Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 1 SV 1/12 B - Beschluss vom 21.03.2014
Ein ehrenamtlichen Richter erhält bei Heranziehung zu den richterlichen Aufgaben Entschädigung nach Maßgabe des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG). Eine Entschädigung für Verdienstausfall (§ 18 JVEG) steht ihm nur zu, wenn ein Verdienstausfall auch eintritt. Das ist nicht der Fall, wenn es dem ehrenamtlichen Richter möglich ist, die wegen Heranziehung zu richterlichen Aufgaben versäumte Arbeitszeit nachzuarbeiten. Dann hat er nur Anspruch auf Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 16 JVEG).
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Festsetzung einer höheren Entschädigung für ihre Tätigkeit als ehrenamtliche Richterin.
Die Antragstellerin war bis zum 31. März 2013 bei der Sp. M. beschäftigt. Ihre Sollarbeitszeit betrug 40 Stunden in der Woche. Diese Sollarbeitszeit war innerhalb der täglichen Rahmenarbeitszeit von 7.00 bis 20.00 Uhr zu erbringen.
Am 21. Januar 2011 nahm die Antragstellerin als ehrenamtliche Richterin an der Sitzung der 10. Kammer des Sozialgerichts Halle teil. Die Anreise zur Sitzung trat sie um 7.30 Uhr an. Um 13.30 Uhr kehrte sie zurück. Mit gerichtlichem Schreiben vom 25. Januar 2011 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass die Entschädigung auf 63,00 EUR festgesetzt werde. Neben der Fahrkostenentschädigung werde eine Entschädigung nach § 16 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) für 6 Stunden zu je 5,00 EUR gewährt. Eine Entschädigung nach § 17 JVEG scheide aus, da diese nur für Personen bestimmt sei, die nicht erwerbstätig oder teilzeitbeschäftigt seien. Die Antragstellerin habe die Möglichkeit, die gerichtliche Festsetzung zu beantragen. Am 17. Februar 2011 beantragte sie die gerichtliche Festsetzung der Entschädigung nach § 17 JVEG. Sie müsse sich für die Zeit der Abwesenheit bei der Ausübung ihrer Tätigkeit als ehrenamtliche Richterin "ausstechen". Insoweit sei sie gezwungen, diese Arbeitszeit einzuarbeiten. Sie fühle sich hierdurch benachteiligt. Die Bezirksrevisorin beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt teilte hierzu in ihrer Stellungnahme vom 17. März 2011 mit, dass eine Entschädigung nach § 17 JVEG nicht beansprucht werden könne. Die Antragstellerin sei in Vollzeit beschäftigt und außerhalb der Arbeitszeit als ehrenamtliche Richterin tätig geworden. Die Vorgaben des § 17 JVEG seien somit nicht einschlägig. Am 18. Mai 2011 nahm die Antragstellerin an einer weiteren Sitzung der 10. Kammer des Sozialgerichts Halle teil. Die Reise zur Sitzung wurde um 7.00 Uhr angetreten und um 14.00 Uhr beendet. Ihr wurde eine Entschädigung für Fahrtkosten in Höhe von 33,00 EUR und für die Entschädigung nach § 17 JVEG in Höhe von 35,00 EUR (7 Stunden zu 5,00 EUR) gewährt. Am 23. Mai 2011 beantragte die Antragstellerin auch für die Teilnahme am Termin am 18. Mai 2011 die gerichtliche Festsetzung.
Das Sozialgericht Halle (SG) hat mit Beschluss vom 06. Oktober 2011 entschieden, dass die Entschädigung der Antragstellerin für die Teilnahme an der Sitzung am 21. Januar 2011 auf 63,00 EUR und für die Teilnahme an der Sitzung am 18. Mai 2011 auf 68,00 EUR festgesetzt werde. Die Beschwerde werde zugelassen. Eine Entschädigung nach § 17 JVEG scheide aus. Bei der Antragstellerin sei zwar keine Vollzeittätigkeit gegeben, da eine 48-Stunden-Woche gesetzlich möglich sei. Sie sei aber zu einer Zeit zur Sitzung herangezogen worden, in der sie regelmäßig ihrer Erwerbstätigkeit nachgehe. Ausgehend vom gesetzgeberischen Leitbild, das durch eine Anerkennung und Entschädigung der Leistungen von Hausfrauen geprägt sei und damit Beschäftigte bewusst ausklammere, scheide ein Anspruch der Antragstellerin auch im Rahmen einer analogen Anwendung von § 17 JVEG aus.
Gegen den am 29. Oktober 2011 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 19. Januar 2012 Beschwerde beim SG eingereicht. Das SG hat mit Beschluss vom 24. Januar 2012 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache an das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt weitergeleitet.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 06. Oktober 2011 abzuändern und für die Teilnahme an den Gerichtsterminen am 21. Januar 2011 und am 18. Mai 2011 eine höhere Entschädigung festzusetzen.
Die Bezirksrevisorin beantragt,
die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 19. Januar 2012 zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist nach § 4 Abs. 3 JVEG zulässig.
Die Beschwerde ist aber unbegründet. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf die Festsetzung einer weiteren Entschädigung.
Eine Entschädigung der Antragstellerin nach § 17 JVEG scheidet aus. Hiernach erhalten ehrenamtliche Richter, die einen eigenen Haushalt für mehrere Personen führen, neben der Entschädigung nach § 16 JVEG (in der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Fassung (a.F.)) eine zusätzliche Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung von 12,00 EUR je Stunde, wenn sie nicht erwerbstätig sind oder wenn sie teilzeitbeschäftigt sind und außerhalb ihrer vereinbarten regelmäßigen täglichen Arbeitszeit herangezogen werden. Die Antragstellerin war unstreitig erwerbstätig, so dass eine Anwendung dieser Vorschrift nach dem Wortlaut ausscheidet. Entgegen der Auffassung des SG ist auch nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin als Teilzeitbeschäftigte einzustufen ist. Die Antragstellerin arbeitete zum damaligen Zeitpunkt 40 Stunden in der Woche, was nach den einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen des TVöD für den Dienstleistungsbereich Sp. einer Vollzeitbeschäftigung entsprach. Die arbeitszeitlichen Regelungen des Tarifvertrages gehen hierbei den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes vor. Eine analoge Anwendung der Vorschrift scheidet ebenfalls aus, da es schon an der hierfür erforderlichen Regelungslücke fehlt. Der von der Antragstellerin letztlich entstandene Verlust an Freizeit wird bereits nach § 16 JVEG a.F. entschädigt. Diese Entschädigung hat die Antragstellerin auch erhalten.
Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Ersatz von Verdienstausfall nach § 18 JVEG a.F. Hiernach wird für den Verdienstausfall neben der Entschädigung nach § 16 JVEG eine zusätzliche Entschädigung gewährt, die sich nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst einschließlich der vom Arbeitgeber zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge richtet, jedoch höchstens 20,00 EUR je Stunde beträgt. § 18 JVEG greift nur dann ein, wenn sich das Einkommen des ehrenamtlichen Richters anlässlich der gesetzlich bezeichneten Umstände mindert. Die Heranziehung zu den gesetzlich bezeichneten Aufgaben muss dazu führen, dass dem ehrenamtlichen Richter die Möglichkeit, Einkommen in dieser Zeit zu erzielen, entgeht und sich deshalb eine bleibende Einkommensminderung einstellt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn dem Arbeitnehmer entweder die Vergütung wegen des Zeitausfalls gekürzt wird oder wenn er, etwa bei leistungsabhängigem Entgelt, in dieser Zeit keine Tätigkeit erbringen kann, die sein Einkommen nach dem gewöhnlich Lauf der Dinge mit einiger Wahrscheinlichkeit vermehrt hätte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Entschädigungsregelungen keinen Schadensersatz darstellen und deshalb der Verdienstausfall und die Zeitversäumnis nicht normativ, sondern jeweils rein tatsächlich zu bewerten sind (vgl. Landesarbeitsgericht Baden Württemberg, Beschluss vom 07. März 2005 - 3 Ta 31/05 -, juris). Die Antragstellerin hat hierzu angegeben, dass sie in Vollzeit beschäftigt gewesen sei und dass sie die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit innerhalb einer festgelegten Rahmenarbeitszeit von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr zu erbringen hatte. Ausweislich des Schreibens der Sp. S. vom 06. März 2009 war die Antragstellerin angehalten, sich bei der Wahrnehmung einer ehrenamtlichen Tätigkeit "auszustechen". Insoweit entstand der Antragstellerin kein Verdienstausfall, sondern lediglich ein Abzug von Stunden von ihrem Arbeitszeitkonto. Nach § 29 Abs. 2 TVöD für den Dienstleistungsbereich Sp. besteht bei der Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten nach deutschem Recht nur dann ein Anspruch auf Arbeitsbefreiung, soweit die Arbeitsbefreiung gesetzlich vorgeschrieben ist und soweit die Pflichten nicht außerhalb der Arbeitszeit, ggf. nach ihrer Verlegung, wahrgenommen werden können. Ein Anspruch besteht nur dann, soweit nicht Ersatz des Entgelts geltend gemacht werden kann. Das fortgezahlte Entgelt gilt in Höhe des Ersatzanspruchs als Vorschuss auf die Leistungen der Kostenträger. Diese Regelung verstößt nicht gegen das gesetzliche Benachteiligungsverbot in § 45 Abs. 1a Satz 2 des Deutschen Richtergesetzes (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Januar 2009 - 6 AZR 78/08 -, juris). Insoweit ist es durchaus legitim, dass die Antragstellerin von ihrer Arbeitgeberin angehalten worden ist, für ihre Tätigkeit als ehrenamtliche Richterin die flexible Arbeitszeitregelung in Anspruch zu nehmen. Es entstand ihr kein Verdienstausfall, sondern lediglich ein Verlust an Freizeit, so dass eine Verdienstausfallentschädigung ausscheidet (so auch Landesarbeitsgericht Baden Württemberg, Beschluss vom 07. März 2005 a.a.O.; a. A. Natter, AuR. 8/2006, Seite 264). Entscheidend ist hierbei, dass gerade kein geldwerter Nachteil entstanden ist, sondern lediglich ein Verlust an Freizeit, was nach § 16 JVEG entschädigt wird. Maßgeblich ist auch, dass bei einer Entschädigung von Verdienstausfall für Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto eine Doppelzahlung auftreten kann. Bei Zahlung einer Verdienstentschädigung wäre es dem ehrenamtlichen Richter unbenommen, die Minusstunden nachzuarbeiten und durch die reguläre Lohnzahlung würde eine doppelte Vergütung stattfinden. Eine Verdienstentschädigung kann in diesen Fällen nur dann in Betracht kommen, wenn sich der potentielle geldwerte Nachteil der eingetragenen Minusstunden tatsächlich realisiert. Dies dürfte allerdings nur dann der Fall sein, wenn bei einem beendeten Arbeitsverhältnis nachgewiesen wird, dass abgerechnete Minusstunden allein darauf beruhen, dass eine Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter ausgeübt worden ist. Ein Nachweis eines Verdienstausfalls wäre auch dann evtl. plausibel, wenn durch den Arbeitgeber die fehlenden Stunden gegen entsprechende Lohnkürzung gutgeschrieben werden. Eine solche Konstellation war hier aber nicht gegeben.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten sind nicht zu erstatten (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Die Entscheidung ist nicht weiter anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).