Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers nach dem Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

Zuletzt mit Bescheiden vom 23.12.1997/25.08.2010 hatte das Amt für Soziale Angelegenheiten Koblenz bei dem im Jahr 1949 geborenen Kläger einen GdB von 30 festgestellt. Im Dezember 2011 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines GdB unter Vorlage von Befundunterlagen der behandelnden Ärzte. Mit Bescheid vom 26.04.2005 stellte das Amt für soziale Angelegenheiten einen GdB von 40 fest und bezeichnete die Behinderung neu als:

Koronare Herzkrankheit, Stent-Implantation nach Herzinfarkt (GdB 30),
Verschleiß der Wirbelsäule (GdB 20),
psychische Störung (GdB 20),
Schwerhörigkeit (GdB 10).

Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2012 zurück.

Im vor dem Sozialgericht Koblenz durchgeführten Klageverfahren hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens von Amts wegen des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. L sowie eines Gutachtens auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG des Arztes für Kardiologie Dr. H und eines Befundberichts des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B.

Dr. L ist nach einer Untersuchung des Klägers im Mai 2013 zu dem Ergebnis gelangt, als neue Teil-Behinderung bestehe beim Kläger eine sehr diskrete depressive Störung mit einem GdB von 20. Der Gesamt-GdB sei mit 40 zutreffend bewertet. Der Internist und Kardiologe Prof. Dr. H ist nach einer Untersuchung des Klägers im Gutachten vom 03.01.2014 im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger leide im Vergleich zu dem Zustand, der dem Bescheid vom 23.12.1997 zugrunde gelegen habe, unter einer Verschlimmerung. Es bestehe eine belastungsabhängige Angina pectoris mit Ischämienachweis, mittelgradige depressive Episode, erektile Dysfunktion mit sexueller Impotenz, ein Herzleiden, progrediente koronare Herzerkrankung nach Hinterwandinfarkt, Stentimplantation, Aorto-koronare Bypass-Operation, Stentimplantationen 2002, 2005, 2011. Angina pectoris bedinge für sich schon einen GdB von 50. Der Gesamt-GdB sei mit 60 einzuschätzen.

Mit Urteil vom 10.10.2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begrünrung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der GdB des Klägers sei zutreffend mit 40 eingeschätzt. Ein Herzleistungsbeeinträchtigung auf der 50-Watt-Stufe, die mit einem GdB von 50 zu bewerten sei, könne dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H nicht entnommen werden.

Am 18.11.2014 hat der Kläger gegen das ihm am 04.11.2014 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.

Der Kläger trägt vor, als sein Prozessbevollmächtigter vor Beginn der Terminsstunde am 12.09.2014 um 10.30 Uhr vor dem Sitzungssaal des Sozialgerichts gewartet habe, sei keine Anzeige auf den elektronischen Tafeln am Eingang des Sitzungssaals erfolgt. Dort sei angezeigt worden, dass der vorangegangene Termin aktuell verhandelt werde. Als der Prozessbevollmächtigte um 10.31 Uhr den Sitzungssaal betreten habe, sei noch der vorangegangene Fall verhandelt worden. Etwa 10.45 Uhr hätten sich dann die Türen des Sitzungssaals geöffnet, und Personen hätten den Saal verlassen. Nachdem der Prozessbevollmächtigte den Saal betreten habe, sei er darauf hingewiesen worden, der Fall des Klägers sei bereits verhandelt und durch Urteil entschieden worden. Ein Aufruf der Sache vor dem Sitzungssaal sei nicht erfolgt.

Im Übrigen sei dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H zu folgen, wonach der GdB mit 60 einzuschätzen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 10.10.2014 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 26.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, seine Behinderung mit einem GdB von 60 festzustellen,

hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Koblenz zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und nimmt zur Begründung Bezug auf das angefochtene Urteil.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung einer Auskunft des Präsidenten des Sozialgerichts Koblenz zum Ablauf des elektronischen Aufrufs der Terminssachen am Sozialgericht Koblenz.

Im Übrigen wird zur Ergänzung Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen und den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

 

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG begründet. Über den Hauptantrag des Klägers konnte der Senat hingegen mangels Entscheidungsreife nicht entscheiden.

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Hierüber entscheidet das LSG nach eigenem Ermessen von Amts wegen.

Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist gegeben, wenn ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift vorliegt. Wesentlich ist dieser Verfahrensmangel, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts darauf beruhen kann. Die Entscheidung des Sozialgerichts im vorliegenden Fall leidet an einem wesentlichen Verfahrensmängeln. Nach dem schlüssigen und überzeugenden Vorbringen des Klägers, insbesondere den Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wurde in der elektronischen Sitzungssaalanzeige vor dem Verhandlungsraum des Sozialgerichts, in dem am Sitzungstag um 10.30 Uhr der Rechtsstreit des Klägers verhandelt werden sollte, das Verfahren des Klägers nicht als laufend angezeigt. Vielmehr erfolgte, auch als der Bevollmächtigte des Klägers um 11.31 Uhr im Sitzungssaal nachschaute, noch die Anzeige des vorangegangenen Verfahrens als laufend. Der Vortrag des Bevollmächtigten des Klägers und dessen Aussage, dass, als er um 10.45 Uhr nach dem Beginn seines Verfahrens fragte und dass ihm erklärt worden sei, dieses sei schon abgeschlossen, stimmt mit dem Protokoll über die öffentliche Sitzung des Sozialgerichts vom 10.10.2014 überein. Danach wurde der Termin um 10.32 Uhr begonnen und endete um 10.44 Uhr, also jeweils eine Minute nachdem der Anwalt nachgeschaut hatte. Ein mündlicher Aufruf der Sache erfolgte nicht.

Hinzu kommt, dass das Sozialgericht mit der Verhandlung des Verfahrens 2 Minuten nach der geladenen Zeit begonnen hat, ohne einen angemessenen Zeitraum wegen einer einzurechnenden Verspätung des Bevollmächtigten des Klägers abzuwarten. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werden, lagen dem Gericht aktenkundig nicht vor.

Verzichtet, wie im vorliegenden Fall, ein Gericht bei der Übermittlung des Aufrufs der jeweils anstehenden Sache vor dem Sitzungssaal durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln, wie z.B. einer Lautsprecheranlage oder einer elektronischen Sitzungssaalanzeige auf eine Kontrolle, ist durch geeignete Maßnahmen sicher zu stellen, dass wegen der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines technischen Defekts der Anlage oder eines Bedienungsfehlers die betroffenen Verfahrensbeteiligten gegebenenfalls auf andere, geeigneter Weise vom Aufruf ihrer Sache Kenntnis erlangen, um daraufhin ihren Anspruch auf rechtliches Gehörs tatsächlich wahrnehmen zu können (vgl. Bundesverwaltungsgericht, NJW 1996, 204 ff.) Der Aufruf der Sache bedeutet, die Pflicht des Gerichts gegenüber den anwesenden geladenen Beteiligten, sie effektiv in die Lage zu versetzen, den Termin auch wahrzunehmen, weshalb das Gericht alles zu tun hat, ihm den Beginn der mündlichen Verhandlung anzuzeigen, weshalb der Aufruf der Sache durch den Richter im Verhandlungsraum dem Recht auf rechtliches Gehör nicht genügt (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 05.10.1976, Az.: 2 BvR 558/75 - juris).

Es ist auch davon auszugehen, dass erhebliche weitere Ermittlungen bzw. die Einholung weiterer Gutachten erforderlich sind. Im Hinblick auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H , welches das Sozialgericht selbst, wie dessen Beschluss vom 31.10.2014 zu entnehmen ist, als sachdienlich angesehen hat, erscheint eine weitere Sachaufklärung insbesondere des internistischen Sachverhalts als naheliegend.

Das Urteil des Sozialgerichts vom 10.10.2014 ist daher aufzuheben und der Rechtsstreit nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Über die Kosten des Berufungsverfahrens ist durch das Sozialgericht zu entscheiden.

Gründe zur Zulassung der Revision liegen nicht vor.