Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 33 R 1251/11 - Urteil vom 03.07.2014
Eine quantitative Erwerbsminderung ergibt sich nicht allein daraus, dass ein Versicherter wegen eines Leidens häufig krankheitshalber arbeitsunfähig ist. Eine Erwerbsunfähigkeit kann daraus nur folgen, wenn so häufige Arbeitsunfähigkeitszeiten auftreten, dass die während eines Arbeitsjahres erbrachten Arbeitsleistungen den Mindestanforderungen nicht mehr genügen, welche ein vernünftig und billig denkender Arbeitgeber zu stellen berechtigt ist. Diese Mindestanforderungen sind jedenfalls dann nicht mehr als erfüllt anzusehen, wenn der Versicherte die Arbeitsleistung für einen Zeitraum von mehr als 26 Wochen (sechs Monate bzw. die Hälfte) im Jahr gesundheitsbedingt nicht mehr erbringen kann.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.
Der 1962 geborene Kläger durchlief vom 01. September 1978 bis zum 15. Juli 1981 erfolgreich eine Ausbildung zum Ausbaumaurer und war seither - unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - als Maurer, Hausmeister, stellvertretender Gaststättenleiter, Rohrleger, Bauhelfer, Meliorationsarbeiter, Monteur und Waldarbeiter beschäftigt. Die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung wurde 1997 ausgeübt. Seither besteht Arbeitslosigkeit. Er bezieht Arbeitslosengeld II. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 anerkannt. Er verfügt nach Verlust der Fahrerlaubnis nur über einen polnischen Führerschein.
Der Kläger beantragte am 14. November 2007 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er hielt sich im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Beschwerden, Diabetes mellitus, Rückenbeschwerden, Alkoholprobleme und Depressionen seit 2005 für erwerbsgemindert. Die Beklagte beauftragte die Fachärztin für Sozialmedizin Frau S mit der Erstellung eines allgemeinmedizinischen Gutachtens. In dem Gutachten vom 07. April 2008 (nach einer Untersuchung vom 28. März 2008) diagnostizierte sie • Diabetes mellitus Typ II • Arterieller Hypertonus • Adipositas per magna • Fettstoffwechselstörung, Gicht • Chronisches rezidivierendes lumbales Pseudoradikulärsyndrom bei fortgeschrittenen degenerativen Wirbelsäulenveränderungen • Zustand nach verletzungsbedingtem Kniebinnenschaden rechts 1996 (operativ versorgt) • Chronischer Alkoholabusus (Quartalstrinker), Zustand nach Pankreatitis 01/2004. Der Kläger könne zwar seine letzte Tätigkeit als Fenstermonteur nur noch im Umfang von unter drei Stunden täglich verrichten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei er jedoch in der Lage, leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten in allen Haltungsarten unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen täglich sechs Stunden und länger zu verrichten. In der Folge lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers durch Bescheid vom 14. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2008 ab.
Hiergegen hat der Kläger am 21. Juli 2008 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) (SG) erhoben und die Gewährung von Rente wegen voller, hilfsweiser teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01. November 2007 begehrt. Die Beklagte habe seine Alkoholkrankheit, die Rücken- und Knieprobleme, die Gicht und die Herzbeschwerden nicht hinreichend berücksichtigt. Er hat u. a. einen Auszug aus einem im Juni 2008 für die Agentur für Arbeit erstellten Gutachten nach Aktenlage des Dr. S eingereicht.
Das SG hat zum medizinischen Sachverhalt ermittelt und zunächst Befundberichte der Fachärztin für Innere Medizin Dipl.-Med. P vom 30. September 2008, des Facharztes für Innere Medizin Dr. E vom 16. November 2008, der Augenärztin Dr. J vom 21. Dezember 2008 sowie des Facharztes für Allgemeinmedizin F vom 09. März 2009 nebst weiterer medizinischer Befundunterlagen eingeholt. Unter den weiteren Unterlagen fand sich u. a. ein Entlassungsbericht des A Fachklinikum T vom 15. Januar 2009 betreffend einen stationären Aufenthalt vom 08. bis zum 12. Januar 2009 zur Alkoholentgiftungsbehandlung.
Die Beklagte hat den Entlassungsbericht der S-Klinik L betreffend einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 18. März bis zum 24. April 2009 zur Alkoholentwöhnungsbehandlung, der vom Kläger vorzeitig abgebrochen wurde, übersandt, in welchem folgende Diagnosen gestellt wurden: • Psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom • Nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus mit nicht näher bezeichneten Komplikationen • Alkoholische Fettleber • Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte körperliche Arbeiten überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen täglich sechs Stunden und länger verrichten.
Das SG hat sodann ein berufskundliches Gutachten des arbeitsmarkt- und berufskundigen Sachverständigen R vom 26. Mai 2008 betreffend die Tätigkeiten eines Versandfertigmachers sowie eines Pförtners in den Rechtsstreit eingeführt. Anschließend hat es den Chirurgen und Sozialmediziner Dr. B mit der Untersuchung des Klägers und der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In dem am 08. Dezember 2009 nach einer Untersuchung des Klägers am 07. Dezember 2009 fertig gestellten Gutachten sowie der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 26. Februar 2010 ist der Sachverständige zu dem Schluss gelangt, der Kläger leide an folgenden Gesundheitsstörungen: • Metabolisches Syndrom (Adipositas per magna, Fettstoffwechselstörung, Harnsäurestoffwechselstörung, Zuckerstoffwechselstörung, insulinpflichtig, arterielles Bluthochdruckleiden) • Chronischer Alkoholabusus • Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Neigung zu Lumbalgien, Ausschluss einer Nervenwurzelreizsymptomatik. Der Kläger könne noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten im Freien unter Witterungsschutz sowie in geschlossenen Räumen ohne ständige Zwangshaltungen, nicht auf Leitern und Gerüsten, ohne ständige linksseitige kniende Belastung, ohne Rüttlungen oder Stauchungen der Wirbelsäule, ohne Nachtschicht sowie ohne Akkordarbeit täglich sechs bis acht Stunden lang verrichten. Arbeit an langsam laufenden Fließbändern sei zumutbar. Er könne einfache geistige Tätigkeiten ausüben. Die Wegefähigkeit sei erhalten, betriebsunübliche Pausen seien nicht notwendig.
Das SG hat noch einen Befundbericht des Neurologen P vom 22. April 2010 eingeholt und berufskundliche Gutachten des Verwaltungsbeamten L vom 14. Februar 2000 zur Tätigkeit des Pförtners, vom 26. April 1999 zur Tätigkeit des Versandfertigmachers sowie vom 24. September 1999 und 01. November 2002 ebenfalls zur Tätigkeit des Versandfertigmachers in den Rechtsstreit eingeführt.
Ferner hat es den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin, Psychotherapie und Psychoanalyse, Rehabilitationswesen, Psychosomatische Medizin Dr. M mit der Untersuchung des Klägers und der Erstellung eines Sachverständigengutachtens betraut. In dem am 23. Februar 2011 nach einer Untersuchung des Klägers am selben Tag fertig gestellten Gutachten ist dieser zu folgenden Diagnosen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet gelangt: • Dysthymia • Alkoholabhängigkeit • Panikstörung. Auf anderen Fachgebieten seien folgende Diagnosen zu stellen: • Degenerative Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit Neigung zu Rückenschmerzen • Anamnestisch Tinnitus • Metabolisches Syndrom mit Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Harnsäureerhöhung, Adipositas. Aufgrund der neurologisch-psychiatrischen Leiden entstehe keine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit. Unter allgemeinärztlicher Bezugnahme auf die internistischen Leiden unter Berücksichtigung des Gutachtens von Frau S sowie die Einschränkungen am Bewegungsapparat unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. Bkönnten jedoch nur noch körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten ausgeführt werden. Zur inhaltlichen Begründung verweise er auf die jeweiligen Fachgutachten. Aus der Sicht seines Fachgebietes seien Arbeiten in Wechselschicht noch zumutbar, Arbeiten in Nachtschicht oder unter besonderem Zeitdruck jedoch nicht. Normale Terminarbeiten könnten regelmäßig erledigt werden. Arbeiten mit häufigem Publikumsverkehr seien möglich. Es könnten noch geistig leichte bis mittelschwere Arbeiten - bezogen auf Ausbildung und berufliche Entwicklung des Klägers - ausgeführt werden. Geistig schwierige Arbeiten könnten wegen der damit verbundenen erhöhten emotionalen Belastung aufgrund der seelischen Leiden nicht mehr kontinuierlich gefordert werden. Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit könnten noch ausgeübt werden. Arbeiten mit in dieser Hinsicht häufig oder überwiegend überdurchschnittlichen Anforderungen könnten wegen der seelischen Leiden nicht mehr erfüllt werden. Im Hinblick auf den plausibel geschilderten Tinnitus seien Lärmarbeitsplätze nicht zumutbar. Weitere Einschränkungen für das Hörvermögen ergäben sich nicht. Der Kläger könne Arbeiten mit den genannten qualitativen Einschränkungen täglich regelmäßig noch mindestens sechs Stunden verrichten. Einschränkungen der Wegefähigkeit seien nicht festzustellen. Die betriebsüblichen Pausen seien ausreichend.
Auf die Kritik des Klägers - insbesondere wegen einer vorgetragenen nicht ausreichenden Würdigung der Alkoholkrankheit sowie der Depressionen - hat Dr. M unter dem 03. Mai 2011 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben, in welcher er seine Beurteilung aufrechterhalten hat.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 02. November 2011 abgewiesen und sich den nach seiner Auffassung überzeugenden gutachterlichen Bewertungen des Dr. B sowie des Dr. M angeschlossen. Demgemäß verfüge der Kläger über ein zumindest sechsstündiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten sowie geistig leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen. Es liege auch weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, so dass es der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht bedürfe. Insbesondere das periodische exzessive Trinkverhalten des Klägers begründe keine schwere spezifische Leistungsbehinderung. Denn vorübergehende Phasen des exzessiven Alkoholkonsums begründeten in der Regel nur vorübergehende Arbeitsunfähigkeiten und insbesondere keinen dauerhaften Ausschluss der Erwerbsfähigkeit. Vor dem Hintergrund der eigenen Schilderungen des Klägers bezüglich seines Trinkverhaltens sei die Kammer der Überzeugung, dass der Kläger, wenn er ein Arbeitsverhältnis hätte, in der Lage wäre, sein Trinkverhalten so zu steuern bzw. zu reduzieren, dass er nicht mehr als 30 Tage im Jahr arbeitsunfähig ausfallen würde. Die Kammer gehe davon aus, dass der Kläger trotz seiner Abhängigkeit den Zeitpunkt seines Alkoholkonsums noch in einem gewissen Maße steuern könne.
Gegen das ihm am 15. November 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 02. Dezember 2011 Berufung eingelegt und vorgetragen, er könne seinen Alkoholkonsum nicht steuern, außerdem seien seine Schlafstörungen nicht berücksichtigt worden. Bei ihm bestehe eine Schlafapnoe. Er könne keine längeren Strecken alleine mit dem Auto fahren oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Er legt Arztbriefe des Internisten Dr. M vom 04. Januar 2012 und 11. November 2011 vor.
Der Senat hat Befundberichte des Allgemeinmediziners F vom 31. Januar 2012, des Dr. M vom 06. Februar 2012 sowie der Internistin Dr. W vom 01. März 2012 nebst weiteren medizinischen Befunden (u. a. Arztbrief Dres. B u. a. vom 27. Oktober 2011: Verdacht auf Schlafapnoe) eingeholt.
Anschließend hat der Senat die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. P mit der Untersuchung des Klägers und der Erstellung eines Sachverständigengutachtens betraut. In dem am 20. August 2012 nach einer Untersuchung vom selben Tag erstellten Gutachten ist sie zu folgenden Diagnosen gelangt: • Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige bis schwere Episode • Alkoholabhängigkeit (VD: Epsilon- DD: Gamma-Trinktyp nach Jellinek in der chronischen Phase) • Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr • Verdacht auf Zustand nach Kaufsucht • Persönlichkeitsakzentuierung mit paranoiden Zügen • Zustand nach somatoformer autonomer Funktionsstörung • Zustand nach anhaltender somatoformer Schmerzstörung Nach Aktenlage: • Panikstörung • Metabolisches Syndrom mit Adipositas per magna, Fettstoffwechselstörung, Harnsäurestoffwechselstörung, Diabetes mellitus insulinpflichtig, arterieller Hypertonus • Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Neigung zur Lumbalgie. Der Kläger sei aktuell nicht in der Lage, schwere, mittelschwere bzw. leichte Arbeiten über einen definierten Zeitraum durchzuführen. Die Leistungsfähigkeit liege bei unter drei Stunden auch für leichte Arbeiten. Besonders Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, in der Hocke, im Kriechen, aber auch mit Bücken, Heben und Tragen von Lasten, Überkopfarbeit, Arbeiten mit Anforderungen an die grobe Kraft der Hände sowie Fingerfertigkeit, Arbeiten in Zwangs- oder überwiegend einseitiger Körperhaltung, unter Zeitdruck, geistig schwierige bis mittelschwierige Arbeiten, Arbeiten mit Anforderungen an das Reaktionsvermögen und die Aufmerksamkeit, die Übersicht, Verantwortungsbewusstsein bzw. Zuverlässigkeit seien ihm derzeit nicht möglich. Das Umstellungs- und Anpassungsvermögen des Klägers sei stark herabgesetzt, er wirke rigide - also verhaltensstarr - misstrauisch, rasch überfordert und dekompensationsbereit. Öffentliche Verkehrsmittel könnten nur unter größten Anstrengungen und nur in einem begrenzten Zeitlimit benutzt werden. Ein Pkw könne geführt werden, wenn nicht die kognitiven Funktionen durch die depressive Symptomatik beeinträchtigt wären. Aufgrund der Adipositas per magna und daraus resultierender Folgeschäden müsse wahrscheinlich ein Training erfolgen, um viermal täglich einen Fußweg von mehr als 500 Metern in 20 Minuten zurückzulegen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit könne behoben werden durch therapeutische Maßnahmen, insbesondere eine Psychotherapie.
In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 09. Oktober 2012 führt die Sachverständige aus, bei den Vorgutachtern seien die Diagnosen des Verdachts auf einen Zustand nach Kaufsucht, einer Persönlichkeitsakzentuierung mit paranoiden Zügen, der Zustand nach somatoformer autonomer Funktionsstörung sowie der Zustand nach anhaltender somatoformer Schmerzstörung nicht genannt und gewürdigt worden. Die bei dem Kläger vorhandene krankhafte Störung der Erlebnisverarbeitung habe zu massiven körperlichen Folgeschäden geführt, so dass der Kläger aus ihrer Sicht inzwischen schwer krank sei, auch hinsichtlich der körperlichen Erkrankungen. Die festgestellte Einschränkung des Leistungsvermögens bestehe seit dem 14. November 2007 (Rentenantragstellung) mit progredient verlaufender körperlicher Symptomatik und weiterer Chronifizierung der Psychopathologie. Sie gehe nunmehr von der Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung und nicht von einer Persönlichkeitsakzentuierung mit paranoiden Zügen aus. Aufgrund der Persönlichkeitsstörung werde die Minderung der Erwerbsfähigkeit auch mit intensiver internistischer und psychiatrischer Hilfe nicht aufgehoben werden können.
Auf gerichtliche Anforderung hat Dr. M unter Berücksichtigung des Gutachtens der Sachverständigen Dipl.-Med. P am 01. Februar 2013 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben. Hierin kritisiert er u. a., dass es dem Gutachten an einem körperlichen Untersuchungsbefund sowie zumindest einem neurologischen Basisbefund ebenso fehle wie einer Schmerzanamnese. Ferner seien keine Fragen zur Wegefähigkeit gestellt worden, obwohl später darüber eine gutachterliche Aussage getroffen werde. Soweit die Sachverständige bereits seit Rentenantragstellung das Leistungsvermögen als auf unter drei Stunden täglich abgesunken einschätze, fehle es an jeglicher Auseinandersetzung mit den Vorgutachten. Obwohl sie keinen körperlichen Befund erhoben habe, schätze sie den Kläger als nicht in der Lage ein, auch nur körperlich leichte Arbeiten zu verrichten. Auch die weiteren qualitativen Ausschlüsse erfolgten ohne nähere und vor allem befundgestützte Begründung. Eine postulierte "weitere Progredienz und Manifestation der Symptomatik" werde nicht belegt. Die Suchterkrankung gelte solange nicht als quantitativ leistungseinschränkend, wie keine unumkehrbaren Körperschäden eingetreten seien. Solche Schäden seien bisher nicht nachgewiesen; eine angemessene und zumutbare Behandlung finde darüber hinaus auch nicht statt. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung reiche im Übrigen nicht aus, um daraus ein aufgehobenes Leistungsvermögen abzuleiten, denn eine solche - definitionsgemäß ihren Ursprung in Kindheit und Jugend findende - Störung werde zwangsläufig in das Erwerbsleben eingebracht. Wenn dies beim Kläger der Fall gewesen wäre, hätte die Sachverständige nachweisen müssen, dass eine Persönlichkeitsstörung vorliege, dass diese zu einem bestimmten Zeitpunkt dekompensiert sei und ab diesem Zeitpunkt das Leistungsvermögen dadurch beeinträchtigt werde. Derartige Begründungsschritte fehlten jedoch vollständig.
Der Senat hat in der Folge den Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Prof. Dr. N beauftragt, den Kläger zu untersuchen und zu begutachten. In seinem am 23. Februar 2014 nach einer ambulanten Untersuchung am 18. Februar 2014 fertig gestellten Gutachten ist dieser zu folgenden Diagnosen gelangt: 1. Alkoholabhängigkeit, episodischer Substanzgebrauch (Dipsomanie) (gem. ICD-10 F 10.26) 2. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (gem. ICD-10 F 45.41) 3. Insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II (mit pankreopriver Komponente) 4. Fettstoffwechselstörung und Leberfunktionsstörung 5. Hypertonus 6. Adipositas 7. Blande Polyneuropathie ohne sensible oder motorische Ausfälle. Im Vordergrund des komplexen Störungsbildes stehe die Alkoholabhängigkeit, die ein konditionales Bedingungsgefüge aus psychischen, körperlichen und sozialen Bedingungen darstelle, sodass es sich nicht um eine gestörte Erlebnisverarbeitung i. S. e. psychischen Fehlverhaltens handele. Der Kläger habe ein demonstratives Verhalten mit ungewöhnlich ausgeprägter Verdeutlichungstendenz geboten. Er sei nur mit ärztlicher Hilfe in der Lage, sich aus der Sucht zu befreien. Es sollte nach einer mehrtätigen Entzugsbehandlung eine 4-monatige stationäre Entwöhnungsbehandlung angetreten werden. Die Vorenthaltung der Rente sei von wesentlicher Bedeutung für eine Überwindung der Fehlhaltung. In einer Trinkphase sei der Kläger gegenwärtig nicht arbeitsfähig, ebenso wenig in der anschließenden Entzugsphase. In der sehr viel längeren "Trockenzeit" sei er zu vollschichtiger leichter Arbeit in der Lage. Soweit er angebe, praktisch in einem 4-wöchentlichen Rhythmus je eine Woche zu trinken, eine Woche Entzugserscheinungen zu haben und 2 Wochen abstinent zu sein, stehe dies nicht im Einklang mit dem Laborbefund, der auf längere Trockenphasen hinweise. Vor dem Hintergrund der erhobenen körperlichen und psychischen Befunde sei er nach stationärer psychotherapeutischer-psychosomatischer Entwöhnungsbehandlung von 4-monatiger Dauer innerhalb der nächsten 6 Monate in der Lage, leichte körperliche Arbeiten täglich 8 Stunden lang zu verrichten. Vor dem Hintergrund der chronischen Störungen am Achsorgan und den unteren Gliedmaßen sei der Wechsel der Haltungsarten zu wünschen. Akkord- oder Fließbandarbeit bzw. Arbeiten im festgelegten Arbeitsrhythmus seien nicht zumutbar. Auch sollte nicht an laufenden Maschinen gearbeitet werden. Das Heben und Tragen von Lasten sei bis 5 kg, zeitweilig bis maximal 10 kg möglich. Er könne in Wechselschicht, nicht hingegen in Nachtschicht arbeiten. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten entfielen. Die Belastbarkeit der Wirbelsäule und der Beine sei reduziert. Arbeiten überwiegend oder teilweise am Computer seien vor dem Hintergrund des bisherigen Berufsweges schwer vorstellbar. Einfache geistige Arbeiten seien entsprechend dem bisherigen Bildungs- und Arbeitsgang des Klägers möglich. Die festgestellten Leiden wirkten sich nicht auf das Hör- und Sehvermögen aus. Reaktionsvermögen, Lese- und Schreibgewandtheit seien erhalten, Auffassungsgabe, Lern- und Merkfähigkeit sowie Gedächtnis seien ungestört. Dies gelte auch für die Konzentrationsfähigkeit. Es könnten keine besonderen Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen gestellt werden. Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle seien nicht zu berücksichtigen. Das Führen eines Kfz sei ausgeschlossen, solange nicht eine erfolgreiche Alkoholentwöhnungsbehandlung stattgefunden habe. Die üblichen Pausen reichten aus. Hinsichtlich der Leistungsbewertung ergebe sich - bei gewissen Differenzen auch hinsichtlich der Diagnosestellung - eine weitgehende Übereinstimmung mit der Beurteilung durch den Vorgutachter Dr. M. Bezüglich der Beurteilung durch die Vorgutachterin Dipl.-Med. P bestehe angesichts von Defiziten in der dortigen Befunderhebung und fehlender Nachvollziehbarkeit der Schlussfolgerungen hingegen keine Übereinstimmung.
Der Kläger ist der Auffassung, entscheidend sei, in welchem Maß Ausfallzeiten durch die regelmäßig auftretenden Trinkexzesse einträten. Angesichts der Beeinträchtigungen, die durch die Alkoholerkrankung bedingt seien, sei es nicht nachvollziehbar, warum diese quantitativ nicht leistungseinschränkend sein solle. Die Suchterkrankung sei unstreitig behandlungsbedürftig. Die Behandlung an sich dürfte jedoch langwierig sein und sei mit einer hohen statistischen Rückfallgefahr verbunden, so dass insoweit eine Erwerbsunfähigkeit von mehr als sechs Monaten vorliege. Er sei daher bis zum erfolgreichen Abschluss einer entsprechenden Therapie erwerbsgemindert. Er verweist auf ein für die Agentur für Arbeit erstelltes Gutachten nach Aktenlage des Dr. R vom 17. September 2013 sowie Berichte der L gGmbH vom 15. Mai 2014 (betreffend eine stationäre Behandlung vom 12. bis zum 15. Mai 2014 wegen diffuser Bauchschmerzen mit Erbrechen im alkoholisierten Zustand; Diagnosen u. a.: Refluxösophagitis 1. Grades, akute Gastritis) und vom 26. Juni 2014 (betreffend eine stationäre Behandlung vom 22. bis zum 26. Juni 2014 wegen Alkoholentzugssyndroms).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 02. November 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 01. November 2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und schließt sich der Kritik des Dr. M zu dem Gutachten sowie der ergänzenden Stellungnahme der Dipl.-Med. an. Aus ihrer Sicht sei die Suchterkrankung bei der Beurteilung des Leistungsvermögens bereits berücksichtigt worden. Während der Trinkphasen liege nur eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit vor.
Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die den Kläger betreffende Rentenakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das SG einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminderung verneint.
Versicherte haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI)).
Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist erwerbsgemindert nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI in der ab 01. Januar 2001 geltenden Fassung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI).
Nach Auswertung der im Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren erstellten Sachverständigengutachten, insbesondere der Gutachten der Fachärztin für Sozialmedizin S vom 07. April 2008, des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. B vom 08. Dezember 2009, des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin, Psychotherapie und Psychoanalyse, Rehabilitationswesen, Psychosomatische Medizin Dr. M vom 23. Februar 2011 und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. N vom 23. Februar 2014 ist der Senat gemäß § 128 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) davon überzeugt, dass der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert ist.
Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen steht fest, dass der Kläger an folgenden Gesundheitsstörungen leidet: • Alkoholabhängigkeit, episodischer Substanzgebrauch (Dipsomanie) (gem. ICD-10 F 10.26) • Anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (gem. ICD-10 F 45.41) • Insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II (mit pankreopriver Komponente) • Fettstoffwechselstörung und Leberfunktionsstörung • Hypertonus • Adipositas • Blande Polyneuropathie ohne sensible oder motorische Ausfälle. • Degenerative Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule mit Neigung zu Rückenschmerzen.
Soweit die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. P in ihrem Gutachten vom 20. August 2012 bzw. ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 09. Oktober 2012 darüber hinaus folgende Diagnosen gestellt hat: • Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige bis schwere Episode • Verdacht auf Zustand nach Kaufsucht • Zustand nach somatoformer autonomer Funktionsstörung • Zustand nach anhaltender somatoformer Schmerzstörung, können diese im Rahmen der Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers keine Berücksichtigung finden. Die Sachverständige hat - wie Dr. M in seiner Stellungnahme vom 01. Februar 2013 ausführlich und überzeugend dargestellt hat - für die von ihr diagnostizierte "rezidivierende Störung, gegenwärtig schwere bis mittelschwere Episode" keine hinreichenden, die Diagnose begründenden Befunde mitgeteilt. Prof. Dr. N hat ferner überzeugend dargelegt, dass etwaige Stimmungsschwankungen bzw. depressive Phasen im Zusammenhang mit der Abhängigkeitserkrankung zu werten sind. Die weiteren "Verdachts" - bzw. "Zustand nach"-Diagnosen spielen für die Beurteilung des Leistungsvermögens ebenfalls keine Rolle, denn im Rahmen der Beurteilung des Leistungsvermögens kommt es nur auf die Frage an, welche konkreten Funktions- bzw. Fähigkeitsstörungen bei dem Kläger nachweislich zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung bzw. der Begutachtung bestehen, nicht mehr vorhandene Krankheiten / Gesundheitsstörungen sowie nicht gesicherte Störungsbilder können daher keine Berücksichtigung finden.
Soweit in den vom Kläger eingereichten Arztbriefen des Dr. M vom 04. Januar 2012 und 11. November 2012 die Diagnose einer Schlafapnoe gestellt wurde, fehlt es an einer entsprechenden Sicherung dieser Diagnose. Hierzu hat der Kläger i. Ü. bei der Begutachtung durch Prof. Dr. N mitgeteilt, es sei keine derartige Störung nachgewiesen worden.
Aus diesen Befunden ergibt sich zwar eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers, eine dauerhafte Verringerung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf unter drei Stunden oder auf unter sechs Stunden täglich folgt zur Überzeugung des Senats aus diesen Befunden jedoch nicht. Zu diesem Ergebnis gelangen - ebenso wie die Gutachterin der Beklagten S - übereinstimmend die Sachverständigen Dr. B Dr. Mund Prof. Dr. N.
Der Kläger kann demzufolge täglich regelmäßig noch zumindest leichte körperliche Arbeiten sowie einfache geistige Arbeiten in geschlossenen Räumen sowie im Freien unter Witterungsschutz im Wechsel der Haltungsarten sechs Stunden und mehr verrichten. Lärmarbeitsplätze sind nicht zumutbar. Arbeiten mit ständigen Zwangshaltungen sind zu vermeiden, der Kläger kann sich jedoch gelegentlich knien, hocken und bücken. Auf Leitern und Gerüsten kann er im Hinblick auf die Alkoholabhängigkeit nicht eingesetzt werden. Weiterhin nicht zumutbar sind ständige einseitige körperliche Belastungen, Arbeiten mit Rüttlungen und Stauchungen der Wirbelsäule, Arbeiten in Nachtschicht sowie unter besonderem Zeitdruck (Akkord- bzw. Fließbandarbeit) oder an laufenden Maschinen. Die Belastbarkeit der Wirbelsäule und der Beine ist reduziert. Arbeiten überwiegend oder teilweise am Computer sind vor dem Hintergrund des bisherigen Berufsweges schwer vorstellbar. Einfache geistige Arbeiten sind entsprechend dem bisherigen Bildungs- und Arbeitsgang des Klägers möglich. Die festgestellten Leiden wirken sich nicht auf das Hör- und Sehvermögen aus. Reaktionsvermögen, Lese- und Schreibgewandtheit sind erhalten, Auffassungsgabe, Lern- und Merkfähigkeit sowie Gedächtnis ungestört. Dies gilt auch für die Konzentrationsfähigkeit. Es können keine besonderen Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen gestellt werden. Besondere Einschränkungen der Greiffunktion und Fingergeschicklichkeit oder der groben Kraft der Hände sind nicht nachgewiesen, zumal die Hände des Klägers anlässlich der Begutachtung durch Prof. Dr. N starke Gebrauchsspuren z. B. in Form von Schwielen zeigten.
Die Wegefähigkeit ist erhalten. Es sind keine medizinischen Gründe ersichtlich, die der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entgegenstehen könnten. Der Kläger ist auch in der Lage, täglich viermal wenigstens 500 Meter zur Fuß zurückzulegen. Das Führen eines Kfz ist derzeit im Hinblick auf die Alkoholabhängigkeit ausgeschlossen (wenn auch der Kläger nach eigenen Angaben tatsächlich selber fährt). Die üblichen Pausen sind ausreichend.
Soweit die Sachverständige Dipl.-Med. P zu einer abweichenden Beurteilung gelangt, vermag sich der Senat dieser nicht anzuschließen. Ihr Gutachten vom 20. August 2012 und auch ihre ergänzende Stellungnahme vom 09. Oktober 2012 sind insoweit nicht überzeugend. Der Senat folgt der detaillierten Kritik des Sachverständigen Dr. M in dessen Stellungnahme vom 01. Februar 2013 sowie des Sachverständigen Prof. Dr. N in dessen Gutachten. Das Gutachten weist gravierende Mängel auf, denn es verfügt weder über einen eingehenderen körperlichen Befund (etwa zum Bewegungsapparat) noch über einen neurologischen Basis-Befund, obwohl dies zu den Grunderfordernissen für ein fachgerechtes psychiatrisches Gutachten gehört (vgl. hierzu die Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung: Sozialmedizinische Beurteilung bei psychischen und Verhaltensstörungen der DRV von August 2012 auf S. 37; Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, DRV (Hrg.), 7. A. 2011, S. 544; Schneider/Frister/Olzen, Begutachtung psychiatrischer Störungen, Springer 2006, S. 63 f.; Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. A. 2009, S. 58). Insoweit vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, wie die Sachverständige zu den weitreichenden qualitativen Leistungseinschränkungen (insbesondere keine leichten körperlichen Arbeiten, kein Heben und Tragen von Lasten, keine Anforderungen an die grobe Kraft der Hände sowie die Fingerfertigkeit, Aufhebung der Wegefähigkeit) und der Minderung des quantitativen Leistungsvermögens gelangt. Darüber hinaus fehlt es an jeglicher Auseinandersetzung mit den Beurteilungen der Vorgutachter. Soweit die Sachverständige in ihrer Stellungnahme vom 09. Oktober 2012 darauf hinweist, die von ihr gestellten Diagnosen seien zuvor nicht gestellt worden, ist das nicht hinreichend. Es hätte dann umso mehr Anlass bestanden herauszuarbeiten, ob zu irgendeinem Zeitpunkt im Verlaufe des Verfahrens Änderungen der tatsächlichen gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers eingetreten sind oder weshalb die vorherigen Einschätzungen auch ohne Änderung der Verhältnisse hinsichtlich Diagnosestellung und vor allem Leistungsbeurteilung unzutreffend sein könnten.
Die Alkoholabhängigkeit begründet zur Überzeugung des Senats, die sich maßgeblich auf die Beurteilung des erfahrenen Sachverständigen Prof. Dr. N stützt, derzeit keine Aufhebung des quantitativen Leistungsvermögens. Der Kläger befindet sich nicht in kontinuierlicher psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung bzgl. der Alkoholabhängigkeit. Eine regelrechte Entwöhnungsbehandlung wurde nur einmal (im Jahr 2009) versucht, vom Kläger jedoch nach 5,5 Wochen abgebrochen. "Entgiftungen" führt der Kläger in seinen Abstinenzphasen selbst durch. Eine ärztliche Entgiftung fand ebenfalls nur einmalig im Jahr 2009 statt. Die Alkoholerkrankung, hinsichtlich der - wie Prof. Dr. N dargestellt hat - innerhalb eines Zeitraums von weniger als 6 Monaten eine deutliche Besserung zu erzielen ist, ist daher zunächst als Behandlungsfall anzusehen, zumal gravierende unumkehrbare Folgeschäden, die wiederum Auswirkungen auf das Leistungsvermögen haben könnten (wie z. B. eine Polyneuropathie mit sensiblen oder motorischen Ausfällen, eine Leberzirrhose, eine chronische Pankreatitis oder ein hirnorganisches Psychosyndrom) bisher nicht nachgewiesen sind (vgl. die Leitlinien für die Beurteilung von Menschen mit psychischen Störungen der DRV Bund vom Dezember 2006, S. 30 f.; Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, DRV (Hrg.), 7. A. 2011, S. 588 f.; Fritze/Mehrhoff, Die ärztliche Begutachtung, 8 ... 1012, S. 732 f.). Sowohl der Diabetes mellitus als auch der Bluthochdruck, die Fettstoffwechselstörung und die Harnsäurestoffwechselstörung oder auch eine neu festgestellte Gastritis bzw. Refluxösophagitis sind gut behandelbar, insbesondere wesentlich günstig zu beeinflussen durch eine Gewichtsabnahme und eine dauerhafte Alkoholabstinenz.
Soweit der Sachverständige Prof. Dr. N festgestellt hat, dass der Kläger während seiner Trinkphasen und der anschließenden Entzugsphasen nicht arbeitsfähig, während der Trockenphasen aber zu vollschichtigen leichten körperlichen sowie geistig einfachen Arbeiten in der Lage sei, resultiert hieraus keine dauerhafte Erwerbsminderung auf unter 6 Stunden täglich. Prof. Dr. N hat nämlich im Weiteren ausdrücklich festgestellt und auch begründet, dass der Kläger nach einer mehrtätigen Entgiftungsbehandlung und einer rund 4-monatigen Entwöhnungsbehandlung wieder in der Lage ist, dauerhaft einfache körperliche und einfache geistige Arbeiten vollschichtig zu verrichten, so dass der Kläger auf absehbare Zeit (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) im Stande ist, - unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes - täglich mindestens 6 Stunden erwerbstätig zu sein.
Eine quantitative Erwerbsminderung ergibt sich im Übrigen nicht allein daraus, dass ein Versicherter wegen eines Leidens häufig krankheitshalber arbeitsunfähig ist. Eine Erwerbsunfähigkeit kann daraus nur folgen, wenn so häufige Arbeitsunfähigkeitszeiten auftreten, dass die während eines Arbeitsjahres erbrachten Arbeitsleistungen den Mindestanforderungen nicht mehr genügen, welche ein vernünftig und billig denkender Arbeitgeber zu stellen berechtigt ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. Juli 1992 - 4 RA 13/97 -, zu finden in juris; Beschluss des BSG vom 31. Oktober 2012 - B 13 R 107/12 B - in juris). Diese Mindestanforderungen sind jedenfalls dann nicht mehr als erfüllt anzusehen, wenn der Versicherte die Arbeitsleistung für einen Zeitraum von mehr als 26 Wochen (sechs Monate bzw. die Hälfte) im Jahr gesundheitsbedingt nicht mehr erbringen kann (vgl. Beschluss des BSG vom 31. Oktober 2012 - B 13 R 107/12 B - m. w. N., in juris). Hiervon kann angesichts der aktenkundigen Angaben zum Trinkverhalten des Klägers nicht ausgegangen werden. Wie das SG in den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 02. November 2011 zutreffend herausgearbeitet hat, hat der Kläger gegenüber dem Sachverständigen Dr. M im Rahmen der Suchtanamnese am 23. Februar 2011 angegeben, dass er ca. fünf Tage lang exzessiv trinke, dann einige Monate abstinent bleibe, bis er wieder trinke. Das letzte Trinken hatte nach seinen Angaben Silvester/Neujahr 2010/2011 stattgefunden, so dass er zum Zeitpunkt der Untersuchung ca. sechs Wochen abstinent war. In der S-Klinik L hatte der Kläger im März 2009 angegeben, Trinkpausen von 14 Tagen bis zu einem halben Jahr zu haben, wobei er in Phasen drei bis fünf Tage im Monat trinke. Der letzte Alkoholkonsum hatte am 04. Januar 2009, also ca. 10 Wochen vor Aufnahme in der Klinik, stattgefunden. Die gegenüber Frau Dipl.-Med. P am 02. August 2012 gemachten Angaben variieren davon, ohne dass eine klare zeitliche Zuordnung möglich wäre. Danach sei die Dauer der "trockenen" Phasen unterschiedlich, meist vier Wochen. Wie lange die Trinkphasen andauern, bleibt unklar. Insgesamt sind die Angaben unpräzise, geben keinen Aufschluss über die letzten Trinkphasen und wirken damit letztlich geleitet vom klägerischen Rentenbegehren. Dieser Eindruck wird bestärkt durch die Feststellungen des Prof. Dr. N. Dort hat der Kläger am 18. Februar 2014 angegeben, die alkoholfreien Phasen betrügen lediglich 14 Tage, danach trinke er drei bis fünf Tage exzessiv, daran schließe sich eine mehrtätige Entzugsphase an. Dies ist jedoch nicht in Übereinstimmung zu bringen mit dem Ergebnis der von Prof. Dr. N durchgeführten Labordiagnostik. Gegen ein häufiges, nur zwei bis drei Wochen von Abstinenzphasen unterbrochenes exzessives Trinken spricht der Normalwert des so genannten alkoholspezifischen CDT, so dass von längeren Trockenphasen ausgegangen werden muss, während der der Kläger arbeitsfähig ist. Schließlich macht auch der vom Kläger vorgelegte Bericht der L gGmbH vom 26. Juni 2014, in welchem eine vorhergehende Trockenphase von einem Monat angegeben wird, deutlich, dass - entgegen der klägerischen Angaben bei der Untersuchung durch Prof. Dr. N und in Übereinstimmung mit den von diesem erhobenen Laborbefunden - die Trockenphasen deutlich länger sein dürften als die Trinkphasen. Selbst wenn man jedoch von regelmäßigen 10 Tagen Arbeitsunfähigkeit pro Monat ausginge, ergäbe dies keine 26 Wochen.
Die wiederholten Trinkphasen begründen auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen mit der Folge der Notwendigkeit der Benennung einer Verweisungstätigkeit.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist gegeben, wenn eine Mehrzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen und Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen - ohne im Einzelnen oder auf den ersten Blick ungewöhnlich zu sein - das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen können. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt vor, wenn bereits eine schwerwiegende Behinderung ein weites Feld von Verweisungstätigkeiten versperrt. Während noch in älteren Entscheidungen des BSG bzw. des Großen Senates des BSG auch Einarmigkeit und Einäugigkeit als Beispielsfälle angeführt wurden, werden nunmehr die Umstände des Einzelfalles als maßgeblich angesehen (vgl. BSG, Urteil vom 23. Mai 2006 - B 13 RJ 38/05 R - juris, für einen Fall funktioneller Einäugigkeit). Einen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt es nicht. Zu berücksichtigen sind insbesondere Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter ist zu ermitteln, welche Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen durch die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen im Einzelnen ausgeschlossen sind. Die konkrete Benennung ist nicht erforderlich, wenn der Kläger noch körperlich leichte Tätigkeiten mit weiteren Einschränkungen sechs Stunden täglich verrichten kann und sich für dieses Restleistungsvermögen Bereiche des allgemeinen Arbeitsmarktes mit entsprechenden Arbeitsplätzen beschreiben lassen (Gürtner in Kasseler Kommentar, 79. Ergänzungslieferung 2013, § 43 SGB VI, Rdnr. 47 m. w. N.).
So hat das BSG in einem Fall, in welchem es zu regelmäßig einmal in der Woche auftretenden Fieberschüben und damit einhergehender Arbeitsunfähigkeit kam, eine schwere spezifische Leistungsbehinderung bejaht (vgl. das Urteile des BSG vom 31. März 1993 - 13 RJ 65/91 - in juris sowie den Beschluss vom in 31. Oktober 2012 - B 13 R107/12 B - a. a. O.). Mit diesem Fall ist der des Klägers jedoch nicht vergleichbar. Weder ist in ähnlicher Genauigkeit voraussehbar, dass es zu Arbeitsunfähigkeiten kommt, noch dass diese mit einer vergleichbaren Regelmäßigkeit auftreten werden. Zudem hat Prof. Dr. N ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch periodisch trinkende Alkoholkranke wie der Kläger in der Lage sind, bei entsprechender Forderung (wie bei einem Gutachtentermin) das Trinken vorübergehend einzustellen, sodass hier - im Gegensatz zu Fieberschüben - davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger eine gewisse Kontrolle über sein Trinkverhalten behält. Insgesamt bestehen für den Senat aufgrund der gegenüber den Sachverständigen Dr. M und Prof. Dr. N gemachten Angaben des Klägers keine ernsthaften Zweifel daran, dass der Kläger trotz voraussichtlich immer wieder eintretender Arbeitsunfähigkeit in der Lage ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen (vgl. das Urteil des BSG vom 09. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - in juris) in ausreichender Regelmäßigkeit zu verrichten.
Soweit der Kläger sich auf zwei für die Agentur für Arbeit erstellte Gutachten stützt, in denen von einer Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden täglich ausgegangen wird, begründet dies keine andere Beurteilung, denn es handelt sich um reine Aktenlagegutachten auf der Grundlage der dem Senat bekannten Befunde. Auch aus den Berichten der L gGmbH bzgl. der stationären Behandlung einer akuten Gastritis sowie eines Alkoholentzugssyndroms ergibt sich keine abweichende Beurteilung, zumal auffällig ist, dass der Kläger, der sich im früheren Verfahrensverlauf nie in stationäre Behandlung begeben hatte, erstmals nach dem Gutachten des Prof. Dr. N kurz hintereinander zweimal in eine solche begeben hat. Nach wie vor sind jedoch bei dem Kläger keine unumkehrbaren gravierenden Folgeerscheinungen der Alkoholerkrankung nachgewiesen.
Nach alldem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.