nach dem Aussteigen unter weiterem Einreden weiter. Vor dem Eingang eines C.-Geschäfts hielt er die Klägerin am Arm fest und riss sie zu sich herum, ließ sie dann jedoch wieder los, worauf die Klägerin in dem C.Geschäft um Verständigung der Polizei bat.

Am 26.7.2003 fand die Klägerin in ihrem Briefkasten einen vom Nachsteller handschriftlich verfassten Brief vor, in dem es u.a. hieß: "Melde Dich doch wegen dem Geld. Du bekommst ab dem 2.8. Deine Ruhe, aber anders als Du denkst. Ich habe sehr viel angeleiert. O."

Mit Verfügung vom 28.7.2003 erließ die Ortspolizeibehörde I. daraufhin eine Wohnungsverweisungsverfügung mit Rückkehrverbot gegen den Nachsteller, wonach diesem verboten wurde, sich ab dem 28.7.2003, 12.00 Uhr, bis zum 7.8.2003, 24.00 Uhr, in der Wohnung der Klägerin sowie einem Radius von 100 Metern darum aufzuhalten (Maßnahme nach § 14a Abs. 1 des P. Polizeigesetzes - Q.).

Mit Beschluss des AG I. vom 19.8.2003 - 52 C 1713/03 - wurde dem Nachsteller im Wege einer weiteren einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft aufgegeben, es zu unterlassen, die Klägerin zu bedrohen, zu verletzen oder sonst körperlich zu misshandeln, ihr nachzustellen, in irgendeiner Form Kontakt zu ihr aufzunehmen, die Wohnung der Klägerin zu betreten oder sich auf der Straße vor ihrem Haus bzw. gegenüber dem Grundstück aufzuhalten, sich der Klägerin außerhalb der Wohnung auf eine Entfernung von weniger als 100 Metern zu nähern, sie anzusprechen, ihr zu folgen oder hinterherzulaufen und den Arbeitsplatz der Klägerin zu betreten oder sich ihm auf eine Entfernung von 100 Metern zu nähern.

Diesen Anforderungen kam der Nachsteller erneut nicht nach: Er warf u.a. am 26.8.2003, 3.9.2003, 17.9.2003, 24.9.2003, 9.10.2003, 12.10.2003, 19.10.2003 und 21.10.2003 lose Zettel, Postkarten und Briefe in ihren Briefkasten und klingelte nahezu täglich an ihrer Haustür oder meldete sich telefonisch. Am 20.9.2003 belästigte und bedrohte er sie in einem öffentlichen Bus. Am 2. und 3.10.2003 wartete er vor dem Haus der Klägerin und ging auf sie zu, als sie das Haus auf dem Weg zur Arbeit verließ. Die Klägerin sah sich dadurch veranlasst, zunächst in das Haus zurückzukehren und sich zur Arbeit abholen zu lassen, was auch geschah. Am 11.10.2003, 29.10.2003 und 1.11.2003 begegnete der Nachsteller der Klägerin offenbar absichtsvoll in verschiedenen Straßen I.s und verfolgte sie, auch nachdem sie zur Vermeidung einer unmittelbaren Begegnung die Straßenseite gewechselt hatte.

Das AG I. setzte daraufhin mit Ergänzungsbeschluss vom 13.11.2003 - 52 C 1713/03 - ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,00 €, ersatzweise je 100,00 € einen Tag Ordnungshaft, gegen den Nachsteller fest. Die dagegen erhobene Beschwerde vor dem Landgericht R. - 6 T 777/03 - nahm der Nachsteller nach Reduzierung des Ordnungsgeldes auf 150,00 € zurück; zu einer Änderung seines Verhaltens kam es nicht.

Der Nachsteller wandte sich weiterhin mit - überwiegend von ihm persönlich in den Briefkasten der Klägerin eingeworfenen - Briefen, Postkarten, "Geschenken" und fingierten "Schuldscheinen" u.a. am 19.11.2003, 20.11.2003, 25.11.2003, 26.11.2003, 17.12.2003, 19.12.2003, 20.12.2003, 21.12.2003, 22.12.2003 und 24.12.2003 an die Klägerin und sprach sie jedenfalls am 24.12.2003, 29.12.2003 und 30.12.2003 persönlich bzw. telefonisch an und bedrohte sie bzw. ihren Sohn.

Wegen der vorgenannten Vorfälle wurde der Nachsteller schließlich auf Strafanzeigen der Klägerin nach Verbindung mehrerer Verfahren vom AG I. mit Urteil vom 23.11.2004 - 21 Gs 962 Js 31324/04 - wegen Bedrohung (§ 241 Strafgesetzbuch - StGB) und Verstoßes gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG) in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach wiederholten Nachstellungen wurde die Strafaussetzung zur Bewährung mit Beschluss des AG I. vom 7.3.2005 widerrufen. Der Nachsteller verbüßte daraufhin vom 13.9.2005 bis 23.5.2006 die ihm auferlegte Freiheitsstrafe, bevor der Strafrest nach zwei Dritteln erneut zur Bewährung (Bewährungszeit: 2 Jahre) und mit der Auflage, sich umgehend einer ambulanten Alkoholentziehungstherapie zu unterziehen, ausgesetzt wurde (§ 57 Abs. 1 StGB). Eine mit weiterem Urteil des AG I. vom 4.10.2005 - 21 Ds 990 Js 16758/05 - ergänzend u.a. wegen der Nachstellungen ausgesprochene Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wurde auf Berufung des Nachstellers mit Urteil des Landgerichts R. vom 31.5.2006 - 26 Ns 990 Js 16758/05 - ebenfalls (mit weiteren Auflagen) zur Bewährung (Bewährungszeit: 3 Jahre) ausgesetzt.

Die Klägerin wechselte im Verlaufe der Nachstellungen zweimal die Wohnanschrift, kam zeitweilig bei Bekannten unter und veranlasste eine Auskunftssperre bei der Meldebehörde. Zudem ließ sie sich vorübergehend eine Telefonnummer mit Auskunftssperre einrichten. Gleichwohl ermittelte der Nachsteller jeweils nach kurzer Zeit erneut ihre Anschrift/Telefonnummer und setzte seine Nachstellungen fort. Vorübergehend ließ die Klägerin ferner - ebenfalls ohne "Erfolg" - ihren Briefkasten verkleinern.

In gesundheitlicher Hinsicht leidet die Klägerin infolge der Nachstellungen unter psychischen Beschwerden im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Erschöpfungs- und Angstzuständen, Nervosität, Konzentrations- und Schlafstörungen, die u.a. eine psychopharmakologische Medikation und einen stationären Aufenthalt in der Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Dr. S., R., vom 2.3. bis 11.5.2004 erforderlich machten. Mit Bescheid der Beklagten vom 20.5.2005 wurde bei ihr daraufhin eine Schwerbehinderung in Form eines "psychischen Leidens" sowie ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 ab dem 7.3.2005 festgestellt; ein Überprüfungsverfahren im Jahr 2009 erbrachte diesbezüglich keine Änderungen.

Am 7.2.2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten ergänzend die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem OEG und fügte dem vor allem das Urteil des AG I. vom 23.11.2004 bei. Daraufhin holte die Beklagte Auskünfte der Krankenkasse der Klägerin ein und zog den Entlassungsbericht der Klinik Dr. S. vom 18.6.2004 sowie die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft R. bei. Mit Bescheid vom 23.5.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie u.a. aus, die von der Klägerin geltend gemachten Stalking-Aktivitäten des Nachstellers fielen nicht unter den Begriff eines "tätlichen Angriffs", der Voraussetzung für eine Entschädigung nach dem OEG sei. Auch wenn die Übergriffe eine psychische Störung von Krankheitswert bei der Klägerin zur Folge gehabt hätten, habe es sich um "gewaltlose" Handlungen gehandelt, die keine unmittelbar auf den Körper der Klägerin abzielende Einwirkung dargestellt hätten.

Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin vor allem geltend, die Beklagte habe den Begriff des "tätlichen Angriffs" rechtsirrig verengt: Ein tätlicher Angriff bezeichne jedes gewaltsame Vorgehen gegen eine Person in feindseliger Absicht. Dies entspreche nicht nur dem allgemeinen Sprachverständnis, sondern auch der Systematik der §§ 113, 121 StGB, an die § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anknüpfe. Danach sei keine körperliche Gewalt im Sinne einer "handgreiflichen Attacke" gegen das Opfer erforderlich. Vielmehr genüge eine auf die körperliche Integrität des Opfers gerichtete, feindliche Aktion; nicht einmal eine Körperberührung sei erforderlich. Bei diesem Verständnis deckten sich auch der strafrechtliche und der opferentschädigungsrechtliche Begriff eines tätlichen Angriffs. Sie sei systematisches Opfer massivster Bedrohungen und Attacken über einen längeren Zeitraum geworden. Derartige Behandlungen stellten "zweifelsfrei einen Angriff auf ihre körperliche Integrität dar". Gerade vor dem Hintergrund des Stalking-Phänomens sei auch das GewSchG entwickelt worden, um die Opfer besser vor den strafrechtlich bereits als Körperverletzung bewerteten Übergriffen des Nachstellers zu schützen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2005 wies die Beklagte den Widerspruch aus den Gründen des Ausgangsbescheides zurück. Nach den Vorschriften des OEG würden bewusst nicht alle Opfer von Straftaten ausnahmslos entschädigt, sondern nur Betroffene einer Straftat mit Gewaltanwendung.

Hiergegen hat die Klägerin am 30.11.2005 unter Wiederholung und Bekräftigung ihres Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren sowie weiterer Darstellungen der einzelnen Aktivitäten des Nachstellers Klage vor dem Sozialgericht (SG) Bremen erhoben. Ergänzend hat sie u.a. vorgebracht, auch nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei für eine Anerkennung von Ansprüchen nach dem OEG nicht in jedem Fall eine gewalttätige Handlung im engeren Sinne erforderlich. Entscheidend sei, ob sich das Verhalten des Täters objektiv rechtsfeindlich darstelle. Ein "tätlicher Angriff" sei danach gegeben, wenn der Täter in strafbarer Weise die körperliche Integrität eines anderen rechtswidrig verletze. Dabei sei eine unmittelbare Körperberührung nicht erforderlich. Vielmehr genüge ein aktives Handeln, das unmittelbar gegen den Körper des Opfers gerichtet sei und zu einem körperlich wirkenden Zwang führe. Diese Bewertung habe das BSG in Anlehnung an Fälle sexuellen Missbrauchs entwickelt und u.a. gefordert, dass die entsprechende Tat geeignet sein müsse, schwere gesundheitliche Schädigungen hervorzurufen, dass es sich bei dem Opfer um einen Angehörigen einer besonders schutzbedürftigen Gruppe handele und dass die "gewaltlose" Handlung nach dem StGB strafbar sei. Alle diese Voraussetzungen lägen auch in ihrem Fall vor. Die Aktivitäten von Nachstellern seien generell ebenso wie in ihrem konkreten Fall geeignet, die gesamte Lebensgestaltung des Opfers massivst zu beeinträchtigen und Todesangst hervorzurufen. In Erkenntnis, dass der justizielle Schutz in derartigen Fällen oftmals "zu spät" eingreife, habe der Gesetzgeber bereits den zivilrechtlichen Schutz der Opfer, aber auch die Strafbarkeit der Nachsteller (§ 4 GewSchG), verbessert. Allein dies belege, dass es sich bei Stalking-Opfern um eine begrenzte Gruppe handele, die vergleichbar mit Missbrauchsopfern ebenfalls in besonderem Maße schutzwürdig sei. Schließlich stehe auch die Strafbarkeit entsprechender Nachstellungshandlungen außer Frage. Die abweichende Beurteilung der OEG-Ansprüche sogenannter "Mobbing"-Opfer stehe ihrem Begehren nicht entgegen. Das BSG habe die Entschädigungsansprüche bei Mobbing-Handlungen vor allem deswegen abgelehnt, weil es sich in der Regel nicht um strafbare Handlungen handele. Gerade dies sei jedoch bei Stalking-Handlungen, insbesondere in dem von ihr erlittenen Ausmaß, der Fall. Zudem liege auch ein Gesetzentwurf zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen vor (nunmehr, seit 31.3.2007: § 238 StGB). Schließlich sei auch nach der Rechtsprechung des BSG zu sogenannten "Schockschäden" von "Sekundäropfern" davon auszugehen, dass die von ihr erlittenen massiven Einwirkungen auf ihre körperliche Integrität als "tätlicher Angriff" im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG anzusehen seien. Zwar habe das BSG hierbei maßgeblich auf den tätlichen Angriff gegen das "Primäropfer" der Gewalttat abgestellt, gleichzeitig aber auch einen Ursachenzusammenhang zwischen dem belastenden Ereignis und dem Auftreten einer psychischen Erkrankung beim "Sekundäropfer" für die Begründung von Entschädigungsansprüchen genügen lassen. Danach müsse es erst recht ausreichen, wenn beim Primäropfer selbst durch ständige Nachstellungshandlungen psychische Erkrankungen aufträten.

Die Beklagte ist der Klage unter Bezug auf die von ihr in den angefochtenen Bescheiden dargestellten Gründe entgegengetreten; ihre Entscheidung entspreche der Rechtslage. Nach dem Willen des Gesetzgebers würden nicht alle Opfer von Gewalttaten als entschädigungsberechtigt angesehen. Mit dem Rückgriff auf den Begriff des "tätlichen Angriffs" werde vielmehr klargestellt, dass nicht alle im strafrechtlichen Sinne als Gewaltanwendung einzustufenden Handlungen einen Entschädigungsanspruch auslösten. Der Nachsteller habe im Fall der Klägerin erst mit einer künftigen Gewalttat gedroht; dies stelle keinen "tätlichen Angriff" im Sinne des OEG dar.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 20.10.2006 abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Klägerin sei nicht Opfer eines "tätlichen Angriffs" geworden, auch wenn der Nachsteller vorsätzlich, rechtswidrig, belästigend und bedrohend gehandelt und dadurch eine psychische Erkrankung der Klägerin verursacht habe. Die Schwelle zu einer unmittelbar auf ihren Körper abzielenden Einwirkung - wie sie von der Rechtsprechung des BSG gefordert werde - hätten die Übergriffe des Nachstellers nicht erreicht. Dabei sei sich das SG der vielfältigen unzumutbaren Belästigungen des Nachstellers, der Strafbarkeit seines Verhaltens und der (seinerzeit noch nicht abgeschlossenen) gesetzgeberischen Bestrebungen zur Formulierung eines eigenständigen Stalking-Tatbestandes bewusst. Die Nachstellungen zu Lasten der Klägerin seien jedoch ausschließlich verbaler Natur gewesen. Das OEG wolle nach dem Willen des Gesetzes nicht alle Opfer von Straftaten entschädigen, sondern nur diejenigen, die von einer mit Gewaltanwendung verbundenen Straftat betroffen seien. Eine Ausweitung dieses Anwendungsbereichs entspreche - soweit sie nicht im Gesetz selbst vorgesehen sei - nicht dieser Intention und sei auch bislang von der Rechtsprechung nicht vorgenommen worden. Die Rechtsprechung zu Schockschäden von Sekundäropfern führe zu keiner Ausweitung des entschädigungsberechtigten Personenkreises, da insoweit ausdrücklich an die Gewaltanwendung gegen das Primäropfer angeknüpft werde. Erwürben Stalking-Opfer - wie die Klägerin - einen Entschädigungsanspruch nach dem OEG, müssten Versorgungsleistungen auch demjenigen zugestanden werden, dessen wirtschaftliche Existenz durch ein kriminelles, aber nicht "körperliches" Verhalten (wie etwa Betrug oder Untreue) ruiniert worden sei und der dadurch psychische Schäden erleide. Derartige Fälle seien indes bewusst nicht durch das OEG erfasst.

Gegen dieses ihr am 10.11.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.12.2006, einem Montag, Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und die Nachstellungen sowie die strafrechtliche Sanktionierung des Nachstellers wiederholt geschildert. Sie hat betont, dass die Übergriffe bewusst und gewollt auf ihre körperliche Integrität abgezielt hätten - und dies mit "Erfolg". Sie leide seither unstreitig an einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung mit Depressionen, Rückzug aus dem sozialen Leben bis hin zu Suizidalität. Sie hat ferner auf die Feststellung des GdB von 50 hingewiesen sowie darauf, dass sie nicht mehr in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu Schockschäden stehe "völlig außer Frage", dass es sich bei den Übergriffen des Nachstellers um "tätliche Angriffe" im Sinne von § 1 OEG gehandelt habe. Wie bei Schockschaden-Opfern sei auch bei ihr ein eindeutiger Ursachenzusammenhang zwischen den belastenden Ereignissen und der psychischen Erkrankung gegeben. Demgegenüber habe das SG den Maßstab verkannt. Zumindest die Summe der permanenten Belästigungen, Bedrohungen, Beleidigungen und Drangsalierungen habe "genau diese Schwelle der Gewaltanwendung" erreicht. Im Übrigen hat die Klägerin auf die Entscheidung des 13. Senats des erkennenden Gerichts vom 22.6.2006 - L 13 VG 7/05 - Bezug genommen, in der das kriminelle Unrecht schwerer Stalking-Übergriffe - wie sie sich bei ihr ereignet hätten - betont worden sei. In dieser Entscheidung sei auch anerkannt worden, dass eine Körperverletzung nicht erst durch eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit begangen werden könne, sondern bereits durch nachhaltige Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens. Ihr Fall sei damit vergleichbar, "auch wenn es vielleicht kein Delikt im Sinne der klassischen Körperverletzung gegeben" habe. Schon das Festhalten und Anfassen durch den Nachsteller - wie sie es erlebt habe - habe die Qualität eines direkten körperlichen Übergriffs gehabt. Mehr an körperlicher Gewalt sei für die Annahme eines tätlichen Angriffs gerade nicht erforderlich. Auch die Kommentierung zum OEG verlange lediglich eine unmittelbar auf den Körper des Opfers zielende feindliche Einwirkung, ohne dass es zu einer Körperberührung kommen müsse. Die Klägerin hat schließlich erneut auf die "neuere Rechtsprechung des BSG" verwiesen, wonach die Tat lediglich geeignet sein müsse, schwere gesundheitliche Schädigungen hervorzurufen, sich gegen eine besonders schutzbedürftige Personengruppe richten müsse und - auch als "gewaltlose" Tat - nach dem StGB strafbar sein müsse. Diese Voraussetzungen seien in ihrem Fall sämtlich erfüllt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20.10.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23.5.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge nach dem Opferentschädigungsgesetz festzustellen und eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50 ab dem 1.2.2005 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für rechtmäßig. Bei dem vorliegenden Sachverhalt fehle es an dem Tatbestandsmerkmal des "tätlichen Angriffs" im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG.

Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft R. - Zweigstelle I. - sowie die Akten des AG I. in den einstweiligen Verfügungsverfahren gegen den Nachsteller ergänzend beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf das Sitzungsprotokoll über die mündliche Verhandlung, den sonstigen Inhalt der Prozessakte, den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind und der Entscheidungsfindung des Senats zugrunde gelegen haben.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Schädigungsfolge der Nachstellungen des J. und auf Zahlung einer Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 50 gegen die Beklagte. Die dem entgegenstehenden Entscheidungen des SG und der Beklagten sind aufzuheben und eine entsprechende Verurteilung der Beklagten auszusprechen.

Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält derjenige, der durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen seine oder eine andere Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Diese Voraussetzungen liegen vor; die Klägerin ist Opfer eines solchen Angriffs geworden. Die Übergriffe des Nachstellers waren vorsätzlich und rechtswidrig (I.a.), ihr Charakter als "tätlicher Angriff" ist sowohl unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich von der Rechtsprechung entwickelten Begriffsverständnisses (I.b.) als auch der in jüngeren Rechtsentwicklungen (insbesondere des GewSchG und des StGB) ausgedrückten gesellschaftlichen Wahrnehmung derartiger Handlungen (I.c.) zu bewerten. Für die Handlungen, denen die Klägerin durch den Nachsteller ausgesetzt war, ist ein "tätlicher Angriff" zu bejahen (I.d.). Die Schädigung der Klägerin hat schließlich eine Gesundheitsstörung zur Folge, die zu einem Anspruch auf eine entsprechende Beschädigtenrente führt (II.).

I. 

Die Klägerin ist Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen ihre Person durch den Nachsteller geworden.

a. Die Vorsätzlichkeit und Rechtswidrigkeit des Angriffs ergeben sich bereits aus den - rechtskräftigen - Feststellungen des AG I. in den Urteilen vom 23.11.2004 und 4.10.2005 sowie des Landgerichts R. im Urteil vom 31.5.2006. Danach hat sich der Nachsteller durch sein Verhalten wegen Bedrohung (§ 241 StGB), versuchter Nötigung (§ 240 StGB) und Verstoßes gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem GewSchG (§ 4 GewSchG) in insgesamt 20 Fällen strafbar gemacht. Zwar braucht sich der für den opferentschädigungsrechtlichen Tatbestand erforderliche Vorsatz nur auf die Angriffshandlung selbst zu beziehen, nicht auch auf den Eintritt eines strafrechtlichen Erfolges. Verwirklicht der Angreifer jedoch - wie hier - vorsätzlich einen strafrechtlichen Tatbestand, liegt regelmäßig auch ein vorsätzlicher Angriff im Sinne des OEG vor (vgl. bereits BSG SozR 3-3800 § 1 Nrn. 1, 12). Die Rechtswidrigkeit der Nachstellungen bedarf danach ebenfalls keiner weiteren Erörterungen.

b. Die Nachstellungen sind auch als "tätlicher Angriff" im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu werten. Der Begriff des "tätlichen Angriffs" wird im OEG selbst zwar nicht näher definiert. Nach ständiger Rechtsprechung hat er im Opferentschädigungsrecht jedoch einen eigenständigen Sinngehalt, der zwar an entsprechende Vorschriften des StGB, insbesondere § 113 Abs. 1, § 121 Abs. 1 Nr. 1 StGB, anknüpft, sich jedoch nicht darin erschöpft. Eine strenge Bindung an die strafrechtliche Bedeutung des tätlichen Angriffs wäre nur vertretbar, wenn das OEG ausdrücklich hierauf verwiesen hätte, was indes nicht der Fall ist (vgl. u.a. BSGE 77, 7, 9). Unter einem "tätlichen Angriff" nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist daher grundsätzlich zunächst eine in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung zu verstehen (so zuletzt u.a. BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 5; BSGE 81, 42; 81, 288, jew. m.w.N.; für das Strafrecht bereits RGSt 59, 265). In der Regel wird die Angriffshandlung daher den Tatbestand einer - versuchten oder vollendeten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben im Sinne der §§ 211 ff. StGB oder gegen die körperliche Unversehrtheit im Sinne der §§ 223 ff. StGB erfüllen. Dieses Verständnis folgt dem Zweck des OEG, eine Entschädigung ausschließlich bei Gesundheitsschäden und als Ausgleich für das Versagen des staatlichen Gewaltmonopols beim Schutz vor Gewaltkriminalität vorzusehen: Die Verantwortlichkeit des Staates soll grundsätzlich nur bei einem "willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person" einsetzen (BT-Drs. 7/2506, S.10). Gesundheitliche Folgen nicht in diesem Sinne ausgerichteter Handlungen (z.B. psychische Störungen nach "bloßen" Ehrverletzungen, LSG Nordrhein-Westfalen v. 19.12.2007 - L 10 VG 25/02) fallen daher, sofern sie nicht als Folgen mittelbarer Angriffe ausnahmsweise von § 1 Abs. 2 Nr. 2 OEG erfasst werden, prinzipiell ebenso aus dem Schutzbereich des OEG wie nicht-gesundheitliche (z.B. wirtschaftliche) Folgen "gewaltsamer" Handlungen (mit Ausnahme der Hilfsmittelbeschädigungen nach § 1 Abs. 10 OEG).

Ausgehend davon ist der Begriff des "tätlichen Angriffs" durch die Rechtsprechung jedoch bereits frühzeitig nach Inkrafttreten des OEG weiter präzisiert und differenziert worden:

Ein "tätlicher Angriff" im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt danach ein Handeln voraus, das unmittelbar auf eine Person abzielt und auch auf diese einwirken soll; der gewaltsame Einbruch in eine Wohnung etwa begründet demnach noch keinen "tätlichen Angriff" des sich der Gegenwart des Opfers nicht bewussten Einbrechers (BSGE 56, 234), wohl aber z.B. das aktive Aussetzen (§ 221 Abs. 1, 1. Alt. StGB in der bis 31.3.1998 geltenden Fassung) eines betagten, gehbehinderten Opfers an einsamer Stelle zur Nachtzeit (BSG v. 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 = NJW 1993, 880; offen gelassen zu § 221 Abs. 1 StGB n.F. in LSG Niedersachsen-Bremen v. 14.12.2005 - L 5 VG 1/03 = Breithaupt 2006, 307; zum Ausschluss von Entschädigungsleistungen nach dem OEG bei unterlassener Hilfeleistung i.S.v. § 323c StGB vgl. BSG v. 12.6.2003 und v. 10.11.1993 - B 9 VG 11/02 B bzw. 9 RVg 2/93).

Der "tätliche Angriff" muss sich allerdings nicht in jedem Fall selbst direkt gegen die körperliche Integrität des Opfers richten und nicht einmal zu einer körperlichen Berührung zwischen Täter und Opfer führen. Vielmehr reicht auch die Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit einer anderen Person, etwa durch plötzliches (physisches) Versperren eines (Rad-)Fahrweges, wenn das Opfer dadurch zum Ausweichen oder zur Flucht veranlasst wird und es zu einem Gesundheitsschaden kommt (BSG SozR 3-3800 § 10a Nr. 1). Gleiches gilt - erst recht - bei (Aufrechterhaltung einer) Freiheitsberaubung mittels körperlicher Gewalt (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 10). Auch das Herbeiführen der konkreten Gefahr und die Inkaufnahme einer Gesundheitsschädigung, etwa durch bewusstes Zünden eines Feuerwerkskörpers in unmittelbarer Nähe des Opfers (BGG v. 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 = SGb 1997, 421), kann ein unmittelbar rechtsfeindliches Verhalten gegen einen anderen darstellen und einen "tätlichen Angriff" begründen, selbst wenn sich der Täter möglicherweise nur einen "groben Scherz" erlauben wollte. Fehlt der Handlung aber, wie etwa bei der mutwilligen Entfernung eines Gullydeckels (BSG SozR 4-3800 § 1 Nr. 5), die unmittelbare feindliche Ausrichtung auf einen anderen Menschen, stellt sie keinen "tätlichen Angriff" dar.

Ob die rein verbale Androhung von Gewalt für sich allein bereits als "tätlicher Angriff" zu werten ist, hat das BSG bislang offen gelassen (vgl. zuletzt u.a. BSG v. 2.10.2008, a.a.O.); ein tätlicher Angriff ist jedoch anzunehmen, wenn der Täter schon mit der Verwirklichung der Drohung durch die gewaltsame Beseitigung von Hindernissen oder sonstige Gewalt gegen Sachen begonnen hat (BSGE 81, 42) oder die Drohung mit objektiv hochgefährlichen Mitteln (scharf geladene und entsicherte Waffe) "unterstreicht" (BSGE 90, 6; zum Entschädigungsanspruch bei "Bedrohung" mit einer objektiv ungefährlichen Schreckschusswaffe vgl. SG Bremen v. 29.3.2007 - S 20 VG 27/03 = Behindertenrecht 2009, 180 - rechtskräftig).

Die gewaltsame, "tätliche" Einwirkung auf einen anderen setzt demnach lediglich ein physisch aktives, gegen dessen Gesundheit gerichtetes, prinzipiell rechtsfeindliches Verhalten voraus, ohne dass es selbst "körperlich" oder gar "handgreiflich" bzw. "kämpferisch" sein müsste (vgl. auch LSG Bayern v. 16.3.1990 - L 10 Vg 1/89 = Breithaupt 1991, 414, Verabreichen einer - schädigenden - Spritze durch einen falschen "Arzt" unter Vortäuschen von Heilkunde).

Zu weiteren Konkretisierungen hat die Rechtsprechung zu den Fallgruppen der sog. "Schockschaden"-Opfer, der kindlichen Opfer "gewaltlosen" sexuellen Missbrauchs und der Opfer sog. "Mobbings" geführt:

In Bezug auf den Schockschaden einer durch die Nachricht vom gewaltsamen Tod ihrer Tochter (= Primäropfer) psychisch geschädigten Mutter hat das BSG bereits 1979 (BSGE 49, 98) entschieden, dass auch eine "bloß" seelische Einwirkung auf das (Sekundär-)Opfer vom Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG umfasst ist. Die Übermittlung der Nachricht von dem besonders schrecklichen Geschehen bilde mit der Gewalttat gegen das Primäropfer eine natürliche Einheit und führe zu einer unmittelbaren Einwirkung ("Schreckwirkung") auf das Sekundäropfer, die unabhängig vom Ende der primären Gewalttat zu beurteilen und für die eine Entschädigung nach dem OEG geboten sei (BSGE 49, 98, 103). Den Anknüpfungspunkt bildet hierbei zwar der gewaltsam-körperliche Übergriff gegen das Primäropfer und der Umstand, dass § 1 Abs. 1 OEG ausdrücklich auch ein Auseinanderfallen von tätlich angegriffener und verletzter Person vorsieht, gleichwohl ist in vergleichbaren Fällen die Tatbestandsmäßigkeit der unmittelbar "bloß" psychischen Einwirkung auf das Sekundäropfer wiederholt bekräftigt worden. Lediglich den Kreis möglicher Schockschaden-Opfer hat das BSG in der Folgezeit dadurch eingegrenzt, dass ein enger Zusammenhang zwischen der das Primäropfer betreffenden Gewalttat und den psychischen Auswirkungen beim Sekundäropfer erforderlich sei, wie er nur durch eine besondere zeitliche und örtliche Nähe zu dem primär schädigenden Ereignis (z.B. beim Tatzeugen) und/oder durch eine besondere personale Nähe zum Primäropfer (z.B. naher Angehöriger) bestehen könne (BSGE 91, 107; BSG v. 12.6.2003 - B 9 VG 6/02 R = SGb 2003, 519; BSG SozR 3100 § 5 Nr. 6; noch offen gelassen in BSGE 88, 240, 245).

Im Zusammenhang mit Fällen sexueller Übergriffe auf Kinder ist weiter anerkannt worden, dass diese Übergriffe auch dann einen "tätlichen Angriff" darstellen können, wenn der Missbrauch selbst nicht durch Gewalt oder Tätlichkeiten erzwungen, sondern durch List, Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses oder "spielerisch" begangen wurde (BSGE 77, 7). Entscheidend wurde insoweit darauf abgestellt, dass gerade Kinder durch § 176 StGB einen besonderen Schutz erfahren sollten, der auch "gewaltlose" Begehungsweisen bestrafe. Ungeachtet der inneren Einstellung des Täters oder der äußerlichen Einkleidung der Tat, ergebe sich die feindselige, gegen das Opfer gerichtete Ausrichtung des Angriffs mithin aus der strafrechtlichen Bewertung. Hinzu komme, dass in derartigen Fällen die weitere Sachaufklärung durch Vernehmung des Missbrauchsopfers mit der dringenden Gefahr einer "sekundären Viktimisierung" und (dadurch) weiteren Schädigung verbunden sei, die es zu vermeiden gelte. Die Ausgrenzung von Fällen "gewaltlosen" sexuellen Kindesmissbrauchs aus dem Anwendungsbereich des OEG sei daher nicht sachgerecht (BSGE 77, 7, 10).

Im Hinblick auf das als "Mobbing" bezeichnete Phänomen wiederholter - verbaler oder nonverbaler - Anfeindungen, Herabsetzungen des Opfers in seinem Ansehen, seiner Ehre, seiner Selbstachtung oder seiner gesellschaftlichen Reputation ist das Vorliegen eines "tätlichen Angriffs" dagegen verneint worden. Dies gelte auch dann, wenn das dadurch missachtete, herabgesetzte, sozial ausgegrenzte oder gar geächtete Opfer psychisch erkranke. Das OEG decke nicht alle aus dem Gesellschaftsleben folgenden Verletzungsrisiken ab, die durch andere verursacht würden. Der Rahmen des zwar gesellschaftlich Missbilligten, aber nicht Strafbaren, werde beim Mobbing - von Extremfällen abgesehen - in der Regel nicht verlassen. Nur jenseits dieser Schwelle und selbst dort nur ausnahmsweise könnten einzelne Mobbing-Aktivitäten als auf den Körper des Opfers zielende Einwirkungen und damit als "tätliche Angriffe" angesehen werden (BSGE 87, 276, 278).

c. Das Phänomen beharrlicher Nachstellungen hat erst seit den 1980er Jahren Eingang in wissenschaftliche Betrachtungen gefunden. Erstmals wurde der Begriff seinerzeit in den USA für ein komplexes Muster abweichender menschlicher Verhaltensweisen verwendet, bei denen ein Täter einen anderen Menschen ausspioniert, verfolgt, belästigt, bedroht, unter Umständen körperlich attackiert und - in seltenen Fällen - sogar tötet. Die Motivlage der Täter wird als vielfältig dargestellt und kann u.a. in dem (inadäquaten) Bemühen um Liebe, Zuwendung und Versöhnung, in Gefühlen von Rache, Wut, Eifersucht oder in einem Macht- und Kontrollbedürfnis bestehen. Einzelne Stalking-Handlungen erscheinen zunächst häufig als mehr oder weniger normale Begebenheiten (Telefonanrufe, SMS, E-Mail, Brief- oder Paketsendungen, Geschenke, Besuche, Ansprechen etc.) oder Erscheinungsformen lediglich leichter Kriminalität (kleinere Sachbeschädigungen, Diebstähle, Beleidigungen, Hausfriedensbrüche etc.). Erst ihre häufige, bisweilen exzessive Wiederholung und Kombination gegen den Willen des Opfers führt zu für das Opfer in der Regel unzumutbaren Beeinträchtigungen. Die Opfer werden in Angst versetzt und erleben die Nachstellungen nicht selten als chronischen Stress, der zu massiven Beeinträchtigungen der seelischen und körperlichen Gesundheit (Nervosität, Konzentrations- und Schlafstörungen, vegetative Beschwerden, Depressionen etc.), einer veränderten Lebensgestaltung und sozialem Rückzug bis hin zu Suizidalität führen kann. Daneben kann Stalking aber auch bereits in seinen Einzelakten Formen schwerer Kriminalität (schwerer Körperverletzungen, Vergewaltigungen, Brandstiftungen, Tötungsdelikte etc.) annehmen. Nach Ergebnissen einer ersten deutschen Studie zur Prävalenz von Stalking werden in weit überwiegendem Maße Frauen Opfer entsprechender Handlungen, während die Täter vorwiegend Männer sind (vgl. zum Themenkomplex insgesamt aus der mittlerweile umfangreichen Literatur in jüngerer Vergangenheit nur u.a. Dressing/Gallas/Bindeballe/ Gass, Arbeits- und sozialmedizinische Aspekte von Stalking, in: ASUMed 2008, 314; Dressing/Kühner/Gass, Was ist Stalking? - Aktueller Forschungsstand, in: FRP 2006, 176; Rusch/Stadler/Heubrock, Ergebnisse der Bremer Stalking-Opfer-Studie, in: Kriminalistik 2006, 171; Heinz, Mobbing, Inzest, Stalking … Gewalttaten im Sinne des OEG?, in: ZfS 2005, 266; vgl. auch die - kritischen - Anmerkungen zur Prävalenz in Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, § 238 Rn. 3).

Der (deutsche) Gesetzgeber hat hierauf - nachdem erste Regelungen u.a. in den USA 1990-1993, Kanada 1993, Australien 1993-1997, Großbritannien 1997, Irland 1997, Belgien 1998, Schweden 1998 und den Niederlanden 2000 geschaffen wurden (vgl. insoweit u.a. Endrass/Rossegger/Noll/Urbaniok, Rechtliche Grundlagen und Interventionen im Umgang mit Stalking, in: MSchrKrim 2007, 1) - zunächst mit dem Erlass des GewSchG zum 1.1.2002 reagiert, dessen ursprüngliches Anliegen allerdings vorrangig der Schutz vor häuslicher Gewalt war. Nach seiner rechtlichen Konstruktion ("Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen") waren Stalking-Handlungen jedoch als solche nicht strafbewehrt, sondern erst der Verstoß gegen gerichtliche Schutzanordnungen, die dem Täter z.B. Annäherungs- oder Kontaktverbote auferlegen (§§ 1, 4 GewSchG; insgesamt u.a. Pollähne, Stalking am Rande des Strafrechts, in: Neue Kriminalpolitik 2002, 56: "…Umweg über die Kriminalisierung des Ungehorsams gegenüber vollstreckbaren gerichtlichen Anordnungen", sowie ders., Grenzen der Strafbarkeit nach § 4 GewSchG, in: Strafverteidiger-Forum 2006, 398, vgl. ferner Grziwotz, Schutz vor Gewalt in Lebensgemeinschaften und vor Nachstellungen, in: NJW 2002, 872; Frommel, Gewalt ist kein Schicksal, in: KJ 2000, 447). In strafrechtlicher Hinsicht hat die Rechtsprechung Stalking-typische Einzelhandlungen u.a. als (versuchte) Nötigung (§ 240 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) und Bedrohung (§ 241 StGB) gewürdigt sowie psychische Gesundheitsschädigungen durch "gewaltloses" Stalking zum Teil als (vorsätzliche) Körperverletzungen qualifiziert (vgl. u.a. LG Bochum v. 23.3.2006 - 14 Ns 63 Js 885/03; AG Grevesmühlen v. 18.9.2006 - 6 Ds 125/06; AG Rheinbach v. 9.3.2005 - 15 Ds 332 Js - jew. zit. nach juris). Da der insoweit vermittelte Schutz von Stalking-Opfer jedoch weiterhin als unzureichend empfunden wurde (vgl. u.a. Rupp <Hrsg.>, Rechtstatsächliche Untersuchungen zum Gewaltschutzgesetz, Berlin 2005, S. 318 f., sowie die Begründungen zu den Gesetzentwürfen der Bundesregierung v. 8.2.2006 - BT-Drs. 16/575, S. 1 - und des Bundesrates v. 23.3.2006 - BT-Drs. 16/1030, S. 1), wurde mit dem 40. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22.3.2007 (BGBl. I, 354) zum 31.3.2007 der neue Straftatbestand der Nachstellung in das StGB (§ 238) aufgenommen (zu Problemen bei der Umsetzung u.a. Peters, Der Tatbestand des § 238 StGB <Nachstellung> in der staatsanwaltlichen Praxis, in: NStZ 2009, 238). Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich bestimmte, Stalking-typische Handlungen (§ 238 Abs. 1 Nr. 1-5 StGB) vornimmt und dadurch die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend beeinträchtigt. § 238 Abs. 2 und 3 StGB enthalten darüber hinaus Qualifikationstatbestände für besondere Tatfolgen (Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung, Tod). Geschütztes Rechtsgut der Bestimmung ist der "individuelle Lebensbereich" des Opfers, seine Entschließungs- und Handlungsfreiheit, aber auch seine körperliche und psychische Integrität und sein Leben (Fischer, a.a.O., § 238, Rn. 2, vgl. auch die Begründung im Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drs. 16/1030, S. 6).

Der Tatbestand hat zwischenzeitlich durch die strafgerichtliche Rechtsprechung weitere Präzisierungen erfahren, die verdeutlichen, dass vor allem für entsprechend gravierende Handlungen der staatliche Schutz verbessert werden soll. § 238 StGB fasst danach einzelne Tathandlungen erst dann zu einer eigenständigen tatbestandlichen Handlungseinheit zusammen, wenn sie einen ausreichenden räumlichen und zeitlichen Zusammenhang aufweisen und von einem fortbestehenden einheitlichen Willen des Täters getragen sind. Das Tatbestandsmerkmal der "Beharrlichkeit" (§ 238 Abs. 1 StGB) kennzeichnet ferner eine in der Tatbegehung zum Ausdruck kommende besondere Hartnäckigkeit und eine gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot und dem entgegenstehenden Willen des Opfers, die zugleich die Gefahr weiterer Begehung indizieren (Bundesgerichtshof <BGH> v. 19.11.2009 - 3 StR 244/09). Die Lebensgestaltung des Opfers wird schließlich "schwerwiegend" im Sinne von § 238 Abs. 1 StGB beeinträchtigt, wenn es zu einem Verhalten - etwa einem Wohnungs- oder Arbeitsplatzwechsel - veranlasst wird, das es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte und das zu gravierenden, ernst zu nehmenden Folgen führt, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen (BGH, a.a.O.; OLG Hamm v. 20.11.2008 - 3 Ss 469/08).

Die opferentschädigungsrechtliche Rechtsprechung zum Stalking-Phänomen ist bislang - soweit ersichtlich - nur für einen einzelnen Fall dokumentiert. So hat der 13. Senat des erkennenden Gerichts mit dem auch von der Klägerin in der Berufungsbegründung angeführten (rechtskräftigen) Urteil vom 22.6.2006 - L 13 VG 7/05 - einen "tätlichen Angriff" im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch Stalking in einem Fall bejaht, in dem es während mehr als einjähriger "gewaltloser" Belästigungen jedenfalls auch zu "gewalttätigen" Übergriffen (Schlag mit einem Aktenordner, heftiger Schlag mit einem verdeckt geführten Gegenstand auf den Kopf, Faustschläge ins Gesicht) gekommen ist. Die einzelnen "gewaltlosen" Stalking-Handlungen bildeten dann - so die genannte Entscheidung - zusammen mit den körperlichen Übergriffen nach natürlicher Betrachtungsweise und nach der gesellschaftlichen Wahrnehmung ein einheitliches Phänomen, sodass neben den verbliebenen (und entschädigten) körperlichen Beeinträchtigungen auch die durch die Übergriffe insgesamt hervorgerufene posttraumatische Belastungsstörung als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen sei. Die Entscheidung ist in der Literatur als Beleg dafür aufgenommen worden, dass bei entsprechender strafrechtlicher Sanktionierung des Stalking auch von einer Einbeziehung des Phänomens in die opferentschädigungsrechtlich geschützten Delikte auszugehen ist (Heinz, Stalking - ein opferentschädigungsrechtlich relevantes Phänomen?, in: VersVerw 2007, 23, sowie bereits zuvor ders., Mobbing, Inzest, Stalking…, a.a.O., S. 269).

d. Die dargestellte opferentschädigungsrechtliche Rechtsprechung, aber auch die aufgezeigten Rechtsentwicklungen im Bereich des GewSchG und des StGB, lassen es geboten erscheinen, auch "gewaltlose" Nachstellungen jedenfalls dann als (insgesamt) "tätlichen Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu werten, wenn sie (nunmehr) den Tatbestand der Nachstellung im Sinne von § 238 Abs. 1 StGB verwirklichen würden, sich zumindest mit bedingtem Vorsatz auch gegen die gesundheitliche Integrität des Opfers richten und auch mit körperlichen Übergriffen oder sonstigen (auch berührungslosen) Zwangswirkungen durch physische Präsenz des Nachstellers verbunden sind.

Dem steht nicht entgegen, dass die Strafbarkeit derartiger Nachstellungen nach § 238 StGB für - wie hier - vor dem 31.3.2007 begangene Taten wegen des absoluten Rückwirkungsverbotes in Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG), § 1 StGB nicht in Betracht käme. Für die opferentschädigungsrechtliche Beurteilung können die zwischenzeitlichen Rechtsentwicklungen nicht unberücksichtigt bleiben, sofern sich die konkrete Tat zum Zeitpunkt ihrer Begehung nur überhaupt als rechtsfeindlich, insbesondere strafbar, darstellt.

Die Übergriffe des Nachstellers waren in dem genannten Sinne eine feindselige, gegen die gesundheitliche Integrität der Klägerin gerichtete und (auch) mittels körperlicher Präsenz bewirkte Einwirkung:

Die einzelnen Nachstellungen sind dabei auch hier nicht jeweils für sich als isolierte Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen etc. und - bisweilen - nur geringfügige Regelverstöße zu werten, sondern deliktstypisch in ihrer Gesamtheit als beharrliche, systematische Belästigungen und Nachstellungen: sie stellen sich sowohl nach natürlicher Betrachtung, nach ihrem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang, als auch nach den unmittelbaren polizeilichen, ordnungsbehördlichen und justiziellen Reaktionen als einheitliches Phänomen dar. Der Zusammenhang wird auch nicht dadurch unterbrochen, dass die Klägerin zwischenzeitlich aufgrund der Vereinbarung vom 18.4.2002 mit dem Nachsteller einen Versöhnungsversuch unternommen und von der Inanspruchnahme weiteren staatlichen (gerichtlichen) Schutzes vorübergehend Abstand genommen hatte. Denn der Nachsteller hat die Vereinbarung mit der Klägerin im Weiteren gerade nicht eingehalten, sondern in vielmehr noch verstärktem Umfang - auch nach neuerlicher Verbotsverfügung und (vorläufiger) Strafaussetzung zur Bewährung - die Übergriffe gegen die Klägerin fortgesetzt.

Die Übergriffe erfolgten in rechtsfeindlicher Ausrichtung auf die Klägerin, wie bereits in den genannten Strafurteilen des AG I. und des LG R. rechtskräftig festgestellt wurde. Dabei kann offen bleiben, ob sie über diese Feststellungen hinaus auch als Körperverletzungen im strafrechtlichen Sinne zu beurteilen gewesen und ggf. bereits deshalb als "tätliche Angriffe" zu werten wären. Denn jedenfalls umfassten sie Verstöße gegen bereits seinerzeit gerade auch den Schutz der Klägerin bezweckende Rechtsnormen. Sie würden zur Überzeugung des Senats darüber hinaus nach gegenwärtigem Recht (auch) kriminelles Unrecht im Sinne von § 238 StGB darstellen: Die Nachstellungen waren ersichtlich unbefugt, beharrlich und beeinträchtigten die Lebensgestaltung der Klägerin schwerwiegend im Sinne von § 238 Abs. 1 StGB. Die Klägerin sah sich aufgrund der fortgesetzten Übergriffe des Nachstellers u.a. veranlasst, zweimal ihre Wohnung zu wechseln, vorübergehend bei Bekannten unterzukommen, eine Telefonnummer mit Auskunftssperre einzurichten, ihren Briefkasten verkleinern zu lassen, sich zur Arbeit abholen zu lassen und auf öffentlichen Straßen Vorkehrungen gegen eine unmittelbare Begegnung mit dem Nachsteller zu treffen ("Flucht" in einen Bus bzw. ein Ladenlokal, Wechsel der Straßenseite etc.). Im Strafverfahren gegen den Nachsteller wurde der Klägerin mit Beschluss des AG I. vom 20.10.2004 eine Rechtsanwältin als Zeugenbeistand gem. § 68b der Strafprozessordnung (StPO) beigeordnet, weil sie als Geschädigte ihre schutzwürdigen Interessen aufgrund der besonderen psychischen Belastungssituation nicht selbst wahrnehmen konnte. Derartige Auswirkungen können insgesamt nicht mehr als bloß unmaßgebliche Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung angesehen werden.

Die Übergriffe richteten sich auch gezielt gegen die gesundheitliche Integrität der Klägerin. Ungeachtet der nunmehr eingeführten Strafbarkeit beharrlicher Drohungen mit Körperverletzungen als Stalking (§ 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB), waren sie insgesamt nicht auf "bloße" Drohungen (sie werde "heute sterben"; es werde "eine Bombe fliegen"; ihre Kinder seien "in vier Wochen tot"; sie könne "überfallen, vergewaltigt oder belästigt" werden, wofür er "seine Hände in Unschuld wasche" etc.) beschränkt. Der Nachsteller hat vielmehr u.a. im "Telefonat" mit der Polizei am 6.3.2002 nach Benachrichtigung der Mutter vom vermeintlichen Tod der Klägerin auch zum Ausdruck gebracht, dass er bewusst die Beeinträchtigungen erzeugen wollte, an denen die Klägerin schließlich infolge der Nachstellungen erkrankte ("Jetzt muss sie fürchterliche Angst haben").

Der Nachsteller hat seine Übergriffe ferner gerade auch mittels physischer Präsenz "unterstrichen" und ihnen damit besonderen "Nachdruck" verliehen. Er hat der Klägerin vor ihrem Wohnhaus aufgelauert, Begegnungen herbeigeführt und sie in verschiedenen Straßen und im öffentlichen Personennahverkehr I.s verfolgt. Er hat sie einmal zumindest kurzzeitig auf öffentlicher Straße festgehalten und sie zu entsprechendem Vermeidungs-, Ausweich- und Fluchtverhalten veranlasst. Er wollte gerade durch seine wiederholte und hartnäckige Präsenz bei der Klägerin die Vorstellung vertiefen, dass er seine Drohungen jederzeit und trotz aller Gegenmaßnahmen umsetzen könne. Die Beharrlichkeit und der Umstand, dass sein Verhalten dabei nicht vernunftgeleitet und berechenbar erschien, mussten die Unsicherheit und Angst bei der Klägerin noch vergrößern. Dies entsprach augenscheinlich auch der Absicht des Nachstellers, der glaubte, sich die Klägerin auf diesem Wege erneut "zugänglich" zu machen ("Du hast Zeit bis morgen, um mit mir zu reden. Dann geht der Tanz los"). Ob Nachstellungshandlungen, bei denen der Nachsteller etwa ausschließlich postalisch, durch elektronische Medien oder telefonisch Kontakt mit dem Opfer aufnimmt und eine physische Konfrontation gänzlich unterlässt, als "tätlicher Angriff" betrachtet werden können, erscheint dagegen fraglich, kann hier daher offen bleiben. Der Senat vermag im hier zu entscheidenden Fall in den Nachstellungen jedenfalls insgesamt keinen qualitativen Unterschied gegenüber einem Angriff zu sehen, bei dem der Angreifer seinen Drohungen durch begleitende oder vorbereitende Sachbeschädigungen "körperlichen" Nachdruck verleiht (vgl. hierzu erneut u.a. BSGE 81, 42) oder das Opfer durch Versperren des Weges zu einem Flucht- oder Ausweichverhalten veranlasst, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (BSG SozR 3-3800 § 10a Nr. 1).

Schließlich entspricht die Einordnung der Nachstellungen als "tätlicher Angriff" im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG auch dem dargestellten, übergeordneten Schutzzweck des OEG: Die fortgesetzten Übergriffe des Nachstellers dokumentieren, dass der staatliche Schutz der Klägerin vor Gesundheitsschäden mit den (seinerzeit verfügbaren) Mitteln des GewSchG, des StGB, aber auch des allgemeinen Polizeirechts, unzureichend blieb. Möglicherweise eröffnet die gegenwärtige Rechtslage bessere Schutzmöglichkeiten. Der Gesetzgeber hat mit ihr jedenfalls deutlich gemacht, dass er beharrliche Nachstellungen als solche als strafwürdiges Unrecht wertet und einen besonderen Schutz für die hiervon Betroffenen für erforderlich hält. Konnte aber - wie hier - ein aus entsprechenden Übergriffen resultierender Gesundheitsschaden trotz der Möglichkeiten des staatlichen Gewaltmonopols nicht verhindert werden, war und ist es das Anliegen des OEG, das Versagen dieses staatlichen Schutzes nachfolgend im Rahmen des Möglichen zu kompensieren.

II. 

Die Klägerin hat durch die Nachstellungen auch eine andauernde Gesundheitsschädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung erlitten. Dies ergibt sich unzweideutig bereits aus dem von der Beklagten im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens beigezogenen Entlassungsbericht der Klinik Dr. S. vom 18.6.2004 und wird im Übrigen auch von der Beklagten nicht bestritten. Die Beklagte hat die Gesundheitsstörung der Klägerin insoweit selbst im Bescheid vom 20.5.2005 ab dem 7.3.2005 mit einem GdB von 50 bewertet. Der Senat hat weder Anhaltspunkte dafür, dass die Beeinträchtigungen der Klägerin zum Zeitpunkt ihres hier maßgeblichen Antrages (7.2.2005) anders zu beurteilen gewesen wären, noch dafür, dass zwischenzeitlich eine nachhaltige Besserung eingetreten ist. Auch das durch die Beklagte im Jahre 2009 durchgeführte Überprüfungsverfahren hat insoweit keine Hinweise auf Veränderungen erbracht. Der Senat hat diese Bewertung daher auch seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

Der Leistungsbeginn für die Beschädigtenrente ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG; die Voraussetzungen für einen früheren Beginn der Leistungen nach § 60 Abs. 1 Satz 2 BVG liegen nicht vor, weil die Klägerin den Entschädigungsantrag nicht innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt hat, wobei der Senat hierfür spätestens vom Zeitpunkt des letzten dokumentierten Übergriffs des Nachstellers (30.12.2003) ausgeht.

Demnach war der Berufung in vollem Umfang zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Frage, ob Stalking-Handlungen als "tätlicher Angriff" im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG angesehen werden können, grundsätzliche Bedeutung beimisst und eine höchstrichterliche Entscheidung zur weiteren Klärung beitragen kann, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.