Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 16 KR 791/14 B - Beschluss vom 23.04.2015
Ein WC-Aufsatz ist kein "Bestandteil des Seniorenstifts", in dem der Versicherte lebt. Ob es sich bei dem Aufsatz um ein von der Vorhaltepflicht des Heimes erfasstes Hilfsmittel handelt, hängt davon ab, ob noch eine Krankenbehandlung und ein Behinderungsausgleich im Sinne medizinischer Rehabilitation stattfindet oder aber ganz überwiegend die Pflege im Vordergrund steht, weil eine Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht mehr möglich ist.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt von der beklagten Krankenkasse die Versorgung mit einem WC-Aufsatz; er lebt in einer Senioreneinrichtung, in der er zwischenzeitlich wohl eine eigene Wohnung bezogen hat. Der Kläger ist auf Pflege (Pflegestufe II) angewiesen; das letzte Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), das sich in der Verwaltungsakte der Beklagten befindet, datiert allerdings vom 20.06.2012.
Die Beklagte verweigert die Versorgung mit der Argumentation, das Hilfsmittel diene nicht dem Ausgleich des behinderungsbedingt eingeschränkten Bedürfnisses der Körperpflege. Der Kläger sei bei Pflegestufe II mit einem Blasenverweilkatheter mit Dauerableitung versorgt. Die Toilettenbenutzung zur Verdauung werde einmal täglich mit personeller Hilfe durchgeführt. Hier werde lediglich der Waschvorgang nach dem Toilettengang erleichtert. Insoweit werde die Pflege erleichtert, so dass eine Kostenübernahme im Rahmen der Krankenversicherung ausscheide. Auch im Rahmen der Pflegeversicherung sei eine Kostenübernahme nicht möglich. Pflegehilfsmittel gemäß § 40 Abs. 1 SGB XI seien nur im häuslichen Bereich durch die Pflegeversicherung zu übernehmen (Bescheid vom 12.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.03.2014, dem Kläger zugestellt am 24.03.2014).
Das Sozialgericht hat Prozesskostenhilfe für das seit dem 24.04.2014 anhängige Klageverfahren mit Beschluss vom 10.12.2014 abgelehnt und ausgeführt, der WC-Aufsatz werde „Bestandteil des Seniorenstifts“, sei für andere Patienten zu nutzen und enthalte ausweislich des überreichten Produktmerkblattes keine personenbezogene Anpassung. Gemäß der Rechtsprechung der Kammer zu festen Pflegehilfebestandteilen seien diese keine Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V.
Mit seiner Beschwerde vom 18.12.2014 macht der Kläger geltend, das Sozialgericht verkenne den mit der Versorgung verbundenen Zugewinn an Lebensqualität, Selbstvertrauen und Menschlichkeit durch eine enorme Steigerung an Selbständigkeit. Es müsse beachtet werden, dass es sich um höchst intime Vorgänge handele, die dem Betroffenen selbst überlassen werden sollten. Ein Verweis auf Pflegekräfte sei daher nicht zulässig und widerspreche den Grundprinzipien des SGB IX.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragstellers (§§ 172, 713 SGG) ist begründet.
Das Sozialgericht hat der vom Kläger in zulässiger Weise erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zu Unrecht hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. 114 S. 1 ZPO abgesprochen.
Nach Maßgabe dieser Vorschriften ist einem Beteiligten, der - wie der im Bezug von Leistungen nach dem SGB XII stehende Kläger - nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter beizuordnen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Dies bedeutet zugleich, dass Prozesskostenhilfe nur verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 22.05.2012 - 2 BvR 820/11 m.w.N.). Kommt etwa eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, ist im Ergebnis Prozesskostenhilfe zu gewähren. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (BVerfG, Beschluss vom 28.11.2007 - 1 BvR 69/07 und 1 BvR 72/07).
Der Senat vermag die Argumentation des Sozialgerichts, der streitgegenständliche WC-Aufsatz sei (sinngemäß) wesentlicher Bestandteil im Sinne des § 94 Abs. 1 BGB des Pflegeheimes (des Grundstücks), nicht nachzuvollziehen. Die in den Gerichtsakten enthaltene Produktbeschreibung führt insoweit aus, das Hilfsmittel Geberit AquaClean 5000 plus © werde gegen den vorhandenen Sitz und Deckel des bestehenden WC ausgetauscht.
Bei einem Wohnungswechsel lasse sich der WC-Aufsatz einfach de- und neumontieren. Allein der Umstand, dass ein Anschluss an Wasser- und Stromleitung erfolgt , dürfte den Aufsatz nicht zu einem wesentlichen Bestandteil des Grundstücks machen. Das BSG (etwa Urteil vom 12.06.2008 - B 3 P 6/07R, Rn. 18, juris) geht dementsprechend hinsichtlich eines Deckenlifters auch bei Wand- oder Deckenbefestigung davon aus, dass es sich um ein Hilfsmittel entweder der Kranken- oder der Pflegeversicherung handeln könne. Weitere tatsächliche Feststellungen erscheinen insoweit geboten.
Sowohl das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 23.03.2007 - L 4 KR 20/07) und das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 10.03.2011 - L 5 KR 59/11 B ER) gehen von einem Hilfsmittel nach dem SGB V aus.
Ohne weitere Feststellungen kann zur Überzeugung des Senats auch nicht davon ausgegangen werden, dass es um ein von der Vorhaltepflicht des Heimes erfasstes Hilfsmittel geht. Die Abgrenzung erfolgt maßgeblich danach, was nach dem Versorgungsvertrag der Pflegekassen mit dem Heimträger gilt (BSG, Urteil vom 06.06.2002 - B 3 KR 67/01 R). Es dürfte zudem darauf abzustellen sein, ob noch eine Krankenbehandlung und ein Behinderungsausgleich im Sinne medizinischer Rehabilitation stattfindet oder aber ganz überwiegend die Pflege im Vordergrund steht, weil eine Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht mehr möglich ist (BSG, Urteil vom 20.07.2004 - B 3 KR 5/03 R). Die aktuellsten Feststellungen zur Pflegebedürftigkeit des Klägers datieren aus dem Jahre 2012 und bieten keine hinreichende Grundlage für die zutreffende Beurteilung.
Kosten sind nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).