Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - Az.: L 1 KR 7/03 - Urteil vom 25.11.2005
Nur wenn eine Überdeckung des Hörgeräusches mit der Hörhilfe allein nicht zu erzielen ist, kann der Einsatz eines kombinierten Tinnitusmaskers/ Hörgerätes erwogen werden.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch auf Versorgung mit Batterien für Hörgeräte mit integrierten Tinnitusmaskern.
Der 1946 geborene Kläger ist nach seinen Angaben seit einem Unfall 1996 auf dem linken Ohr nahezu taub, auf dem rechten 30 - 40 % schwerhörig. Außerdem leidet er an einem Tinnitus, links mehr als rechts. Das Ohrgeräusch sei links stetig vorhanden, rechts wechselnd, vor allem in der Stärke. Seitdem trage er auf jedem Ohr ein Hörgerät mit jeweils fest integriertem Tinnitusmasker. Tinnitusmasker sind akustische Apparate, die ein Rauschen in den äußeren Gehörgang abgeben. Dadurch soll ein chronisches, therapieresistentes Ohrgeräusch verdeckt und/oder partiell oder vollständig gehemmt werden. Dazu hat der Kläger vorgetragen, er habe den Masker links ständig eingeschaltet, rechts etwa die Hälfte der Tageszeit. Nachts seien beide Masker ständig eingeschaltet. Dies diene ihm dann als Ein- und Durchschlafhilfe. Für den Betrieb beider Hörgeräte einschließlich Tinnitusmasker benötige er alle 2 bis 3 Tage zwei neue Batterien.
Im September 2001 beantragte der Kläger bei seiner Krankenversicherung, der Beklagten, die Erstattung der Kosten für die von ihm benötigten Hörgerätebatterien, vorerst für das vergangene Jahr und das erste Halbjahr 2001. Immerhin mache dies eine Summe von rund 50 DM monatlich aus.
Durch Bescheid vom 1. Oktober 2001 - bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 20. März 2002 - lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für die Energieversorgung seiner Hörgeräte ab. Bei der Versorgung mit Hörgerätebatterien für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten, sei die Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis ausgeschlossen.
Dagegen erhob der Kläger die auf Erstattung der Kosten für Hörgerätebatterien nunmehr bereits ab Juni 1997, hilfsweise ab Antragstellung in Höhe von 25,00 EUR pro Monat und Übernahme der Kosten für die Zukunft gerichtete Klage zum Sozialgericht (SG) Berlin.
Das SG wies die Klage durch Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2003 ab. Der Leistungsausschluss für die Energieversorgung bei Hörgeräten für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten, sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung rechtmäßig. Der Verordnungsgeber sei insoweit zu Recht von geringen Kosten ausgegangen, wobei er durchschnittliche Kosten habe zugrunde legen können. Danach komme es auf die Kosten im Einzelfall, die je nach Hörgerätetyp, Anzahl der Hörgeräte (ein- oder beidohrige Versorgung), Dauer und Häufigkeit der Benutzung, Batterietyp und Art der Bezugsquelle sehr unterschiedlich sein könnten, nicht an. Eine soziale Härteklausel für Einzelfälle mit mehr als nur geringen Kosten sei entsprechend dem Willen des Gesetzgebers nicht vorgesehen. Auch komme es nicht darauf an, dass das Hörgerät für zwei Funktionen benutzt werde, zumal selbst der Tinnitusmasker - indem er die Tinnitusgeräusche unterdrücke - zugleich dazu diene, dass der Betroffene besser höre. Der Energieverbrauch ausschließlich für die Mitbenutzung des Tinnitusmaskers dürfte sich zudem nur schwer feststellen lassen.
Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen die Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf seinen Fall. Bei ihm gehe es nicht nur um Hörgeräte, sondern um mit Tinnitusmaskern verbundene Hörgeräte. Ein Tinnitusmasker könne einem Hörgerät nicht allein deshalb gleichgesetzt werden, weil er in einem gleichen Gehäuse Platz finde. Die Funktion eines Tinnitusmaskers sei eine grundlegend andere als die eines Hörgerätes. Der Tinnitusmasker sei ein eigenständiges Hilfsmittel und könne nicht nur in Kombination mit einem Hörgerät sondern auch losgelöst von diesem eingesetzt werden. Ein Tinnitusmasker "für sich alleine" werde von den Krankenkassen als Hilfsmittel anerkannt und folglich die Kosten für dessen Betrieb erstattet. Von daher sei nicht einzusehen, warum bei einem Kombinationsgerät nicht zumindest die anteiligen Kosten - also rund 50 % - zu übernehmen seien. Die bei ihm für Hörgerätebatterien entstehenden Kosten lägen weitaus höher als diejenigen, die den vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen Fällen zugrunde gelegen hätten. Solche unterschiedlichen Sachverhalte könnten nicht gleich behandelt werden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2003 sowie den Bescheid vom 1. Oktober 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für Hörgerätebatterien ab Juni 1997 in Höhe von 25,00 EUR pro Monat zu erstatten bzw. für die Zukunft zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
(einschließlich der Akte des SG - S 89 KR 644/02 -) und die Verwaltungsakte der
Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, die Kosten des Klägers für Hörgerätebatterien zu übernehmen. Deshalb braucht nicht weiter darauf eingegangen zu werden, inwieweit die geänderte Klage überhaupt zulässig war.
Die auf § 34 Abs. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) V beruhende Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung (KVHilfsmV - nachfolgend VO -) vom 13. Dezember 1989 (BGBl. I 2237) schließt in § 2 als sächliche Mittel mit geringem Abgabepreis u. a. die in Nr. 11 angeführte "Energieversorgung bei Hörgeräten für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben" von der Leistungspflicht aus.
Entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich bei seinen Kombinationsgeräten um Hörgeräte im Sinne des § 2 Nr. 11 VO. Dies folgt daraus, dass Kombinationsgeräte jedenfalls auch und vor allem Hörgeräte sind. Dies gilt zum einen deshalb, weil Kombinationsgeräte schon allein in ihrer Funktion als Hörgeräte zugleich geeignet sind, der Tinnitusmaskierung zu dienen (vgl. die Hilfsmittel-Richtlinien F. 68). Nur wenn eine Überdeckung des Hörgeräusches mit der Hörhilfe allein nicht zu erzielen ist, kann der Einsatz eines kombinierten Tinnitusmaskers/ Hörgerätes erwogen werden (vgl. a.a.O.). Zum anderen sind Kombinationsgeräte selbst hinsichtlich ihrer Funktion als Tinnitusmasker nicht nur - wie der Kläger betont - eine der Hörfunktion gewissermaßen entgegengesetzte Funktion auszuüben bestimmt sondern haben zugleich auch die Aufgabe, die Hörfunktion der Hörgeräte zu verbessern. Bei all dem ist nicht zu verkennen, dass die Tinnitusmasker mit den Hörgeräten fest verbunden sind, ohne diese nicht betrieben werden können und die jeweils eine Einheit bildenden Geräte durch ein und dieselbe Energiequelle (Batterie) versorgt werden. Eben deshalb hat die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren gestellte Frage nach dem Stromverbrauch der Tinnitusmasker des Klägers nicht beantwortet werden können. Die Akustiker des Klägers konnten lediglich Angaben zum Stromverbrauch der Geräte machen, also der Hörgeräte samt eingebautem Tinnitusmasker, nicht aber gesondert zum Stromverbrauch der Tinnitusmasker als solcher. Allein schon deshalb könnte die Energieversorgung der Tinnitusmasker des Klägers keiner von der Energieversorgung seiner Hörgeräte gesonderten rechtlichen Beurteilung unterzogen werden.
Wenn die Krankenkassen nach dem Vortrag des Klägers demgegenüber hinsichtlich der Folge-Betriebskosten von Tinnitusmaskern als Einzelgeräten nicht nach der VO vom 13. Dezember 1989 verfahren, sondern diese Kosten übernehmen, so folgt dies aus den Grenzen, die den Kassen aus dem - bisher nicht angepassten - Wortlaut der VO gesetzt sind. Die Energieversorgung bei Tinnitusmaskern (als Einzelgeräten) lässt sich - anders als die Energieversorgung bei Kombinationsgeräten - nicht, jedenfalls nicht ohne weiteres, der in § 2 Nr. 11 VO angeführten "Energieversorgung bei Hörgeräten " unterordnen, auch wenn Tinnitusmasker selbst als Einzelgeräte nach den Hilfsmittel-Richtlinien immerhin zu den "Hörhilfen" gehören.
Handelt es sich nach allem aber jedenfalls bei den Kombinationsgeräten des Klägers um Hörgeräte im Sinne des § 2 Nr. 11 VO, so gehört die Energieversorgung dieser Geräte auch zu den sächlichen Mitteln mit geringem Abgabepreis, die von der Hilfsmittelversorgung ausgeschlossen sind.
Entgegen der Darstellung des Klägers kommt es diesbezüglich nicht auf die laufenden Kosten der Energieversorgung im Einzelfall sondern auf die durchschnittlichen Kosten aller Hörgeräteträger im Bundesgebiet an. Das hat die - dem Kläger im Übrigen bekannte und schon vom SG dargelegte - Rechtsprechung überzeugend herausgearbeitet. Darauf wird verwiesen (BSG-Urteil vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - = SozR 3 - 2500 § 34 Nr. 4 in Bestätigung des BSG-Urteils vom 08.06.1994 - 3/1 RK 54/93 - = SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 9). Der Verordnungsgeber durfte davon ausgehen, dass die durchschnittlich im Monat für die Versorgung mit Hörgerätebatterien anfallenden Kosten gering sind. Es besteht auch kein Anhalt dafür, dass diese (durchschnittlichen) Kosten zwischenzeitlich die Grenze des geringen Abgabepreises überschritten haben. Das hat das SG zutreffend dargelegt. Auch darauf wird verwiesen (Bestellung im Versandhandel oder über das Internet).
Im Übrigen hat schon der Gesetzgeber selbst den Abgabepreis von Ersatzbatterien für Hörgeräte als gering angesehen. Dies folgt zwar nicht denknotwendig aber doch vom Schwergewicht ihrer Gründe aus der für Jugendliche getroffenen Regelung des § 34 Abs. 4 Satz 3 SGB V. Danach gilt die Ermächtigung, Hilfsmittel von geringem Abgabepreis aus der Leistungspflicht der Krankenkassen auszunehmen, ausdrücklich nicht für die Instandsetzung von Hörgeräten und ihre Versorgung mit Batterien bei Versicherten, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Das BSG hat dazu dargelegt, bei Ersatzbatterien handele es sich um einen gebräuchlichen Artikel, dessen Abgabepreis im Versandhandel allgemein bekannt oder doch leicht festzustellen sei. Es spreche nichts dafür, dass der Gesetzgeber insoweit noch weitere Ermittlungen zum Abgabepreis als erforderlich angesehen habe. Hätte er den Abgabepreis als nicht gering gewertet, so hätte es der Einschränkung der Ermächtigung hinsichtlich der Jugendlichen nicht bedurft (SozR 3 - 2500 § 34 Nr. 4 Seite 22). Diese Auslegung der für Jugendliche getroffenen Regelung hat jedenfalls solange zu gelten wie die wirklichen durchschnittlichen Kosten für Hörgerätebatterien die Grenze des geringen Abgabepreises nicht eindeutig übersteigen. Von letzterem ist - wie schon gesagt - auszugehen (vgl. BSG a.a.O. Seite 23).
Schließlich lässt sich der Anspruch des Klägers auch nicht aus Härtegründen herleiten. Eine soziale Härteklausel ist nicht vorgesehen. Das ist - wie das BSG überzeugend im Einzelnen dargelegt hat und worauf verwiesen wird - nicht verfassungswidrig (BSG a.a.O. Seite 23 f), insbesondere auch kein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip. Dieses Prinzip muss lediglich gewährleisten, dass die im Einzelfall zur Führung eines menschenwürdigen Lebens erforderliche Leistung überhaupt zur Verfügung gestellt wird, notfalls im Wege der Sozialhilfe. Aus ihm lässt sich indes nicht herleiten, dass alle wirtschaftlich unzumutbaren Folgen gesundheitlicher Störungen allein durch die gesetzliche Krankenversicherung ausgeglichen werden (BSG a.a.O. Seite 25).
Die Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.