Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Streit, ob dem Kläger Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz (OEG)) wegen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs zustehen oder diese zu versagen sind, weil ihre Gewährung aus in dem eigenen Verhalten des Klägers liegenden Gründen unbillig wäre.

Der Kläger erlitt am Abend des 5. März 2003 vor dem Lokal "F." in H. durch einen namentlich nicht bekannt gewordenen Täter mehrere Messerstichverletzungen. Insoweit ist zwischen den Beteiligten hinsichtlich des Tathergangs streitig, ob der Kläger und der spätere Täter innerhalb des Lokals zunächst eine tätliche Auseinandersetzung hatten und ob der Kläger, nachdem der spätere Täter das Lokal zunächst verlassen hatte, nach geraumer Zeit aber zu diesem zurückgekehrt war, dessen Aufforderung, nach draußen zu kommen, damit er ihn umbringen könne, gefolgt ist und das Lokal verlassen hat, wo er dann auf dem Gehweg niedergestochen wurde.

Mit Bescheid vom 6. April 2009 lehnte die Beklagte nach Auswertung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab, weil der Kläger zwar das Opfer eines Angriffs im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG geworden sei, jedoch Versagungsgründe im Sinne des § 2 Abs. 1 OEG vorlägen. Denn der Kläger habe vor den schädigenden Messerstichen eine verbale und tätliche Auseinandersetzung mit dem Täter gehabt und sich dann ohne Not auf eine weitere Auseinandersetzung eingelassen, bei der er mit einer Verletzung seines Körpers habe rechnen müssen. Den hiergegen erhoben Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2010 zurück. Es liege der Versagungsgrund der Unbilligkeit vor, weil der Kläger der Aufforderung des Täters, "Komm raus, ich bring dich um!" unverzüglich gefolgt sei. Damit habe er billigend eine Selbstgefährdung in Kauf genommen.

Auf die daraufhin fristgerecht erhobene Klage hat das Sozialgericht die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H. 3103 Js 502/04 ausgewertet und die Wirtin des Lokals "F." sowie zwei weitere Gäste des Tatabends als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 6. November 2012 Bezug genommen. Das Sozialgericht hat die Klage durch am 26. April 2013 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers an Verkündung Statt zugestelltes Urteil vom 23. April 2013 abgewiesen. Der Kläger habe sich dadurch grob fahrlässig selbst gefährdet, dass er der Aufforderung des Täters, nach draußen zu kommen, unmittelbar nachgekommen sei. Dies ergebe sich aus der Aussage des Zeugen B., eines der vernommenen Gäste, welcher Glauben zu schenken sei. Sie stehe überdies inhaltlich mit den Ergebnissen der staatsanwaltlichen Ermittlung in Übereinstimmung. Der anderslautenden Aussage der Wirtin, der Zeugin B1, und des zweiten vernommen Gastes, des Zeugen D., wonach es eine Auseinandersetzung nicht gegeben habe und der Kläger mit dem Verlassen des Lokals abgewartet habe, bis ersichtlich keine Gefahr mehr drohte, vermochte es unter Hinweis auf die Widersprüche dieser Aussagen zum Inhalt der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft und zu der Aussage des Zeugen B. nicht zu folgen. Auch hätten sich der Kläger und diese beiden Zeugen vor dem Termin beim Sozialgericht bei verschiedenen Gelegenheiten über das Tatgeschehen unterhalten. Mit dem Zeugen B. habe indessen ein entsprechender Kontakt nicht bestanden. Auf die Entscheidung wird ergänzend Bezug genommen.

Mit seiner fristgerecht erhobenen Berufung trägt der Kläger vor, es könne der Auffassung des Sozialgerichts nicht gefolgt werden, dass der Aussage der Zeugin B1 und derjenigen des Zeugen D. nicht, dafür aber der Aussage des Zeugen B. Glauben zu schenken sei. Denn das Aussageverhalten des Zeugen B. habe sich im Lauf der Zeit stark verändert. So ergebe sich aus dem Vermerk der Polizei vom 6. März 2003, dass sich der Zeuge B. als Gast im Lokal aufgehalten und mit dem Rücken zur Tür gesessen habe, so dass er den Täter nicht habe wiedererkennen und die Tat nicht habe sehen können. Daraus sei zu schließen, dass der Zeuge B. keine exakte Schilderung habe abgeben können. Dementgegen habe er am 11. Mai 2006 anlässlich einer erneuten Anhörung durch die Polizei gegenteilig ausgesagt und ausgeführt, der Kläger und der Täter hätten sich im Lokal aufgehalten, als er dieses betreten habe. Auch habe er geschildert, dass der Kläger auf der Toilette gewesen sei und bei seiner Rückkehr dem späteren Täter einen wuchtigen Schlag mit der Faust verabreicht habe. Daraufhin habe der Täter das Lokal verlassen, sei eine halbe Stunde später wiedergekommen und habe von draußen an das Fenster geklopft, woraufhin der Kläger sofort rausgegangen sei. Demgegenüber habe der Zeuge B. vor dem Sozialgericht ausgesagt, dass der spätere Täter auf die Toilette gegangen und es auf dem Rückweg zu einer Begegnung mit dem Kläger gekommen sei. Plötzlich habe der spätere Täter auf dem Boden gelegen und sei rausgegangen. Nach 10 - 15 Minuten habe er an das Fenster der Gaststätte geklopft, woraufhin der Kläger sofort rausgegangen sei. Seine - des Zeugen Aussage - sei äußerst dubios, zumal er ursprünglich auch angegeben habe, wörtlich verstanden zu haben, was der Kläger zu dem späteren Täter gesagt habe. Vor dem Sozialgericht habe er gemeint, den Inhalt des Gesprächs nicht mitbekommen zu haben, weil die Musik dauernd an- und ausgegangen sei. Deshalb sei den Aussagen der anderen Zeugen zu folgen und der Berufung stattzugeben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. April 2013 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 6. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2010 abzuändern sowie festzustellen, dass er Opfer eines am 5. März 2003 erlittenen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 des Gesetzes über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz) geworden ist und Versagungsgründe im Sinne des § 2 des Gesetzes nicht vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt der Berufung unter Hinweis auf die Entscheidung des Sozialgerichts entgegen. Der Kläger hätte den Angriff dadurch vermeiden können, dass er in dem sicheren Lokal verblieben wäre oder die Polizei gerufen hätte. Sein Handeln stelle nach allem eine leichtfertige Selbstgefährdung dar.

Durch Beschluss vom 18. November 2013 hat der Senat das auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gerichtete Begehren des Klägers wegen fehlender Erfolgsaussicht der Berufung abgelehnt. Auf den Beschluss wird Bezug genommen.

Der Kläger hat nach Zustellung des Beschlusses sein Vorbringen aus der Berufungsschrift bekräftigt. Die Wertung könne nicht ausschließlich auf die Aussage des Zeugen B. gestützt werden, vielmehr seien auch in hohem Maße die Aussagen der anderen Zeugen zu berücksichtigen. Auch seien die Aussagen nicht abgesprochen gewesen. Der Kläger habe in dem Gespräch vielmehr nur sicherstellen wollen, dass die Zeugen zum Termin erscheinen. Über die Sache habe man nicht gesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige, namentlich fristgerecht (§151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist nicht begründet.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) hat die Beklagte rechtsfehlerfrei entschieden, dass Leistungsansprüche des Klägers wegen der durch den unbekannten Täter erlittenen Gewalttat zwar nicht wegen Mitverursachung der Schädigung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative OEG, jedoch gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative OEG ausgeschlossen sind, weil es aus in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, ihm eine Entschädigung zu gewähren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) müssen die Gründe, aus denen sich die Unbilligkeit ergeben soll, von einem solchen Gewicht sein, dass sie dem in der ersten Alternative des § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG genannten Fall der Mitverursachung an Bedeutung gleichkommen (Urt. vom 06. Juli 2006 - B 9 VG 1/05 R). Unbillig ist danach eine Leistungsgewährung, wenn sie zu der grundlegenden Wertung des Gesetzes im Widerspruch steht. Denn Rechtsgrund für Opferentschädigung ist das Einstehen der staatlichen Gemeinschaft für die Folgen bestimmter Gesundheitsstörungen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen. Aufgabe des Staates ist es, den Bürger vor Gewalttaten zu schützen. Kann er dieser Aufgabe nicht gerecht werden, so besteht ein Bedürfnis für eine allgemeine Entschädigung (vgl. BT-Drucks 7/2506 S. 7). Widerspricht die begehrte Opferentschädigung diesem Normzweck, weil etwa der Geschädigte sich in missbilligenswerter Weise dadurch selbst in Gefahr begeben hat, dass er sich einem mit besonderen Gefahren verbundenen Milieu zuwendet (vgl. BSG a.a.O.) oder aber sich dadurch selbst gefährdet, dass er sich einer Gefahrenlage leichtfertig nicht entzieht, obwohl ihm dies bei einem Mindestmaß an Selbstverantwortung (BSG, Urt. vom 3. Oktober 1984 - 9a RVg 6/83) zumutbar und möglich gewesen wäre (BSG, Urt. vom 18. April 2001 - B 9 VG 3/00 R), steht die begehrte Entschädigung im Widerspruch zum Schutzzweck der Norm und ist wegen Unbilligkeit zu versagen.

So liegt es hier. Wie der Senat bereits in dem Beschluss vom 18. November 2013 ausgeführt hat, teilt er die Auffassung des Sozialgerichts, dass den Aussagen der Zeugen B1 und D. in der mündlichen Verhandlung nicht, dafür aber den Bekundungen des Zeugen B. zu folgen ist, wonach der Kläger der Aufforderung des späteren Täters, doch nach draußen vor das Lokal zu kommen, damit er - der Täter - "ihn umbringen" könne - unmittelbar nachgekommen ist. Auf diese Weise hat er sich grob fahrlässig selbst gefährdet, indem er aus einer durch den zunächst innerhalb des Lokals verbal geführten Streit sowie die dort ausgetauschten Tätlichkeiten aufgeheizten Situation heraus sich gleichsam dem Täter auf offener Straße ausgeliefert hat. Auch für das Berufungsgericht ergibt sich in Würdigung der gesamten Aktenlage, dass die Zeugen B1 und D. ihre den Bekundungen des Zeugen B. entgegenstehenden Aussagen im Hinblick auf das von dem Kläger verfolgte Entschädigungsbegehren angepasst haben, weil sie sich offenbar mit ihm verbunden fühlten. Von Bedeutung ist insoweit für den Senat ebenso wie für das Sozialgericht, dass diese Zeugen unmittelbar vor ihrer Vernehmung noch Kontakt mit dem Kläger hatten und sich telefonisch über das Tatgeschehen ausgetauscht haben, während hinsichtlich des Zeugen B. keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass dieser ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hatte. Anzuführen sind in diesem Zusammenhang auch die in der Aussage der Zeugin B1 vom Sozialgericht herausgearbeiteten Widersprüche zu früheren Aussagen gegenüber der Polizei. Wenn die Berufung meint, Widersprüchlichkeiten seien auch in der Aussage des Zeugen B. zu entdecken und es könne deshalb eine Entscheidung hierauf nicht gestützt werden, so folgt der Senat dieser Einschätzung ebenso wenig wie das Sozialgericht. Denn der Kern der Aussage des Zeugen B. hat sich im Laufe der Zeit - anders als derjenige der Aussage der Zeugin B1 - nicht verändert. Vielmehr hat der Zeuge B. bereits bei einer ersten zeugenschaftlichen Vernehmung vor der Polizei am 11. Mai 2006 von einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem späteren Täter berichtet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat er wiederum eine tätliche Auseinandersetzung beschrieben. Dies deckt sich inhaltlich mit der Aussage der Zeugin B1 vor der Polizei am 7. März 2003, wonach es zwischen dem Kläger und dem späteren Täter innerhalb des Lokals ein "Handgemenge" gegeben hat, und ist deshalb glaubhaft. Auch hat die Zeugin B1 in ihrer ersten Vernehmung bei der Polizei noch nicht davon berichtet, dass der Kläger mit dem Verlassen des Lokals gewartet hat, bis sich alles wieder beruhigt hatte, sondern insoweit nur angegeben, der Kläger sei der Aufforderung des Täters, nach draußen zu kommen, nachgekommen. Dies wiederum deckt sich mit der Aussage des Zeugen B ... Nach allem konnte das Sozialgericht rechtsfehlerfrei seine Entscheidung auf den wesentlichen Inhalt der Aussage des Zeugen B., auf die Aussagen der anderen Zeugen sowie die Angaben des Klägers jedoch nur insoweit stützen, als sie hiermit übereinstimmten. Eine nochmalige Vernehmung der Zeugen kommt nicht in Betracht (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 398 Abs. 1 ZPO), weil das Sozialgericht seine Tatsachenfeststellungen ordnungsgemäß getroffen hat und das Berufungsgericht eine abweichende Würdigung der erhobenen Beweise nicht in Betracht zieht (vgl. BSG, Urt. vom 28.11.2007 - B 11a /7a AL 14/07 R).

Wenn der Kläger nun mit der Berufung angibt, man habe vor der Beweisaufnahme beim Sozialgericht nicht über "die Sache" gesprochen, so steht dies in Widerspruch zu seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung am 6. November 2012. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat er nämlich dort eingeräumt, mehrfach, zuletzt am Morgen der Beweisaufnahme, sowohl mit der Zeugin B1 als auch mit dem Zeugen D. über das Tatgeschehen gesprochen zu haben. Schon deshalb vermag diese Einlassung die von dem Sozialgericht vorgenommene Beweiswürdigung nicht zu erschüttern. Überdies erklärt sich hierdurch auch nicht der Widerspruch der letzten Aussage der Zeugin B1 zu derjenigen gegenüber der Polizei, wonach es bereits im Lokal ein Handgemenge gegeben hatte, wie dies der Zeuge B. ebenfalls bekundet hat. Zweifel an dessen Aussage sind auch nicht deshalb angebracht, weil er mit dem Rücken zur Tür saß, wie der Kläger mit seiner Berufung vorbringt. Dies steht auch für den Senat mit dem Inhalt der Ermittlungsakte fest. Ebenso steht fest, dass er die Tat selbst nicht beobachtet hat. Jedoch kommt es hierauf für die vorliegend zu treffende Entscheidung nicht an. Vielmehr ist entscheidend, welche Beobachtungen er zu dem Geschehen innerhalb des Lokals gemacht hat. Hierzu hat der Zeuge sich erstmals in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung am 11. Mai 2006 geäußert. Bei dieser Äußerung ist er im Kern stets geblieben. Der Senat hat deshalb keine Veranlassung, an der Richtigkeit seiner Aussage zu zweifeln.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.