Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 13 SB 11/12 - Urteil vom 08.07.2015
Nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung können Parkerleichterungen für schwerbehinderte Menschen gewährt werden. Zuständig ist die Straßenverkehrsbehörde, die bei der Prüfung der Voraussetzungen im Wege der Amtshilfe auf Feststellungen des Versorgungsamtes zurückgreifen kann. Indes hat der Betroffene gegen das Versorgungsamt keinen Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung als Nachweis für eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG und über die Erteilung einer Bescheinigung für die Gewährung von Parkerleichterungen für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen im Land Brandenburg.
Der im Jahre 1942 geborene Kläger leidet insbesondere an den Folgen einer Kinderlähmung.
Am 10. Juli 2009 erteilte der Beklagte dem Kläger einen Bescheid, in dem er die Zuerkennung des Merkzeichens aG ablehnte. Nach Durchführung weiterer medizinischer Ermittlungen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2010 den Widerspruch zurück. Die Bescheide äußerten sich nicht im Hinblick auf Fragen der Parkerleichterung.
Im anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Potsdam hat aufgrund richterlicher Beweisanordnung am 29. August 2011 der Facharzt für Chirurgie Dr. T ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Darin schätze er den Grad der Behinderung (GdB) des Klägers weiterhin auf 80 ein und verneinte die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens aG.
Mit Urteil vom 10. November 2011 hat das Sozialgericht insgesamt die Klage abgewiesen. Hinsichtlich des Merkzeichens aG sei sie unbegründet, weil die medizinischen Voraussetzungen nicht vorlägen. Hinsichtlich der Gewährung der Parkerleichterung sei sie unzulässig, weil insoweit der Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten sei.
Im anschließenden Berufungsverfahren verfolgt der Kläger seine Ziele weiter. Am 27. März 2012 hat der Vorsitzende des Senats den Beteiligten den Hinweis erteilt, dass das Rechtsschutzbegehren, soweit es sich auf die Parkerleichterung beziehe, darauf gerichtet sein könnte, eine entsprechende Bescheinigung zur Vorlage bei der Straßenverkehrsbehörde zu erhalten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 10. November 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 10. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2010 zu verpflichten, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ab Antragstellung festzustellen, und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger eine Bescheinigung zur Vorlage bei der Straßenverkehrsbehörde über die Gewährung einer Parkerleichterung für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen im Land Brandenburg zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ein selbständig einklagbarer Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung zur Vorlage bei der Straßenverkehrsbehörde bestehe nicht, weil der Beklagte insoweit nur im Wege der Amtshilfe tätig werde.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts in medizinischer Hinsicht hat der Senat von Amts wegen zwei weitere medizinische Sachverständigengutachten eingeholt. So hat zunächst der Facharzt für Orthopädie Prof. Dr. S am 14. Juni 2013 ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet und darin die Voraussetzungen des Merkzeichens aG verneint. Sodann ist - mit veränderter Fragestellung, die auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zugeschnitten war - der Facharzt für Orthopädie Dr. A mit der Erstattung eines weiteren Sachverständigengutachtens beauftragt worden. Dieser hat in seinem Gutachten vom 4. Februar 2015 ebenfalls die medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG verneint.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG), jedoch in der Sache nicht begründet. Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens aG noch auf Erteilung einer Bescheinigung über die Voraussetzungen einer Parkerleichterung zu.
Im Hinblick auf das Merkzeichen aG weist der Senat die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück und sieht diesbezüglich gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Gründe ab. Auch die weitere Sachaufklärung im Berufungsverfahren vermag nicht zu einer anderen Entscheidung zu führen. Vielmehr haben umgekehrt die beiden im Berufungsverfahren eingeholten orthopädischen Sachverständigengutachten zweifelsfrei bestätigt, dass der Kläger sich nach Verlassen des Kraftfahrzeuges selbst fortbewegen kann, ohne dass er dazu fremder Hilfe oder großer Anstrengung bedarf.
Ebenfalls unbegründet ist die Klage des Klägers, soweit er die Erteilung einer Bescheinigung zur Vorlage bei der Straßenverkehrsbehörde begehrt, die der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) dient. Dabei ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits nicht die Ausnahmegenehmigung selbst - diese müsste der Kläger gegebenenfalls bei der Straßenverkehrsbehörde beantragen und im Falle der Ablehnung vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit einklagen.
Vorliegend im Streit ist allein die Erteilung der Bescheinigung. Das Verfahren dieser Bescheinigung ist ursprünglich geregelt worden in dem Erlass des Ministeriums für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg vom 5. Oktober 2004, dort 2.a. Hiernach prüft das Landesamt für Soziales und Versorgung im Wege der Amtshilfe bereits im Rahmen des Verfahrens über die Feststellung des Grades von Behinderungen, ob ein Antragsteller oder eine Antragstellerin zu dem berechtigten Personenkreis gehört, und erteilt eine Bescheinigung als Nachweis zum formlosen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO (Bewilligung von Parkerleichterungen für schwerbehinderte Menschen).
Hieraus erwächst dem Kläger indessen kein Anspruch auf Erteilung einer solchen Bescheinigung, weil es an einem subjektiv öffentlichen Recht fehlt. Der vorgenannte Erlass selbst begründet kein subjektives öffentliches Recht, weil er nur verwaltungsinterne Rechtswirkung erzeugt. Aber auch über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung kann der Kläger keinen Anspruch herleiten, denn die Verwaltung hat sich nur in der Weise selbst gebunden, dass die Bescheinigung durch den Beklagten allein im Wege der Amtshilfe und nicht im Wege der selbständigen Feststellung gesundheitlicher Merkmale nach § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) erfolgt. Bei dieser Bescheinigung handelt es sich nicht um eine Feststellung gesundheitlicher Merkmale als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nach § 69 Abs. 4 SGB IX, denn hierzu gehören nur diejenigen Merkmale, die gemäß 69 Abs. 5 SGB IX in Verbindung mit § 1 Abs. 4 und 3 Schwerbehinderten-Ausweisverordnung eintragungsfähig sind; die im Wege der Amtshilfe zu erteilende Bescheinigung über die Gewährung von Parkerleichterung gehört nicht hierzu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.