Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 19 B 103/06 AS - Beschluss vom 06.12.2006
Das Beschwerdeverfahren ist kostenrechtlich Teil des bereits erledigten Hauptsacheverfahrens. Zwar ist die Beschwerdeinstanz grundsätzlich ein besonderer Rechtsweg, in dem regelmäßig Gebühren entstehen (Nr. 3501 VV RVG). Dies gilt jedoch nicht für die Beschwerde gegen eine Kostengrundentscheidung des Sozialgerichts, weil hierbei die Beschwerdeinstanz nicht mit dem Rechtsstreit bzw. einem selbständigen Antrag befasst wird.
Gründe:
Die Beklagte wendet sich gegen die vom Sozialgericht auferlegte Verpflichtung zur Übernahme der außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klageverfahren.
Die 1979 geborene Klägerin lebte seit April 2000 zusammen mit ihrem am 00.00.2000 geborenen Sohn in einer 58 qm großen Zwei-Zimmer-Wohnung und bezog Leistungen der Beklagten, als sie im Zusammenhang mit ihrem Leistungsantrag vom 02.05.2005 eine Zusicherung der Beklagten zur Übernahme der Kosten einer noch anzumietenden Drei-Zimmer-Wohnung von 53,93 qm Grundfläche zu in etwa den Kosten der vorherigen Wohnung begehrte.
Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.09.2005 ab, da keine Notwendigkeit zur Anmietung einer neuen Wohnung bestehe.
Mit dem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie benötige ein Kinderzimmer. Es sei weder ihr noch dem Sohn zumutbar, im Wohnzimmer zu übernachten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Erteilung einer Zusicherung zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft scheitere hier daran, dass keine Notwendigkeit für den Umzug bestehe. Für einen Zwei-Personen-Haushalt sei eine Wohnungsgröße von 1,5 bis 2 Räumen als angemessen zu betrachten. Beschaffenheit und Größe der bislang bewohnten Wohnung entsprächen den Wohnbedürfnissen der Klägerin. Die Notwendigkeit eines Umzuges könne daher nicht anerkannt werden.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 15.12.2005 Klage erhoben, den Rechtsstreit jedoch durch Schriftsatz vom 17.01.2006 für erledigt erklärt, nachdem der bisherige Vermieter auf eigene Kosten eine Trennwand eingebaut hatte, so dass die Klägerin über ein Kinderzimmer nun auch in der alten Wohnung verfügte.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zur Übernahme ihrer außergerichtlichen Kosten zu verpflichten. Dies hat die Beklagte abgelehnt.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 25.08.2006 hat das Sozialgericht die Beklagte zur Tragung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach verpflichtet: Die Klage wäre voraussichtlich erfolgreich gewesen. Die Abwägung des nachvollziehbaren Interesses der Klägerin an einem separaten Kinderzimmer mit den Interessen der Allgemeinheit lege die Annahme einer Notwendigkeit des Umzuges und damit einer Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Zusicherung hinsichtlich der zu übernehmenden Kosten für die neue Wohnung nahe.
Mit der Beschwerde sieht die Beklagte den Begriff der Notwendigkeit als vom Sozialgericht zu großzügig beurteilt an. Notwendig sei ein Umzug insbesondere dann, wenn dadurch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gefördert werde, ein rechtskräftiges Räumungsurteil vorliege, die bisherige Wohnung nicht den gesundheitlichen Anforderungen genüge, die bisherige Wohnung zu klein oder zu teuer sei oder Eheleute sich scheiden ließen. Dererlei Gründe vergleichbaren Gewichts lägen bei der Klägerin auch angesichts ihres nachvollziehbaren Interesses an einem separaten Kinderzimmer nicht vor. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Zusicherung habe nicht bestanden, dementsprechend habe die Klage auch keine Erfolgsaussicht gehabt.
Die Klägerin schließt sich der Argumentation im angefochtenen Beschluss an, beantragt eine Zurückweisung der Beschwerde sowie Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren.
Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 29.09.2006), ist teilweise erfolgreich.
Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil - hier durch einseitige Erledigungserklärung mit dem Charakter der verfahrenserledigenden Rücknahme nach § 102 SGG - beendet wird. Die Entscheidung ergeht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen, wobei die Erfolgsaussichten der Klage im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses einen geeigneten Maßstab der Entscheidung darstellen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 193 Rdnr. 13).
Im Hinblick auf die nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses nicht eindeutig zu beantwortende Frage nach den Erfolgsaussichten hält es der Senat für angemessen, die Beklagte zur Übernahme der Hälfte der außergerichtlichen erstattungsfähigen Kosten der Klägerin zu verpflichten. Die für die Erfolgsaussichten der Klage entscheidende Frage, ob der Umzug der Klägerin "erforderlich" i.S. von § 22 Abs. 2 bzw. "notwendig" i.S. von § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II war, läßt sich ohne weitere Sachaufklärung, insbesondere ohne Kenntnis des Zuschnittes der ursprünglich und nun auf Dauer von der Klägerin bewohnten Wohnung nicht beantworten. Die Argumentation des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss setzt insoweit bereits voraus, dass den Wohnbedürfnissen der Klägerin und ihres Sohnes in der ursprünglichen Wohnung nicht entsprochen werden konnte. Dies erscheint dem Senat ohne nähere Kenntnis des Zuschnittes und einer möglichen Aufteilbarkeit dieser Wohnung bereits an sich und insbesondere im Hinblick auf die spätere Aufteilung eines Zimmers zweifelhaft und weiterer Aufklärung bedürftig. Diese Sachaufklärung ist nun im Hinblick auf die Erledigung des Rechtsstreits nicht mehr nachzuholen. Vor diesem Hintergrund hält der Senat eine hälftige Kostentragung für angemessen.
Dem Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war nicht zu entsprechen, weil das Beschwerdeverfahren kostenrechtlich Teil des bereits erledigten Hauptsacheverfahrens ist. Zwar ist die Beschwerdeinstanz grundsätzlich ein besonderer Rechtsweg, in dem regelmäßig Gebühren entstehen (Nr. 3501 VV RVG, vgl. Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl., § 16 RVG Rdnr. 17). Dies gilt jedoch nicht für die Beschwerde gegen eine Kostengrundentscheidung des Sozialgerichts, weil hierbei die Beschwerdeinstanz nicht mit dem Rechtsstreit bzw. einem selbständigen Antrag befasst wird (Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 16. Aufl. 2004, § 15 RVG Rdnr. 112, Beschluss des Senats vom 14.08.2006 - L 19 B 20/06 AL -).
Dieser Beschluss ist endgültig, § 177 SGG.