Bayerisches Landessozialgericht - L 13 R 687/13 - Urteil vom 03.08.2015
Nach den Leitlinien der Deutschen Rentenversicherung zur sozialmedizinischen Begutachtung ergibt sich, dass ätiologisch dissoziative Störungen in Verbindung mit traumatischen Ereignissen in ungelösten Konflikten oder gestörten Beziehungen gesehen werden. Sie äußern sich durch motorische, sensorische oder sensible Funktionsstörungen, nicht epileptische Anfälle oder Desintegration psychischer Funktionen, z.B. dissoziative Amnesie. Es besteht eine hohe Komorbidität mit Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen und somatoformen Störungen. Bei anhaltender massiver Ausprägung der Störung kann es danach zu dauerhaften quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen kommen. Eine solche Feststellung sollte allerdings immer erst nach mindestens zwei Behandlungsversuchen in stationärem Rahmen erfolgen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30. Juni 2009 hinaus.
Der im Mai 1953 geborene Kläger hat von 1968 bis 1971 in der ehemaligen DDR eine Ausbildung im Teilgebiet eines Berufes absolviert und als Schlossereihelfer abgeschlossen. Von 1982 bis 1983 durchlief er dort im Wege der Erwachsenenqualifizierung eine Facharbeiterausbildung und schloss sie als Facharbeiter für Anlagen und Geräte (Wasseraufbereitung und -versorgung) im Mai 1983 ab. Im Anschluss daran war er als Rohrleger, Schlosser, Mechanisator, Installateur und zuletzt seit Juli 1996 als Rohrleger versicherungspflichtig beschäftigt. Für den Kläger ist seit Februar 2006 ein Grad der Behinderung - GdB - von 50 festgesetzt. Seit 1. Januar 2014 bezieht der Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Mit Bescheid vom 28. März 2001 deutete die Beklagte einen Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation vom 4. Juli 2001 in einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung um und bewilligte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Dauer mit einem Rentenbeginn 6. September 2000. Grundlage hierfür war der Entlassungsbericht der Klinik B. K. vom 9. Oktober 2000. Hierin wurden als Diagnosen eine Somatisierungsstörung, ein Zustand nach Myokardinfarkt 1992, ein depressives Syndrom sowie eine Hyperlipoproteinämie festgestellt und ausgeführt, dass der Kläger als Rohrleger nicht mehr, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt jedoch noch vollschichtig einsetzbar sei.
Mit Antrag vom 2. März 2005 begehrte der Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Beklagten. Die Beklagte holte nach Beiziehung diverser Befundberichte ein sozialmedizinisches Gutachten der Diplommedizinerin S. vom 24. Mai 2005 ein, die beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen feststellte: 1. Wiederholte Hirndurchblutungsstörungen mit noch bestehender Schwäche des linken Arms und Zeichen einer vaskulären Demenz 2. Komplizierte Migräne (Basilarismigräne) mit neurologischen Ausfällen (Gleichgewicht/Bewusstsein) 3. Koronare 1-Gefäßerkrankung im NYHA Stadium II mit wiederholter Angina pectoris-Symptomatik und gutem Ansprechen auf Nitrate 4. Arterielle Hypertonie 5. Angststörung und reaktive Depression.
Es sei von einem generalisierten Gefäßleiden auszugehen, das mit seinen Folgen auf das zerebrale System das Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf unter 3 Stunden einschränke (aufgehobenes Leistungsvermögen), zunächst für eine Dauer von 2 Jahren.
Die Beklagte bewilligte daraufhin dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab 1. Dezember 2005 bis 30. Juni 2007 anstelle der bisher gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Auf den Weitergewährungsantrag des Klägers vom 16. April 2007 hin holte die Beklagte ein Gutachten der Psychiaterin D. vom 15. Juni 2007 ein. Die Sachverständige stellte folgende Diagnosen: 1. Verdacht auf fokale Epilepsie 2. Verdacht auf beginnende Demenz 3. Wiederholte Hirndurchblutungsstörungen 4. Anamnestisch Basilarismigräne 5. Koronare 1-Gefäßerkrankung mit wiederholter Angina pectoris-Symptomatik und gutem Ansprechen auf Nitrate 6. Arterielle Hypertonie.
Der Kläger sei für einen Zeitraum von weiteren 2 Jahren nur noch in der Lage, unter 3 Stunden täglich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts zu verrichten.
Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger die Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit weiter bis Juni 2009.
Mit Antrag vom 9. März 2009 begehrte der Kläger erneut die Weiterbewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Beklagte zog Befundberichte des Neurologen Dr. G. mit den Diagnosen Verdacht auf Konversionsstörung mit kognitiver Leistungsbeeinträchtigung, chronischer Schwankschwindel und rezidivierende Bewusstseinsstörung bei Zustand nach TIA mit passagerer Hemisymptomatik links (2004) sowie der Neurologischen Klinik und Poliklinik der LMU E-Stadt vom 9. Dezember 2008 mit den Diagnosen dementielles Syndrom bei DD a.e. Konversionsstörung, DD degenerative Hirnerkrankung, chronischer Schwankschwindel, a.e. psychogen, Zustand nach rezidivierenden Bewusstseinsstörungen unklarer Zuordnung, DD a.e. i.S. einer Konversionsstörung, DD epileptisch, Verdacht auf Somatisierungsstörung, fragliche passagere Hemi-symptomatik links 2004. Aus einem weiteren Bericht der LMU E-Stadt vom 26. Januar 2009 gehen als Diagnosen ein Verdacht auf Konversionsstörung mit kognitiver Leistungsbeeinträchtigung, chronischem Schwankschwindel und rezidivierenden Bewusstseinsstörungen hervor. Beigezogen wurde schließlich ein Befundbericht des behandelnden Internisten Dr. L., der zusätzlich von einem Zustand nach Apoplex und Herzinfarkt bei koronarer Herzerkrankung und einer Hyperlipidämie berichtet.
Der ärztliche Dienst der Beklagten wertete die Unterlagen aus und kam zu der Einschätzung, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig leistungsfähig sei. Als Rohrleger bestehe nur noch ein Einsatzvermögen von bis zu 2 Stunden.
Mit angefochtenem Bescheid vom 7. Juli 2009 lehnte daraufhin die Beklagte die Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung ab und gewährte dem Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, aus den Befunden der behandelnden Ärzte gehe eindeutig hervor, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, 6 Stunden täglich eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
Daraufhin wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2009 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben mit dem Antrag, unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen. Zur Begründung ist darauf verwiesen worden, aufgrund einer Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, eines Anfallsleidens, Schwindelerscheinungen und Durchblutungsstörungen des Herzens könne der Kläger keine Arbeiten mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Auch benötige er zusätzliche Pausen. Schließlich leide er unter hochgradigen Stenosen der Becken- und Beinarterien mit beidseitigen Wadenkrämpfen nach etwa 300 m Gehstrecke.
Das SG hat zunächst ein internistisches Gutachten von Dr. M. vom 7. August 2010 eingeholt. Dr. M. hat beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: 1. Stabile koronare Ein-Gefäß-Erkrankung 2. Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) Stadium II A 3. Arterieller Hypertonus 4. Hyperlipidämie 5. Zustand nach TIA 2004 mit passagerer Hemiparese links 6. Rezidivierende Bewusstseinsstörungen 7. Kognitive Leistungseinschränkung 8. Latente Hyperthyreose 9. Leichtgradige normochrome, normozytäre Anämie 10. Zustand nach Magenulcus 1980.
Der Kläger könne aus rein internistischer Sicht noch leichte Arbeiten in wechselnder Arbeitsposition (Gehen, Stehen, Sitzen) im Freien und in geschlossenen Räumen 6 Stunden verrichten, bei Mitberücksichtigung der neurologischen/psychiatrischen Diagnosen (cerebraler Abbauprozess und Verdacht auf Epilepsie) reduziere sich das Leistungsvermögen sicherlich erheblich.
Nicht mehr zumutbar seien das Heben und Tragen von schweren Lasten, mittelschwere oder schwere Arbeiten, Nacht- und Wechselschicht, Arbeiten mit besonderer Verantwortung für Personen oder Maschinen, Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge, erhöhter Unfallgefahr bzw. auf Leitern und Gerüsten. Der Kläger könne einen Fußweg bis fünfhundert Meter zurücklegen. Mit seinen Gesundheitsstörungen sollte er kein Kraftfahrzeug mehr fahren. Eine nervenärztliche Begutachtung sei erforderlich.
Das SG hat daraufhin ein nervenärztliches Gutachten von Dr. B. vom 7. Dezember 2010 eingeholt, der beim Kläger eine dissoziative Störung mit kognitiven Störungen und angegebenen rezidivierenden Synkopen, einen Zustand nach rechtshemisphärischer TIA mit passagerer Schwäche der linksseitigen Extremitäten und dysarthrischer Sprache festgestellt und dem Kläger noch ein Leistungsvermögen von 6 Stunden für leichte und mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen bescheinigt hat. Nachtschichttätigkeiten sowie Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten seien nicht mehr zumutbar. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Auf das Führen eines Kfz sollte er jedoch verzichten.
Auf Antrag des Klägers hat das SG sodann ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. S. vom 10. Juni 2011 eingeholt, der folgende Diagnosen gestellt hat: 1. Generalisierter, stenosierender Gefäßprozess mit Manifestation an den Hirngefäßen in Form einer Mikro- und Makroangiopathie mit vaskulärer Demenz und Veränderungen der Gefäße des Augenhintergrunds 2. Zustand nach Herzinfarkt und koronare Herzkrankheit 3. Periphere arterielle Verschlusskrankheit.
Seit Juli 2007 könne der Kläger keine Arbeiten von wirtschaftlichem Wert mehr verrichten. Aufgrund der Claudicatio intermittens sei ein Fußweg von höchstens fünfhundert Meter zumutbar und erreiche damit die Leistungsgrenze des Klägers. Es sei unwahrscheinlich, dass die Erwerbsminderung des Klägers behoben werden könne.
Nachdem sich die Beklagte der Leistungsbeurteilung durch Dr. S. nicht angeschlossen und der Kläger weitere Befundberichte nachgereicht hatte, hat das SG ein weiteres neurologisch und psychiatrisches Gutachten von Dr. K. vom 1. April 2012 eingeholt. Dr. K. hat beim Kläger eine dissoziative Störung mit nicht nachvollziehbaren kognitiven Einschränkungen, unklare anfallsartige Zustände ohne beweisende Hinweise für eine Epilepsie und eine andernorts diagnostizierte depressive Störung ohne derzeitige sozialmedizinische Relevanz festgestellt und dem Kläger noch ein Leistungsvermögen von 6 Stunden für leichte, einfache und intellektuell nicht fordernde Arbeiten bescheinigt. Wegstrecken von über 500 m seien zumutbar. Der Kläger könne auch theoretisch noch ein Kfz fahren.
Daraufhin hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. April 2013 unter Berufung auf die Gutachten von Dr. M., Dr. B. und Dr. K. abgewiesen. Das Gutachten von Dr. S. sei nicht überzeugend.
Hiergegen hat der Kläger nicht fristgemäß Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, die mit Beschluss des Senats vom 17. April 2014 gewährt worden ist. Zur Begründung ist auf das Gutachten von Dr. S., den GdB von 50 und die Gesundheitsstörungen auf internistischem und nervenärztlichem Fachgebiet verwiesen worden.
Der Senat hat nach Beiziehung diverser Befundberichte ein nervenärztliches Gutachten von Dr. C. vom 29. Januar 2015 eingeholt. Die Sachverständige hat beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: 1. Gemischte dissoziative Störung, gemischte Angststörung bei intellektueller Grenzbegabung und massiver psychosozialer Belastung 2. Koronare 3-Gefäßerkrankung und periphere arterielle Verschlusskrankheit mit zahlreichen operativen Eingriffen bei Hypertonie, Hyperlipidämie und Nikotin-Abusus 3. Degenerative Veränderungen LWS, Zustand nach Sequestrektomie L4/5 links April 2014 4. Latente Hyperthyreose.
Der Kläger sei aufgrund der Kombination der bei ihm vorliegenden Leiden aus nervenärztlicher Sicht über den 30. Juni 2009 hinaus auf Dauer nicht in der Lage, eine geregelte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts 3 Stunden und mehr pro Tag auszuüben, ohne die verbliebene Restgesundheit erheblich zu gefährden.
Die Beklagte hat sich im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 11. März 2015 der Leistungseinschätzung durch Dr. C. nicht angeschlossen. Hierzu hat Dr. C. unter dem 16. April 2015 ergänzend Stellung genommen und hierbei an ihrer Auffassung festgehalten. Die Beklagte hat sich hiergegen in ihrer Stellungnahme vom 21. Mai 2015 erneut gewandt.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 11. Juni 2015 noch einen ärztlichen Entlassungsbericht vom 16. Mai 2014 der orthopädischen Fachklinik M. C. über eine stationäre orthopädische Anschlussheilbehandlung vom 22. April bis 13. Mai 2014 nach erweiterter intralaminärer Fensterung LWK C4/5 linksseitig mit Sequesterektomie am 2. April 2014 bei lumbalem Bandscheibenvorfall LWK 4/5 linksseitig vorgelegt sowie mit Schreiben vom 25. Juni 2015 ergänzend Stellung genommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München vom 30. April 2013 sowie des Bescheids der Beklagten vom 7. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2009 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30. Juni 2009 hinaus auf Dauer entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die vom Senat beigezogenen Akten des SG sowie der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Dem Kläger steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem erkennenden Senat Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer über den 30. Juni 2009 hinaus auf Dauer entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu.
Gem. § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Beim Kläger stehen die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem und internistischem Fachgebiet im Vordergrund.
Bei der Untersuchung durch die erfahrene Gerichtsachverständige Dr. C. war der Kläger in einem ausreichenden Allgemein- und guten Ernährungszustand. In psychischer Hinsicht war der Kläger freundlich und kooperativ ohne jegliche Hinweise für bewusstseinsnahe Verdeutlichungstendenzen. Auffallend war eine ausgeprägte Bewegungsunruhe, die sich in einem beständigen Wechsel der Position zwischen Sitzen, Stehen und Gehen manifestierte. Bei sehr einfach strukturierter Primärpersönlichkeit liegt die Intelligenz des Klägers im untersten Normbereich. Der Kläger war zwar bewusstseinsklar und in allen Qualitäten ausreichend orientiert. Es zeigten sich aber bei der Anamnese immer wieder erhebliche Schwierigkeiten bei der zeitlichen Zuordnung vieler Ereignisse. Gelegentlich fanden sich Auffassungsstörungen, die Konzentrationsfähigkeit war mäßig eingeschränkt. Das formale Denken war geordnet, aber langsam und umständlich bei mäßiger Einengung auf Schmerzen, generalisierte Ängste und Panikattacken. Die Grundstimmung war gedrückt bei etwas eingeschränkter Schwingungsfähigkeit. Antrieb und Psychomotorik waren mäßig vermindert.
Dr. C. hat ausgeführt, dass sich bei Berücksichtigung der Vorgeschichte und der aktuellen Symptomatik die Diagnose einer gemischten dissoziativen Störung und einer gemischten Angststörung bei intellektueller Grenzbegabung und massiver psychosozialer Belastung in der Vorgeschichte stellen lässt. Die Sachverständige nimmt insoweit Bezug auf massive Gewalterlebnisse des Klägers (Auspeitschung durch die Mutter) in seiner Kindheit, die zu einer massiven Belastung des Klägers über viele Jahre hinweg geführt haben. Aufgrund seiner grenzwertigen intellektuellen Ausstattung, auf die auch die Schulkarriere hinweist (Sonderschulbesuch), war der Kläger im Wesentlichen auf die Verrichtung körperlicher Arbeiten beschränkt. Mit Beginn der Herzerkrankung im Jahr 1992 ist dies für den Kläger aber zunehmend schwerer geworden. Es traten zunehmend neurologisch anmutende Symptome auf, die auf eine hirnorganische Erkrankung, z.B. einen zerebralen Gefäßprozess, hindeuten, der aber bislang nicht objektiviert ist. So kam es zu subjektiver Orientierungslosigkeit, Gedächtnis- und Auffassungsstörungen und damit zu Auffälligkeiten, die einer dissoziativen Störung zuzuordnen sind. Hinzu traten Sensibilitätsstörungen. Darüber hinaus besteht beim Kläger eine gemischte Angststörung in Form einer generalisierten Angststörung mit Sorgen um die Zukunft, körperlicher Unruhe, Spannungskopfschmerzen, Schwitzen, Tachykardien, Oberbauchbeschwerden und Konzentrationsstörungen. Daneben treten noch Panikattacken und zeitweilige depressive Schwankungen auf.
Dr. C. hat für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass bereits durch das generalisierte Gefäßleiden und die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule zahlreiche qualitative Leistungseinschränkung beim Kläger zu beachten sind (nur körperlich leichte Tätigkeiten ohne längeres ununterbrochenes Sitzen, Stehen oder Gehen, ohne schweres Heben und Tragen sowie häufiges Bücken, keine Arbeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten sowie mit Verletzungsgefahr). Aufgrund der Angststörung sei der Kläger nicht mehr in der Lage, Arbeiten zu verrichten, die Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, die Ausdauer und das Konzentrationsvermögen stellen, Zeitdruck und Nachtschichttätigkeiten sowie Akkord- und Fließbandarbeiten.
Die Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit des Klägers resultiert nun daraus, dass zu all diesen Einschränkungen beim Kläger eine dissoziative Störung bzw. Konversionsstörung tritt, die von ihm nicht mehr überwunden werden kann. Die Sachverständige hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass - anders als Dr. B. und Dr. K. meinen - eine Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit nicht automatisch deswegen ausgeschlossen sei, weil sich eine hirnorganische Ursache für die vom Kläger an den Tag gelegten Funktionsstörungen nicht feststellen ließe. Auch nach den Leitlinien der Deutschen Rentenversicherung zur sozialmedizinischen Begutachtung kommt im Einzelfall eine solche dessen ungeachtet in Betracht. Aus den Richtlinien ergibt sich, dass ätiologisch dissoziative Störungen in Verbindung mit traumatischen Ereignissen in ungelösten Konflikten oder gestörten Beziehungen gesehen werden. Sie äußern sich durch motorische, sensorische oder sensible Funktionsstörungen, nicht epileptische Anfälle oder Desintegration psychischer Funktionen, z.B. dissoziative Amnesie. Es besteht eine hohe Komorbidität mit Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen und somatoformen Störungen. Bei anhaltender massiver Ausprägung der Störung kann es danach zu dauerhaften quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen kommen. Eine solche Feststellung sollte allerdings immer erst nach mindestens zwei Behandlungsversuchen in stationärem Rahmen erfolgen.
Dr. C. hat eingeräumt, dass konsequente stationäre psychosomatische Behandlungsversuche beim Kläger nicht stattgefunden haben. Sie hat aber für den Senat überzeugend darauf verwiesen, dass beim Kläger nunmehr eine einschlägige Symptomatik über 20 Jahre zu beobachten und der Kläger intellektuell grenzbegabt ist sowie psychische Komorbiditäten in Form einer Angststörung und einer körperlichen Multimorbidität vorliegen. Derartige Behandlungsversuche wären daher auch nicht erfolgversprechend gewesen. Der Kläger ist in keiner Weise in der Lage, seine zeitweiligen psychogenen, pseudoneurologischen Symptome und die realen körperlichen Beschwerden durch die organischen Erkrankungen soweit zu kompensieren, dass er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Rahmen einer geregelten Tätigkeit längerfristig eine wettbewerbsfähige Arbeitsleistung erbringen könnte.
Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Beklagten konnten den Senat nicht überzeugen. So ist der Hinweis der Beklagten, aus dem von der Sachverständigen Dr. C. ermittelten Wert von 21 Punkten im Rahmen des SFSS (strukturierter Fragebogen simulierter Symptome), ergäben sich Hinweise auf ein nicht ehrliches Antwortverhalten, nicht durchgreifend. Denn zum einen liegt der Kläger mit diesem Wert nur knapp oberhalb des Cutoffs von 16 (bei 75 Punkten). Auch ist zu berücksichtigen, dass eher einfach strukturierte Probanden wie der Kläger durch den Fragebogen zu auffälligen Antworten verleitet werden können. Eine pauschale Auswertung ist, so Dr. C., gerade bei einfach strukturierten Probanden nicht zielführend. Angesichts des Umstands, dass der Wert nur geringfügig erhöht ist und sich in der Untersuchungssituation keine Hinweise auf Verfälschungstendenzen ergeben haben, ist diesem Umstand auch aus Sicht des Senats keine erhebliche Bedeutung zuzumessen. Auch der von der Beklagten gegebene Hinweis auf die vom Kläger ausgeübte Hausmeistertätigkeit kann nicht überzeugen. Denn diese hat der Kläger bereits im Jahr 2011 aufgegeben und zudem nur in geringfügigem Umfang ausgeübt. Komplexe Arbeiten waren hiermit nicht verbunden. Eine Belastbarkeit für 6 Stunden lässt sich hieraus nicht entnehmen.
Aus Sicht des Senats ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass bereits aus rein internistischer Sicht nach den Ausführungen von Dr. M. das Leistungsvermögen des Klägers im Hinblick auf die periphere arterielle Verschlusskrankheit sowie die Herzerkrankung deutlich herabgesetzt ist. Dr. M. hat ausgeführt, dass aus rein internistischer Sicht noch Tätigkeiten von 6 Stunden Dauer möglich sind. Bei Mitberücksichtigung der neurologisch-psychiatrischen Diagnosen dürfe sich das Leistungsvermögen aber sicherlich erheblich reduzieren. Genau dies hat Dr. C. nun bestätigt.
Zudem lag bereits nach den Feststellungen von Dr. M. eine relevante Einschränkungen der Wegefähigkeit des Klägers vor, da dieser aufgrund der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit nicht mehr in der Lage war, viermal täglich mehr als 500 m in weniger als 20 Min. zurückzulegen. Dr. M. hat nur eine Wegefähigkeit bis maximal fünfhundert Meter bescheinigt, nach der Rechtsprechung des BSG muss dieser Wert jedoch überschritten werden. Für den Senat steht außer Zweifel, dass diese Einschätzung von Dr. M. auch zutrifft. Die nervenärztlichen Sachverständigen Dr. B. und Dr. K. haben sich hiermit bei ihrer Einschätzung der Wegefähigkeit nicht auseinandergesetzt. Der Kläger hat - abgesehen von fünf koronaren Stentimplantationen im Zeitraum Oktober 2012 bis Juni 2013 - in den Jahren 2010 bis 2013 insgesamt 8 Gefäßoperationen hinter sich gebracht. In den Jahren 2014 und 2015 folgten zwei weitere Gefäßoperationen. Dies belegt nachdrücklich ein gravierendes Gefäßleiden des Klägers.
Auch war der Kläger nach den übereinstimmenden Feststellungen von Dr. M. und Dr. B. nicht mehr in der Lage, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Der Umstand, dass der Kläger dessen ungeachtet offensichtlich noch ein Auto lenkt, ändert an seiner mangelnden Eignung hierzu nichts. Damit war und ist der Kläger nicht in der Lage, einen Arbeitsplatz zu erreichen, so dass ihm der Arbeitsmarkt seit Wegfall der Zeitrente versperrt ist.
Nachdem am Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung keine Zweifel bestehen, war der Berufung des Klägers stattzugeben.
Die Kostenentscheidung (§§ 183,193 SGG) berücksichtigt, dass der Kläger im Berufungsverfahren erfolgreich war.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.