Tatbestand

Das Berufungsverfahren betrifft eine Angelegenheit aus dem Schwerbehindertenrecht. Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob die Berufung L 15 SB 56/13 des Klägers gegen den Beklagten durch Berufungsrücknahme erledigt worden ist.

Der Kläger begehrt in der Sache einen höheren Grad der Behinderung als 70 sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.02.2013 wurde die Klage gegen den Bescheid vom 24.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.04.2012 vom Sozialgericht Augsburg abgewiesen. Mit der dagegen am 19.03.2013 zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung (Az.: L 15 SB 56/13) verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Nach eingehender Erläuterung der Sach- und Rechtslage und nach Hinweis auf die aus Sicht des Berichterstatters zweifelsfrei fehlenden Erfolgsaussichten nahm der Kläger im Erörterungstermin vom 14.08.2013 nach rund einstündiger Besprechung des Falls die Berufung zurück.

Mit Schreiben vom 30.09.2013 hat der Kläger mitgeteilt, er werde seinen "Widerspruch wieder aufnehmen". Er habe die Berufung nur auf gutes Zureden des Berichterstatters zurückgenommen, der ihm gesagt habe, die Kommunen hätten Möglichkeiten, ihm in seinem Dilemma zu helfen. Der zuständige Bearbeiter in der Kommune habe ihm aber anschließend gesagt, er könne gar nichts für ihn tun.

Dem Kläger ist mit gerichtlichem Schreiben vom 06.11.2013 ausführlich erläutert worden, dass es nicht möglich sei, die Berufungsrücknahme zu widerrufen und die Berufung in der Sache fortzusetzen.

Darüber, dass eine Zurücknahme (der Berufungsrücknahme) nicht möglich sei, hat sich der Kläger mit Schreiben vom 02.12.2013 sehr erstaunt gezeigt. Eine Aussage des Richters, mit der dieser in Aussicht gestellt habe, dass die Kommune seine Belange richten werde, habe ihn dazu gebracht, die Berufung zurückzunehmen. Dies habe aber nicht funktioniert. Er habe dem Richter vertraut und sei nun der Dumme. Er sei im Erörterungstermin sehr schnell abgefertigt worden. Er beharre weiterhin auf seinem Widerspruchsrecht.

Mit Schreiben vom 26.01.2014 hat der Kläger mitgeteilt, dass er zur mündlichen Verhandlung am 06.02.2014 nicht kommen werde und auf eine positive Entscheidung hoffe; sein körperlicher Zustand sei inzwischen so, dass das Merkzeichen aG gerechtfertigt sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß, 

das ursprüngliche Berufungsverfahren in der Sache fortzusetzen und den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Augsburg vom 27.02.2013 sowie unter Aufhebung der entsprechenden Bescheide zu verurteilen, einen höheren Grad der Behinderung als 70 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG festzustellen.

Der Beklagte beantragt 

festzustellen, dass das Berufungsverfahren L 15 SB 56/13 durch die am 14.08.2013 erklärte Berufungsrücknahme erledigt ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Beklagten, des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts zu den Aktenzeichen L 15 SB 56/13 und L 15 SB 189/13 verwiesen. Diese haben allesamt vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers mit dem Aktenzeichen L 15 SB 56/13 hat dieser im Erörterungstermin vom 14.08.2013 wirksam zurückgenommen. Sie ist nicht mehr anhängig. Der Senat hat sich daher nicht mit der Sache befassen dürfen, sondern die Erledigung durch Urteil feststellen müssen.

Der Senat war nicht gehindert, trotz Ausbleibens des Klägers mündlich zu verhandeln und durch Urteil zu entscheiden. In der ordnungsgemäßen Ladung war ein korrekter Hinweis auf die Folgen seines Fernbleibens enthalten. Der Kläger hat selbst mit Schreiben vom 26.01.2014 den Senat darüber informiert, dass er zur mündlichen Verhandlung nicht kommen werde und eine Entscheidung erwarte.

Die Berufung hat der Kläger im Erörterungstermin vom 14.08.2013 wirksam zurückgenommen.

Die Erklärung des Klägers "Ich nehme die Berufung zurück" ist im Protokoll vom Erörterungstermin vom 14.08.2013 festgehalten. Der Kläger hat auch wiederholt, nämlich mit Schreiben vom 30.09.2013 und vom 02.12.2013, bestätigt, dass er diese Erklärung abgegeben hat. Darauf, dass im Protokoll der Zusatz "vorgelesen und genehmigt" fehlt, kommt es nicht an. Das Fehlen des Genehmigungsvermerks führt nicht zur Unwirksamkeit einer in der mündlichen Verhandlung erklärten Klagerücknahme (übereinstimmende Rspr. der Bundesgerichte, vgl. z.B. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.11.2010, Az.: 2 B 8/10 - m.w.N., auch auf die Rspr. des Bundessozialgerichts - BSG -).

Gründe, welche die Berufungsrücknahme von vornherein unwirksam gemacht haben könnten, liegen nicht vor. Zwar wäre eine unter eine Bedingung gestellte Berufungsrücknahme unwirksam, da Prozesshandlungen bedingungsfeindlich sind (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 12.12.1969, Az.: 10 RKg 16/88). Mit dem Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit von Prozesshandlungen soll ausgeschlossen werden, dass ein Rechtsstreit in der Schwebe bleibt, also Ungewissheit besteht über Klageerhebung, Klagerücknahme, Rechtsmitteleinlegung oder Beendigung des Rechtsstreits (vgl. BSG, Urteil vom 17.05.1989, Az.: 10 RKg 16/88). Vorliegend hat der Kläger seine Berufungsrücknahme aber nicht unter der Bedingung erklärt, dass seinem Begehren außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Versorgungsverwaltung und damit der Sozialgerichtsbarkeit von der Gemeinde Rechnung getragen werde. Möglicherweise war dies eine Hoffnung, die der Kläger bei der Erklärung der Berufungsrücknahme gehegt hat, eine nach außen erkennbare Bedingung für die Berufungsrücknahme war dies aber zweifelsfrei nicht.

Die Berufungsrücknahme ist auch nicht nachträglich durch das Schreiben des Klägers vom 30.09.2013 vernichtet worden.

Die Berufungsrücknahme als Prozesshandlung kann weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 Bürgerliches Gesetzbuch) angefochten werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteile vom 06.04.1960, Az.: 11/9 RV 214/57, und vom 14.06.1978, Az.: 9/10 RV 31/77). Es ist es daher unbeachtlich, ob der Kläger bei der Erklärung der Rücknahme der Berufung die Hoffnung oder Erwartung gehabt hat, auf kommunaler Ebene eine Lösung seiner Parkprobleme zu erreichen. Ein Irrtum dergestalt, dass er bei der Berufungsrücknahme davon ausgegangen wäre, dass seine Heimatgemeinde ihm eine Problemlösung anbieten würde, würde ihm daher eine Anfechtungsmöglichkeit nicht eröffnen, unabhängig davon, worauf ein solcher Irrtum zurückzuführen wäre. Im Übrigen ist es auch nicht zutreffend, dass der Berichterstatter des Senats dem Kläger im Erörterungstermin vom 14.08.2013 den Eindruck vermittelt hätte, dass dieser von seiner Heimatgemeinde die gewünschte Parkbefreiung erhalten werde. Vielmehr hat der Berichterstatter nur darauf hingewiesen, dass es möglicherweise kommunale Parkerleichterungen gebe, die örtlich beschränkt seien und zu denen das Gericht weder Kenntnisse habe noch Auskünfte geben und auch nicht darüber entscheiden könne.

Allenfalls ausnahmsweise kann entsprechend den Regeln über die Wiederaufnahmeklage eine Rücknahme widerrufen werden, falls ein gesetzlicher Restitutionsgrund (§ 179 Abs. 1 SGG i.V.m. § 580 Zivilprozessordnung - ZPO -) gegeben wäre (vgl. Urteile des Senats vom 16.10.2001, Az.: L 15 V 37/01, vom 27.01.2011, Az.: L 15 SB 158/10, und vom 08.10.2013, Az.: L 15 VK 8/13; BSG, Urteil vom 24.04.1980, Az.: 9 RV 16/79). Einen solchen Tatbestand hat der Kläger aber nicht vorgetragen. Eine strafbare Verletzung der richterlichen Amtspflichten gegenüber dem Kläger würde nur dann eine Restitutionsklage und damit in diesem Fall einen Widerruf der Berufungsrücknahme begründen, wenn der Richter wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden wäre oder wenn ein Strafverfahren aus anderen Gründen als mangels Beweises nicht eingeleitet oder durchgeführt werden könnte (§ 580 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 581 Abs. 1 ZPO). Dies ist nicht der Fall. Auch vor dem Hintergrund des im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die ausnahmsweise ein Festhalten des Klägers an seiner Rücknahmeerklärung unbillig erscheinen lassen könnten (vgl. Urteile des Senats vom 27.01.2011, Az.: L 15 SB 158/10 und vom 08.10.2013, Az.: L 15 VK 8/13).

Wegen der wirksamen Rücknahme der Berufung hatte sich der Senat mit der Frage, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG gegeben sind, nicht mehr zu befassen. Ob - wie dies der Kläger meint - sich sein gesundheitlicher Zustand so weit verschlechtert hat, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG jetzt erfüllt sind, ist daher für die Entscheidung des Senats ohne Bedeutung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger ohne Erfolg geblieben ist.

Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.