Bayerisches Landessozialgericht - L 15 B 863/07 SF KO - Kostenbeschluss vom 12.11.2007
Das BSG hat mit Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 13/06 R - grundsätzlich ausgeführt, dass die Erledigungsgebühr nach Nr.1005 VV RVG eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung der Rechtssache voraussetzt. Eine solche qualifizierte Mitwirkung kann darin liegen, dass der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung intensiv auf die Beklagte einwirkt.
Gründe:
I.
Aufgrund des Beschlusses des Sozialgerichts Augsburg vom 19.04.2007, wonach der Klägerin I. B. für das Verfahren vor dem Sozialgericht Augsburg Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt D. J. beigeordnet worden ist, hat das Sozialgericht Augsburg mit Kostenfestsetzung vom 18.07.2007 die von der Staatskasse zu erstattenden Kosten auf 711,74 EUR festgesetzt. Diese sind wie folgt berechnet worden:
Verfahrensgebühr nach Nr.3102 der Anlage 1 zu § 2 Abs.2 RVG 300,00 EUR Terminsgebühr nach Nr.3106 der Anlage 1 zu § 2 Abs.2 RVG 250,00 EUR Reisekosten nach Nr.7003 der Anlage 1 zu § 2 Abs.2 RVG 8,10 EUR Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr.7005 der Anlage 1 zu § 2 Abs.2 RVG 20,00 EUR Auslagenpauschale gemäß Nr.7000 der Anlage 1 zu § 2 Abs.2 RVG 20,00 EUR 19 % Mehrwertsteuer nach Nr.7008 der Anlage 1 zu § 2 Abs.2 RVG 113,64 EUR
Insgesamt 711,74 EUR ==========
Der Beschwerdeführer hat mit Erinnerung vom 26.07.2007 beantragt, über die festgesetzten Gebühren hinaus eine Einigungsgebühr gemäß § 14 Nr.1006, 1005 VV RVG in Höhe von 250,00 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer festzusetzen. Am Zustandekommen der erstinstanzlichen Einigung in der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2007 habe der Beschwerdeführer auch über das bloße Betreiben des Geschäfts und der Teilnahme an der Erörterung hinaus mitgewirkt. Die Klägerin habe nämlich ursprünglich von einer darlehensweisen Gewährung und auch einer zeitlichen Befris-tung der Sozialleistungen nichts wissen wollen. Sie habe diese Leistung abgelehnt. Erst die Überzeugungsarbeit des Beschwerdeführers habe die Klägerin dazu bewogen, den Vergleichsvorschlag des Sozialgerichts Augsburg, denn auf diesem habe das Anerkenntnis der Beklagten beruht, anzunehmen.
Das Sozialgericht Augsburg hat die Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung vom 18.07.2007 mit Beschluss vom 03.08.2007 zurückgewiesen. Die vom Erinnerungsführer (bzw. nunmehr Beschwerdeführer) geforderte Einigungsgebühr nach Nr.1006 VV RVG stehe nicht zu, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien. Unter der laufenden Nr.1006 VV RVG, die nur im Zusammenhang mit der Nr.1005 VV RVG verständlich werde, sei der Gebührentatbestand "Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen" erfasst. Über die Formulierung "die Gebühren 1000 und 1002 betragen" würden die dortigen Tatbestandsvoraussetzungen im Sinne einer Rechtsgrundverweisung miteinbezogen. Eine Erledigungsgebühr, wie sie hier zwischen den Beteiligten streitig sei, setze ein über das bloße Betreiben des Geschäfts und die Teilnahme an der Erörterung hinausgehende anwaltliche Mitwirkung voraus (vgl. BSG vom 07.11.2006 - B 1 KR 13/06 R). Nach Rücksprache mit der Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Augsburg über den Verlauf der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2007 seien diese Voraussetzungen vorliegend nicht erfüllt. Sie habe den Ablauf der mündlichen Verhandlung so geschildert, dass nach den Ausführungen der Vorsitzenden über die nicht vorhandenen Erfolgsaussichten der Klage der Beklagtenvertreter sich gleichwohl und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zu einer darlehensweisen Bewilligung bereit erklärt habe. Sie habe dann deutlich gemacht, dass das Angebot der Beklagten für die Klägerin der einzige Weg sei, das Verfahren wenigstens teilweise erfolgreich abzuschließen. Daraufhin sei der Vorschlag der Beklagten als Anerkenntnis protokolliert und angenommen worden. Eine besondere Mitwirkung des Erinnerungsführers (bzw. nunmehr Beschwerdeführers) insbesondere im Sinne eines Einwirkens auf die Klägerin im Sinne eines Nachgebens habe nicht stattgefunden.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 21.08.2007 ging am 22.08.2007 im Sozialgericht Augsburg ein. Der Beschwerdeführer hob mit Telefax vom 14.09.2007 hervor, richtig sei zwar, dass die Vorsitzende zunächst darauf hingewiesen habe, dass die Klage im Sinne einer zuschussweisen Gewährung der Hilfe keine Aussicht auf Erfolg hätte, jedenfalls nach ihrer Rechtsauffassung. Hierüber sei anschließend intensiv diskutiert worden. Gleichwohl sei es zu dem vergleichsweisen Anerkenntnis der Beklagten nur deshalb gekommen, weil die Klägerin nach intensiven Zuredens sowohl der Vorsitzenden des Sozialgerichts Augsburg als auch des Beschwerdeführers sich doch noch mit der darlehensweisen Hilfegewährung begnügt habe. Dem Beschwerdeführer sei noch sehr genau erinnerlich, dass es in allen diesen Verfahren, die hier im Zusammenhang für die Klägerin geführt würden, grundsätzlich zunächst darum ging, Zuschüsse zu erhalten, da die Klägerin keine Schulden auch in Zukunft machen wollte. Eine schriftliche Stellungnahme der Klägerin hierzu könne nachgereicht werden.
Das Sozialgericht Augsburg half der Beschwerde gegen den Beschluss vom 03.08.2007 nicht ab und übermittelte die erstinstanzlichen Unterlagen.
Das Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) machte den Beschwerdegegner mit Nachricht vom 10.10.2007 darauf aufmerksam, dass die Beschwerde in Höhe von 190,00 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer begründet erscheint, weil erstinstanzlich eine knappe Stunde verhandelt werden musste, bevor das Anerkenntnis der Beklagten angenommen worden ist.
II.
Über die mit Kostenfestsetzung des Sozialgericht Augsburg vom 18.07.2007 bereits bewilligten 711,74 EUR hinaus ist zwischen den Beteiligten streitig, ob dem Beschwerdeführer eine Einigungsgebühr gemäß § 14 Nr.1006, 1005 VV RVG in Höhe von 250,00 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer zusteht oder nicht.
Die gemäß § 33 RVG zulässige Beschwerde ist insoweit begründet, als weitere 190,00 EUR zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer in Höhe von 36,10 EUR = 226,10 EUR festzusetzen sind.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 13/06 R - grundsätzlich ausgeführt, dass die Erledigungsgebühr nach Nr.1005 VV RVG eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung der Rechtssache voraussetzt. Die Regelungssystematik des VV RVG bestätigt das Erfordernis einer qualifizierten erledigungsgerichteten Mitwirkung des Rechtsanwalts. Der systematische Zusammenhang von Nr.1005 mit Nr.1006 VV RVG entsprechend dem von Nr.1002 VV RVG mit der Nr.1003 VV RVG zeigt, dass die anwaltliche Mitwirkung gerade auf die Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung gerichtet sein muss; denn sofern bereits ein gerichtliches Verfahren über eine Rechtssache anhängig ist, verringert sich danach die Gebühr nach Nr.1005 VV RVG. Sinn und Zweck von Nr.1005 VV RVG entspricht es ebenfalls, vom Rechtsanwalt eine besondere Mitwirkung bei der Erledigung der Rechtssache zu verlangen. Für das Entstehen dieser gesonderten Gebühr ist eine anwaltliche Tätigkeit zu verlangen, die über das Maß desjenigen hinausgeht, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialgerichtlichen Widerspruchsverfahren (hier: Klageverfahren) abgegolten wird.
Anders als in dem vom BSG mit Urteil vom 07.11.2006 - B 1 KR 13/06 R entschiedenen Verfahren liegt hier ein solches qualifiziertes Tätigwerden des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2007 vor. Denn ausweislich der Niederschrift des Sozialgerichts Augsburg vom 19.04.2007 hat die Vorsitzende folgenden Hinweis gegeben: Die Klägerin ist gemäß § 10 Abs.1 Nr.3 SGB II derzeit nicht verpflichtet, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Insoweit ist vorwiegend von einem Härtefall im Sinne von § 7 Abs.5 Satz 2 SGB II auszugehen. Dies entspricht auch den überwiegenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte im früheren BSHG. Es wird daher angeregt, der Klägerin bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres ihres Sohnes im Februar 2008 darlehensweise Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen.
Die Beklagte hat daraufhin ein entsprechendes Anerkenntnis abgegeben.
Ausweislich der Niederschrift vom 19.04.2007 ist das Anerkenntnis der Beklagten nicht unverzüglich angenommen worden. Vielmehr hat die Verhandlung von 8.45 Uhr bis 9.38 Uhr gedauert. In Berücksichtigung der Aktenlage und des Vorbringens des Beschwerdeführers ist somit ein intensives Einwirken sowohl von Seiten der Vorsitzenden als auch des Beschwerdeführers auf die Klägerin notwendig gewesen, bis sich diese mit einer darlehensweisen Bewilligung entsprechender Sozialleistungen nach dem SGB II einverstanden erklärt hat.
Dieses Einwirken sowohl der Vorsitzenden als auch des Beschwerdeführers auf die Klägerin hat hier zu einer ungewöhnlich langen Verhandlungsdauer von 53 Minuten, d.h. einer knappen Stunde, geführt. Dies beinhaltet eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung des Beschwerdeführers bereits nach Aktenlage, ohne dass es einer weiteren Einvernahme der Klägerin, des Beschwerdeführers oder der Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Augsburg bedarf.
Zur Höhe ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer wohl versehentlich die Mittelgebühr VV 1007 in Höhe von 250,00 EUR geltend gemacht hat. Die Mittelgebühr VV 1006 beträgt 190,00 EUR. 19 % Mehrwertsteuer in Höhe von 36,10 EUR sind nach Nr.7008 der Anlage 1 zu § 2 Abs.2 RVG ebenfalls festzusetzen. Insgesamt sind dem Beschwerdeführer somit weitere 226,10 EUR zu bewilligen.
Die Entscheidung ist gemäß § 177 SGG endgültig.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs.8 JVEG).