Bayerisches Landessozialgericht - L 2 SB 87/12 B - Beschluss vom 02.01.2013
Ein Sachverständiger, der kurz vor Ablauf der Frist zur Abgabe des ihm in Auftrag gegebenen Gutachtens das Gericht um Fristverlängerung bittet, obliegt bei der Beachtung einer ihm darauf gewährten Nachfrist besondere Sorgfalt. Wird die Nachfrist versäumt, ist ein Ordnungsgeld angemessen; eine Übertragung der Fristeintragung bzw. -überwachung auf Personal entbindet den Sachverständigen nicht von seiner Sorgfaltspflicht.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer (Bf.) wendet sich gegen das ihm auferlegte Ordnungsgeld von 600,- Euro durch das Sozialgericht Würzburg (SG).
In dem auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) gerichteten Klageverfahren beauftragte das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Bf. mit Beweisanordnung vom 27.09.2011 mit Erstellung eines Gutachtens und übersandte ihm aufgrund richterlicher Verfügung vom 11.11.2011 weitere ärztliche Unterlagen zur Berücksichtigung. Mit Schreiben vom 09.01.2012 erinnerte das SG den Bf. an die Erledigung des Gutachtensauftrags und setzte hierfür Frist bis 02.02.2012.
Mit Fax vom 01.02.2012 bat die Sekretärin des Bf. um Fristverlängerung bis Ende März, da für den Kläger erst Ende Februar in den verschiedenen Abteilungen des Hauses Termine zur Verfügung stünden bzw. noch einige Terminbestätigungen diverser Abteilungen fehlten. Nach Einbestellung des Klägers werde das Gutachten voraussichtlich bis Ende März fertig gestellt sein. Daraufhin setzte das SG mit Schreiben vom 06.02.2012 eine Nachfrist zur Gutachtenserstellung bis 30.03.2012 und wies ausdrücklich darauf hin, dass im Fall der Nichteinhaltung der Frist ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 1000,- Euro gegen den Bf. verhängt werden kann. Das Gutachten ging beim SG nicht innerhalb der Frist ein.
Mit Beschluss vom 17.04.2012, dem Bf. zugestellt am 23.04.2012, verhängte das SG gegen den Bf. ein Ordnungsgeld in Höhe von 600,- Euro. Eine Rechtsmittelbelehrung war beigefügt.
Am selben Tag ging beim SG ein Fax der Sekretärin des Bf. ein, die mitteilte, dass sie sich um alle im Sekretariat anfallenden Schriftstücke kümmere und auch das Schreiben des SG vom 06.02.2012 in Empfang genommen habe. Nach Prüfung der Unterlagen habe sie festgestellt, dass sie versehentlich in die Aufgabenliste des Bf. den 30.04. statt des 30.03. eingetragen habe. Konsequenz sei, dass sie das Ordnungsgeld aus eigener Tasche tragen müsse, was sie angesichts ihres bescheidenen Gehaltes nicht stemmen könne. Der Bf. habe ihr zugesagt, dass der 30.04.2012 als Zusendetermin für das Gutachten eingehalten werden könne.
Das SG hat die Sekretärin des Beschwerdeführers darauf hingewiesen, dass sie nicht Adressat des Beschlusses ist. Das Gutachten ist beim SG am 30.04.2012 eingegangen.
Am 21.05.2012 ist beim SG ein Schreiben des Bf. eingegangen, in dem dieser die Ausführungen seiner langjährigen und extrem zuverlässigen Sekretärin bestätigt und "Einspruch" gegen den Beschluss eingelegt hat. Durch den Übertragungsfehler des spätesten Fertigstellungstermins im Zeitplan des Sekretariates und in der Disposition auch seiner Tätigkeit sei das Gutachten falsch eingereiht und fertiggestellt worden. Da er davon ausgegangen sei, dass er sich noch im zulässigen Zeitrahmen bewegen würde, sei die Androhung des Ordnungsgeldes unbeachtet geblieben. Dies sei keine Missachtung des Gerichts, sondern ein ärgerlicher Folgefehler. Es werde um Rücknahme oder ersatzweise deutliche Herabsetzung des Ordnungsgeldes gebeten.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere wahrt die am 21.05.2012 beim SG eingegangene Beschwerdeschrift des Bf. die Monatsfrist gemäß § 173 S. 1 SGG. Die Beschwerde ist nur hinsichtlich der Höhe des Ordnungsgeldes begründet.
Gemäß § 118 SGG in Verbindung mit §§ 406 Abs. 2, 411 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO) kann gegen den Sachverständigen nach Setzung einer Frist und einer Nachfrist das angedrohte Ordnungsgeld verhängt werden, wenn der Sachverständige seiner Verpflichtung zur Erstattung eines Gutachtens bis dahin nicht nachgekommen ist.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Eine genügende Entschuldigung des Verhaltens des Beschwerdeführers, die zur Folge hätte, dass die Festsetzung des Ordnungsgeldes gemäß § 402 ZPO in Verbindung mit § 381 Abs. 1 S. 2 ZPO vollständig zu unterbleiben hätte, ist nicht gegeben.
Gemäß § 411 Abs. 1 ZPO kann das Gericht eine Frist bestimmen, innerhalb der der Sachverständige das Gutachten auf der Geschäftsstelle niederzulegen hat. Das Sozialgericht hat hiervon mit Schreiben vom 09.01.2012 Gebrauch gemacht und auf die Bitte um Fristverlängerung, die am vorletzten Tag der gesetzten Frist beim SG eingegangen war, mit Schreiben vom 06.02.2012 Nachfrist bis 30.03.2012 gesetzt. Die gesetzte Nachfrist war mit fast zwei Monaten nicht unverhältnismäßig kurz, da der Gutachtensauftrag bereits mit Beweisanordnung vom 27.09.2011 erteilt worden war. Außerdem hatte der Sachverständige selbst eine voraussichtliche Fertigstellung bis Ende März 2012 genannt und eine Fristverlängerung bis Ende März (und nicht 30.04.2012) beantragen lassen.
Voraussetzung für die Verhängung von Ordnungsgeld ist ferner, dass der Sachverständige schuldhaft gehandelt hat. Eine hinreichende Entschuldigung setzt voraus, dass trotz gebotener Sorgfalt die Fristversäumnis nicht vermeidbar war. Der Beschwerdeführer begründet die verzögerte Bearbeitung des Gutachtensauftrages damit, dass seine Sekretärin versehentlich statt des 30.03.2012 den 30.04.2012 als Nachfrist eingetragen habe. Der fehlerhafte Eintrag war aber bei gebotener Sorgfalt vermeidbar. Wenn ein Sachverständiger erst einen Tag vor Ablauf der ursprünglich vom Gericht gesetzten Frist - nämlich am 01.02.2012 bei Fristablauf am 02.02.2012 - um Fristverlängerung bittet und dabei die Erstellung bis Ende März in Aussicht stellt, hat er besondere Sorgfalt walten zu lassen, dass er die vom Gericht auf sein Ersuchen ausdrücklich um fast zwei Monate verlängerte und im Wesentlichen seinem Wunsch entsprechende Frist auch tatsächlich einhält bzw. bei weiteren Verzögerungen rechtzeitig Fristverlängerung beim Gericht beantragt. Das gilt besonders, wenn - wie hier - absehbar noch weitere Untersuchungen durch andere Ärzte eingeplant werden müssen.
Dass nicht der Sachverständige selbst, sondern die von ihm damit beauftragte Sekretärin die Frist unzutreffend eingetragen hat, ist kein hinreichender Entschuldigungsgrund. Die Pflicht zur fristgerechten Gutachtenserstellung und die damit einhergehenden Sorgfaltspflichten treffen den vom Gericht ernannten Sachverständigen persönlich (vgl. § 407, § 407a Abs. 2 ZPO). Soweit er sich bei Erledigung des Gutachtensauftrags im Rahmen seiner Organisation Hilfspersonal bedient (z.B. zur Koordinierung der Aufträge, Eintrag der Fristen, Schreiben des Gutachtens etc.), entbindet ihn dies nicht von seinen Pflichten als Sachverständiger dem Gericht gegenüber. Vielmehr muss der Sachverständige, der von den Vorteilen der Aufgabenübertragung an seine Sekretärin profitiert, sich andererseits auch die Nachteile dieser Aufgabenübertragung zurechnen lassen (vgl. § 278 BGB). Dass der Sachverständige - zumindest stichprobenartig - selbst Fristenkontrollen durchführt bzw. durchgeführt hat, ist nicht ersichtlich.
Allerdings ist eine Herabsetzung der Höhe des Ordnungsgeldes auf 200,- Euro geboten. Die Höhe des Ordnungsgeldes richtet sich nach Art. 6 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB). Danach ist ein Rahmen von 5,00 EUR bis 1.000,00 Euro vorgegeben, innerhalb dessen sich das Ordnungsgeld bewegen kann. Bei der Zumessung hat das Gericht die Umstände, die für oder gegen den Beschwerdeführer sprechen, gegeneinander abzuwägen. Dabei ist auf das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art des Verstoßes und dessen schuldhafte Auswirkungen sowie auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers abzustellen, nicht hingegen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des vom Bf. eingeschalteten Hilfspersonals. Denn das Ordnungsgeld wird nur und ausschließlich gegenüber dem Bf. verhängt.
Der Senat berücksichtigt aber, dass bei versehentlicher Eintragung der Frist auf den 30.04.2012 der Fehler erst mit dem Ordnungsgeldbeschluss entdeckt werden konnte und daher das Maß der Pflichtwidrigkeit nur als gering anzusehen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Danach waren dem Beschwerdeführer, der nicht zu dem kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört, die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu 1/3 aufzuerlegen und ihm andererseits Kosten in Höhe von 2/3 wegen seines Teilerfolgs zu erstatten.
Der Streitwert war entsprechend der Höhe des in Streit stehenden Ordnungsgeldes festzusetzen (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz).
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.