Gründe:

I.

Das Beschwerdeverfahren betrifft die Vergütung als beigeordneter Rechtsanwalt, die dem Erinnerungsführer und Beschwerdegegner (im Folgenden: Beschwerdegegner) gegen die Staatskasse zusteht.

Der Beschwerdegegner war in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren auf höhere Leistungsbewilligungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende - (SGB II) der aus drei Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft der damaligen Antragsteller vom Sozialgericht Dessau-Roßlau beigeordnet worden (S 2 AS 2213/12). Der Antragsgegner des ER-Verfahrens hatte den Antragstellern zunächst nur monatlich 468,99 EUR monatlich für einen Bewilligungsabschnitt bewilligt. Zwei Tage nachdem der Beschwerdegegner den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG gestellt hatte, erhöhte der Antragsgegner den monatlichen Leistungsanspruch mit Änderungsbescheid auf monatlich 1.110,82 EUR. Daraufhin erklärte der Beschwerdegegner den Rechtsstreit für erledigt und nahm das Kostenanerkenntnis des Antragsgegners an.

Am 17. September 2012 hat der Beschwerdegegner einen Kostenerstattungsantrag mit folgenden Positionen gestellt:

1. Verfahrensgebühr gemäß 3102 VV RVG 400,00 EUR

2. Gebührenerhöhung um 20 % 80,00 EUR

3. Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR

Zwischensumme: 500,00 EUR

19 % Mehrwertsteuer 95,00 EUR

Gesamtsumme: 595,00 EUR

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle beim SG hat am 8. Oktober 2012 die Vergütung nach §§ 45 ff. Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) festgesetzt, eine Gebührenerhöhung um 20 % jedoch nicht für gerechtfertigt gehalten und die Abrechnung auf 499,80 EUR gekürzt. Der Beschwerdegegner hat gegen den ihm am 15. Oktober 2012 zugestellten Beschluss am 29. Oktober 2012 Erinnerung eingelegt und ausgeführt: Angesichts des erheblichen Leistungsbetrages, der seinen Mandanten vorenthalten worden sei, sei die Erhöhung gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer und Erinnerungsgegner (im Folgenden: Beschwerdeführer) hat mit Schreiben vom 16. November 2012 Kenntnis vom Erinnerungsverfahren erlangt und am 28. November 2012 um Übersendung des streitigen Kostenfestsetzungsbeschlusses gebeten. Am 28. Dezember 2012 hat der Beschwerdegegner mitgeteilt, dass ein umfassendes Kostengrundanerkenntnis des Antragsgegners vorliege. Es seien daher die Gebühren in voller Höhe zu erstatten.

Das SG hat die Erinnerung mit Beschluss vom 7. Januar 2015 zurückgewiesen und festgestellt, dass die Möglichkeit einer Beschwerde zum Landessozialgericht Sachsen-Anhalt wegen § 178 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht gegeben sei.

Der Beschwerdeführer hat gegen den am 21. Januar 2015 zugestellten Beschluss am 23. Januar 2015 Beschwerde beim SG eingelegt und ausgeführt: Das Rechtsmittel sei statthaft, da gemäß § 73a Abs. 1 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 1, Abs. 3, 56, 33 Abs. 3 RVG die Vorschrift des § 178 SGG zurücktrete. In der Sache sei nur die Hälfte der Mittelgebühr berechtigt und der Gesamtanspruch des Beschwerdegegners auf insgesamt 261,80 EUR zu kürzen.

Der Beschwerdegegner hat sich zum Verfahren nicht geäußert.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

II.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Die Sache ist jedoch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG vom Senat als Gesamtspruchkörper zu treffen.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Entgegen der Ansicht des SG ist die Beschwerde statthaft. § 178 Satz 1 SGG steht dem nicht entgegen. Durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013 (Bundesgesetzblatt 2013 Teil I Nr. 55 S. 3533) hat der Gesetzgeber in § 73a Abs. 1 SGG durch Anfügen des Satzes 4 geregelt, dass sich die Vergütung für den beigeordneten Rechtsanwalt nach den Vorschriften des RVG richtet. Daraus folgt dass das RVG und damit insbesondere die dort geregelten Beschwerdemöglichkeiten innerhalb des SGG für die Vergütung im Rahmen der Prozesskostenhilfe anwendbar sind. Die Beschwerdemöglichkeit nach dem RVG in sozialgerichtlichen Verfahren wird auch im RVG nochmals bestätigt. Nach § 1 Abs. 3 RVG in der Fassung vom 23. Juli 2013 gehen die Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen spezialgesetzlicher Verfahrensvorschriften (z.B. SGG) vor. Aufgrund der Rechtsänderung ist die bisherige Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 30. Oktober 2009, L 4 P 8/09 B, juris) nicht mehr anwendbar.

Die Beschwerde ist auch im konkreten Fall statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 EUR übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Nach der Berechnung des Beschwerdeführers würde sich durch die Beschwerde die Kostenfestsetzung um 238,00 EUR zum Nachteil des Beschwerdegegners verringern. Auch ist die Beschwerde fristgerecht eingelegt worden (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG).

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Der Beschwerdeführer kann eine Änderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses zu Lasten des Beschwerdegegners nicht (mehr) erreichen. Denn er hat sein grundsätzlich unbefristetes Erinnerungsrecht verwirkt.

Die Besonderheit des vorliegenden Verfahrens liegt darin, dass der Beschwerdeführer und Erinnerungsgegner den Kostenfestsetzungsbeschluss nicht selbst im Wege der Erinnerung angegriffen, sondern dies erst mit Beschwerde nach der Erinnerungsentscheidung des SG nachgeholt hat.

Die Einlegung der Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss gemäß § 56 Abs. 2 RVG ist nicht an eine Frist gebunden. Daher ist eine Erinnerung selbst dann noch zulässig, wenn - wie hier - die Vergütung bereits ausgezahlt ist. Diese gesetzgeberische Entscheidung, eine unbefristete Erinnerung zuzulassen, darf von Seiten des Gerichts mittels eigener Rechtsmittelfristen nicht unterlaufen werden. Vielmehr gebietet es die Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie das Gebot der Rechtsmittelklarheit, die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers zu respektieren und nur ausnahmsweise einen Ausschluss der an sich unbefristeten Erinnerung anzunehmen (vgl. AG Halle, Beschluss vom 6. März 2014, 103 II 980/13, juris).

So kann das Erinnerungsrecht aus Gründen des Vertrauensschutzes nur in besonderen Ausnahmefällen wegen Verwirkung ausgeschlossen werden. Die Verwirkung findet dabei ihre zentrale rechtliche Grundlage im Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der in der gesamten Rechtsordnung Anwendung findet (vgl. für das Sozialversicherungsrecht z.B. BSG, Urteil vom 23. Juni 2015, B 1 KR 26/14 R; Urteil vom 21. April 2015, B 1 KR 11/15 R, juris). Es handelt sich dabei um einen Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung. Dem Berechtigten, der die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlässt (sog. Zeitmoment) und zudem weitere besondere Umstände für den Rechtsverkehr und insbesondere für den Verpflichteten gesetzt hat, die einen endgültigen Rechtsverzicht nahelegen (sog. Umstandsmoment), kann seinen Anspruch ggf. nach Treu und Glauben wegen Verwirkung verlieren, da die verspätete und überraschende Geltendmachung des Rechts gegenüber dem Verpflichteten illoyal ist (BSG a.a.O). Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr BSG, a.a.O.). Dieser Rechtsverlust ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie ist auch der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen, der in Art. 14 Abs. 1 GG für vermögenswerte Güter, d.h. auch für Forderungen, verfassungsrechtlich anerkannt ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18. Februar 2009, 1 BvR 3076/08, juris). Die Grenze des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzprinzips beeinflusst dabei auch das "an sich" uneingeschränkte Erinnerungsrecht nach § 56 RVG (vgl. Bayerisches Landesozialgericht, Beschluss vom 4. Oktober 2012, L 15 SF 131/11 BE, juris) und begründet einen Rechtsmittelausschluss eigener Art.

Nach diesen Maßstäben ist das Erinnerungsrecht des Beschwerdeführers verwirkt.

a) Zeitmoment

Im vorliegenden Fall ist zwischen dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 8. Oktober 2012 und der Beschwerde vom 23. Januar 2015 ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren vergangen. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob bereits der Ablauf eines Jahres zwischen Kostenfestsetzung, ggf. mit Auszahlung und Rechtsmittel, genügt, um die Verwirkung des Erinnerungsrechts der Staatskasse herbeizuführen (so mit ausführlicher Begründung Bayerisches LSG, Beschluss vom 4. Oktober 2012, L 15 SF 131/11 B E, juris). Es erscheint aber zweifelhaft, ob dieser vergleichsweise kurze Zeitablauf allein genügen kann um eine Rechtsverwirkung zu begründen. Denn im Vergleich zu der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB (§ 8 RVG regelt die Verjährung nur teilweise, weshalb auf das BGB zurückgegriffen werden muss) dürfte die Verwirkung des Erinnerungsrechts nach Ablauf einer Frist von weniger als drei Jahren nur ausnahmsweise anzunehmen sein. Es müssen deshalb, neben einem erheblichen Zeitablauf, grundsätzlich auch beachtliche Umstandsmomente hinzutreten, um eine Verwirkung herbeizuführen.

b) Umstandsmoment

Hier ist der Erinnerungsanspruch des Beschwerdeführers im konkreten Fall durch von ihm selbst zu vertretende Umstandsmomente verwirkt. Diese treten zu dem Zeitmoment hinzu und führen zur Verwirkung. Dauert ein Erinnerungsverfahren - wie hier - zeitlich länger, ist die Staatskasse im eigenen Interesse gehalten, mittels eigener Erinnerung oder zumindest Anschlusserinnerung (vgl. dazu Hessisches LSG, Beschluss vom 23. Juni 2014, L 2 AS 568/13 B, juris) mögliche Vertrauenstatbestände zu ihren Lasten von vornherein auszuschließen, wenn nach eingehender Prüfung die Kostenfestsetzung als überhöht bewertet wird. Dies hat der Beschwerdeführer jedoch nicht getan. In seinen Stellungnahmen vom 28. November 2012 und vom 17. Januar 2013 findet sich kein Hinweis darauf, die Kostenfestsetzung dem Grunde nach selbst angreifen zu wollen. Sein für den Rechtsverkehr abwartendes und auch insoweit missverständliches Verhalten begründet über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren einen beachtlichen Vertrauenstatbestand, den Kostenfestsetzungsbeschluss im Ergebnis hinzunehmen. Nach den Stellungnahmen im Jahr 2012/2013 konnte der Beschwerdegegner nicht mehr mit einer Beschwerde ohne eigenes vorangegangenes Erinnerungsverfahren der Staatskasse rechnen. Die eine eigene Erinnerung "überholende" Beschwerde des Beschwerdeführers ist damit eine unzulässige Rechtsausübung. Diese führt zur endgültigen Verwirkung des Erinnerungsrechts und gleichzeitig zur Unbegründetheit der Beschwerde.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG). Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).