Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 17 SB 151/10 B - Beschluss vom 24.09.2010
Gegen einen Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen das Gericht angeordnet hat und der im Termin nicht erscheint, kann ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Die Grundlage des Ordnungsgeldbeschlusses darf aber nicht rechtswidrig sein; so steht u.a. hinreichend entschuldigter Urlaub am Terminstag einem Ordnungsgeld entgegen.
Gründe:
I.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Bf) wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes durch das Sozialgericht (SG).
Im Hauptsacheverfahren, in dem sie durch Bevollmächtigte vertreten wird, begehrt sie mit der am 12.08.2008 erhobenen Klage die Feststellung einer Schwerbehinderung. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das SG hat die Beklagte einen Regelungsvorschlag unterbreitet, der von der Bf nicht angenommen wurde (Schriftsatz vom 26.02.2009). Mit Verfügung vom 12.04.2010 hat das SG Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 28.04.2010 bestimmt und das persönliche Erscheinen der Bf zu diesem Termin angeordnet. Die Terminsbestimmung/Ladung ging der Bf und ihren Bevollmächtigten am 13.04.2010 zu. Am 14.04.2010 teilte die Bf mit, den Termin nicht wahrnehmen zu können, da sie sich vom 23.04.2010 bis 09.05.2010 im Urlaub befinde. Eine - vom SG angeforderte - Buchungsbestätigung könne nicht überreicht werden, weil sie mit einem Wohnmobil unterwegs sei. Ein Antrag der Bevollmächtigen der Bf, die Anordnung des persönlichen Erscheinens aufzuheben oder den Termin zu verlegen, blieb bis zum Verhandlungstermin unbeschieden.
Zum Termin zur mündliche Verhandlung am 28.04.2010 ist die Bf nicht erschienen, war indes durch einen Bevollmächtigten vertreten. Das SG hat den Termin nach Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses vertagt. Gleichzeitig hat es der Bf wegen ihres Nichterscheinens ein Ordnungsgeld in Höhe von 300 EUR auferlegt und darüber hinaus beschlossen, dass ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Im Ergebnis zu Unrecht hat das SG der Bf wegen ihres Ausbleibens im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.04.2010 ein Ordnungsgeld in Höhe von 300 EUR auferlegt.
Gemäß §§ 111 Abs. 1, 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 141 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) kann gegen einen Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen das Gericht angeordnet hat und der im Termin nicht erscheint, ein Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden. Für unentschuldigt ferngebliebene Zeugen gilt insoweit § 380 Abs. 1 ZPO, wobei allerdings die weiteren bei einem Zeugen nach dieser Vorschrift möglichen Sanktionen, wie die Auferlegung der durch das Ausbleiben verursachten Kosten und die Festsetzung von Ordnungshaft, bei einer Entscheidung nach § 141 Abs. 3 ZPO keine Anwendung finden. Anwendbar ist dagegen § 381 ZPO. Danach unterbleibt die Festsetzung des Ordnungsgeldes, wenn das Ausbleiben des Beteiligten rechtzeitig genügend entschuldigt wird. Entschuldigt der Beteiligte sein Ausbleiben nachträglich genügend, wird die Verhängung des Ordnungsgeldes wieder aufgehoben.
Zwar ist die Bf vorliegend zu dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.04.2010 trotz ordnungsgemäßer Ladung und Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht erschienen. Die Auferlegung eines Ordnungsgeldes kommt dennoch nicht in Betracht, denn hier ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Bf, mithin die Grundlage des Ordnungsgeldbeschlusses, bereits rechtswidrig gewesen. Zwar ist anerkannt, dass sich aus § 111 Abs. 1 SGG bezüglich des Anordnungszweckes ein weites Ermessen ergibt (vgl. Frehse, SGb 2010, 390 f. m.w.N.; Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 111 Rdnr. 2b). Welche Ziele das Gericht mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens verfolgen darf, lässt sich aus dem systematischen Zusammenhang der maßgebenden Vorschriften erschließen. Danach dient die Anordnung in erster Linie der Erforschung des Sachverhalts unter Heranziehung der Beteiligten (§ 103 Satz 1 SGG). Entsprechendes ergibt sich auch aus § 141 Abs. 1 ZPO, wonach das Gericht das persönliche Erscheinen anordnen soll, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Darüber hinaus kann bezweckt sein, das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten zu erörtern oder darauf hinzuwirken, dass sie sich über erhebliche Tatsachen vollständig erklären sowie angemessene und sachdienliche Anträge stellen (§ 112 Abs. 2 Satz 2 SGG). Ziel kann schließlich auch sein, mit den Beteiligten in Gespräche über eine gütliche Beendigung des Verfahrens einzutreten. Das erschließt sich zumindest mittelbar aus § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO, wonach ein entsandter Vertreter "insbesondere" zum Vergleichsabschluss ermächtigt sein muss (vgl. Beschluss des Senats v. 08.02.2010 - L 17 B 29/09; zum Ganzen auch Frehse, SGb 2010, 388 ff. m.w.N.).
Hier ergeben sich weder aus Ladung der Bf noch aus der Sitzungsniederschrift des SG vom 28.04.2010 Anhaltspunkte dafür, welches dieser Ziele das SG vorliegend mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens der Bf verfolgt hat. Die Bf ist durch Bevollmächtigte vertreten. Diese hatten zum Regelungsvorschlag der Beklagten bereits schriftsätzlich umfassend Stellung genommen, ohne dass sich das SG über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr zu weiteren Nachfragen veranlasst sah. Die Bevollmächtigten der Bf waren zudem offenkundig trotz der Abwesenheit der Bf im Verhandlungstermin in der Lage, das SG von der Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung durch Sachverständigenbeweis zu überzeugen. Auch aus der Sitzungsniederschrift ist schließlich nicht erkennbar, ob und ggf. welche Fragen - etwa im Hinblick auf eine gütliche Beendigung des Verfahrens - durch die Bevollmächtigten der Bf im Termin nicht geklärt werden konnten.
Hinzu kommt, dass im Rahmen der Ermessenerwägungen zur Anordnung der persönlichen Erscheinens zu prüfen und abzuwägen ist, ob die Anordnung auch unabhängig von dem mit ihr verfolgten Zweck zumutbar ist. Unzumutbar kann die Anordnung insbesondere sein, wenn besondere Gründe vorliegen, zu denen auch Urlaub zählt. Das Vorliegen solcher Gründe führt zur Reduzierung des Ermessenspielraums (so Frehse, SGb 2010, 391; Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 111 Rdnr. 2b). Dies hat das SG verkannt, wenn es dem Umstand des Urlaubs der Bf allein im Zusammenhang einer hinreichenden Entschuldigung Bedeutung beimisst. Auch die nicht unerhebliche Tatsache, dass das Verfahren über ein Jahr nicht gefördert wurde, um dann die Ladung mit einer Frist von 15 Tagen vorzunehmen, hat das SG in keiner Weise berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Bf ermessensfehlerhaft gewesen.
Im Übrigen verkennt das SG, dass die Bf ihr Fernbleiben, mit dem Hinweis, sie befinde sich am Terminstag im Urlaub, genügend entschuldigt hat (§ 381 Abs.1 Satz 1 ZPO). Daran, dass die Bf sich am Terminstag im Urlaub befunden hat, bestehen keine Zweifel. Ebenso wenig bestehen jedoch Anhaltspunkte dafür, dass von der Bf der Urlaub bewusst zeitlich so geplant wurde, um am Terminstag verhindert zu sein. Nahe liegend ist vielmehr, dass die Bf, die als Justizangestellte beschäftigt ist, diesen Urlaub weit länger als 10 Tage vor dessen Beginn geplant hat. Wenn das SG daran nachhaltige Zweifel gehabt hätte, wäre es leicht gewesen, von der Bf zu verlangen, ihren Urlaubsantrag vorzulegen. Der Hinweis des SG, die Bf hätte "die ersten Tage mit dem Wohnmobil eine nahe der Stadt Dortmund liegende Landschaft bereisen können", lässt sich nicht mit dem Recht, den Urlaubszeitpunkt und Urlaubsort frei selbst zu wählen, vereinbaren. Grundsätzlich besteht ein Recht auf ungestörten Urlaub, zum selbstgewählten Zeitpunkt (so Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 68. Aufl. 2010, § 381 Rz. 8 unter Hinweis auf BVerfGE 34, 154). Dies umfasst auch das Recht, den Urlaubsort frei zu wählen. Ob sich die Bf "hinsichtlich ihres Urlaubs nicht finanziell gebunden hat", ist nicht streitentscheidend. Zunächst hat das SG insoweit keine weiteren Ermittlungen angestellt, sondern zieht diesbezügliche Schlüsse offensichtlich allein aus dem Umstand, dass die Bf keine Buchungsbestätigung vorlegen konnte. Des weiteren steht das Recht auf ungestörten Urlaub nicht unter dem Vorbehalt einer zuvor eingegangenen finanziellen Verpflichtung. Vor diesem Hintergrund ist der Bf letztlich auch nicht vorwerfbar, dass sie "die Urlaubsfahrt in Kenntnis des Gerichtstermins angetreten hat".
Schließlich hätte das SG sich auch mit § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO auseinandersetzen müssen (zur Anwendbarkeit Frehse, SGb 2010, 459). Danach ist kein Ordnungsgeld festzusetzen, wenn zur Verhandlung ein Vertreter entsandt wird, der zur Aufklärung des Tatbestands in der Lage und zur Abgabe der gebotenen Erklärungen, insbesondere zu einem Vergleichsabschluss ermächtigt war. Dass diese Voraussetzungen hier vorgelegen haben, ist jedenfalls nach dem durch die Sitzungsniederschrift dokumentierten Verhandlungsverlauf nicht zweifelhaft.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 111 Rdnr. 6c).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).