Bayerisches Landessozialgericht - L 15 SB 166/12 - Urteil vom 20.05.2014
Die Frage, ob bei einer psychischen Erkrankung die Bezeichnung "posttraumatische Belastungsstörung" oder eine andere Diagnose die richtige ist, ist für die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB), der sich aus den funktionellen Einschränkungen, nicht aber einer bestimmten Diagnose ergibt, ohne Bedeutung. Entscheidend für die Feststellung des GdB im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren sind, anders als in unfallversicherungsrechtlichen Verfahren, nie die getroffenen Diagnosen, sondern nur das tatsächliche Ausmaß der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen. In einem schwerbehindertenrechtlichen Verfahren ist daher die Frage der exakten Diagnose einem Beweisantrag nicht zugänglich.
Tatbestand:
Streitig ist, ob wegen einer Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) im Rahmen einer Neufeststellung gemäß § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) der Grad der Behinderung (GdB) mit mehr als 50 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G im Sinn von § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX festzustellen sind.
Der Kläger ist im Jahre 1947 geboren. Am 28.11.1989 wurde er während seiner beruflichen Tätigkeit als Lagerarbeiter durch eine herabfallende Gitterboxpalette am rechten Oberschenkel verletzt. Er erlitt dabei eine Oberschenkelfraktur. Eine Verletztenrente erhält der Kläger dafür nicht; die zuständige Berufsgenossenschaft geht von eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Unfallfolgen von weniger als 10 v.H. aus.
Nach der Erstfeststellung im Jahr 1991 (Bescheid vom 30.10.1991; GdB 40) stellte der Beklagte auf einen Verschlimmerungsantrag hin mit Bescheid vom 16.05.1995 einen GdB von 50 fest. Dem lagen folgende Gesundheitsstörungen zu Grunde: 1. Psychovegetatives Syndrom mit Somatisierung (Einzel-GdB 30), 2. chronische Emphysembronchitis (Einzel-GdB 20), 3. degeneratives Wirbelsäulensyndrom bei Fehlhaltung, Schulter-Arm-Syndrom (Einzel-GdB 20), 4. in Fehlstellung verheilter Oberschenkelbruch rechts (Einzel-GdB 10).
Am 17.04.2009 beantragte der Kläger über seinen Bevollmächtigten die Feststellung eines GdB von wenigstens 100 sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G.
Der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten kam nach Auswertung der Unterlagen der zuständigen Berufsgenossenschaft sowie aktueller Arztberichte zu der Einschätzung, dass der GdB nach wie vor 50 betrage. Die Voraussetzungen für ein Merkzeichen lägen nicht vor.
Mit Bescheid vom 23.07.2009 lehnte es der Beklagte ab, eine neue Feststellung nach § 69 SGB IX zu treffen. Er bezeichnete die zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen wie folgt: 1. Psychovegetatives Syndrom mit Somatisierung (Einzel-GdB 30), 2. degeneratives Wirbelsäulen-Syndrom bei Fehlhaltung, Schulter-Arm-Syndrom (Einzel-GdB 20), 3. chronische Emphysembronchitis (Einzel-GdB 20), 4. Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke (Einzel-GdB 10), 5. in Fehlstellung verheilter Oberschenkelbruch rechts (Einzel-GdB 10).
Dagegen erhob der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 24.08.2009 Widerspruch. Der Widerspruch wurde damit begründet, dass sich sämtliche Erkrankungen kontinuierlich verschlimmert hätten. Noch nicht berücksichtigt worden sei eine Schwerhörigkeit. Auch seien in den Beinen Krampfadern festgestellt worden.
In der Folge wurde der Kläger im Auftrag des Beklagten begutachtet. Dr. E. kam im HNO-ärztlichen Gutachten vom 17.03.2010 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zu der Einschätzung, dass in der Gesamtschau der audiologischen Befunde von einer rechts mittel- bis hochgradigen und links geringgradigen Schwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 20 auszugehen sei. Die Allgemein- und Sozialmedizinerin Dr. V. empfahl im Gutachten vom 17.03.2010 eine Anhebung des bei der Erstfeststellung ohnehin grenzwertig hoch angesetzten GdB nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2010 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Gesundheitsstörungen wurden darin wie folgt bezeichnet: 1. Psychovegetative Störungen, Somatisierungsstörung, Kopfschmerzsyndrom (Einzel-GdB 30), 2. Bluthochdruck (Einzel-GdB 20), 3. Schwerhörigkeit beidseits (Einzel-GdB 20), 4. chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (COPD), Lungenblähung, Lungenfunktionseinschränkung (Einzel-GdB 20), 5. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen, Schulter-Arm-Syndrom (Einzel-GdB 20), 6. in leichter Rekurvationsstellung knöchern fest verheilte distale Oberschenkelschaftfraktur rechts, Narbe am rechten Oberschenkel nach Osteosynthese, röntgenologisch überschießende Callusbildung medialseitig rechter Oberschenkel (Einzel-GdB 10), 7. Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, Krampfadern beidseits (Einzel-GdB 10). Ein höherer GdB als 50 lasse sich nicht feststellen.
Dagegen hat der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 30.05.2010 Klage eingelegt und diese anschließend wie folgt begründet: Die seit Jahren bestehenden Leiden hätten sich weiter verschlimmert. Insbesondere hätten die schweren Depressionen zu einer Unfähigkeit der Bewältigung des Alltags geführt. Die Gehfähigkeit habe wegen der Beschwerden an den Beinen nachgelassen. Die Beinverkürzung am rechten Bein sei nicht berücksichtigt. Die seit dem Arbeitsunfall bestehende posttraumatische Belastungsstörung trete immer deutlich zutage, die vorbehandelnden Ärzte hätten sie nicht erkannt.
Im Auftrag des Gerichts sind anschließend ein orthopädisches und ein nervenärztliches Gutachten erstellt worden, wobei jeweils eine Begleitung durch einen Dolmetscher gewährleistet war.
Im orthopädischen Gutachten vom 03.03.2011 ist Dr. T. zu der Einschätzung gekommen, dass beim Kläger keine wesentliche Änderung im Sinne einer Verschlimmerung eingetreten sei. Ein GdB von 50 sei weiterhin zutreffend. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G seien nicht erfüllt.
Auch der nervenärztliche Sachverständige Dr. P. hat in seinem Gutachten vom 05.04.2011 erklärt, dass der GdB nach wie vor 50 betrage. Eine wesentliche Verschlimmerung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sei nicht eingetreten. Für das Merkzeichen G ergäben sich neurologisch-psychiatrisch keine neuen Gesichtspunkte.
Auf Bitten des Klägers hat das Sozialgericht einen Befundbericht bei der behandelnden Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. D. angefordert. Diese hat berichtet, dass sie die Diagnose einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome und einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt habe; eine Besserungstendenz sei nicht erkennbar.
Mit Urteil vom 19.04.2012 ist die Klage abgewiesen worden.
Am 22.10.2012 (Montag) hat der Bevollmächtigte des Klägers Berufung gegen das ihm am 21.09.2012 zugestellte Urteil eingelegt. Er hat die Berufung mit Schreiben vom 04.02.2013 damit begründet, dass der Kläger an schweren Depressionen leide. Die Erkrankung sei durch einen Arbeitsunfall vor ca. 20 Jahren ausgelöst worden. Die Berufsgenossenschaft habe den Kläger einige Jahre nach dem Unfall mit einer geringen Entschädigung abgefunden, was dieser als großes Unrecht empfunden habe. Der Gerichtssachverständige Dr. P. habe die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht erkannt. Der Bevollmächtigte hat einen Arztbrief von Dr. D. vom 19.12.2012 vorgelegt, dem u.a. zu entnehmen ist, dass bisher eine Psychotherapie nicht stattgefunden habe und eine Medikation nicht erfolge. Es gebe supportive psychiatrische Gespräche und unregelmäßige Wiedervorstellungen.
Mit Befundbericht vom 15.11.2013 hat Dr. D. auf Nachfrage des Senats über eine gleichbleibende Symptomatik berichtet. Der Kläger komme regelmäßig zu den Terminen, die letzte Behandlung habe am 22.07.2013 stattgefunden.
Der Kläger hat aktuelle hno-ärztliche Unterlagen (vom 16.09.2013) vorgelegt. Nach dem dort enthaltenen Sprachaudiogramm liegt ein Hörverlust von 20 % links und 70 % rechts vor.
Der Hausarzt Dr. E. hat am 26.11.2013 über einen unveränderten Gesundheitszustand des Klägers berichtet.
Im Erörterungstermin vom 28.04.2014 ist der Sachverhalt eingehend mit dem Kläger und seinem Bevollmächtigten besprochen worden. Dabei ist deutlich geworden, dass der Kläger meint, ungerecht behandelt zu werden, und daher unbedingt Gerechtigkeit und eine Entscheidung, auch vor dem Hintergrund des derzeit ruhenden unfallversicherungsrechtlichen Berufungsverfahrens, will.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 19.04.2012 und den Bescheid vom 23.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.04.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, beim Kläger einen höheren GdB als 50 festzustellen und das Merkzeichen G anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts München beigezogen, weiter auch die Berufungsakte des Bayer. Landessozialgerichts mit dem Az.: L 2 U 26/10. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Berufung ist unbegründet.
Ein höherer GdB als von 50 ist mangels GdB-relevanter Verschlimmerung des Gesundheitszustands nicht nachgewiesen, ebenfalls nicht das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G.
Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat auf die im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten auf orthopädischem und psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet. Beide Gutachter haben mit überzeugender Begründung und nach sehr ausführlicher Diskussion plausibel erläutert, warum dem Begehren des Klägers nicht Rechnung getragen werden kann. Diese Einschätzung macht sich der Senat zu eigen.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, treffen sie gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach § 69 Abs. 1 SGB IX. Die materiell-rechtlichen Maßstäbe dafür ergeben sich aus den zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG), die als Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (BGBl I S. 2412) Rechtsnormcharakter haben. Sie haben die bis dahin der Rechtsanwendung zugrunde liegenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) ersetzt.
Rechtsgrundlage des mit der Klage angefochtenen Bescheids ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Verschlechterung (oder Besserung) der Verhältnisse, die der festgestellten Behinderung zugrunde liegen, eine Erhöhung (oder Herabsetzung) des GdB um wenigstens 10 ergibt.
Irgendeine GdB-relevante Änderung im Gesundheitszustand des Klägers ist bis heute nicht nachgewiesen, sodass von einer Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 48 SGB X gegenüber den Verhältnissen, wie sie dem bestandskräftigen Bescheid vom 16.05.1995 zugrunde gelegen haben, nicht ausgegangen werden kann.
1. Zum GdB
Der GdB ist mit einer Höhe von 50 nach der Überzeugung des Senats, die dieser aus der Beweisaufnahme gewonnen hat, nach wie vor richtig bemessen.
Die im Widerspruchsbescheid vom 30.04.2010 beschriebenen Gesundheitsstörungen sind zutreffend und umfassend und mit einem GdB von 50 richtig bewertet. Diese Aussage hat bis heute Gültigkeit.
Der neurologisch-psychiatrische Sachverständige Dr. P. hat den psychischen Befund des Klägers bei der Begutachtung wie folgt beschrieben: Der Kläger sei affektiv etwas unruhig erschienen, leicht irritierbar mit leichter Verstimmung im Sinne einer etwas dysphorischen Gestimmtheit. Er sei ablenkbar bei ausreichender affektiver Schwingungsfähigkeit, Antriebsstörungen oder Vitalstörungen seien nicht festzustellen. Eine Angststörung oder Hinweise für eine latent erhöhte Angstbereitschaft seien nicht zu finden. Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung seien - wie auch schon bei den Voruntersuchungen - nicht feststellbar. Insgesamt ergebe sich der Eindruck chronifizierter psychovegetativer Störungen unter leichter depressiver Störung im Sinn depressiver Reaktionen bei Anpassungsstörungen, begleitende Somatisierungsstörungen und Hinweise für beginnende somatoforme Schmerzstörungen. Hinweise für eine tiefergehende Depression im engeren Sinn gebe es nicht, ebenfalls auch keine Hinweise für eine posttraumatische Belastungsstörung. Der Kläger sei wach, bewusstseinsklar und allseits orientiert, reagiere prompt und durchaus bestimmt mit gutem Überblick. Einschränkungen von Konzentration und Merkfähigkeit seien nicht festzustellen. Hinweise für kognitive Einbußen gebe es nicht.
Der vom Sachverständigen angesetzte Einzel-GdB von 30 für die seelische Störung ist angesichts des erhobenen Befunds und unter Berücksichtigung des Verlaufs und der Vorbefunde angemessen, aus Sicht des Senats sogar großzügig. Er steht in Übereinstimmung mit den Vorgaben der VG (dort Teil B Nr. 3.7). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bis heute weder eine medikamentöse antidepressive Behandlung erfolgt oder von der behandelnden Ärztin als unverzichtbar erachtet worden ist. Gegen einen höheren GdB und für die Großzügigkeit eines Einzel-GdB von 30 spricht insbesondere auch der vom Kläger bei der Begutachtung beschriebene Tagesverlauf. Es ist dabei nichts zu erkennen, was eine relevante Beeinträchtigung ergeben würde. Vielmehr entspricht der Tagesablauf einem solchen, wie er bei nicht mehr Berufstätigen nicht unüblich ist, und zwar mit noch gegebenen Sozialkontakten. Sofern der Bevollmächtigte demgegenüber im Rahmen der Klagebegründung eine Unfähigkeit des Klägers zur Bewältigung des Alltags behauptet hat, steht dies in eklatantem Widerspruch zu den eigenen Angaben des Klägers bei der Begutachtung
Wenn die behandelnde Psychiaterin Dr. D. berichtet, sie habe die Diagnosen einer schweren depressiven Episode und einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt, kann dem der Senat in Ansehung der sehr ausführlich und überzeugend begründeten Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht folgen. Es liegt für den Senat sehr nahe, dass die Ärztin mit diesen Angaben dem Kläger bei der Verfolgung seiner schwerbehinderten- und unfallversicherungsrechtlichen - dazu ruht derzeit ein weiteres Verfahren beim Bayer. Landessozialgericht - Interessen behilflich sein will. Denn die von ihr mitgeteilten Diagnosen sind nicht nachvollziehbar. Wie sie die Diagnose einer schweren depressiven Episode stellen, gleichwohl aber offenbar keine Notwendigkeit zu einer intensivierten Behandlung - der Kläger wird nicht medikamentös behandelt und führt - folgt man den Angaben der Ärztin - allenfalls in vierteljährlichen Abständen supportive Gespräche - sehen kann, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Sofern sie die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung infolge des Arbeitsunfalls im Jahr 1989 gestellt hat, kann sich der Senat dieser Einschätzung angesichts der Kriterien für diese Diagnosestellung (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 141 ff.) wie der Sachverständige Dr. P. nicht anschließen.
Der orthopädische Sachverständige hat eine geringgradig eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelsäule nur hinsichtlich der Vorneigung beschrieben. Die Rückstreckmuskulatur wies im Verlauf der BWS und der LWS nur vereinzelte Verhärtungen auf. Sensomotorische Defizite bestanden genauso wie Hinweise auf eine Nervenwurzelreizung nicht. Eine radiologische Untersuchung der LWS hat nur eine geringe Fehlhaltung und mäßig ausgeprägte Verschleißerscheinungen im Segment L5/S1, die aber nicht über das altersentsprechende Maß hinausgehen, ergeben. Wenn der Sachverständige insofern von einem Einzel-GdB von 20 ausgeht, ist dies in Ansehung der Vorgaben der VG (dort Teil B Nr. 18.9) vergleichsweise großzügig. Die unfallbedingte minimale Fehlstellung des rechten Oberschenkels kann einen höheren Einzel-GdB als 10 angesichts der auf der rechten Seite sogar stärker entwickelten Beinmuskulatur und des gering ausgeprägten klinischen (und auch radiologischen) Befunds nicht begründen. Eine Beinverkürzung, wie sie der Kläger behauptet, ist zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen worden; sie würde im Übrigen erst dann einen Einzel-GdB von mehr als 10 begründen, wenn sie mehr als 4 cm betragen würde (vgl. VG Teil B Nr. 18.14). Die Krampfadern waren bei der Untersuchung nur mäßig ausgeprägt, sodass sie für sich allein gesehen keinen messbaren Einzel-GdB bedingen.
Ein Einzel-GdB von 20 für die Schwerhörigkeit ist aufgrund der vorgelegten neuesten audiologischen Untersuchungen (Hörverlust im Sprachaudiogramm links 20%, rechts 70%) nach wie vor angemessen (vgl. VG Teil B Nr. 5.2).
Irgendein Anlass, an der Richtigkeit der Bewertung der weiteren Gesundheitsstörungen zu zweifeln, besteht auch mit Blick auf die vom Senat eingeholten Befundberichte nicht.
Die von beiden Sachverständigen übereinstimmend vorgenommene Einschätzung des Gesamt-GdB auf 50 ist nachvollziehbar und überzeugend; sie steht in Übereinstimmung mit den Vorgaben der VG (dort Teil A Nr. 3).
2. Zum Merkzeichen G
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) sind vorliegend nicht erfüllt. Materiell-rechtliche Anspruchsnorm ist § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Danach ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Die VG enthalten, soweit dies hier in Betracht kommt, in Teil D Nr. 1 Buchst. b, d und f die folgenden konkretisierenden Regelungen:
"b) ... Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - d. h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird.
d) Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z. B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen. ... f) Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, sind bei allen Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 und bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderungen ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt. Bei geistig behinderten Menschen sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit vorauszusetzen, wenn die behinderten Menschen sich im Straßenverkehr auf Wegen, die sie nicht täglich benutzen, nur schwer zurechtfinden können. Unter diesen Umständen ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Bei einem GdB unter 80 kommt eine solche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht."
Keiner der mit der Beurteilung des Klägers befassten Gutachter hat die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G als erfüllt angesehen. Diese Einschätzung der Gutachter ist plausibel und überzeugend. Der Senat stützt sich auf diese übereinstimmende Einschätzung der Sachverständigen. Die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich unteren Extremitäten und der LWS sind bei weitem nicht von so starker funktioneller Auswirkung, dass sie das Merkzeichen G rechtfertigen könnten. Der Oberschenkelbruch ist ohne relevante funktionelle Einbußen verheilt. Wenn der Kläger eine Belastungsminderung des rechten Beins behauptet, ist dies nicht zu objektivieren. Würde eine derartige Einschränkung vorliegen, wäre zu erwarten, dass sich über die Jahre ein Muskelmindermaß eingestellt hätte. Dies ist aber nicht der Fall. Vielmehr sind die Muskelumfangmaße des im Jahr 1989 verletzten rechten Beins gegenüber der linken Seite sogar größer. Nicht mit der Behauptung einer Belastungsminderung ist auch die Angabe des Klägers bei der Begutachtung vereinbar, er würde viel spazieren gehen.
Der gesundheitliche Zustand des Klägers ist daher, wie dies die Beweisaufnahme ergeben hat, weit besser, als dies für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G erforderlich wäre.
3. Keine weiteren Ermittlungen
Die Begutachtungen im Verfahren vor dem Sozialgericht geben eine völlig ausreichende Entscheidungsgrundlage. Sie spiegeln nicht nur den damals vorliegenden Gesundheitszustand wider, sondern auch den aktuellen Gesundheitszustand. Denn sowohl der Hausarzt als auch die behandelnde Psychiaterin und Psychotherapeutin des Klägers haben gegen Ende des Berufungsverfahrens im November 2013 berichtet, dass der Gesundheitszustand des Klägers seit längerem unverändert ist.
Der im Erörterungstermin vom 28.04.2014 gestellte Beweisantrag ist in der mündlichen Verhandlung am 20.05.2014 nicht wiederholt worden, sodass der Senat darüber nicht zu entscheiden hat.
Ist ein Prozessbeteiligter wie hier rechtskundig durch einen Rechtsanwalt vertreten, gilt ein während des Verfahrens - sei es in Form eines Schriftsatzes oder zu Protokoll bei einem Erörterungstermin - gestellter Beweisantrag nur dann als bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrecht erhalten, wenn er als solcher zur Niederschrift der mündlichen Verhandlung wiederholt wird (ständige Rspr. des BSG, vgl. z.B. Beschluss vom 29.03.2007, Az.: B 9a VJ 5/06 B - m.w.N.). Hätte der Kläger eine Befassung des Gerichts mit dem im Erörterungstermin gestellten Beweisantrag gewünscht, hätte sein Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung den Antrag zu Protokoll stellen müssen, über den das Gericht entscheiden soll (vgl. BSG, Beschluss vom 23.08.1989, Az.: 2 BU 97/89). Eine Pflicht für den Senat, den Bevollmächtigten darauf hinzuweisen, bestand nicht.
Darauf, dass das im Erörterungstermin vom 28.04.2014 vom Kläger aufgezeigte Beweisthema ("zum Beweis der Tatsache einer posttraumatischen Belastungsstörung") ohnehin ohne Entscheidungsrelevanz ist und schon daher ein entsprechender Beweisantrag abzulehnen wäre, kommt es nicht weiter an. Denn die Frage, ob für die psychische Erkrankung des Klägers die Bezeichnung "posttraumatische Belastungsstörung" oder eine andere Diagnose die richtige ist, ist für die Feststellung des GdB, der sich aus den funktionellen Einschränkungen, nicht aber einer bestimmten Diagnose ergibt, ohne Bedeutung. Entscheidend für die Feststellung des GdB im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren sind - anders als in unfallversicherungsrechtlichen Verfahren (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 1/05 R) - nie die getroffenen Diagnosen, sondern nur das tatsächliche Ausmaß festgestellter Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2002, Az.: B 9 SB 6/01 R). In einem schwerbehindertenrechtlichen Verfahren ist daher die Frage der exakten Diagnose einem Beweisantrag nicht zugänglich. Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat den Kläger darauf hin, dass das schwerbehindertenrechtliche Verfahren auch nicht der richtige Ort dafür ist, etwaige für ihn günstige Aussagen für das unfallversicherungsrechtliche Verfahren zu erhalten.
Die Berufung kann daher unter keinem Gesichtspunkt Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).