Tatbestand

Die Beteiligten streiten �ber die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) der Kl�gerin nach dem Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).

Die 1961 geborene Kl�gerin beantragte erstmals im Dezember 2003 die Feststellung ihrer Behinderung und eines GdB und legte zur Begr�ndung einen Untersuchungsbericht des Prof. Dr. A., Chefarzt der Neurologischen Klinik der Kliniken der Stadt J. vor, der die Diagnose eines Blepharospasmus gestellt hatte, �ber eine Behandlung mit insgesamt 24 Botulinum-Toxin A-Injektionen in der periorbitalen Muskulatur beider Augen sowie weiteren vier Einheiten auf die beidseitige Stirnmuskulatur berichtete und eine erneute Behandlung nach Ablauf eines Zeitintervalls von drei Monaten vorgeschlagen hatte. Das Amt f�r soziale Angelegenheiten Koblenz holte einen Befundbericht des praktischen Arztes V. sowie des Frauenarztes Dr. A. ein.

Mit Bescheid vom 25.03.2004 lehnte das Amt f�r soziale Angelegenheiten die Feststellung eines GdB ab, da die Auswertung der mitgeteilten Befunde ergeben habe, dass f�r die geltend gemachten Gesundheitsst�rungen kein GdB von mindestens 10 vorliege. Im Widerspruchsverfahren legte die Kl�gerin einen Bescheid der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastst�tten (BG) vom 19.08.1983 �ber einen Arbeitsunfall vom 13.11.1982 vor, als dessen Folgen mit einer MdE von 20 v.H. ab 20.07.1983 anerkannt worden waren: "Bewegungseinschr�nkung des linken Schulter-, Ellenbogen- und Handgelenkes, Belastungsbeschwerden des linken Ellenbogens und der linken Schulter, Narbenbildung am linken Ellenbogen, Empfindungsst�rungen an den Fingern 4 und 5 links, Abflachung des linken Schulterblattes, geringe Kalksalzminderung der Knochen des linken Ellenbogens".

Der Beklagte zog die Unterlagen der BG �ber den Unfall vom 13.12.1982 bei. Daraus ergab sich, dass die vorl�ufige Rente mit Ablauf des Monats 1984 entzogen worden war. Die Sozialmedizinerin M. wertete die Befundunterlagen aus und schlug vor, als Behinderung "Gebrauchsminderung des linken Armes nach Arbeitsunfall" mit einem GdB von 10 zu ber�cksichtigen. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2004 bezeichnete der Beklagte die Behinderung der Kl�gerin entsprechend dem Vorschlag der Versorgungs�rztin, wies im �brigen aber den Widerspruch zur�ck.

Im vor dem Sozialgericht Koblenz durchgef�hrten Klageverfahren hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes f�r Augenheilkunde Dr. C. sowie eines Gutachtens auf Antrag der Kl�gerin nach � 109 SGG des Prof. Dr. Q. , Augenklinik des Universit�tsklinikums A.

Dr. C. hat die Kl�gerin im September und Oktober 2004 untersucht und ist in seinem Gutachten im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, die Kl�gerin leide anamnestisch unter essentiellen Lidkr�mpfen (Blepharospasmus) rechts und links, einer Weitsichtigkeit und einem Astigmatismus. Die Lidkr�mpfe beider Augen w�rden seit Jahren erfolgreich medikament�s behandelt und seien zum Untersuchungszeitpunkt nicht sicher nachweisbar gewesen, obwohl die letzte medikament�se Behandlung der Kl�gerin nach deren Angaben sechs bis sieben Wochen zur�ckgelegen habe. Es habe eine volle Sehsch�rfe bestanden. Auch eine Einschr�nkung des Gesichtsfelds sei nicht zu objektivieren gewesen. Zwar unterl�gen essentielle Lidkr�mpfe Schwankungen, so dass davon auszugehen sei, dass zeitweise eine Einschr�nkung der Sehsch�rfe und des Gesichtsfeldes bestehe. Allerdings l�gen seitens der Augen keine dauerhaften Gesundheitsst�rungen vor. Da die Gesichtsfeldeinschr�nkung und Sehsch�rfenminderung durch die essentiellen Lidkr�mpfe zumeist nicht vorliegen w�rden, sei die MdE mit nicht mehr als 10 zu bewerten.

Prof. Dr. Q. hat die Kl�gerin im Oktober 2005 untersucht und ist in seinem Gutachten im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, im Vordergrund des Leidenszustand der Kl�gerin stehe der zeitweilige beidseitige Lidschluss mit praktischer Blindheit, die nicht vorhersehbar sei, nicht wesentlich zu unterbrechen sei und nur durch manuelle Aufhebung des Lidschlusses wenigstens teilweise �berwunden werden k�nne. Der bei der Kl�gerin bestehende essentielle Blepharospasmus sei eine seltene und anlagebedingte Erkrankung. Die Richtlinien zur Begutachtung seien hinsichtlich des GdB s�mtlich ungeeignet, da bei diesem Leiden zeitweilig die Leistung der Augen hinsichtlich Sehsch�rfe, Gesichtsfeld etc. als normal zu betrachten sei, aber zeitweilig praktische Blindheit vorliege. In �bereinstimmung mit der wissenschaftlichen Literatur werde f�r das Leiden ein GdB von 50 vorgeschlagen. Der Sachverst�ndige Dr. C. habe die Kl�gerin offensichtlich im Zustand der relativen Beschwerdefreiheit nach Botulinum-Toxin-Injektion gesehen und sei mit der Erkrankung anscheinend nicht vertraut.

Nach Vorlage des Gutachtens hat der Beklagte eine versorgungs�rztliche Stellungnahme des Sozialmediziners V. vorgelegt und sich im Wege des Teil-Anerkenntnisses zur Feststellung eines GdB von 30 bereiterkl�rt.

Mit Urteil vom 13.07.2006 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide abge�ndert und den Beklagten verurteilt, den GdB der Kl�gerin mit 50 festzustellen. Zur Begr�ndung hat es im Wesentlichen ausgef�hrt, der bei der Kl�gerin bestehende Blepharospasmus mit zeitweiligen Lidkr�mpfen sei eine Erkrankung, die in den Anhaltspunkten nicht aufgef�hrt und auch schwierig mit den dort aufgef�hrten Behinderungen zu vergleichen sei, da die Leistung der Augen hinsichtlich Sehsch�rfe, Gesichtsfeld usw. grunds�tzlich als normal zu bezeichnen sei. Auf Grund der glaubhaften Angaben der Kl�gerin, die sich mit den Berichten von anderen Patienten mit derselben Erkrankung decke, seien die Beschwerden im Wesentlichen abh�ngig von der Spritzenwirkung. Meist halte die Wirkung der Injektionsbehandlung ca. sechs Wochen. In dieser Zeit seien die Lidkr�mpfe ertr�glich, w�hrend sie danach wieder deutlich zun�hmen und dann am st�rksten vor dem erneuten Injektionstermin nach ca. drei Monaten seien. Dies bedeute, dass die Kl�gerin ca. sechs Wochen lang zeitweilig blind sei und sich nur dadurch helfen k�nne, dass sie ihre Augen mit der Hand offen halte, wodurch sie dann aber nur noch eine Hand zur Verf�gung habe, um ihre Arbeit zu erledigen. Der Leidenszustand k�nne verglichen werden mit dem den in den Anhaltspunkten aufgef�hrten unregelm��igen Gesichtsfeldausf�llen mit mindestens 2/3 ausgefallener Fl�che, die mit einem GdB von 50 zu bewerten seien. Da die Kl�gerin innerhalb von drei Monaten, dem Abstand von Spritze zu Spritze, ca. die H�lfte der Zeit einigerma�en gut sehe, andererseits aber in dem zweiten Teil des Dreimonatszeitraums die Augen t�glich lange Zeit nur manuell aufhalten k�nne, erscheine sie einem Behinderten, der unregelm��ige Gesichtsfeldausf�lle mit 2/3 ausgefallener Fl�che habe, durchaus vergleichbar zu sein. Auch im Vergleich zu anderen Einschr�nkungen des Sehverm�gens sei die von Prof. Dr. Q. vorgeschlagene Einstufung mit einem GdB von 50 nachvollziehbar. Dem Gutachten des Dr. C. k�nne dagegen nicht gefolgt werden, da dieser auf die Hauptproblematik der Kl�gerin, die Lidkr�mpfe mit praktischer Blindheit, kaum eingegangen sei.

Am 28.08.2006 hat der Beklagte gegen das ihm am 10.08.2006 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.

Der Beklagte tr�gt unter Vorlage einer versorgungs�rztlichen Stellungnahme der Sozialmedizinerin, Chirurgin Dr. V. vor, ein GdB von 50 werde f�r Personen als zutreffend angesehen, die durch die Augenleiden sowohl in ihrer Berufsaus�bung als auch in allen �brigen sozialen Bereichen deutlich beeintr�chtigt seien, worunter Personen fielen, die nur unter Schwierigkeit lesen und den allt�glich notwendigen Anforderungen nur unter besonderer Anstrengung nachkommen k�nnten. Vor diesem Hintergrund und unter Ber�cksichtigung des guten Ansprechens der Kl�gerin auf Botulinum-Injektionen sei ein GdB von 30 als zutreffend anzusehen. Diese Bewertung ber�cksichtige, dass die Kl�gerin zeitweilig bei den allt�glich notwendigen Anforderungen eingeschr�nkt, also behindert sei, aber auch, dass sie unter entsprechend wirksamer Therapie zum Beispiel Auto fahren und auch regelm��ig ihrer beruflichen T�tigkeit nachgehen k�nne.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 13.07.2006 aufzuheben, soweit dieses ihn zur Feststellung eines h�heren GdB als 30 verurteilt hat.

Die Kl�gerin beantragt,

die Berufung zur�ckzuweisen,

und nimmt zur Begr�ndung Bezug auf das angefochtene Urteil.

Im �brigen wird zur Erg�nzung Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen und die Kl�gerin betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten (Az.:     ) sowie der Gerichtsakte, der Gegenstand der m�ndlichen Verhandlung war.

 

Entscheidungsgr�nde

Die zul�ssige Berufung des Beklagten ist nicht begr�ndet, da das Sozialgericht den Beklagten zu Recht zur Feststellung eines GdB von 50 verurteilt hat.

Nach � 69 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) stellen die f�r die Durchf�hrung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zust�ndigen Beh�rden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung (GdB) fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist entsprechend � 30 Abs. 1 BVG nach dem Ausma� des Abweichens von dem f�r das Lebensalter typischen Zustand der k�rperlichen Funktion, geistigen F�higkeit oder seelischen Gesundheit unabh�ngig von ihren Ursachen zu bemessen (�� 69 Abs. 1 Satz 3; 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

Bei der Beurteilung des GdB steht die Beeintr�chtigung im allgemeinen Erwerbsleben im Vordergrund (vgl. BSGE 48, 82, 83 = BSG, SozR 3870 � 3 Nr. 4). Im Interesse einer einheitlichen und gleichm��igen Behandlung hat das Bundesministerium f�r Gesundheit und Soziale Sicherung die Anhaltspunkte f�r die �rztliche Gutachtert�tigkeit im sozialen Entsch�digungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht herausgegeben, die fortlaufend �berarbeitet und im Mai 2004 neu ver�ffentlicht und 2005 neu aufgelegt worden sind. Die darin aufgef�hrten GdB-Werte beruhen auf neuesten medizinischen Erkenntnissen; sie sollen einen Anhalt zur Ermittlung des GdB und zur Auslegung des � 2 SGB IX bilden. In diesem Sinne sind die Anhaltspunkte in der Regel anzuwenden, weil sie den Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung wiedergeben und damit als antizipiertes Sachverst�ndigengutachten im Regelfall der gleichm��igen Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Schwerbehindertenrechts dienen (BVerfG, SozR 3-3870 � 3 Nr. 6; BSG, NJW 1992, 455; SGb 1993, 579; Urteil des Senats, br 1995, 195).

Nach den zahlreichen aktenkundigen Befundunterlagen sowie den vom Sozialgericht eingeholten Gutachten leidet die Kl�gerin, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, an einem essentiellen Blepharospasmus, also essentiellen Lidkr�mpfen, die unbehandelt zur praktischen Blindheit f�hren, da die Kl�gerin dann die Augenlider nicht durch eigene Augenmuskelkraft �ffnen kann. Die Beschwerden treten �ber den Tag verteilt auf, aber nicht gleichm��ig und sind bei anstrengenden T�tigkeiten, wie bei der Bildschirmarbeit, oft sehr stark vorhanden, aber meist in der Intensit�t nicht vorausberechenbar. Die Behandlung erfolgt bei der Kl�gerin wie auch anderen Patienten mit diesem Leiden durch die Injektion von Botulinum-Toxin, wobei bei diesem Toxin ein notwendiger Injektionsabstand von drei Monaten nicht unterschritten werden darf. Andererseits ist die Wirkung dieser Injektionen aber nur ca. sechs Wochen vorhanden, so dass die Kl�gerin in der restlichen Zeit unter Beschwerden leidet, die durch die Lidkr�mpfe bis zur praktischen Blindheit reichen und nur dadurch �berwunden werden k�nnen, dass sie manuell ein Auge aufh�lt.

Da dieses Leiden in den Anhaltspunkten nicht aufgef�hrt ist, sind, wie das Sozialgericht es zu Recht unternommen hat, Vergleiche mit anderen Leiden zu ziehen, die in den Anhaltspunkten ausdr�cklich genannt sind. Hierbei ist zu ber�cksichtigen, dass nach dem Gutachten des Prof. Dr. Q. die Blepharospasmusbeschwerden, soweit durch die Injektionen behandelt, f�r die Dauer von sechs Wochen keine gro�e Einschr�nkung der Kl�gerin mit sich bringen, die dann auch arbeiten und Auto fahren kann, f�r die folgenden sechs Wochen aber jeweils wiederum Beschwerden in einem Ausma� vorliegen, die bis zur praktischen Blindheit oder, wenn die Kl�gerin eines oder beide Augen mit den H�nden offen h�lt, bis zur Gebrauchsunf�higkeit einer der beiden H�nde reichen. Deshalb ist aufgrund des in seinen Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft schwankenden Verlaufs bez�glich des GdB ein Durchschnittswert zu bilden (Anhaltspunkte 2004, S. 23).

Dabei ist der Senat in �bereinstimmung mit dem Sachverst�ndigen Prof. Dr. Q. und dem Sozialgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass hier schon ein GdB von 50 als angemessen anzusehen ist. W�hrend f�r den Zeitraum der ersten sechs Wochen nach den Botulinum-Toxin-Injektionen auf Grund der dann geringen Einschr�nkungen nur ein GdB von 10 bis 20 als angemessen anzusehen ist, ist wegen der Blindheit und/oder Gebrauchseinschr�nkungen einer Hand oder beider H�nde f�r die folgenden sechs Wochen jeweils ein h�herer GdB als 50 anzusetzen, der bis zu 100 reichen kann, so dass ein Durchschnittswert zu bilden ist. Unter Ber�cksichtigung dieser Umst�nde geht der Senat in �bereinstimmung mit dem Gutachten des Prof. Dr. Q. vom 07.11.2005 davon aus, dass der bei der Kl�gerin bestehende Blepharospasmus mit einem Durchschnitts-GdB von 50 angemessen bewertet ist, so dass die Berufung des Beklagten zur�ckzuweisen ist.

Die Entscheidung �ber die Kosten st�tzt sich auf � 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgr�nde (� 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG) nicht vorliegen.