Bayerisches Landessozialgericht - L 2 SB 7/09 B - Beschluss vom 06.10.2009
Erstattet ein Sachverständiger trotz Mahnung sein Gutachten nicht, ist die Festsetzung eines Ordnungsgeldes rechtmäßig. Im Hinblick darauf, dass § 411 Abs. 2 Satz 3 ZPO für den Fall wiederholter Fristversäumnis bestimmt, dass das Ordnungsgeld noch einmal festgesetzt werden kann, ist bei der Verhängung eines Ordnungsgeld bei erstmaliger Fristversäumnis ein Ordnungsgeld im mittleren Rahmen (500,00 €) angemessen.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 1.000,- EUR. Er war im Rechtsstreit vor dem Sozialgericht München (S 10 SB 563/06), in dem der dortige Kläger die Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen und eines Grades der Behinderung von 50 begehrt, gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom Kläger benannt und am 07.01.2008 beauftragt worden, ein Gutachten nach Untersuchung des Klägers zu erstatten. Den Erhalt des Gutachtensauftrags und der dazugehörigen Akten bestätigte der Beschwerdeführer mit Empfangsbekenntnis vom 14.01.2008. Am 01.08.2008 mahnte das Sozialgericht die Übersendung des Gutachtens mit Frist bis 29.08.2008 und mit weiterem Schreiben vom 10.09.2008 mit Frist bis 02.10.2008 an. Am 02.10.2008 setzte es dem Beschwerdeführer eine Nachfrist bis 24.10.2008 und wies darauf hin, dass nach ergebnislosem Ablauf der Nachfrist Ordnungsgeld verhängt werde. Die vorgenannten drei Schreiben waren an den Kläger an die Anschrift des Zentralinstituts für medizinische Begutachtung und Arbeitsmedizin in A-Stadt gerichtet, in dem auch PD Dr. R. A. tätig ist. Mit Beschluss vom 04.11.2008 verhängte das Sozialgericht, nachdem auch bis zum Ablauf der Nachfrist das Gutachten nicht eingegangen war, Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,- EUR gegen den Beschwerdeführer. Es führte aus, die Voraussetzungen zur Auferlegung von Ordnungsgeld seien erfüllt, auch die Höhe sei gerechtfertig in Anbetracht des sozialen Status und der hiermit verbundenen Möglichkeit zur Erzielung von Einkünften. Der Ordnungsgeldbeschluss wurde mit Postzustellungsurkunde vom 12.11.2008 an der bisherigen Adresse des Beschwerdeführers zugestellt und dem Mitpraxisinhaber PD Dr. R. A. übergeben. Am 01.12.2008 ging beim Sozialgericht das vom Beschwerdeführer erbetene Gutachten ein. Es trug das Datum vom 30.09.2008 und eine geänderte Anschrift des Beschwerdeführers. Mit Schreiben vom 27.11.2008, eingegangen am 01.12.2008, legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein. Er trug vor, die Verzögerung beruhe darauf, dass der Kläger im Ausgangsverfahren ein Magnetresonanztomogramm der Halswirbelsäule bis Ende August nicht vorgelegt hatte. Das Gutachten sei bereits am 30.09.2008 fertig gestellt gewesen. Aufgrund innerbetrieblicher Umstellungen und des Umzugs in andere Geschäftsräume sei das Gutachten nicht abgesandt worden. Im Übrigen hätten ihn die im Beschluss erwähnten postalischen Erinnerungen des Sozialgerichts nicht erreicht. Der Senat bat den Beschwerdeführer, das Datum seines Umzugs nachzuweisen und zu erklären, aus welchen Gründen der Ordnungsgeldbeschluss an seiner alten Adresse noch am 12.11.2008 habe zugestellt werden können, jedoch die vorangegangenen Mahnschreiben nicht bei ihm angekommen seien. Eine Antwort blieb der Beschwerdeführer hierauf schuldig. Der Beschwerdeführer beantragt, den Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts München vom 04.11.2008 aufzuheben, hilfsweise die Höhe des Ordnungsgeldes abzuändern.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 172 Abs. 1, 173 SGG), aber nur zum Teil begründet.
Nach § 118 SGG i.V.m. § 411 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) kann gegen den Sachverständigen nach Fristsetzung und fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist ein zuvor angedrohtes Ordnungsgeld verhängt werden, wenn der Sachverständige seiner Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens bis dahin nicht nachgekommen ist. Ein solcher Fall liegt hier vor.
Dem Sachverständigen war erstmals im Schreiben vom 01.08.2008 Frist zur Abgabe des am 07.01.2008 in Auftrag gegebenen Gutachtens gesetzt worden, ein zweites Mal mit Schreiben vom 10.09.2008 mit Frist bis 02.10.2008. Nachfrist bis 24.10.2008 war dem Beschwerdeführer am 02.10.2008 gesetzt worden. In diesem Schreiben wurde er auch auf die Möglichkeit hingewiesen, dass im Falle des fruchtlosen Ablaufes der Frist Ordnungsgeld gegen ihn verhängt werden könne. Der Vortrag des Beschwerdeführers, diese drei Mahnschreiben hätten ihn nicht an der darin angegebenen Anschrift erreicht, weil er umgezogen sei, ist nicht nachvollziehbar. Denn der nachfolgende Beschluss des Sozialgerichts vom 04.11.2008 konnte ihm an derselben Adresse, der alten Adresse, noch am 12.11.2008 zugestellt werden. Auf die Aufforderung des Senats machte der Beschwerdeführer seine Behauptung nicht weiter glaubhaft. Die bloße Behauptung, Mahnschreiben nicht erhalten zu haben, genügt bei dieser Sachlage nicht. Damit waren die Voraussetzungen für die Verhängung von Ordnungsgeld erfüllt.
Gründe, die die Verspätung des Gutachtens entschuldigen könnten, brachte der Beschwerdeführer nicht vor. Seine Angabe, der Kläger habe ein erbetenes Magnetresonanztomogramm der Halswirbelsäule erst Ende August vorgelegt, erklärt nicht, dass er auch die bis 24.10.2008 gesetzte Nachfrist verstreichen ließ. Sollte das Gutachten mit dem Datum vom 30.09.2008 aufgrund innerbetrieblicher Umstellungen und durch Verschulden anderer Personen nicht abgesandt worden sein, so fehlt es an einer Glaubhaftmachung, dass den Beschwerdeführer an dieser Verzögerung kein Verschulden traf.
Das Sozialgericht war demnach gehalten, Ordnungsgeld zu verhängen, um dem Verfahren seinen Fortgang zu geben. Schließlich sind die Gerichte gehalten, den Beteiligten in angemessener Zeit Rechtsschutz zu gewähren. Dies folgt letztlich aus Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Danach haben Gesetzgeber und Gerichte in geeigneter Weise sicher zu stellen, dass Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit zukommt. Im Falle einer überlangen Verfahrensdauer kann der betroffene Staat zu Schadensersatzzahlungen nach Art. 41 EMRK verpflichtet werden (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 08.06.2008; Az.: 7 5529/01 m.w.N.). Der Justizgewährungsanspruch des Einzelnen verpflichtet die Gerichte, alle gesetzlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Rechtsschutz zu gewähren.
Die Verhängung von Ordnungsgeld ist dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Lediglich der Höhe nach scheint das Ordnungsgeld bedenklich. Gemäß Art. 6 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) beträgt das Mindestmaß für Ordnungsgeld 5,- EUR und das Höchstmaß 1.000,- EUR. Nach § 411 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist für die Verhängung von Ordnungsgeld regelmäßig eine besondere Begründung erforderlich, wenn ein dem oberen Betragsrahmen entnommenes Ordnungsgeld festgesetzt wird (LSG Baden Württemberg, Beschluss vom 01.07.2003, Az.: L 13 KN 2951/02 B). Die Zumessung des Ordnungsgeldes unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Die Ermessensausübung hat sich an der Bedeutung des Gutachtens für die Entscheidung, der Schwere der Pflichtverletzung und der wirtschaftlichen Verhältnisse des Sachverständigen zu orientieren. Die Bedeutung des Gutachtens für den Rechtsstreit ergibt sich bereits daraus, dass das Sozialgericht gehalten war, dem Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG zu entsprechen. Es war an die Benennung des Beschwerdeführers als Sachverständigen gebunden und konnte diesen trotz der erheblichen Verzögerung des Verfahrens nicht von seiner Verpflichtung entbinden und einen anderen Sachverständigen betrauen. Zur Schwere der Pflichtverletzung finden sich keine Ausführungen des Sozialgerichts. Zu diesem Punkt berücksichtigt der Senat die Tatsache, dass der Beschwerdeführer das erbetene Gutachten immerhin bis 01.12.2008 dem Gericht zugeleitet hatte. Die Verhängung eines weiteren Ordnungsgeldes nach erneuter vorheriger Frist- und Nachfristsetzung war somit nicht notwendig. In Anbetracht der Tatsache, dass § 411 Abs. 2 Satz 3 ZPO bestimmt, dass im Falle wiederholter Fristversäumnis das Ordnungsgeld noch einmal festgesetzt werden kann, hält der Senat in der Regel ein Ordnungsgeld im mittleren Rahmen bei erstmaliger Fristversäumnis für angemessen. Schließlich ist es sinnvoll einen zweiten Fristverstoß mit höherem Ordnungsgeld zu belegen, um den Sachverständigen ggf. zur Erfüllung seiner Verpflichtung anzuhalten. Wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, ist in der Regel bei erster Fristversäumnis ein Ordnungsgeld um 500,- EUR angemessen. Im hier zu entscheidenden Streit gilt dies um so mehr, als das Verhalten des Beschwerdeführers nach Erlass des Ordnungsgeldbeschlusses belegt, dass er bemüht war seine Verpflichtung als Sachverständiger zu erfüllen. Dies konnte zwar das Sozialgericht zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung nicht wissen, kann jedoch vom Senat bei der Beschwerdeentscheidung berücksichtigt werden. Allein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen reicht bei der hier gebotenen Ermessensabwägung nicht aus. Demzufolge war das Ordnungsgeld auf 500,- EUR herabzusetzen. Insoweit führt die Beschwerde zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Im Übrigen war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf analoger Anwendung des § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 1 VwGO. Danach sind demjenigen, der unterliegt bzw. der ohne Erfolg ein Rechtsmittel einlegt, die Kosten des Verfahrens zumindest verhältnismäßig aufzuerlegen. § 197a SGG findet hier Anwendung, weil der Beschwerdeführer nicht zu dem konstenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört. Danach sind nur Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger von Gerichtskosten befreit, wenn sie als Kläger oder Beklagte an einem Rechtsstreit vor den Sozialgerichten beteiligt sind. Der Beschwerdeführer ist als Sachverständiger nicht diesem Personenkreis zuzuordnen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 176 Anm. 5).
Da die Beschwerde zum Teil Erfolg hatte, hat die Staatskasse dem Beschwerdeführer seine außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten. Insoweit wendet der Senat § 467 Abs. 1 Strafprozessordnung, § 46 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz analog an, wonach die notwendigen Auslagen des Sachverständigen für die Durchführung seiner erfolgreichen bzw. teilweise erfolgreichen Beschwerde der Staatskasse zur Last fallen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).