Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 13 SB 228/14 - Urteil vom 26.04.2016
Bei drei Behinderungen mit Einzel-GdB von 30, 20 und 20 kann ein GdB von 50 angemessen sein, wenn sich die Auswirkungen der Behinderungen untereinander negativ verstärken.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).
Bei der Klägerin wurde im Jahr 2000 ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt. Am 17. Mai 2011 stellte sie einen Änderungsantrag. Der Beklagte wies den Antrag durch Bescheid vom 24. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2012 mit der Begründung ab, dass der Gesamt-GdB weiterhin 30 betrage. Dieser Entscheidung legte der Beklagte folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
1. psychische Störung (Einzel-GdB von 10),
2. Refluxkrankheit der Speiseröhre
(Einzel-GdB von 10),
3. Harnblasenentleerungsstörung (Einzel-GdB von 10),
4.
Funktionsstörung der Wirbelsäule (Einzel-GdB von 20),
5. Funktionsstörung des
linken Schultergelenks (Einzel-GdB von 10),
6. Funktionsstörung beider
Kniegelenke (Einzel-GdB von 20).
Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin hat die Klägerin einen Grad der Behinderung von mindestens 50 begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten des Chirurgen Dr. B vom April 2014 eingeholt, der den Grad der Behinderung ab Mai 2011 auf 20 eingeschätzt hat. Der Gutachter hat hierzu folgende Behinderungen ermittelt:
1. Harnblasenentleerungsstörung (Einzel-GdB von 10),
2. Knorpelschaden beider
Kniegelenke (Einzel-GdB von 20).
Mit Urteil vom 14. August 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. C vom 8. Juni 2015, der einen Gesamt-GdB von 40 vorgeschlagen hat. Auf seinem Fachgebiet hat der Sachverständige eine psychische Störung festgestellt, die er mit einem Einzel-GdB von 30 ab 2014 bewertet hat.
Ferner hat der Senat das Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 11. März 2016 eingeholt. Der Sachverständige hat den Gesamt-GdB ab Januar 2014 mit 40 bewertet. Hierbei hat er folgende GdB-relevante Behinderungen der Klägerin berücksichtigt:
1. Harninkontinenz 1.-2. Grades (Einzel-GdB von 10),
2. Hüftgelenkverschleiß
beidseits, Unterschenkelbruch rechts, Kniegelenkverschleiß rechts,
Kniegelenkverschleiß links (Einzel-GdB von 20),
3. Verschleiß der Wirbelsäule,
Bandscheibenleiden (Einzel-GdB von 20),
4. Depression, mittelgradige Episode,
ausgeprägte Somatisierung (Einzel-GdB von 30)
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 26. April 2016 hat die Klägerin ihr Begehren auf die Zuerkennung eines GdB von 50 ab Januar 2014 beschränkt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 14. August 2014 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2012 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab Januar 2014 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist, soweit sie aufrechterhalten wird, begründet.
Der Klägerin hat Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 mit Wirkung ab Januar 2014.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.
Die seelische Erkrankung der Klägerin bedingt einen Einzel-GdB von 30. Der Senat folgt der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen Dr. C, der nach Untersuchung der Klägerin ausführlich dargelegt hat, dass sie an einer depressiven Episode leidet, deren Ausprägungsgrad seit mindestens 2014 einen Einzel-GdB von 30 rechtfertigt (Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV).
Die Bewertung der Funktionsstörungen der unteren Extremitäten und der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von jeweils 20 steht zwischen den Beteiligten - zu Recht - nicht im Streit.
Liegen - wie hier - mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.
Bei dem Kläger ist der Gesamt-GdB danach mit 50 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 30 für das psychische Leiden ist nach Überzeugung des Senats im Hinblick auf die beiden mit einem Einzel-GdB von jeweils 20 zu bewertenden Behinderungen im Funktionssystem der unteren Extremitäten und der Wirbelsäule auch unter Berücksichtigung der gutachterlich festgestellten negativen Verstärkung um jeweils einen Zehnergrad heraufzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.