Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 5 KR 92/10 - Urteil vom 05.05.2011
Soll eine Mammareduktionsplastik nur mittelbar der Bekämpfung von auf orthopädischem Gebiet vorliegenden Erkrankung dienen, bedarf es einer besonderen Rechtfertigung im Sinne einer ultima ratio. Art und Schwere der Erkrankung, das Risiko und der eventuelle Nutzen der Therapie sind gegeneinander abzuwägen. Zu fordern ist auf jeden Fall eine schwerwiegende Erkrankung der Wirbelsäule und die erfolglose Ausschöpfung aller konservativen orthopädischen Behandlungsmaßnahmen.
Tatbestand:
Streitig ist die Übernahme der Kosten in Höhe von 3398,31 € für eine
ambulant durchgeführte Mammareduktionsplastik.
Die 1956 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin beantragte
erstmals im August 2003 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine
operative Brustverkleinerung. Nach ablehnender Bescheidung durch die Beklagte
(Bescheid vom 31.10.2003, Widerspruchsbescheid vom 29.03.2004) wurden in dem
anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) N. (- S 16 (11) KR
107/04 -) ein Gutachten von Dr. N., Leitende Ärztin des Orthopädischen
Forschungsinstituts N. sowie auf Antrag der Klägerin gemäß § 109
Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten von Dr. T., Chefarzt der Orthopädischen
Klinik des St. G. Hospitals in N. eingeholt, die beide im Wesentlichen übereinstimmend
ausführten, die Brüste zeigten sich individuell ausgeprägt im Sinne einer
Makromastie bei einer konfektionell angemessenen BH-Größe (80 D). Die von der
Klägerin geklagten Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule seien nicht auf die
Brustgröße zurückzuführen sondern seien anlagebedingt. Durch
Gerichtsbescheid vom 02.02.2006 wies das SG die Klage ab. Die Berufung nahm die
Klägerin am 30.06.2006 zurück (LSG NRW - L 16 KR 53/06 -). Den Anfang 2007
erneut gestellten Antrag auf Kostenübernahme einer Brustverkleinerungsoperation
wies die Beklagte mit Bescheid vom 25.04.2007 zurück.
Im Dezember 2007 beantragte die Klägerin wiederum die Übernahme der Kosten
einer stationären Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer
Mammareduktionsplastik. Dem Antrag beigefügt war ein von der Klägerin
eingeholtes Gutachten von Dr. O., Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in
N. vom 29.11.2007, in dem dargelegt wurde, die Brüste zeigten sich mit einer
volumetrisch bestimmten Größe von 1600 ml bzw. 1500 ml individuell ausgeprägt
im Sinne einer Makromastie. Um ein Fortschreiten der orthopädischen Beschwerden
zu vermeiden, sei eine Reduktionsplastik aus orthopädischer Sicht dringend
indiziert. Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung (MdK) Westfalen-Lippe ein, der unter dem 08.02.2008 aufgrund
einer Untersuchung der Klägerin darlegte, bei der Klägerin bestehe eine mäßiggradige
Mammahypertrophie beiderseits. Das Brustgewicht , ermittelt nach der Körperdifferenzmethode,
betrage rechts 1100 Gramm und links ca. 1000 Gramm, derzeit werde ein BH der Größe
80 E getragen. Eine grobe Überwertigkeit der Brustorgane im Vergleich zum übrigen
Körperstatus sei nicht zu erkennen, eine Krankheit im Sinne der
Krankenversicherung liege nicht vor. Soweit bei der Klägerin chronische
Beschwerden und Beeinträchtigungen aufgrund degenerativer Veränderungen im
Bereich des Bewegungsapparates mit Ausbildung einer Fehlstatik des
Achsenskeletts bestünden, seien diese nicht auf die Brustgröße zurück zu führen,
die Ursache der Beschwerdeentwicklung sei vielmehr im Bewegungsapparat selbst zu
suchen. Bei hier vorliegender chronischer Erkrankungssituation seien die
konservativen Behandlungsmöglichkeiten fortzuführen.
Mit Bescheid vom 12.02.2008 wies die Beklagte den Antrag auf Übernahme der
Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung zur Mammareduktionsplastik zurück.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte,
ihre massiven Beschwerden würden verharmlost, wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 07.05.2008 als unbegründet zurück.
Am 19.05.2008 hat die Klägerin Klage vor dem SG Münster hoben und ihr Begehren
weiter verfolgt. Sie hat vorgetragen, trotz umfassender sportlicher Aktivitäten
in Eigeninitiative leide sie unter Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule.
Diese seien auf die Größe bzw. das Gewicht der Brüste zurück zu führen.
Wegen der zunehmenden Beschwerden habe sie am 18.09.2009 ambulant eine
Brustverkleinerungsoperation durchführen lassen; hierfür seien ihr Kosten in Höhe
von insgesamt 3398,31 € entstanden. Nach der Operation sei es zu einer
Besserung der Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule gekommen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.02.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2008 zu verurteilen, ihr 3398,31 € für die Mammareduktionsplastik zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide verwiesen.
Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. U., Ärztin für innere
Medizin in P., Dr. Q., Arzt für Orthopädie in H., Dr. O.-A. Ärztin für
Psychiatrie in U. sowie ein Gutachten auf Antrag der Klägerin gemäß § 109
SGG von Dr. O., Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in N. und von Amts
wegen ein Gutachten von Dr. H., Ärztin für Orthopädie in E., eingeholt.
Dr. O. hat in seinem Gutachten vom 05.04.2009 dargelegt, die Klägerin leide
seit Jahren unter einer chronischen Überlastung der oberen Extremität/Wirbelsäule,
wobei diese sowohl durch das Anforderungsprofil der beruflichen Tätigkeit als
auch eine vermehrte Rundrückenbildung (sternosymphysiale Fehlhaltung) bedingt
sei. Hinzu gekommen sei in den letzten Jahren eine Fibromyalgie, die das
Beschwerdebild noch verstärke. Erschwerend und auch verstärkend wirke sich auf
das Beschwerdebild die Gynäkomastie beidseits aus. Es müsse konstatiert
werden, dass die Beschwerden der Klägerin schon hauptsächlich auf die orthopädischen
Leiden zurückzuführen seien. Trotz allem führe die Gynäkomastie zu einer
deutlichen Verschlechterung, so dass sich eine Mammareduktionsplastik positiv
auf die Beschwerdesymptomatik auswirken werde. Die Klägerin sei sicherlich
nicht mit einer im Wesentlichen gesunden Person mit einer Hypertrophie der
Mammae gleichzusetzen. Die orthopädischen Leiden erforderten in seinen Augen Maßnahmen,
die bei ansonsten körpergesunden Patienten nicht unbedingt erforderlich seien.
Die Mammareduktionsplastik sei sicherlich nicht die einzig durchzuführende Maßnahme,
um das Beschwerdebild der Klägerin zu verbessern. Hier seien fachorthopädische
Behandlungsmaßnahmen, gymnastische Übungen und eine gezielte Schmerztherapie
erforderlich. Um jedoch diese Maßnahmen in einem erträglichen Rahmen zu halten
und die Belastung des Körpers durch eine erforderliche Medikation möglichst
gering zu halten, sei die Operation dringend anzuraten.
Dr. H. hat in ihrem Gutachten vom 01.07.2009 ausgeführt, den Brüsten der Klägerin
komme kein Krankheitswert zu und sie seien nicht als entstellend zu bezeichnen.
Die Klägerin trage zum Zeitpunkt der Untersuchung einen Konfektions-BH (80 E),
bei einer gemessenen Trägerbreite von 3,5 cm ließen sich keine Einschnürfurchen
feststellen und es fänden sich keine irritativen oder ekzematösen Hautveränderungen
in der Auflagefläche der Brüste auf der Unterhaut. Bei der Klägerin bestehe
eine Fibromyalgie; hierbei handle es sich um eine Erkrankung des
psycho-somatischen Formenkreises im Sinne der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung.
Von Seiten des orthopädischen Fachgebietes fänden sich für die von der Klägerin
angegebene Beschwerdesymptomatik eine leichte Fehlstatik der Halswirbelsäule
mit Aufbraucherscheinungen des Segmentes C 6 / C 7 unter Beteiligung der
Bandscheibe, ein leichtes Schulterengpasssyndrom rechts aufgrund von
Aufbraucherscheinungen des Schultereckgelenks als Ursache für die Schulter-/
Armbeschwerden und überlagernd und verstärkend eine somatoforme Schmerzstörung.
Form und Größe der Brust der Klägerin seien nicht ursächlich für die
Beschwerdesymptomatik. Bei der Klägerin müsse ein multimodales
Handlungskonzept erstellt werden, welches zum einen die strukturellen Veränderungen
der Halswirbelsäule beeinflusse und zum anderen insbesondere die somatoforme
Schmerzstörung, die durchaus als mit unterhaltend anzusehen sei.
Durch Urteil vom 13.01.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe
keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die durchgeführte
Mammareduktionsplastik. Ein regelwidriger Zustand im Bereich der Brüste der Klägerin
habe bis zu der durchgeführten Mammareduktion nicht vorgelegen. Die beantragte
Brustverkleinerung sei auch nicht geeignet gewesen, die gesundheitlichen
Beschwerden der Klägerin im Bereich des Bewegungsapparates zu beheben, zu
lindern oder deren Verschlimmerung zu verhüten.
Gegen das ihr am 21.01.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.02.2010
Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die bislang eingeholten Gutachten seien
unzureichend. Es sei übersehen worden, dass bei einem Brustgewicht, wie es bei
ihr vorgelegen habe und gleichzeitig bestehender Normgewichtigkeit in der überwiegenden
Zahl der Fälle mit einem Abreißen der Cooperschen Ligamente zu rechnen sei und
dies zu Schulter- und Rückenbeschwerden führe. Dies habe Dr. A. sowohl in der
von ihr vorgelegten Stellungnahme vom 04.02.2010 als auch seinem im
Berufungsverfahren eingeholten Gutachten bestätigt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 13.01.2010 zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen,
hilfsweise den Operateur Dr. He. dazu zu hören, ob bei der Klägerin eine Überdehnung der Cooperschen Ligamente vorlag.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Befundberichte von Dr. He., Chefarzt der Gynäkologischen -und
geburtshilflichen Abteilung des Herz-Jesu-Krankenhauses I., auf deren Inhalt
verwiesen wird (Berichte vom 03.09.2010 und 23.09.2010) sowie ein Gutachten auf
Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG von Dr. A., Leitender Arzt des
Schwerpunktes operative Senologie der Klinik für Gynäkologie, Gynäkologische
Endokrinologie und Onkologie des Universitätsklinikums H. und N. eingeholt. Dr.
A. hat in seinem Gutachten vom 16.02.2011 im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin
habe unter einer ausgeprägten Mammahypertrophie, Schmerzen im Schulter- und
Nackenbereich sowie Beschwerden in der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule
gelitten. Es bestehe ein Ursachenzusammenhang zwischen übergroßen Brüsten und
einer Wirbelsäulenschmerz-symptomatik. Unter biomechanischen Gesichtspunkten
sei zu berücksichtigen, dass die weibliche Brustdrüse am weitesten von der
Wirbelsäule entfernt sei, so dass durch die Brust ein Drehmoment entstehe, das
durch die Rückenmuskulatur mit einem erhöhten Faktor ausgeglichen werden müsse.
Die Schulterbelastung bei Mammahypertrophie entstehe über einen anderen
Patho-Mechanismus. Die feinen Bindegewebszüge, die die Brustdrüse am Brustkorb
hielten, die sogenannten Cooperschen Ligamente, seien für ein normales
Brustgewicht ausreichend stabil. Bei Mammahypertrophie überdehnten sie häufig
und böten damit keine Verankerung der Brustdrüse am Brustkorb. Die gestörte
Haltefunktion am Brustkorb führe dazu, dass die gesamte Brustdrüse nur noch
vom umgebenden Hautmantel getragen werde. Der Hautzug durch die übergroße
Brust setze sich kopfwärts fort und führe damit zu einer Belastung der
Schulter und letztlich zu Beschwerden der gesamten Wirbelsäule. Die von der Klägerin
geklagten Beschwerden seien eindeutig der übergroßen Brust zuzuordnen.
Konservative Behandlungsmaßnahmen hinsichtlich der Wirbelsäulenbeschwerden
seien bei der Klägerin erschöpft gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakten, der beigezogenen Akte des Verfahrens S 16 (11) KR 107/04 (SG
Münster)/L16 KR 54/06 (LSG NRW) sowie der Verwaltungsakte der Beklagten
verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage
zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten
der am 18.09.2009 durchgeführten Mammareduktionsplastik.
Soweit die Klägerin im Klageverfahren statt der ursprünglich begehrten Kostenübernahme
für eine stationäre Krankenhausbehandlung zur Brustverkleinerung in der mündlichen
Verhandlung die Kostenerstattung der zwischenzeitlich ambulant durchgeführten
Mammareduktionsplastik beantragt hat, handelt es sich nicht um eine - unzulässige
- Klageänderung, sondern um eine zulässige Änderung des Antrags gemäß §§
153 Abs. 1, 99 Abs.1, 99 Abs. 2 Nr. 2 SGG. Problematisch ist zwar, dass die Klägerin
im Verwaltungsverfahren zunächst die Kostenübernahme einer stationären
Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer Mammareduktionsplastik beantragt
und die Beklagte ausdrücklich auch nur insoweit ablehnende Bescheide erteilt
hat. Andererseits ist die Ablehnung seitens der Beklagten damit begründet
worden, dass hinsichtlich der Brüste keine Erkrankung feststellbar sei und es für
den Eingriff in ein funktionell intaktes Organ an der erforderlichen besonderen
Rechtfertigung fehle, so dass letztlich konkludent die Erforderlichkeit
jeglicher Mammareduktionsoperation abgelehnt wurde und die Klage somit nicht
wegen eines fehlenden Ablehnungsbescheides unzulässig ist.
Als Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch kommt nur
§ 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Betracht, dessen
Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt sind.
§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare
Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht
abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung
Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu
erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Durch die Kostenerstattung soll
jedoch lediglich in Fällen eines Systemversagens eine Lücke in dem durch das
Sachleistungssystem der GKV garantierten Versicherungsschutz geschlossen werden.
Deshalb enthält sowohl § 13 Abs. 3 Satz 1 Erster Fall SGB X als auch § 13
Abs. 3 Satz 1 Zweiter Fall SGB V das Merkmal der Rechtswidrigkeit der
Leistungsverweigerung (vgl. BSG SozR 4 -2500 § 13 Nrn. 8 und 15). Daher hat die
Krankenkasse nicht einzustehen, wenn der Versicherte sich eine Leistung
beschafft hat, die unter jedem Gesichtspunkt vom Leistungskatalog der GKV
ausgeschlossen ist. Infolge dessen besteht der Kostenerstattungsanspruch unabhängig
von der Eilbedürftigkeit nur für medizinische Maßnahmen, die ihrer Art nach
oder allgemein von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen
sind (vgl. BSG SozR 4 -2500 § 13 Nr. 8; BSG SozR 4 -2500 § 37 Nr. 1).
Es hat sich offensichtlich nicht um eine unaufschiebbare Leistung im Sinne des
§ 13 Abs. 3 Satz 1 Erster Fall SGB V gehandelt. Jedoch sind auch die
Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 Zweiter Fall SGB V nicht erfüllt, denn
ein Anspruch auf Gewährung einer Mammareduktionsplastik als Sachleistung der
GKV hat nicht bestanden.
Rechtsgrundlage für die Sachleistung ist § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V. Danach haben
Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine
Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder
Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungspflicht der GKV setzt das
Vorliegen einer Krankheit voraus. Damit wird ein regelwidriger, vom Leitbild des
gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand beschrieben, der ärztlicher
Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSG SozR 4 -2500
§ 27 Nr. 3). Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit
Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) hat diese Grundvoraussetzungen für die krankenversicherungsrechtliche
Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur
vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird
oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (vgl. BSG SozR 4 -2500 §
13 Nr. 4; BSG SozR 4 -2500 § 27 Nr. 3; BSG Urteil vom 28.02.2008 -B 1 KR 19/07
R). Auch mittelbar wirkende Therapien werden grundsätzlich vom
Leistungsanspruch erfasst, sofern sie ausreichend, wirksam und zweckmäßig sind
und den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Wird
allerdings im Rahmen einer mittelbar ansetzenden Operation in ein funktionell
intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, bedarf es hierfür
einer besonderen Rechtfertigung. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, ob es
sich bei der beabsichtigten Maßnahme um die ultima ratio handelt (vgl. BSG SozR
4 -2500 § 137 c Nr. 1).
Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen lag bei der Klägerin keine Erkrankung, die
eine Mammareduktionsplastik erforderlich gemacht hätte, vor.
Bei der Klägerin lag, was allein den Zustand der Brust anbelangte, keine
Krankheit vor, die der ärztlichen Behandlung bedurfte. Unter dem Gesichtspunkt
der körperlichen Fehlfunktion stellte die Brustgröße und -form der Klägerin
keine körperliche Anomalie dar, die als Krankheit in dem oben genannten Sinne
zu bewerten war. Den vorliegenden Befunden der behandelnden Ärzte und den Ausführungen
sämtlicher Sachverständigen lässt sich nicht entnehmen, dass die Form oder
die Größe der Brüste Funktionseinschränkungen mit Krankheitswert bedingten.
Die Mammae wurden vielmehr als gesundes Organ beschrieben.
Soweit Dr. A. in seinem Gutachten darauf hinweist, die feinen Bindegewebszüge,
die die Brustdrüse am Brustkörper hielten, die sogenannten Cooperschen
Ligamente, seien nur für ein normales Brustgewicht ausreichend stabil und überdehnten
bei Mammahypertrophie häufig und böten dann keine Verankerung der Brustdrüse
am Brustkorb mehr, ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht erwiesen,
dass ein solcher Zustand bei der Klägerin gegeben war. Dr. A. hat insoweit
lediglich auf allgemein zu erwartende Verhältnisse hingewiesen, ohne jedoch auf
den konkreten Gesundheitszustand der Klägerin abzustellen. Dr. He., der die Klägerin
operativ behandelt hat, hat zwar in seinem Befundbericht vom 03.09.2010
angegeben, unter der operativen Maßnahme habe sich am Gewebe eine chronische
Belastung insbesondere der Cooperschen Ligamente nachweisen lassen. Die
speziellen Fragen zum Zustand der Cooperschen Ligamente sind jedoch in diesem
Befundbericht unbeantwortet geblieben. Auf ausdrückliche Nachfrage des Senats
hat er in seinem nachfolgenden Befundbericht vom 23.09.2010 eingeräumt, dass
sich ein Abreißen der Cooperschen Ligamente nicht habe nachweisen lassen.
Sowohl auf den prä- wie auf den postoperativen Fotos seien eindeutige
Bindegewebsrisse im Sinne eines Abreißens der Cooperschen Ligamente nicht
nachweisbar gewesen. Sowohl auf den prä- wie auf den postoperativen Fotos seien
diese sogenannten Striae als weiße bindegewebige Risse unter der intakten Haut
insbesondere in den oberen inneren und oberen äußeren Quadranten beider Brüste
bei der Klägerin nicht deutlich nachweisbar gewesen. Dies spreche für einen
noch intakten Bindegewebsmantel trotz der pathologischen Belastung durch die großen
Brüste. Die durchgeführte Reduktionsplastik habe sicherlich dazu beigetragen,
eine weitere unnatürliche Belastung dieses Bindegewebsmantels beider Brüste zu
vermeiden bzw. zu reduzieren, so dass die operative Maßnahme als vorbeugende Maßnahme
gegen eine Striaebildung anzusehen sei. Dies verdeutlicht, dass in dem
entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Durchführung der Operation keine Schädigung
der Cooperschen Ligamente vorlag, der Bindegewebsmantel vielmehr intakt war und
somit eine Funktionsbeein-trächtigung im Bereich der Brüste nicht feststellbar
war. Ebensowenig ist davon auszugehen, dass aufgrund der vergrößerten Brüste
der Klägerin bereits von einer Entstellung auszugehen war, was von der Klägerin
auch selbst nicht in Abrede gestellt wird (vgl. hierzu auch BSG Urteil vom
28.02.2008 a.a.O.).
Die von Dr. O.-A. geschilderte psychische Belastung der Klägerin vermochte
einen operativen Eingriff ebenfalls nicht zu rechtfertigen, denn nach ständiger
Rechtsprechung (BSG SozR 4 -2500 § 27 Nr. 14) ist derartigen Belastungen nicht
mit operativen Eingriffen sondern mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie
zu begegnen.
Eine Krankheit lag bei der Klägerin im Hinblick auf die bei ihr vorhandenen
Beschwerden auf orthopädischem Fachgebiet vor, die sie auch stets in den
Vordergrund ihrer Begründung gestellt hat. Sie litt vor allem unter Wirbelsäulenbeschwerden
in allen Segmenten mit einer allenfalls endgradigen Bewegungseinschränkung im
Bereich der Halswirbelsäule, beginnenden degenerativen Veränderungen und
muskulären Verspannungen sowie Schulterbeschwerden. Dabei kann letztlich
dahinstehen, ob und inwieweit es wissenschaftlich-statistisch belegte
Erkenntnisse zum ursächlichen Zusammenhang zwischen orthopädischen
Gesundheitsstörungen und der Brustgröße gibt (vgl. dazu LSG Baden-Württemberg
Urteil vom 18.10.2002 -L 4 KR 4692/01 -Hessisches LSG Urteil vom 21.08.2008 -L 1
KR 7/07). Während Dr. L. (MDK) in seiner Stellungnahme vom 08.02.2008 davon
ausgegangen ist, dass nach der zur Verfügung stehenden
medizinisch-wissenschaftlichen Datenlage ein eindeutiger Zusammenhang bislang
nicht nachgewiesen ist, hat Dr. A. in seinem Gutachten dargelegt, dass es eine Fülle
medizinischer Berichterstattungen gebe, in der ein Zusammenhang bejaht werde.
Abgesehen davon, dass hier die medizinischen Erkenntnisse zum Zeitpunkt der
Beschaffung der Maßnahme maßgebend sind und in der fachärztlichen Literatur
zu diesem Zeitpunkt die Auffassung vertreten wurde, es gebe keine
evidenzbasierte Datenlage, die einen Zusammenhang zwischen Brustgröße und
statischen Beschwerden im Wirbelsäulenbereich herstelle (Funk, Med. Sach. 2009,
S. 68 ff.) spricht auch Dr. A. lediglich davon, dass es eine Vielzahl von
Publikationen gebe, die den Zusammenhang bejahe. Dass es sich hierbei um eine
evidenzbasierte Datenlage handelt, lässt sich seinem Gutachten jedoch nicht
entnehmen.
Außerdem legt Dr. A. in seinem Gutachten im Wesentlichen lediglich die seiner
Ansicht nach wesentlichen biomechanischen Gesichtspunkte zur Wirkung eines übergroßen
Brustgewichts auf die Wirbelsäule dar, verdeutlicht aber nicht, aus welchen Gründen
ein derartiger Geschehensablauf auch im Falle der Klägerin zu den konkret
vorhandenen orthopädischen Beschwerden geführt haben soll. Allein aus dem
Umstand, dass bei der Klägerin im Bereich der Halswirbelsäule beginnende
Aufbraucherscheinungen im Segment C 6 / C 7 mit leichter Fehlstatik vorliegen, lässt
sich jedenfalls nicht die abgesicherte Schlussfolgerung ziehen, dass diese
Erkrankung zumindest hinreichend wahrscheinlich auf die vergrößerte Brustdrüse
zurückzuführen war. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass es
anlagebedingt auch ohne vergrößerte Brust bei anderen Personen zu
vergleichbaren Schädigungen kommt. Soweit Dr. A. auf den Patho-Mechanismus der
Schulterbelastung bei Mammahypertrophie mit nachfolgenden Wirbelsäulenbeschwerden
hingewiesen hat, beruht dieser nach seinen Darlegungen darauf, dass es zu einem
Abreißen der Cooperschen Ligamente gekommen ist; ein solcher Befund konnte bei
der Klägerin vor der Operation jedoch gerade nicht festgestellt werden, wie
oben dargelegt worden ist. Letztlich kann die Problematik eines ursächlichen
Zusammenhanges zwischen Brustgröße und orthopädischen Gesundheitsstörungen
jedoch dahinstehen.
Entscheidungserheblich ist nämlich letztlich, dass die beabsichtigte Operation
nur mittelbar der Bekämpfung der auf orthopädischem Gebiet vorliegenden
Erkrankung dienen sollte. Wie bereits dargestellt können zwar auch solche Maßnahmen
notwendig im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V sein, wenn sie gezielt der
Krankheitsbekämpfung dienen. Da es sich jedoch um einen Eingriff an einem
funktionell intakten Organ handelt, bedarf es hierfür einer besonderen
Rechtfertigung im Sinne einer ultima ratio. Art und Schwere der Erkrankung, das
Risiko und der eventuelle Nutzen der Therapie sind gegeneinander abzuwägen
(vgl. BSG SozR 4 -2500 § 137 c Nr. 1). Zu fordern ist auf jeden Fall eine
schwerwiegende Erkrankung der Wirbelsäule und die erfolglose Ausschöpfung
aller konservativen orthopädischen Behandlungsmaßnahmen (vgl. LSG NRW Urteil
vom 10.05.2007 -L 5 KR 118/04, LSG Schleswig-Holstein Urteil vom 25.03.2010 - L
5 KR 118/08 -).
Eine schwerwiegende orthopädische Erkrankung lag bei der Klägerin nach den
Feststellungen aller Mediziner nicht vor. Sie litt allenfalls unter endgradigen
Bewegungseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule mit
Muskelverspannungen, einer leichten Fehlstatik der Brustwirbelsäule und
Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Die degenerativen Veränderungen
der Wirbelsäule waren nicht schwer und im Wesentlichen altersentsprechend. Während
sich bei der Untersuchung durch Dr. O. im Bereich der Halswirbelsäule leichte
Bewegungseinschränkungen mit druckdulentem M. Trapezius und M. Levator scapulae
beidseits fanden, zeigte sich bei der nachfolgenden Untersuchung durch die
Sachverständige Dr. H. eine altersentsprechende freie Beweglichkeit der
Halswirbelsäule mit leichter Verspannung der paravertebralen Halswirbelsäulenmuskulatur.
Die Brustwirbelsäule zeigte sich bei den Untersuchungen altersentsprechend frei
entfaltbar und röntgenologisch bestand eine leichte Fehlstatik im Sinne der
Seitausbiegung. Im Bereich des rechten Schultergelenkes fand sich ein
beginnendes Schulterengpasssyndrom mit beginnenden Aufbraucherscheinungen des
Schultereckgelenks rechts. Sowohl Dr. O. als auch Dr. H. haben darauf
hingewiesen, dass sich hier überlagernd und verstärkend eine somatoforme
Schmerzstörung fand, die Dr. A. in seinem Gutachten in keiner Weise berücksichtigt
und gewürdigt hat. Letztlich sind jedenfalls bezüglich der Wirbelsäule keine
schwerwiegenden Aufbraucherscheinungen zum Zeitpunkt der streitigen
Mammareduktionsplastik diagnostiziert worden. Ferner konnte auch nicht davon
ausgegangen werden, dass konservative Behandlungsmaßnahmen ausgeschöpft waren.
Zwar hat der Sachverständige Dr. A. die Ansicht vertreten, konservative Maßnahmen
seien ausgeschöpft gewesen. Die Klägerin habe in Eigeninitiative ein
Fitnessstudio sowie die Sporthochschule besucht und ein Eigentraining zum Erwerb
des deutschen Sportabzeichens durchgeführt. Dies erfüllt jedoch nicht die
Voraussetzungen eines multimodalen orthopädischen Behandlungskonzepts, das
entsprechend dem Gutachten von Dr. H. als vordringlich anzusehen ist. Ein
solches Konzept umfasst nämlich nicht lediglich Maßnahmen in Eigenregie,
sondern eine intensive fachspezifische orthopädische Behandlung einschließlich
der Nutzung der Heil- und Hilfsmitteltherapie; auch Dr. O. hat auf die
Notwendigkeit orthopädischer und physiotherapeutischer Behandlungsmaßnahmen
hingewiesen. Solche Behandlungen im Rahmen eines orthopädisch geleiteten
Behandlungskonzepts hat die Klägerin jedoch nicht hinreichend in Anspruch
genommen.
Es bestand auch kein Anlass zu weiteren Ermittlungen; insbesondere war der Senat
nicht verpflichtet, Dr. He. dazu zu hören, ob bei der Klägerin eine Überdehnung
der Cooperschen Ligamente vorlag. Denn diese Frage hat Dr. He. wie dargelegt,
bereits umfassend beantwortet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass zur Revisionszulassung besteht nicht, da die Voraussetzungen gemäß §
160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.