Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 16 KR 503/14 NZB - Beschluss vom 25.02.2015
Versicherte, denen wegen ihrer Behinderung ein Therapiedreirad gewährt wird, haben einen Eigenanteil zu leisten, denn das Therapiedreirad ersetzt ein von Gesunden als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens benutztes handelsübliches Zweirad. Auch wenn das Rad von der Krankenkasse "nur" leihweise überlassen wird, verbleibt es bei dem Eigenanteil, da der Versicherte auch hier Aufwendungen für die Anschaffung oder Anmietung eines Fahrrades erspart, die ein Gesunder selbst zu tragen hätte. Der Eigenanteil nicht das Äquivalent für die Verschaffung des Eigentums, es geht vielmehr um die Anrechnung des Gebrauchsvorteils.
Gründe:
I.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 24.07.2014 die Klage des Beschwerdeführers abgewiesen, mit der dieser sich dagegen gewandt hatte, dass ihm für die leihweise Überlassung eines Therapiedreirades der Größe 26 Zoll ein Eigenanteil in Höhe von 255,- Euro abverlangt worden ist. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde, für deren Durchführung Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt wird. Der Beschwerdeführer meint, die Berufung sei wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Eigenbeteiligung nur einen Fall betreffe, in dem der Versicherte Eigentum an dem Dreirad erworben hatte.
II.
1. Die Beschwerde ist statthaft.
Da der Beschwerdewert unter 750,- Euro liegt, bedarf die Berufung der Zulassung durch das SG (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), die dieses nicht ausgesprochen hat. Gemäß § 145 Abs. 1 SGG kann allerdings die Nichtzulassung der Berufung durch das SG mittels Beschwerde angefochten werden. Über sie entscheidet das Landessozialgericht (LSG) durch Beschluss, dem im Falle der Ablehnung der Beschwerde eine kurze Begründung beigefügt werden soll (§ 145 Abs. 4 SGG).
2. Die Beschwerde ist unbegründet, weil keiner der in § 144 Abs. 2 SGG genannten Zulassungsgründe vorliegt.
a. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das Urteil von einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats
der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht oder
3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die vom Kläger geltende gemachte grundsätzliche Bedeutung (oben Nr. 1) besitzt der Rechtsstreit nicht.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art aufwirft, die bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Rechtsprechung und Fortentwicklung des Rechts berührt ist und zu erwarten ist, dass die Entscheidung dazu führen kann, die Rechtseinheitlichkeit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. Frehse, in: Jansen SGG, 4. Aufl. 2012, § 144 Rn. 17 m.w.N.). Grundsätzliche Bedeutung liegt ferner vor, wenn die Klärung einer Zweifelsfrage mit Rücksicht auf Wiederholung ähnlicher Fälle erwünscht ist oder wenn von der derzeitigen Unsicherheit eine nicht unbeträchtliche Personenzahl betroffen ist oder wenn tatsächliche Auswirkungen Interessen der Allgemeinheit eng berühren (vgl. LSG NRW, Beschluss v. 22.11.2006 - L 12 B 62/06 KR NZB). Die grundsätzliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein. Daran fehlt es hier.
b. In der Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass Versicherte, denen wegen ihrer Behinderung ein Therapiedreirad gewährt wird, einen Eigenanteil zu leisten haben, denn das Therapiedreirad ersetzt ein von Gesunden als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens benutztes handelsübliches Zweirad (vgl. BSG, Urteil v. 07.10.2010 - B 3 KR 5/10 R). Wirtschaftlicher Maßstab hierfür sind, wie das BSG a.a.O. zum Falle einer Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) für ein von der dortigen Versicherten selbst beschafftes Dreirad ausführt, die durchschnittlichen Anschaffungskosten für ein handelsübliches Markenfahrrad.
Da gemäß § 33 Abs. 5 SGB V die Krankenkasse die erforderlichen Hilfsmittel auch leihweise überlassen kann, und auch in einem solchen Fall der Versicherte Aufwendungen für die Anschaffung oder Anmietung eines Fahrrades erspart, die ein Gesunder selbst zu tragen hätte, kann eine Eigenbeteiligung im Grundsatz auch bei einer leihweisen Überlassung in Betracht kommen. Der Eigenanteil von 255 Euro ist nicht das Äquivalent für die Verschaffung des Eigentums an dem um ein Vielfaches teureren Hilfsmittel, es geht vielmehr um die Anrechnung eines Gebrauchsvorteils, der auch bei der leihweisen Überlassung gegeben sein kann. Jedenfalls wenn es - wie hier - um die langjährige und voraussichtlich dauerhafte (bei dem 26 Zoll-Dreirad des Versicherten handelt es sich um das größte Modell des Herstellers) Überlassung eines neuen, dem Verschleiß unterliegenden Rades geht, besteht zur Überzeugung des Senats keinerlei Veranlassung zu einer anderen Handhabung als in dem vom BSG entschiedenen Kostenerstattungsfall. Denn es liegt zugleich auf der Hand, dass eine als alternative Regelung denkbare monatlich bemessene Eigenbeteiligung für die konkrete Dauer der Nutzung des leihweise überlassenen Gegenstandes nicht nur einen unverhältnismäßigen Aufwand mit sich bringen würde, sondern auch, dass sich ihre angemessene Höhe wegen der unbekannten Nutzungsdauer im Zeitpunkt der Leistungsbewilligung noch nicht ermitteln ließe. Aus diesem Grunde ließe sich auch nicht etwa ein Abschlag seriös dafür bestimmen, dass bei der leihweisen Überlassung nicht die zumindest theoretische Möglichkeit besteht, nach Nutzungsende das Rad auf dem Flohmarkt oder auf einer Internetbörse zu verkaufen. Dieser Gesichtspunkt kann ohnehin vernachlässigt werden, weil er nicht Sinn der Hilfsmittelversorgung ist und die Vorteile einer einfach handhabbaren und gleichförmigen Regelung überwiegen, wie sie in dem von der Beklagten zugrundegelegten Gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 18.12.2007, Anhang II: Eigenanteils- und Zuschussempfehlungen bei Hilfsmitteln mit Gebrauchsgegenstandanteil (Die Leistungen 2008,330 ff., 348), getroffen worden ist. Eine klärungsbedürftige offene Rechtsfrage sieht der Senat hier nach alledem nicht.
c. Das Urteil des SG vom 24.07.2014 weicht auch nicht im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG von einer Entscheidung des LSG, des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.
d. Einen Verfahrensmangel hat der Kläger nicht gerügt (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG).
Die Berufung war nach alledem vom Senat nicht zuzulassen.
4. PKH war dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren nicht zu bewilligen.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 11. Aufl. 2014, § 73 a Rn. 7a m.w.N.). Wird eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss PKH gewährt werden (vgl. BVerfGE 81, 347; BVerfG NJW 1997, 2102 f.), und zwar auch dann, wenn das Gericht die Rechtsfrage ungünstig beurteilt (vgl. BGH NJW 1998, 82; BGH NJW 2000, 2098). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Wie oben ausgeführt, wirft die Beschwerde keine klärungsbedürftige offene Rechtsfrage auf.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das Urteil rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).