Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 38 SF 180/13 EK AS - Urteil vom 11.06.2014
§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG bestimmt, dass sich die "Angemessenheit der Verfahrensdauer" nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und der Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter, richtet. Damit hat der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen, weil eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist.
Die Dauer eines Verfahrens ist in hohem Maße von dem Verhältnis abhängig, in dem die Zahl der von Rechtsuchenden betriebenen Verfahren zu den persönlichen und sächlichen Mitteln des jeweils zuständigen Gerichts steht. Dabei reicht es aus, dass dieses Verhältnis angemessen ist. Der Staat ist jedenfalls nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängig gemachte Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Sachen zu behandeln hat. Insofern ist ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Kläger Anspruch auf Entschädigung wegen einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Berufungsverfahrens haben.
Die Kläger erhoben auf den Bescheid des Jobcenters T-K (JC) vom 12. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2008, mit denen ihnen Leistungen für Unterkunft und Heizung (KdU) für die Zeit vom Dezember 2007 bis Mai 2008 bewilligt worden waren, bei dem Sozialgericht (SG) B am 21. April 2008 Klage (- S 110 AS 3145/08 -) mit dem Ziel, ihnen ab Januar 2008 monatlich weitere KdU-Leistungen i.H.v. 133,15 EUR zu gewähren. Das SG verpflichtete sodann das JC im Wege der einstweiligen Anordnung (- S 110 AS 3145/08 ER -), den Klägern für die Zeit von Januar 2008 bis Mai 2008 KdU i.H.v. monatlich 752,15 EUR zu gewähren; das JC setzte den Beschluss des SG vom 9. Juni 2008 mit Bescheid vom 17. Juni 2008 um. Die Klage erweiterten die Kläger am 15. Dezember 2008 auf die für die Leistungszeiträume von Juni bis November 2008 bzw. Dezember 2008 bis Mai 2009 ergangenen Bescheide des JC vom 9. Juni 2008 und 6. November 2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 1. Dezember 2008.
Das SG teilte den Klägern mit Schreiben vom 5. Januar 2009 mit, dass die am 15. Dezember 2008 eingegangene Klage als Klageerweiterung angesehen werde, die Akte S 26 AS 21021/08 ER (einstweiliges Rechtsschutzverfahren für die Zeit ab Juni 2008) beigezogen werden solle und das JC zur Äußerung aufgefordert worden sei. Die angeforderten Gerichtsakten lagen am 20. Februar 2009 vor, die Stellungnahme des JC am 29. Oktober 2009. Bereits zuvor hatten die Kläger ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, wie nunmehr auch das JC, erteilt. Nach Eingang der Akten des JC am 10. November 2009 wies das SG mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 21. September 2010 die Klage ab.
Gegen das am 15. Oktober 2010 zugestellte Urteil wandten sich die Kläger mit ihrer am 26. Oktober 2010 eingelegten und inhaltlich begründeten Berufung (- L 10 AS 1993/10 -). Nach Abgabe an den nach dem seinerzeit geltenden Geschäftsverteilungsplan des Landessozialgerichts (LSG) zuständigen 26. Senat (- L 26 AS 1993/10 -) am 24. November 2010 ging am 29. November 2010 die bereits zuvor vom 10. Senat angeforderte Berufungserwiderung des JC nebst Verwaltungsakten ein. Die Berichterstatterin des 26. Senats wies mit Schreiben vom 31. März 2011 das JC darauf hin, dass nach den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 2. Juli 2009 (- B 14 AS 36/08 R -) bzw. 19. Oktober 2010 (- B 14 AS 50/10 R - und - B 14 AS 65/09 R - und - B 14 AS 2/10 R -) hinsichtlich der angemessenen KdU nicht auf die vom JC herangezogenen Ausführungsvorschriften des Landes Berlin zurückgegriffen werden könne. Nach entsprechender Vorberatung des Senats möge das JC darlegen, welches i.S. der Rechtsprechung des BSG "schlüssige Konzept" es nunmehr der KdU-Bemessung zugrunde lege bzw. legen werde. Sollte ein derartiges Konzept nicht beabsichtigt sein, möge das JC nach Maßgabe der Rechtsprechung des BSG in den zitierten Urteilen den maßgebenden gewichteten arithmetischen Mittelwert für die Nettokaltmiete sowie den Wert für die kalten Betriebskosten nachvollziehbar bestimmen. Auf Schreiben der Kläger vom 10. April 2011, 20. April 2011 und 20. Juli 2011 - zuletzt baten die Kläger darin im Hinblick auf die vorliegende BSG-Rechtsprechung um eine abschließende Entscheidung - erwiderte die Berichterstatterin unter dem 14. April 2011, 4. Juli 2011 und 10. August 2011 und verwies darauf, dass es wegen der Beteiligung der Senatsverwaltung im Hinblick auf eine beabsichtigte Rechtsverordnung zu den KdU zu Verzögerungen kommen könne. Zugleich erinnerte sie das JC, zuletzt mit Fristsetzung bis 31. Oktober 2011, an die erbetene Stellungnahme. Das JC erwiderte schließlich mit am 15. November 2011 eingegangenen Schriftsatz vom 9. November 2011, dass es an die Ausführungsvorschriften des Senats von B gebunden sei.
Nachdem die Kläger mit Schreiben vom 6. Februar 2012 und - nach Abgabe der Sache an den 34. Senat des LSG (- L 34 AS 1993/10 -) ohne Wechsel der Berichterstatterin - vom 25. August 2012 eine gerichtliche Entscheidung angemahnt hatten, erhoben sie am 24. Oktober 2012 eine "Verfahrensrüge (Erinnerung)", mit der sie die "lang andauernde und mithin auch völlig unzumutbare Verfahrensdauer trotz der hier an sich schon klaren Rechtslage" rügten. Die Berichterstatterin und nunmehrige Vorsitzende des 34. Senats setzte mit Verfügung vom 10. Mai 2013 Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2013 an. Mit Urteil vom selben Tag wies das LSG die Berufung zurück, soweit nicht die geltend gemachten Ansprüche durch das JC (teilweise) anerkannt wurden. Das schriftliche Urteil wurde den Klägern am 14. Juni 2013 zugestellt. Die nach zunächst erhobener Anhörungsrüge (Beschluss des LSG vom 15. Juli 2013 - L 34 AS 1646/13 RG -) hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat das BSG als unzulässig verworfen (Beschluss vom 24. Oktober 2013 - B 14 AS 288/13 B -; eine Anhörungsrüge hiergegen blieb ebenfalls erfolglos). Mittlerweile reichten die Kläger Verfassungsbeschwerde ein.
Die Kläger haben am 22. Juni 2013 bei dem LSG Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer erhoben und machen eine Entschädigung i.H.v. 3.864,65 EUR geltend, wovon 1.464,65 EUR auf materielle Schäden (geltend gemachte weitere KdU-Leistungen i.H.v. monatlich 133,15 EUR für die Zeit von Juni 2008 bis Mai 2009) entfallen würden. Das LSG habe das Verfahren trotz der bereits frühzeitig durch das BSG geklärten entscheidungserheblichen Rechtsfragen - insbesondere im Jahr 2012, in dem es zu einem gänzlichen "Ruhestand" gekommen sei - und der Bedeutung für die Kläger nicht zügig betrieben und auch in der Sache falsch entschieden; auf die Schriftsätze der Kläger vom 21. Juni 2013, 29. Juni 2013, 9. Juli 2013, 1. August 2013, 4. September 2013, 18. Oktober 2013, 16. Dezember 2013 und 4. Februar 2014 wird Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verurteilen, ihnen wegen unangemessener Dauer des Berufungsverfahrens gegen das Jobcenter T-K - L 34 AS 993/10 - eine Entschädigung von 3.864,65 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er sieht keine unangemessene Verzögerung des Berufungsverfahrens. Zwar sei in der Zeit vom 15. November 2011 bis zum 10. Mai 2013 eine Bearbeitung des Verfahrens in den Akten nicht dokumentiert, der zur Entscheidung berufene Senat habe jedoch selbst ein schlüssiges und insoweit in dem seinerzeit ergangenen Urteil auch ausführlich begründetes KdU-Konzept entwickeln müssen. Zudem müssten die Kläger hinnehmen, dass auch andere, zumal ältere Verfahren vorrangig bearbeitet würden. Die Erstattung eines materiellen Schadens komme überdies nicht in Betracht.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Gerichtsakte und die Akten des Verfahrens S 110 AS 3145/08 - L 34 AS 1993/10 haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Maßgebend für das vorliegende Klageverfahren sind die §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sowie die §§ 183, 197a und 202 SGG, jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl I S 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl I S 2554). Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer handelt es sich nicht um einen Amtshaftungsanspruch i.S.v. Art. 34 Grundgesetz (GG). Es ist daher nicht der ordentliche Rechtsweg, sondern vorliegend der zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Denn die grundsätzlich in § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG vorgesehene Zuweisung der Entschädigungsklagen an das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, wird für sozialgerichtliche Verfahren in § 202 Satz 2 SGG modifiziert. Nach dieser Regelung sind die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198-201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das LSG, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das BSG und an die Stelle der Zivilprozessordnung das SGG tritt. Für die Entscheidung über die Klage ist daher das LSG Berlin-Brandenburg zuständig.
Richtiger Beklagter ist das Land Berlin, obwohl die Kläger (nur) die Dauer des in der Berufungsinstanz vor dem LSG Berlin-Brandenburg geführten Verfahrens - L 34 AS 1993/10 - rügen und dieses Gericht seinen Sitz im Land Brandenburg hat. Nach § 200 Satz 1 GVG haftet für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, das Land. Da das LSG Berlin-Brandenburg gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Staatsvertrags über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26. April 2004 (GVBl für Berlin 2004, 380 bzw. GVBl Brandenburg I S 283 ff.) - Staatsvertrag - ein gemeinsames Fachobergericht der Bundesländer Berlin und Brandenburg ist, seinen Sitz aber im Land Brandenburg hat, lässt sich dem Wortlaut des § 200 Satz 1 GVG unmittelbar keine Bestimmung des richtigen Beklagten entnehmen. Der Senat folgt insoweit jedoch dem Bundesfinanzhof (BFH), der für das Finanzgericht Berlin-Brandenburg unter Berufung auf die im Wesentlichen auf die Gesetzesmaterialien zum Staatsvertrag sowie die einfachere staatsrechtliche Handhabbarkeit abstellenden Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin im Beschluss vom 19. Dezember 2006 (- 45/06 - juris, Rn 23 ff) sowie auf die Beschlüsse des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg vom 10. Mai 2007 (- 8/07 - juris - Rn 14 ff) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. Juli 2006 (- 2 BvR 1058/05 - juris - Rn 22 ff) davon ausgegangen ist, dass maßgeblich nicht das Sitzprinzip sei, sondern die gemeinsamen Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg jeweils Rechtsprechungsgewalt desjenigen Bundeslandes ausübten, aus dem das Ausgangsverfahren stamme (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - juris). Vorliegend stammt das Ausgangsverfahren aus dem Land Berlin. Mit Blick auf die primär an den Wohnsitz der Kläger anknüpfende örtliche Zuständigkeit der Sozialgerichte (vgl. § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG) hatten diese den Rechtsstreit zutreffend vor dem SG Berlin anhängig gemacht. Das LSG Berlin-Brandenburg übte daher im gerügten Berufungsverfahren Rechtsprechungsgewalt des Landes Berlin aus, das damit Anspruchsgegner im Entschädigungsklageverfahren ist. Das Rubrum wurde von Amts wegen entsprechend berichtigt.
Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf die Präsidentin des LSG Berlin-Brandenburg (§ 29 Abs. 1 Satz 2 der Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz vom 22. Oktober 2012, Amtsblatt Berlin 2012, 1979) ist nicht zu beanstanden. Insbesondere durfte diese Übertragung durch eine Verwaltungsanweisung vorgenommen werden; ein Gesetz war nicht erforderlich (vgl. BFH a.a.O. für die vorher geltende Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz vom 20. September 2007, Amtsblatt Berlin 2007, 2641).
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen. Gemäß § 54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Kläger macht angesichts der Regelung des § 198 GVG nachvollziehbar geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung i.S.v. § 54 Abs. 5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL = SozR 4-1720 § 198 Nr. 1). Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl.. § 198 Abs. 5 GVG). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 17/3802, S. 22 zu Abs. 5 Satz 1), nach der der Anspruch nach allgemeinen Grundsätzen auch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger geltend gemacht und außergerichtlich befriedigt werden kann, erkennen, dass es sich hierbei um eine Möglichkeit, nicht jedoch eine Verpflichtung handelt.
Auch ist die Klage form- und fristgerecht nach Ablauf von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge (vgl. § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG) eingereicht worden.
Die Klage ist auch in der Sache in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Denn das Berufungsverfahren - L 34 AS 1993/10 - war unangemessen lang.
§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG bestimmt, dass sich die "Angemessenheit der Verfahrensdauer" nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und der Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter, richtet. Damit hat der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen, weil eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BR-Drucks 540/10 S 24 = BT-Drucks 17/3802 S 18). Er benennt hingegen nur beispielhaft ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit bzw. Unangemessenheit einer Verfahrensdauer besonders bedeutsam sind (siehe auchBT-Drucks 17/3802 S 18). Derartige Umstände reichen nach Auffassung des Senats jedoch für die Anwendung des Begriffs der "unangemessenen Verfahrensdauer" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) nicht aus. Vielmehr sind diese Umstände in einen allgemeinen Wertungsrahmen einzuordnen, der sich aus folgenden Erwägungen ergibt: Haftungsgrund für den gesetzlich begründeten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer ist die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit. § 198 Abs. 1 GVG knüpft für die Bestimmung der (Un)Angemessenheit inhaltlich an die Maßstäbe an, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das BVerfG für die Beurteilung der Verfahrensdauer entwickelt haben (vgl. BSG a.a.O.). Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs gemäß § 198 GVG an den als Grundrecht nach Art 19 Abs. 4 GG sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK qualifizierten Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung von vornherein vorausgesetzt. Es reicht also nicht jede Abweichung vom Optimum, vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen vorliegen. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1GG) und auch zu dem Ziel einer inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidungen steht. Auch das spricht dagegen, bei der Bestimmung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer eine enge zeitliche Grenze zu ziehen (vgl. BSG a.a.O.).
Die Dauer eines Verfahrens ist in hohem Maße von dem Verhältnis abhängig, in dem die Zahl der von Rechtsuchenden betriebenen Verfahren zu den persönlichen und sächlichen Mitteln des jeweils zuständigen Gerichts steht. Dabei reicht es aus, dass dieses Verhältnis angemessen ist. Der Staat ist jedenfalls nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängig gemachte Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Sachen zu behandeln hat. Insofern ist ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten (vgl. BSG a.a.O.).
In Würdigung dieser Grundsätze sieht der Senat zunächst davon ab, statistische Werte über die durchschnittliche Dauer vergleichbarer Berufungsverfahren heranzuziehen. Denn gerade im Bereich der Länder Berlin und Brandenburg war es angesichts der gerichtsbekannten Personalausstattung in dem zur Prüfung stehenden Zeitraum nicht auszuschließen, dass die statistischen Zahlen gerade eine im Durchschnitt möglicherweise überlange Verfahrensdauer widerspiegeln. Als Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit eines Verfahrens sind sie daher nicht hilfreich (vgl. BSG a.a.O.).
Mit einer Dauer von mehr als 31 Monaten zwischen dem Eingang der Berufung und der Zustellung des Berufungsurteils war das vorliegend zu beurteilende zweitinstanzliche Verfahren unangemessen lang. Dabei war zu berücksichtigen, dass das Verfahren existenzsichernde KdU-Leistungen nach dem SGB II betraf, und zwar im Berufungsverfahren noch für die Zeit von Juli 2008 bis Mai 2009. Da für diesen Zeitraum die Kläger auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren keine höheren KdU-Leistungen (vorläufig) erstreiten konnten, war eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren über die Höhe der angemessenen KdU von großer Bedeutung für sie, auch im Hinblick auf die für künftige Leistungszeiträume entscheidungserhebliche Frage, ob das JC ein Kostensenkungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt hatte. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen wurden durch das BSG mit den auch vom LSG in dem gerügten Verfahren seiner Entscheidung zugrunde gelegten Entscheidungen des BSG vom 2. Juli 2009 und 19. Oktober 2010 (a.a.O.) sowie vom 13. April 2011 - B 14 AS 85/09 R - und 20. Dezember 2011 - B 4 AS 19/11 R - juris) geklärt. Nicht zu beanstanden ist dabei, dass die Berichterstatterin in Auswertung der Urteile vom 19. Oktober 2010 zunächst dem JC - letztlich ergebnislos - auferlegt hatte (vgl. Schreiben vom 31. März 2011), ein "schlüssiges Konzept" zu den angemessenen KdU vorzulegen. Dies entsprach vielmehr den Maßgaben der BSG-Rechtsprechung. Dass dessen ungeachtet eine frühere Entscheidung auch ohne entsprechende Ermittlungen möglich gewesen wäre, ist unerheblich. Denn es ist nicht Aufgabe des Entschädigungsgerichts, die Sachdienlichkeit von Ermittlungen im gerügten Verfahren - soweit diese vertretbar sind - auf ihre Notwendigkeit hin aus seiner Sicht zu prüfen oder gar seine Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen des im gerügten Verfahren mit der Bearbeitung betrauten Richters bzw. Gerichts zu setzen. Es liegt im Rahmen des richterlichen Gestaltungsspielraums bei der Bestimmung der Verfahrensführung, die Entscheidung in die eine oder andere Richtung zu fällen und hierfür eine Bedenkzeit zu beanspruchen. Denn die richterliche Entscheidung, ob und welche Ermittlungen in welcher Reihenfolge als sachgerecht angesehen werden, ist zumindest solange zu akzeptieren, wie sie sich noch als vertretbar darstellt. Dies kann im Einzelfall durchaus auch einmal damit einhergehen, dass ursprünglich für erforderlich erachtete Ermittlungen letztlich als nicht relevant bzw.. ursprünglich für nicht vorrangig relevant angesehene Ermittlungen später für bedeutsam gehalten werden.
Nachdem allerdings das JC nach mehrfachen Erinnerungen und abschließender Fristsetzung mit Schriftsatz vom 9. November 2011 (Eingang beim LSG 15. November 2011) mitgeteilt hatte, kein eigenes Konzept vorlegen zu wollen und an die Ausführungsvorschriften des Landes Berlin gebunden zu sein, hätte dem LSG angesichts der verstrichenen Zeit nunmehr eine Förderung des Verfahrens oblegen, zumal auch aus seiner Sicht augenscheinlich keine weiteren Ermittlungsnotwendigkeiten bestanden und die entscheidungserheblichen Rechtsfragen - wie aus dem Berufungsurteil erhellt - durch die Rechtsprechung des BSG geklärt waren, auf die sich dann das LSG auch erkennbar gestützt hat. Indes ist eine erkennbare Bearbeitung in der Sache ab 15. November 2011 bis zur Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 10. Mai 2013 - jedenfalls aktenkundig - nicht erfolgt, obwohl trotz Senatswechsel zum 16. August 2012 ein Wechsel in der Person der Berichterstatterin und späteren Vorsitzenden des 34. Senats nicht stattfand. Die allgemeine Arbeitsbelastung - auch durch die zeitweise Tätigkeit der Berichterstatterin als Präsidalrichterin und die naturgemäß in einem "Präsidentensenat" (hier bis 15. August 2012 der 26. Senat) geringere Sitzungsdichte - kann schon deshalb nicht als Rechtfertigung für eine längere Verfahrensdauer dienen, weil die Dezernatsbelastung in einem "Präsidentensenat" regelmäßig und so auch hier deutlich geringer war und es überdies der gerichtsinternen Organisation obliegt, auch Verfahren in diesen Senaten einer Erledigung in angemessenen Fristen zuzuführen. Hinzu kommt, dass diese Belastung mit dem Wechsel der Berichterstatterin und des Verfahrens in den 34. Senat entfallen war. Für die Prüfung der Sache und die Abstimmung im Senat sowie zur Vorbereitung des Verhandlungstermins und damit der Entscheidung des 34. Senats ist nach Einschätzung des erkennenden Senats in Anbetracht der höchstrichterlich geklärten Rechtsfragen und auch in Ansehung dessen, dass eine Bestimmung der Sitzungstage mit den entsprechenden ehrenamtlichen Richtern im Ermessen der Vorsitzenden (vgl. § 110 SGG) - dies war die Berichterstatterin seit Mitte September 2012 - liegt, indes nach der abschließenden Äußerung des JC ein weiterer Zeitraum in Ansatz zu bringen, der nicht statisch festzulegen ist. Auch eingedenk des Senatswechsels und des damit verbundenen Erfordernisses, auf den Terminstand des 34. Senats und des der Senatsgruppe zugehörenden 33. Senats Rücksicht zu nehmen, sowie unter Berücksichtigung der auch der Vorsitzenden zuzubilligenden Einarbeitungsphase wäre der 34. Senat aber gehalten gewesen, deutlich früher zu terminieren als dies dann tatsächlich (erst) am 10. Mai 2013 zum 6. Juni 2013 erfolgte, d.h. praktisch erst eineinhalb Jahre nach der letzten Äußerung des JC zur Sache. Verzögerungen können diesbezüglich den Klägern nicht angelastet werden, die mehrfach im Hinblick auf den eingetretenen "Verfahrensstillstand" dessen Fortführung angemahnt hatten.
Aus den vom Senat beigezogenen und im Termin zur mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten erörterten Terminsrollen des 26. und 34. Senats für das zweite Halbjahr 2012 und das erste Halbjahr 2013 ergibt sich Folgendes: Der 26. Senat hatte nur eine Sitzung am 29. März 2012 (mit drei älteren Sachen), der 34. Senat hatte (Senats-)Sitzungen am 23. November 2012 (mit drei jüngeren Verfahren aus dem Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende - AS -), 17. Januar 2013 (mit einem jüngeren und einem älteren AS-Verfahren), 31. Januar 2013 (mit drei jüngeren AS-Verfahren) und am 16. Mai 2013 (mit sechs jüngeren AS-Verfahren). AS-Senatssitzungen der für das hier gerügte Verfahren zuständigen Senate wurden danach zwischen dem 29. März 2012 und dem 23. November 2012 gar nicht anberaumt, dann jedoch drei Termine im ersten Halbjahr 2013 mit - bis auf eine Ausnahme - jüngeren Verfahren. Es wäre, da zu berücksichtigende Hinderungsgründe nicht ersichtlich sind und auch von dem Beklagten diesbezüglich entsprechende Tatsachen nicht vorgebracht wurden, nach alledem möglich und auch geboten gewesen, das Verfahren spätestens in der Sitzung des 34. Senats vom 23. November 2012 zu entscheiden, in der - neben einer schriftlichen Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - nur zwei mündliche Verhandlungen mit deutlich jüngeren Verfahren angesetzt worden waren, die im Übrigen nur von 11.40 Uhr bis 12.40 Uhr dauerten. Für die Abfassung und Zustellung des schriftlichen Urteils ist ein Zeitraum von einem Monat als angemessen anzusehen. Das Berufungsverfahren hätte daher spätestens bis zum Jahresende 2012 vollständig beendet werden können. Tatsächlich endete es erst mit Zustellung des Berufungsurteils am 14. Juni 2013.
Ingesamt ist daher von einer unangemessenen Verzögerung des Rechtsstreits im Umfang von fünf vollen Monaten auszugehen.
Eine Ausnahme von der regelmäßigen Feststellung einer angemessenen Entschädigung für den so erlittenen Nachteil nicht vermögenswerter Art (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG) kommt vorliegend nicht in Betracht (vgl. die Nachweise bei BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL -). Die Entschädigung beläuft sich nach Maßgabe des in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG enthaltenen Richtwerts zeitanteilig (vgl. BSG a.a.O.) auf 500,- EUR pro Kläger. Soweit die Kläger eine weitergehende Verzögerungsentschädigung begehren, ist die Klage nicht begründet.
Dies gilt auch, soweit die Kläger einen Vermögensschaden i.H.v. 1.464,65 EUR geltend machen, ohne dass hier zu entscheiden wäre, ob im Verfahren der Entschädigungsklage der Betroffene grundsätzlich nur Entschädigung für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG), erhalten kann. Jedenfalls fehlt es schon an der Kausalität zwischen der eingetretenen Verzögerung und dem geltend gemachten materiellen Schaden in Gestalt weiterer KdU-Leistungen i.H.v. 133,15 EUR für die Zeit von Juni 2008 bis Mai 2009, und zwar schon deshalb, weil nicht ersichtlich ist, dass das LSG im gerügten Berufungsverfahren ohne die unangemessene Verzögerung, d.h. bei einer früheren Entscheidung, in der Sache anders entschieden hätte. Es handelt sich mithin von vornherein nicht um einen Verzögerungsschaden, der auf die unangemessene Dauer des Verfahrens zurückzuführen sein könnte. Im Übrigen ist der Ausgangsrechtsstreit im Verfahren der Entschädigungsklage in der Sache nicht erneut zu führen; dies bleibt dem Rechtsmittelzug des gerügten Verfahrens vorbehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz.