Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - Az.: L 19 B 98/06 AS ER - Beschluss vom 03.03.2006
Zwar lässt das Vorhandensein ebenso wie das Fehlen sexueller Beziehungen keine zwingenden Rückschlüsse auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft zu, wenn aber ein gemeinsames Kind in einer gemeinsamen Wohnung von beiden Eltern versorgt und erzogen wird, dann müssen schon gewichtige Gründe geltend gemacht werden, warum dennoch eine bloße Wohngemeinschaft vorliegt.
Gründe:
I.
Das Verfahren betrifft die Entziehung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose.
Der 1962 geborene Antragsteller bewohnt seit Februar 2000 (nach anderen Angaben seit 1999) mit Frau C , deren 1989 geborener Tochter und einem gemeinsamen Kind - geboren am 2005 -, für das der Antragsteller und Frau J gemeinsam die elterliche Sorge ausüben (Urkunde des Jugendamtes über die Sorgeerklärung nach § 1626 a BGB vom 23. Juni 2005) gemeinsam ein Einfamilienhaus.
Im April 2002 wurde der Antragsteller arbeitslos, wobei ihm offenbar kein Anspruch auf Arbeitslosengeld zustand. Im März 2002 schloss er mit der auch im Einfamilienhaus wohnenden Mutter von Frau J einen Mietvertrag (Beginn des Mietverhältnisses am 1. April 2002, Vermietung von zwei Zimmern und Mitbenutzung von Küche etc., Miete 325 Euro bzw. 350 Euro ab 1. April 2004).
Auf seinen im Februar 2005 gestellten Antrag, in dem er keine eigene Bankverbindung, sondern das Konto von Frau C angegeben, sie jedoch nicht als Partnerin einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft benannt hatte, und einen weiteren im Juli 2005 gestellten Antrag wurden ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zunächst bis 31. August 2005 (Bescheide vom 21. April und 8. Juli 2005) und sodann bis 28. Februar 2006 (Bescheid vom 11. August 2005 und Änderungsbescheid vom 26. Oktober 2005) in Höhe von zuletzt 707,30 Euro bewilligt. Als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft wurde auch das im 2005 geborene Kind berücksichtigt. Dazu hatte der Antragsteller angegeben, er sei allein erziehender Vater.
Im Juli 2005 übersandte die Antragsgegnerin dem Antragsteller einen Fragebogen "zur Prüfung des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft". Darin gab der Antragsteller an, eine solche Gemeinschaft bestehe nicht. Wegen des Verdachts auf eine eheähnliche Gemeinschaft führte die Antragsgegnerin mehrere Hausbesuche durch, holte zur Prüfung etwaiger Unterhaltsansprüche von der als Lehrerin berufstätigen C Angaben zu deren Einkünften ein und zog vom Finanzamt Nauen einen Einkommenssteuerbescheid für 2003 von Frau S (der Mutter von C ) bei.
Mit Schreiben vom 19. Oktober 2005 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf hin, dass sie davon ausgehe, er lebe in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Frau C Sie forderte ihn unter Übersendung von Fragebögen (Zusatzblätter 2.1, 2.2, Z3 und Z4) auf, nähere Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen von Frau C zu machen. Mit Schreiben vom 7. November 2005 erfolgte eine Erinnerung mit Fristsetzung bis 24. November 2005 und dem Hinweis auf eine Einstellung der Leistung, falls die geforderten Unterlagen nicht binnen der Frist vorgelegt würden. Am gleichen Tag reichte der Antragsteller die Fragebögen an die Beklagte zurück, machte darin jedoch mit dem Hinweis, er lebe von seiner ehemaligen Lebensgefährtin C J getrennt, keine Angaben über deren Einkünfte und Vermögensverhältnisse.
Mit Bescheid vom 25. November 2005 entzog die Antragsgegnerin die bewilligten Leistungen ganz. Der Antragsteller habe trotz Fristsetzung keine Angaben über die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse von Frau J gemacht, so dass eine Bedarfsberechnung nicht möglich gewesen sei. Bei Nachholung der Mitwirkungshandlung werde geprüft, ob die Leistung ganz oder teilweise nachgezahlt werden könne.
Dagegen erhob der Antragsteller am 6. Dezember 2005 Widerspruch und beantragte am gleichen Tag beim Sozialgericht Potsdam, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 707,30 Euro, abzüglich 66 Euro, zu zahlen. Dazu hat er unter Vorlage einer Eidesstattlichen Versicherung geltend gemacht, es bestehe keine Lebensgemeinschaft mit Frau C
Mit Beschluss vom 27. Dezember 2005 hat das Sozialgericht Potsdam die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 1. Dezember 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach Maßgabe der Vorschriften des SGB II bis zur gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für 6 Monate zu gewähren. Zur Begründung der Entscheidung hat das Sozialgericht ausgeführt, der Antragsteller habe den Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da er bis 30. November 2005 Leistungen der Antragsgegnerin bezogen habe, ohne dass sie von dem Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft ausgegangen sei. Er verfüge derzeit nur über Erziehungsgeld und Unterhalt für das minderjährige Kind. Bei einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage könne gegenwärtig nicht festgestellt werden, ob der Antragsteller mit Frau J in einer Bedarfsgemeinschaft lebe. Es seien zwar Anhaltspunkte für das Bestehen einer solchen Gemeinschaft vorhanden, dagegen spreche aber die Angabe des Antragstellers, er lebe getrennt von seiner ehemaligen Lebensgefährtin. Falls diese nunmehr nur noch Mitbewohnerin sei, bestehe keine Verpflichtung zur Mitteilung ihrer persönlichen Verhältnisse.
Gegen den ihr am 5. Januar 2006 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der am 25. Januar 2006 eingegangenen Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Sie macht geltend, es sei vom Vorhandensein einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen, weshalb der Antragsteller verpflichtet sei, die geforderten Unterlagen einzureichen. Wegen fehlender Mitwirkung habe die Leistung nicht berechnet werden können, so dass eine Leistungseinstellung habe erfolgen dürfen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts spräche eine Vielzahl von Indizien hier für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft.
Der Antragsteller und Beschwerdegegner hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Es sprächen keine tragfähigen Indizien für eine eheähnliche Gemeinschaft. Es herrsche insbesondere eine strikte Trennung der Wohnbereiche. Dass die Küche gemeinschaftlich genutzt werde, sei unbedeutend. Ein gemeinsames Kind sei kein Indiz für eine Lebensgemeinschaft. Es werde bestritten, dass das Kind zusammen mit Frau J betreut werde. Auch erfolgten Einkäufe etc. nicht gemeinsam. Schließlich spreche auch die Dauer des "Zusammenlebens" nicht für eine Lebensgemeinschaft, denn nirgends stehe geschrieben, dass man die "Behausung" wechseln müsse, wenn man sich von seinem Lebenspartner trenne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2006 wurde der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 25. November 2005 zurückgewiesen.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat dem Antrag - und auch darüber hinaus gehend - zu Unrecht entsprochen.
Der einstweilige Rechtschutz richtet sich im vorliegenden Verfahren nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - (zumindest missverständlich insoweit das Sozialgericht, das sich auch auf die Norm des § 86 b Abs. 2 SGG bezieht), da eine bereits bewilligte Leistung durch Verwaltungsakt entzogen wurde, so dass die - alleinige - Anfechtungsklage in der Hauptsache die richtige Klageart wäre. Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Entziehungsbescheid hat keine aufschiebende Wirkung nach § 86 a Abs. 1 SGG, da ein Fall des § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG vorliegt. Danach entfällt die grundsätzlich durch Widerspruch und Anfechtungsklage eintretende aufschiebende Wirkung in den durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Ein solches Gesetz stellt § 39 Sozialgesetzbuch 2. Buch - SGB II - dar. Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung. Eine Entscheidung über eine solche Leistung liegt hier vor, denn die Beklagte hat im Bescheid vom 25. November 2005 die materielle Anspruchsberechtigung oder zumindest den sich daraus konkretisierenden Zahlungsanspruch des Antragstellers ganz verneint und dadurch einen Rechtsbestand des Adressaten tangiert.
Bei der Entscheidung über die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes nach § 86 b Abs. 1 SGG ist von den Gerichten eine Interessenabwägung durchzuführen. Maßstab sind einerseits die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und anderseits die wirtschaftliche Bedeutung der fraglichen Leistungen für den Empfänger. Hierbei ist insbesondere eine Folgenabwägung durchzuführen. Handelt es sich wie hier um Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen und damit das Existenzminimum absichern, muss die überragende Bedeutung dieser Leistung für den Empfänger mit der Folge beachtet werden, dass ihm im Zweifel die Leistung - ggf. vermindert auf das absolut erforderliche Minimum - aus verfassungsrechtlichen Gründen vorläufig zu gewähren ist.
Im vorliegenden Verfahren ist nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen, dass die Leistungsbewilligung von der Antragsgegnerin zu Recht wegen fehlender Mitwirkung des Antragstellers nach § 66 Abs. 1 i.V.m. § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 1. Buch - SGB I - entzogen wurde. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller verschiedene Fragebögen zugesandt mit der Aufforderung, diese in Bezug auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der C auszufüllen. Es wurden ihm die Gründe für dieses Verlangen mitgeteilt und er wurde unter Setzung einer Frist auf die Folgen fehlender Mitwirkung (Versagung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes) hingewiesen. Der Antragsteller hat zwar die Fragebögen innerhalb der gesetzten Frist zurückgesandt, sie jedoch nicht mit den erforderlichen Angaben versehen. Er war nicht berechtigt, Angaben über Frau C zu unterlassen. Nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind. Erheblich sind die geforderten Angaben hier aufgrund der Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II. Danach ist bei Personen, die in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben auch das Einkommen und Vermögen des Partners bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit zu berücksichtigen. Auch bei der im einstweiligen Rechtschutzverfahren nur eingeschränkt möglichen Prüfung ist hier mit großer Gewissheit davon auszugehen, dass der Antragsteller und Frau C J eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II bilden, wobei sich - mangels entsprechender Angaben des Antragstellers - nicht feststellen lässt, ob deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse ausreichen, um den Gesamtbedarf zu decken.
Eine eheähnliche Gemeinschaft ist allein die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die daneben keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt und sich - im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft - durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen des Paares für einander begründen, also über eine reine Haushalts- und Wirtschafts- bzw. Wohngemeinschaft hinausgeht. Kriterien für die Ernsthaftigkeit einer Beziehung im vorbezeichneten Sinne sind insbesondere deren Dauerhaftigkeit und Kontinuität und eine bestehende Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft, daneben aber auch weitere Umstände, wie etwa die gemeinsame Versorgung von Angehörigen oder gemeinsamen Kindern (vgl. BVerfG Urteil vom 17. November 1992, 1 BvL 8/87, BVerfGE 87, 234, 264).
Dass von einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft auszugehen ist, belegen eine Vielzahl von Indizien. Der Antragsteller wohnt seit 1999 bzw. Anfang 2000 mit Frau J in einem Einfamilienhaus. Bei den nach seinen Angaben von ihm genutzten Räumlichkeiten handelt es sich nicht etwa um eine separat zugängliche und abgeschlossene Einliegerwohnung, sondern um ein nur über den gemeinschaftlich genutzten Eingang sowie Flur und Küche zu erreichendes Wohn- und Schlafzimmer, das zur Küche hin offenbar nicht vollständig abgetrennt, sondern mit einer offenen Wendeltreppe versehen ist. Dieses Zimmer ist zudem ein Durchgangszimmer, dessen Durchquerung zum Erreichen der beiden Kinderzimmer (für das gemeinsame Kind mit Frau J und für deren weiteres Kind) erforderlich ist. Diese Wohnverhältnisse sprechen eindeutig gegen eine bloße Wohngemeinschaft. Der Senat hält es auch für unglaubhaft, dass der Antragsteller für diese Räumlichkeiten entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen Miete an Frau S zahlt. Die Antragsgegnerin hat bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass der Abschluss des Mietvertrages genau zu der Zeit erfolgte, als bedarfsabhängige Sozialleistungen vom Antragsteller beantragt wurden. Es liegen auch widersprüchliche Angaben zur Höhe der Miete vor. Während der Mietvertrag seit April 2004 eine Nettokaltmiete von 350 Euro ausweist, wurden bei der Antragstellung im Februar 2005 190 Euro Miete geltend gemacht. Auffällig ist auch, dass die Vermieterin keinerlei Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gegenüber den Finanzbehörden angegeben hat, was aus dem Einkommenssteuerbescheid für 2003 ersichtlich ist. Ein ganz wesentliches Indiz für das Bestehen einer über eine bloße Zweckgemeinschaft hinausgehenden Lebenspartnerschaft ist auch darin zu sehen, dass bei der Antragstellung ein Konto der Frau C zum Empfang der Sozialleistungen angegeben wurde. Erst nachdem die Antragsgegnerin im Juli 2005 Ermittlungen in Bezug auf eine eheähnliche Gemeinschaft vornahm, machte der Antragsteller praktisch zeitgleich geltend, dass er nunmehr über keine Bankverbindung mehr verfüge. Wichtige Hinweise auf das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft bieten auch die Angaben der vom Außendienst der Antragsgegnerin befragten Nachbarn. Danach findet ein gemeinsamer Einkauf, eine gemeinsame Betreuung der Kinder und eine gemeinsame Freizeitgestaltung des Antragstellers mit Frau C statt. Auch wenn die Richtigkeit dieser Angaben vom Antragsteller bestritten wird, können sie im vorläufigen Rechtschutzverfahren als - weiteres - Indiz berücksichtigt werden. Ein solches und zwar sehr gewichtiges Indiz für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft ist auch die im 2005 erfolgte Geburt eines gemeinsamen Kindes, für das das Sorgerecht gemeinsam ausgeübt wird (zur eheähnlichen Lebensgemeinschaft bei langem Zusammenwohnen und der Versorgung eines gemeinsamen Kindes vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 15. September 2005 - L 14 B 47/05 AS ER). Es ist völlig lebensfremd anzunehmen, dass Personen nach der Beendigung einer Partnerschaft im März 2002 noch vier Jahre unter den bereits beschriebenen Umständen gemeinsam wohnen (und das, obwohl der Antragsteller während dieses Zeitraumes auch berufstätig war und Einkünfte, die eine eigene Wohnung ermöglicht hätten, erzielte). Zwar lässt das Vorhandensein ebenso wie das Fehlen sexueller Beziehungen keine zwingenden Rückschlüsse auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft zu, wenn aber ein gemeinsames Kind in einer gemeinsamen Wohnung von beiden Eltern versorgt und erzogen wird, dann müssen schon gewichtige Gründe geltend gemacht werden, warum dennoch eine bloße Wohngemeinschaft vorliegt (vgl. insoweit auch Bayrisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. Juni 2005 - L 11 B 226/05 AS ER - zitiert nach der Entscheidungsdatenbank Tacheles EV). Der Antragsteller hat jedoch keine plausiblen Gründe dargelegt, die dafür sprechen, dass das Zusammenwohnen eine reine Zweckgemeinschaft ist.
Auch die übrigen Voraussetzungen für eine Entziehung liegen vor. Die geforderten Angaben gehen nicht über die in § 65 SGB I genannten Grenzen der Mitwirkung hinaus. Zu den Mitwirkungspflichten gehören auch Auskünfte, die einen Dritten betreffen, soweit sie - wie hier - für die Gewährung der Leistung von Bedeutung sind (Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 25. Oktober 1988, 7 RAr 70/87 und Urteil vom 10. März 1993 14 b/4 Reg 1/91). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Beschaffung der geforderten Informationen für den Verpflichteten ohne weiteres möglich ist. Davon ist hier auszugehen. Der Antragsteller hat zudem nicht geltend gemacht, dass er die geforderten Auskünfte etwa deshalb nicht erteilen kann, weil er keine Kenntnisse über die wirtschaftlichen Verhältnisse von Frau J hat. Die fehlenden Angaben haben auch die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert. Dem steht nicht entgegen, dass Frau J bereits durch Übersendung einer Verdienstbescheinigung Angaben zu ihren Einkünften gemacht hat. Denn ihre Bezüge sind jedenfalls nicht so hoch, dass auch bei Abzug der möglichen Absetzungen ein Bedarf der Gemeinschaft offensichtlich nicht besteht. Deshalb waren genaue Angaben zu den in den Formularen genannten Fragen erforderlich, insbesondere zu etwa vorhandenem und die Bedürftigkeit ausschließendem Vermögen. Die im Rahmen einer Entziehungsentscheidung erforderliche Ermessensausübung ist von der Antragsgegnerin im Widerspruchsbescheid jedenfalls nachgeholt worden. Im Übrigen dürfte hier auch eine so genannte Reduzierung des Ermessens auf Null vorliegen. Weil die Vermögensverhältnisse der Bedarfsgemeinschaft ungeklärt sind und deshalb zweifelhaft ist, ob überhaupt ein Anspruch auf Leistungen zusteht, kam nur eine völlige Entziehung in Betracht (vgl. BSG 7 RAr 70/87).
Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die einstweilen begehrte Leistung der Existenzsicherung dient, konnte der Antrag keinen Erfolg haben. Obdachlosigkeit kann hier nicht ernsthaft drohen. Denn es liegt auch im Interesse der C J, dass ihr leibliches Kind, für das ihr nicht nur das - gemeinsame - Sorgerecht, sondern auch die damit verbundenen Pflichten zukommen, ebenso wie der das Kind versorgende Antragsteller nicht wohnungslos werden. Zudem erhält der Antragsteller Erziehungsgeld (300,- EUR monatlich) sowie Kindergeld und Unterhalt von C J für das Kind.
Da eine vollständige Aufhebung der Entscheidung des Sozialgerichts schon aus den genannten Gründen gerechtfertigt war, brauchte nicht mehr geprüft zu werden, ob das Sozialgericht auch gegen § 123 SGG verstoßen hat, weil es bei der Verpflichtung der Antragsgegnerin sowohl hinsichtlich des Leistungszeitraumes als auch der Leistungshöhe über den eindeutigen Antrag des Antragstellers hinaus gegangen ist. Zudem weist der Senat darauf hin, dass im einstweiligen Rechtschutzverfahren in der Regel eine Verpflichtung zur Leistungsgewährung im vollen Umfang nicht auszusprechen ist, da anderenfalls eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache einträte. Jedenfalls dann, wenn nicht unerhebliche Zweifel daran bestehen, dass der geltend gemachte Anspruch voraussichtlich auch im Hauptsacheverfahren bestätigt wird, sind die Leistungen auf das unabdingbar notwendige Maß zu beschränken. Ein Maßstab dafür ist aus § 31 Abs. 3 Satz 3 SGB II zu gewinnen, wonach bei einer Kürzung des Regelsatzes um mehr als 30% ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erwägen sind. Bei fraglichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache erscheint daher die vorläufige Verpflichtung zur Erbringung eines auf 70 % gekürzten Regelsatzes angemessen (vgl. auch dazu LSG Berlin L 10 B 44/05 AS ER).
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).