Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 4 B 19/06 - Beschluss vom 02.11.2006
Wird die Dreimonatsfrist zur Abrechnung von Gutachten versäumt, kann unter bestimmten Voraussetzungen Wiedereinsetzung beantragt werden. Über diesen Antrag hat das Gericht zu befinden.
Gründe:
I.
Durch Beweisanordnung vom 18.02.2005 ernannte das Sozialgericht (SG) Köln den Beschwerdeführer zum Sachverständigen. Das Gutachten des Beschwerdeführers vom 28.12.2005 ging am selben Tage beim SG ein. Mit Schreiben vom 12.01.2006, beim SG eingegangen am 05.04.2006, stellte der Beschwerdeführer eine Vergütung von 1810,85 Euro in Rechnung. Der Kostenbeamte lehnte mit Schreiben vom 05.05.2006 unter Hinweis auf § 2 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (JVEG) die Vergütung ab, da der Anspruch erloschen sei. Ferner wies der Kostenbeamte auf das an den Beschwerdeführer gerichtete Anschreiben des SG vom 18.02.2005 hin, worin es u.a. heißt, der Anspruch auf Vergütung erlösche, wenn er nicht binnen drei Monaten geltend gemacht werde.
Mit Schreiben vom 10.05.2006 beantragte der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte zur Begründung vor, die Rechnung vom 12.01.2006 sei zwecks Korrektur an die Schreibkraft zurückgegangen, dort jedoch unbearbeitet liegen geblieben infolge einer längeren Erkrankung der Schreibkraft. Wegen eines personellen Engpasses infolge der Erkrankung einer weiteren Mitarbeiterin sei auch eine qualifizierte Vertretung nicht gewährleistet gewesen und infolge dessen eine Vielzahl von Schriftstücken liegen geblieben, die nach der Genesung der Mitarbeiterin aufgearbeitet werden mussten. Bei Eingang der Rechnung sei die Frist um drei Tage überschritten worden. Es sei sehr bedauerlich, wenn sein junger Mitarbeiter, der das Gutachten erstellt habe, um seinen Verdienst gebracht werde.
Der Beschwerdegegner führte auf Vorlage der Kostensache durch den Kostenbeamten aus, der Vergütungsanspruch sei gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 JVEG in Folge Ablaufs der Dreimonatsfrist erloschen. Der Beschwerdeführer sei im Anschreiben zur Beweisanordnung auf die Frist hingewiesen worden. Aus seinem Vortrag sei nicht zu entnehmen, dass es ihm unmöglich gewesen sei, vor Fristablauf einen Antrag gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 JVEG auf Fristverlängerung zu stellen. Daher sei er nicht ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen, wie es § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG für die Wiedereinsetzung in den vorliegen Stand voraussetze. Durch Beschluss vom 20.06.2006 hat das SG der Erinnerung des Beschwerdeführers "aus den im Schreiben des Bezirksrevisors vom 09.06.2006 dargelegten Gründen" nicht abgeholfen. Gegen den am 23.06.2006 zugestellten Beschluss, der nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war, hat der Beschwerdeführer am 22.08.2006 Beschwerde eingelegt. Ohne den Eingang einer Beschwerdebegründung abzuwarten, hat das SG durch Beschluss vom 30.08.2006 der Beschwerde nicht abgeholfen.
Der Beschwerdegegner hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro (§ 4 Abs. 3 JVEG). Ob die Beschwerde gemäß § 173 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen ist, da § 4 JVEG anders als zuvor § 16 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) keine Regelung enthält, wonach die Beschwerde nicht an eine Frist gebunden ist, kann dahinstehen. Denn gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Beschwerde infolge der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung innerhalb eines Jahres seit Zustellung des Beschlusses zulässig. Diese Frist ist eingehalten.
Die Beschwerde ist insoweit begründet, wie der angefochtene Beschluss und die Nichtabhilfeentscheidung des SG aufzuheben und die Sache an das Gericht zurückzuverweisen war. Der angefochtene Beschluss und die Nichtabhilfeentscheidung können keinen Bestand haben, weil sie an wesentlichen Verfahrensfehler leiden. Das SG hat weder über den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch über seinen Antrag auf Festsetzung der Vergütung für das Gutachten vom 28.12.2005 entschieden. Das SG hat die Vergütung nicht durch gerichtlichen Beschluss festgesetzt, wie § 4 Abs. 1 JVEG es zwingend vorsieht, wenn der Sachverständige oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Schreiben vom 10.05.2006 ausdrücklich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dabei im Einzelnen Gründe dargelegt, aus denen er seinen Anspruch auf Wiedereinsetzung herleitet. Der nachfolgende Beschluss des SG vom 20.06.2006 kann auch im Wege der Auslegung nicht als Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gedeutet werden. Hierfür reicht die Bezugnahme auf das Schreiben des Beschwerdegegners vom 09.06.2006 nicht aus, worin der Beschwerdegegner u.a. dargelegt hat, er sehe die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für nicht gegeben. Denn es wird allein der gegen die Verfügung des Kostenbeamten gerichteten Erinnerung des Beschwerdeführers nicht stattgegeben. Der angefochtene Beschluss kann ebensowenig als gerichtliche Entscheidung über die Festsetzung der Vergütung des Beschwerdeführers bzw. deren Ablehnung gedeutet werden. Denn dem Beschlusstenor ist zu entnehmen, dass das SG fälschlich davon ausging, die Festsetzung der Vergütung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG obliege dem Kostenbeamten. Der Beschluss des SG über die Nichtabhilfe vom 30.08.2006 unterliegt den gleichen Verfahrensmängeln.
Es erscheint ermessensgerecht, in entsprechender Anwendung von § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das SG zurückzuverweisen. Denn vor der Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die gerichtliche Festsetzung der Vergütung bedarf es der Klärung tatsächlicher Umstände, deren Durchführung im Ausgangsverfahren und nicht im Beschwerdeverfahren tunlich ist. Für die Entscheidung darüber, ob der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist nach § 2 Abs. 1 JVEG gehindert war, ist zu klären, inwieweit es dem Beschwerdeführer während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit der Schreibkraft und ihrer Vertreterin möglich war, den rechtzeitigen Eingang der Rechnung beim SG sicher zu stellen oder aber, wie es der Beschwerdegegner im Schreiben vom 09.06.2006 dargelegt hat, einen Antrag auf Fristverlängerung beim SG zu stellen. Auf die letztere Möglichkeit war er allerdings im Anschreiben zur Beweisanordnung nicht hingewiesen worden. Ferner ist zu klären, wie lange die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Schreibkraft und der weiteren Mitarbeiterin, welche deren Vertretung hätte gewährleisten können, angedauert haben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).