Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - Az.: L 1 KR 28/03 - Urteil vom 20.01.2006
Eine Klage, die sich allein gegen eine angeblich mangelhafte Untersuchung und angeblich ungerechte und fehlerhafte Entscheidung des MDK ist nicht zulässig.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die aus seiner Sicht unzureichende Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 30. November 2000 und angeblich fehlerhafte Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit.
Der 1957 geborene Kläger war seit langer Zeit arbeitslos. Er ist bei der Beklagten versichert. Der Kläger leidet an Asthma bronchiale. Er führt dies auf seine frühere Tätigkeit in einer Druckerei zurück. Eine Anerkennung als Berufskrankheit scheiterte jedoch (Verfahren SG Berlin S 8 U 1069/95 und LSG Berlin 3 U 83/98, vgl. Urteil vom 26. April 2001). Der Kläger hatte jedenfalls zur fraglichen Zeit 2000/2001 auch Beschwerden aufgrund Verschleißerscheinung der Wirbelsäule, Schmerzen in den Beinen und einen Meniskusschaden. Er litt auch unter Anfällen mit Bewusstlosigkeit, einem neurasthenischen Syndrom, Gastritis und Hämorrhoiden. Aufgrund der verschiedenen Krankheiten und Beeinträchtigungen ist ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt worden. Im Herbst und Winter 2000 bis 2001 bezog der Kläger ohne Unterbrechung Arbeitslosenhilfe. Am 16. November 2000 schrieb ihn sein behandelnder Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S arbeitsunfähig krank. Am 28. November 2000 teilte Dr. S im Bericht für den MDK mit, die Arbeitsunfähigkeit dauere an. Am 30. November 2000 untersuchte die Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. S den Kläger für den MDK. Sie kam zu dem Ergebnis der Arbeitsfähigkeit ab 16. Dezember 2000. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2000 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er ab 16. Dezember 2000 auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 14. Dezember 2000 Widerspruch und legte ein Widerspruchsschreiben des Dr. S bei. Darin heißt es, beim Kläger bestünden seit 1994 Anfälle mit Bewusstlosigkeit, außerdem ein neurasthenisches Syndrom mit Spannungen, Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten und Vergesslichkeit. Zudem leide er unter Asthma bronchiale. Er sei nach wie vor beruflich nicht belastbar. Die Beklagte legte den ärztlichen Widerspruch dem MDK vor. Dieser teilte am 22. Dezember 2000 mit, es bestehe mit Sicherheit ein Restleistungsvermögen. Der ärztliche Widerspruch berufe sich nicht auf objektivierbare Kriterien sondern wiederhole im Wesentlichen lediglich Beschwerdeangaben des Klägers.
Mit Schreiben vom 1. Januar 2001 informierte der Kläger die Beklagte über die Einzelheiten seiner Beschwerden und Krankheiten. Von den Nebenwirkungen des Schmerzmittels, welches er gegen die immer stärker auftretenden krampfartigen Schmerzen in den Beinen verschrieben bekommen habe, habe die Ärztin nichts hören wollen. Auch wegen seiner weiteren chronischen Krankheiten (Asthma, Rückenprobleme, Meniskusschaden, Magengeschwür, psychonegetatives Syndrom usw.) könne er jeder Zeit krankgeschrieben werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 16. Februar 2001 Klage erhoben.
Die Landesversicherungsanstalt Berlin hat mit Bescheid vom 20. Dezember 2001 einen Antrag des Klägers vom 30. August 2001 auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung abgelehnt, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege. Gegen diesen Bescheid ist mittlerweile die Klage in zweiter Instanz vor dem LSG Berlin-Brandenburg anhängig (L 4 RJ 56/04). Ebenfalls in zweiter Instanz anhängig ist zur Zeit die Klage des Klägers gegen die Feststellung der Arbeitsfähigkeit ab 1. August 2001 durch die Beklagte mit Bescheid vom 26. Juli 2001 (L 9 KR 71/05 NZB).
Im hiesigen Verfahren hat der Kläger vor dem Sozialgericht vorgebracht, die Untersuchung durch die MDK-Ärztin sei unzureichend gewesen. Außerdem könnten Ärzte generell nicht im Voraus wissen, ob jemand in zwei Wochen geheilt sein werde. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2001 hat der Kläger mitgeteilt, er begehre nicht die Differenz zwischen Krankengeld und Arbeitslosenhilfe, sondern klage gegen die mangelhafte Untersuchung und ungerechte und fehlerhafte Entscheidung des MDK. Auch mit Schreiben vom 30. April 2002 hat er durch seinen Bevollmächtigten erklärt, es gehe ihm nicht um eine Zahlungsverpflichtung der AOK sondern um die unrichtige Stellungnahme des Medizinischen Dienstes. Diese erschwere ihm, seine rentenrechtlichen Ansprüche zu verwirklichen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, den Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2001 zu ändern und (auf) "weitere Krankschreibungen vom behandelnden Arzt zu erkennen".
Mit Gerichtsbescheid vom 14. April 2003 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Das klägerische Begehren sei durch Auslegung zu ermitteln. Dem Kläger gehe es nicht um einen Anspruch auf Krankengeld oder eine sonstige Zahlungsverpflichtung der Beklagten. Er wende sich vielmehr zum einen gegen die von der MDK-Ärztin vorgenommene Feststellung der Arbeitsfähigkeit ab einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt. Zum anderen halte er sich über den 15. Dezember 2000 hinaus für arbeitsunfähig. Die Klage hinsichtlich des ersten Begehrens sei bereits unzulässig. MDK-Feststellungen seien als der Beklagten zurechenbare Verfahrenshandlungen nicht isoliert anfechtbar.
Die Klage sei auch unzulässig, soweit der Kläger Arbeitsunfähigkeit über den 15. Dezember 2000 hinaus erreichen wolle. Es fehle das Rechtschutzbedürfnis. Es sei nicht erkennbar, wie sich die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers verbessern könnte, wenn die Arbeitsunfähigkeit feststünde.
Gegen diesen Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner (rechtzeitigen) Berufung. Das Urteil enthalte falsche und fehlerhafte Angaben. So seien seine Krankheiten und seine Leiden nicht vollständig aufgezählt worden und der Sachverhalt nicht aufgeklärt. Im Zusammenhang mit der Untersuchung am 30. November 2000 sei der von ihm aufgeworfene Fragenkatalog nicht abgearbeitet worden.
Ferner sei sein Begehren missverstanden worden. Er habe "ganz deutlich und verständlich erläutert, den Krankenzustand, die festgestellten Leiden und Krankschreibungen der behandelnden Ärzte anzuerkennen". Durch die Vorgehensweise des MDK seien ihm unnötige Probleme und Schäden entstanden. So habe er sich wieder arbeitslos melden und Bemühungen um Arbeitssuche nachweisen müssen. Auch hätten andere Gutachter einen negativen Eindruck von ihm. Es sei falsch, dass sich durch die Klage seine rechtliche und wirtschaftliche Lage nicht verbessere, so klage er im Parallelverfahren Leistungsansprüche auf Krankengeld ein. Der Richter verhalte sich unkorrekt. Gleiches gelte für die Beklagte, die ihm mittlerweile Versichertenkarten als Rentner geschickt habe, weshalb Arbeitsunfähigkeitsschreibungen nicht mehr möglich seien. Schließlich beabsichtige er, Schadensersatzansprüche zu erheben.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 14. April 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. Dezember 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2001 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger über den 15. Dezember 2000 hinaus arbeitsunfähig gewesen sei, und den Krankenzustand des Klägers anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung bereits für unzulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie
die Akte der Beklagten verwiesen. Vorgelegen haben außerdem die den Kläger
betreffende Leistungsakte des Arbeitsamtes Berlin-Nord sowie die Gerichtsakten
des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg L 4 RJ 56/04 sowie L 9 KR 71/05 NZB.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Kläger ist beschwert und hat deshalb ein Rechtsschutzinteresse für die Rechtsmittelinstanz (vgl. ebenso Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer - Meyer-Ladewig, SGG, vor § 143 Randnr. 5), auch wenn die Klage selbst unzulässig ist. Der Antrag des Klägers entspricht dem bereits in erster Instanz Begehrten.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Ihr fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Sollte sich der Kläger isoliert gegen die angeblich unzulänglichen Untersuchungsmethoden und Feststellung künftiger Arbeitsfähigkeit durch die Ärztin des MDK wenden wollen, stünde einer Klage - wie im Gerichtsbescheid zutreffend ausgeführt - der allgemeine Rechtsgrundsatz des § 44 a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entgegen, der die isolierte Anfechtung behördlicher Verfahrenshandlungen, die nur den Bescheid vorbereiten, ausschließt (ebenso BSG SozR 1500 § 144 Nr. 39 S. 69f; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer - Keller a. a. O. § 54 Randnr. 8e).
Eine Verpflichtungsklage auf Zahlung von Krankengeld bzw. eines Differenzbetrages zur Arbeitslosenhilfe hat der Kläger ausdrücklich nicht erhoben.
Soweit er im Berufungsverfahren erstmals auf den Vorteil der Krankschreibung für ihn abstellt, sich nicht um Arbeit bemühen zu müssen, ist das Begehren jedenfalls erledigt.
Wird die Klage als auf Feststellung der Beklagten gegenüber auslegt, dass über den 15. Dezember 2000 hinaus Arbeitsunfähigkeit bestanden hat, fehlt es am erforderlichen berechtigten Interesse im Sinne des § 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bzw. § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG analog:
Für ein (Fortsetzungs-) Feststellungsinteresse müsste die angestrebte Entscheidung die Lage des Klägers verbessern können (BSGE 79, 33,34; BSG SozR 4100 § 91 Nr. 5 S. 13). Daran fehlt es. Das hiesige Verfahren hat keine Auswirkungen auf das bestehende oder etwaige künftige Rentenverfahren. Dort ist bzw. wäre die Krankenkasse nicht einmal Beklagte. Entsprechendes würde auch für Streitigkeiten im Zusammenhang mit den Pflichten des Klägers als Arbeitsloser gelten, Arbeitsbemühungen vorzuweisen.
Aus der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ab 16. Dezember 2000 folgte auch nichts für ähnliche Streitigkeiten mit der Beklagten, die spätere Zeiträume betreffen, insbesondere nicht für das Verfahren, welches dem Rechtsstreit LSG Berlin-Brandenburg L 9 KR 71/05 NZB zugrunde liegt. Es gibt keinen rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang.
Die begehrte Feststellung der Arbeitsunfähigkeit über den 15. Dezember 2001 hinaus hätte schließlich auch keine Bedeutung für künftige Stellungnahmen und Begutachtungen durch den MDK, da es sich um einen singulären Vorgang gehandelt hat. Überdies sind die Ärzte des Medizinischen Dienstes bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nach § 275 Abs. 5 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen. Auch deshalb folgten aus der begehrten Feststellung keine konkreten Handlungsgebote für künftige Untersuchungen des Klägers, wenn die Unzulänglichkeit der Untersuchung und Prognose am 30. November 2000 festgestellt würde.
Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.