Bay. LSG - L 15 B 799/06 SB PKH - Beschluss vom 03.11.2006
In Verfahren nach dem Schwerbehindertenrecht (§§ 2 und 69 SGB IX) ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen einer Prozesskostenhilfe nicht erforderlich. Denn der Ausgang des Verfahrens hängt regelmäßig vom Ergebnis der Sachverhaltsermittlung im Sinne der §§ 103 ff SGG ab; insoweit bedarf es keiner anwaltschaftlichen Vertretung (ständige Rspr. des 15. Senats des Bay. LSG - s. z.B. Beschlüsse vom 20.10.2006 - L 15 B 762/06 SB PKH - und vom 24.10.2006 - L 15 B 617/06 SB PKH -) .
Gründe
I.
In dem dem Beschwerdeverfahren wegen Gewährung von Prozesskostenhilfe zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Beschwerdeführer die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von §§ 2 Abs.2, 69 Abs.1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).
Mit den streitgegenständlichen Bescheiden des Amtes für Versorgung und Familienförderung R. vom 26.05.2004 und 21.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 13.01.2005 ist der Grad der Behinderung (GdB) für die Zeit ab 22.03.2004 mit 30 bewertet worden. Als Funktionsstörungen hat der Beklagte berücksichtigt: 1. Seelische Störung mit Schmerzstörung (Einzel-GdB 30); 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen (Einzel-GdB 20).
In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Regensburg mit Beschluss vom 27.09.2006 - S 5 SB 101/05 - die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Im Hinblick auf die Amtsermittlungspflicht des Gerichts gemäß §§ 103, 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sei die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73 a SGG i.V.m. § 121 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht erforderlich.
Mit Beschwerdebegründung vom 04.10.2006 haben die Bevollmächtigten des Klägers hervorgehoben, dass diesem in Berücksichtigung zweier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Prozesskostenhilfe zu bewilligen sei (BVerfG vom 17.02.1997 in NJW 97, 2103 und BVerfG vom 18.12.2001 in FamRZ 2002, 531). Auch im hier streitgegenständlichen Verfahren bestehe keine Waffengleichheit. Die Rechtslage sei auch nicht einfach, da dem streitgegenständlichen Verfahren ein Teilabhilfebescheid und nachfolgend ein Widerspruchsbescheid vorausgegangen sei. Auch ein Bemittelter hätte in der Lage des Unbemittelten einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt, da auch ein Bemittelter keine Kenntnisse von den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" habe. Unabhängig davon sei der Kläger gegebenenfalls durch eine Rechtsanwalt auf die Möglichkeit des § 109 SGG hinzuweisen.
Die Bevollmächtigten des Beschwerdeführers stellen sinngemäß den Antrag, den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 27.09.2006 aufzuheben und ihm unter gleichzeitiger Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt O. Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht Regensburg zu gewähren.
Der Beschwerdegegner hat mit Schriftsatz vom 24.10.2006 beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Sozialgericht Regensburg hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die erstinstanzlichen Akten samt der Behindertenakte des Beschwerdeführers vorgelegt.
II.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist zulässig (§§ 73 a, 172 ff. SGG i.V.m. § 127 Abs.2 Satz 2 ZPO).
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Eine Beiordnung gemäß § 121 Abs.1 ZPO ist nicht erforderlich, weil in sozialgerichtlichen Verfahren erster und zweiter Instanz eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben ist.
Weiterhin ist die Beiordnung eines Rechtsanwaltes gemäß § 121 Abs.2 ZPO in Angelegenheiten nach §§ 2 und 69 SGB IX hier nicht erforderlich. Denn der Ausgang des Verfahrens hängt regelmäßig vom Ergebnis der Sachverhaltsermittlung im Sinne von §§ 103 ff. SGG ab. Insoweit bedarf es keiner anwaltschaftlichen Vertretung gleichsam als Mittler zwischen einem gegebenenfalls noch zu hörenden ärztlichen Sachverständigen und dem Beschwerdeführer.
Hieran ändert auch die ungewöhnlich lange Verfahrensdauer in erster Instanz nichts. Das Sozialgericht Regensburg ist seiner Amtsermittlungspflicht bereits über ein Jahr nicht nachgekommen. Insoweit wäre jedoch auch eine einfache Erinnerung durch den Kläger selbst ausreichend gewesen.
Auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18.12.2001 - 1 BvR 391/01 - stützt das Beschwerdebegehren nicht. In dem dortigen Verfahren ist entscheidungserheblich gewesen, dass die Einschränkungen der intellektuellen Fähigkeiten des dortigen Beschwerdeführers im Hinblick auf dessen Leiden und Beeinträchtigungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet nicht ausreichend gewürdigt worden sind. Vergleichbar schwerwiegende Funktionsstörungen auf nervenfachärztlichem Gebiet mit Einschränkung der Kommunikationsfähigkeit sind hier jedoch nicht aktenkundig oder vorgetragen. Neben orthopädischen Funktionsstörungen der Wirbelsäule leidet der Kläger vor allem an einer seelischen Störung, die sich in Form einer Schmerzstörung auswirkt. Dr. med. Q. hat bereits mit Arztbrief vom 18.03.2004 eine Opiatabhängigkeit, eine Angstneurose sowie eine larvierte Depression diagnostiziert. Trotz der vorstehend beschriebenen Funktionsstörungen ist der Kläger ausweislich des Entlassungsberichtes des Krankenhauses "Barmherzige Brüder S." vom 21.05.2003 wach und voll orientiert. In Berücksichtigung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist daher hier die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt O. nicht erforderlich.
Im Übrigen handelt es sich hier nicht um einen besonders schwierigen Rechtsstreit, sondern um eine üblichen Vorgang, dem auch ein Nichtbevollmächtigter aufgrund der zutreffenden Rechtsmittelbelehrungen des Beklagten folgen kann. Soweit die Bevollmächtigten des Klägers mit Beschwerdeschrift vom 04.10.2006 ergänzend die Unkenntnis der einschlägigen sozialrechtlichen Vorschriften hervorgehoben haben, stützt auch dies das Beschwerdebegehren nicht. Für Jedermann erhältlich stellt der Beklagte ein Merkblatt zur Verfügung, in dem die wesentlichen Grundlagen und Nachteilsausgleiche nach dem SGB IX zusammengefasst erläutert werden. Die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" können mit Hilfe der üblichen Suchmaschinen aus dem Internet kostenlos heruntergeladen werden.
Wenngleich rechtlich nicht zwingend geboten, weisen die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit vielfältig auf die Möglichkeit hin, einen Arzt eigener Wahl und auf eigenes Kostenrisiko gemäß § 109 Abs. 1 SGG zu benennen.
Weiterhin hat das Sozialgericht Regensburg mit Beschluss vom 27.09.2006 zutreffend ausgeführt, dass hier der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unabhängig von der Einkommenssituation des Klägers abzulehnen gewesen ist. Auf die unbeantwortete Anfrage des Sozialgerichts Regensburg vom 10.04.2006 zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers wird aufmerksam gemacht.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist daher zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist nicht anfechtbar (§§ 177, 183 SGG).