Bayerisches Landessozialgericht - L 15 SF 384/11 B E - Beschluss vom 06.09.2012
Die Rechtsprechung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu der Frage, wann der gebührenauslösende Tatbestand des angenommenen Anerkenntnisses jenseits der Fälle expliziter Prozesserklärungen bejaht werden kann, stellt sich heterogen dar. Das LSG Hessen geht unter bestimmten Voraussetzungen von einem angenommenen Anerkenntnis aus, wenn auf eine Untätigkeitsklage hin der begehrte Verwaltungsakt erlassen wird; es sieht im Erlass des Bescheids ein Inzident-Anerkenntnis. Anderer Ansicht sind das LSG Thüringen sowie das LSG Nordrhein-Westfalen.
Gründe:
I.
Das Beschwerdeverfahren betrifft die Vergütung als beigeordnete Rechtsanwältin, die der Beschwerdeführerin gegen die Staatskasse zusteht.
Beim Sozialgericht München war eine Untätigkeitsklage mit dem Aktenzeichen S 50 AS 3435/10 anhängig, wobei die Beschwerdeführerin der Klägerin im Rahmen der Prozesskostenhilfe als Rechtsanwältin beigeordnet worden war. Nach Erhebung der Untätigkeitsklage erließ die beklagte Behörde den begehrten Widerspruchsbescheid, worauf die Beschwerdeführerin das Verfahren für erledigt erklärte. Die Kostenbeamtin beim Sozialgericht München setzte die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG auf 183,26 EUR fest. Auf die Erinnerung hat der Kostenrichter die Vergütung auf 321,01 EUR taxiert, der Beschwerdeführerin dabei aber keine so genannte fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG, wie von dieser gewünscht, zuerkannt. Mit der Beschwerde verfolgt die Beschwerdeführerin ihr Ziel, den Ansatz einer fiktiven Terminsgebühr zu erreichen, weiter.
II.
Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Auch ist sie fristgerecht eingelegt worden (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG).
Die Beschwerde ist nicht begründet. Der Beschwerdeführerin steht eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG nicht zu. Denn ein Termin hat nicht stattgefunden und einer der Tatbestände, die eine fiktive Terminsgebühr auslösen, liegt nicht vor.
Insbesondere ist der Tatbestand Nr. 3 der Anmerkungen zu Nr. 3106 VV RVG nicht erfüllt. Danach entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Die Rechtsprechung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu der Frage, wann der gebührenauslösende Tatbestand des angenommenen Anerkenntnisses jenseits der Fälle expliziter Prozesserklärungen bejaht werden kann, stellt sich heterogen dar. Das LSG Hessen geht unter bestimmten Voraussetzungen von einem angenommenen Anerkenntnis aus, wenn auf eine Untätigkeitsklage hin der begehrte Verwaltungsakt erlassen wird (Beschlüsse vom 12.05.2010 - L 2 SF 342/09 E und vom 21.03.2012 - L 2 AS 517/11 B); es sieht im Erlass des Bescheids ein Inzident-Anerkenntnis. Anderer Ansicht sind das LSG Thüringen (Beschluss vom 25.10.2010 - L 6 SF 652/10 B) sowie das LSG Nordrhein-Westfalen (z.B. Beschluss vom 05.05.2008 - L 19 B 24/08 AS). Der Senat muss sich im vorliegenden Fall nicht auf die eine oder andere Extremposition festlegen. Jedenfalls führen die besonderen Umstände des Einzelfalls dazu, dass eine fiktive Terminsgebühr nicht zusteht.
Um ein angenommenes Anerkenntnis im Sinn des Gebührentatbestands bejahen zu können, müssen grundsätzlich Prozesserklärungen beider Parteien mit entsprechendem Inhalt existieren. Ein explizites Anerkenntnis hat die Beklagte unstreitig nicht abgegeben. Vor diesem Hintergrund könnte der Gebührentatbestand nur dann erfüllt werden, wenn entweder ein konkludentes Anerkenntnis der Beklagten sowie eine ausdrückliche oder konkludente Annahme seitens der Klägerin vorlägen (vgl. dazu unten 1.) oder verneinendenfalls ein angenommenes Anerkenntnis zu fingieren wäre, weil die Vorenthaltung eines Anerkenntnisses durch die Beklagte treuwidrig erschiene (vgl. dazu unten 2.). Beides ist jedoch nicht der Fall.
1. An dieser Stelle muss nicht reflektiert werden, ob ein Anerkenntnis als Prozesserklärung überhaupt konkludent bewirkt werden kann (was wohl zu bejahen ist). Weiter bedarf es keiner Erörterung, inwieweit im vorliegenden Fall dem Erfordernis Rechnung getragen ist, dass das Anerkenntnis als Prozesshandlung gerade dem Gericht gegenüber abzugeben ist; hierfür käme allenfalls der Schriftsatz der Beklagten vom 04.02.2011 in Betracht. Jedenfalls scheitert hier der Versuch, ein angenommenes Anerkenntnis zu konstruieren, daran, dass dem Erlass des Widerspruchsbescheids und dem Schriftsatz vom
04.02.2011 kein Inhalt im Sinn eines Anerkenntnisses beigemessen werden kann. Generell kann die Vornahme des begehrten Verwaltungsakts nach einer Untätigkeitsklage regelmäßig nicht als Abgabe eines Anerkenntnisses interpretiert werden. Denn das Anerkenntnis muss auch das Zugeständnis beinhalten, dass das Klagebegehren vorbehaltslos für voll begründet erachtet wird, dass also auch nach Ansicht der Beklagten eine relevante Verzögerung gegeben ist und ein zureichender Grund für diese Verzögerung fehlt. Das aber kann bei Erlass des begehrten Verwaltungsakts nach einer Untätigkeitsklage gerade nicht generell unterstellt werden. Insoweit ist nicht von Belang, ob objektiv die sechsmonatige Sperrfrist abgelaufen war und ein hinreichender Gründ für die Verzögerung vorlag. Denn an dieser Stelle ist zu erforschen, was die Behörde auf der Basis ihrer subjektiven Ansicht durch ihre Handlung objektiv erklärt hat; sollte sie - wenn auch letztlich zu Unrecht - vom fehlenden Ablauf der Sperrfrist oder von einem hinreichenden Grund für die Verzögerung ausgegangen sein, würde es sich verbieten, der Behörde eine Anerkenntniserklärung unterzuschieben. Das gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die beklagte Behörde den gewünschten Widerspruchsbescheid in dem Bewusstsein erlassen hat, der Widerspruch sei ihr nicht zugegangen. Sie ist damit definitiv nicht von einer relevanten Verzögerung ausgegangen. Daher kann der Erlass des Widerspruchsbescheids nicht als konkludentes Anerkenntnis ausgelegt werden.
2. Somit bleibt die Frage, ob ein angenommenes Anerkenntnis fingiert werden muss. Das ist zu verneinen. Eine Fiktion kann - in krassen Ausnahmefällen - nur dann erfolgen, wenn Treu und Glauben dies geboten erscheinen lassen, wenn nämlich die Behörde bei vernünftiger Betrachtung ein Anerkenntnis geradezu hätte abgeben "müssen". Davon kann hier keine Rede sein. Denn als die Beklagte am 03.02.2011 den Widerspruchsbescheid erließ, ging sie davon aus, der Widerspruch sei nicht bei ihr eingegangen, weswegen die Sperrfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Selbst wenn sie sich dabei geirrt haben sollte, erschiene die Vorenthaltung eines Anerkenntnisses nicht treuwidrig; denn sie wäre zumindest gutgläubig davon ausgegangen, sie sei im Recht gewesen. Allein das objektive Ergebnis, dass einer Rechtsanwältin durch einen unterstellten Irrtum de facto eine Gebühr vorenthalten bleibt, vermag keinen Verstoß gegen Treu und Glauben zu begründen.
Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).