Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte der Klägerin nach vergleichsweiser Erledigung des Klageverfahrens Kosten zu erstatten hat.

Mit Bescheid von September 2000 stellte der Beklagte bei der 1951 geborenen Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) wegen der Gesundheitsstörungen

  1. Funktionseinschränkung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen (GdB 30)
  2. Verlust der Eierstöcke nach der Heilungsbewährung (GdB 10)

fest. Im April 2005 beantragte die Klägerin die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB). Zur Begründung gab sie an, ihr Bluthochdruckleiden und ihr Rückenleiden hätten sich verschlimmert. Die Beine würden häufig wegknicken und sie habe starke Schmerzen im rechten Schultergelenk. Desweiteren leide sie an Schlafstörungen.

Der Beklagte holte einen Bericht des von der Klägerin angegebenen behandelnden Hausarztes Dr. M. vom 27.05.2005 mit Fremdarztbericht des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin von E. vom 25.08.2004 ein. Anschließend stellte er mit Bescheid vom 20.06.2005 fest, dass die Klägerin außer an den bisher bekannten Gesundheitsstörungen an einer Funktionsstörung des rechten Kniegelenks (GdB 10) und einem Bluthochdruck (GdB 10) leide. Der Gesamt-GdB sei weiter mit 30 zu bewerten.

Auf den Widerspruch der Klägerin vom 27.06.2005, in dem diese bat, Facharztberichte einzuholen, zog der Beklagte einen Bericht des Kardiologen Dr. R. vom 21.07.2005 und einen Bericht des Arztes von E. vom 17.08.2005 bei. Letzterer teilte u.a. mit, dass er die Klägerin wegen beginnender depressiver Verhaltensauffälligkeiten im Mai 2004 in psychiatrische Mitbehandlung überwiesen habe. Eine Erkrankung auf psychischem Gebiet nannte er bei den von ihm festgestellten Diagnosen nicht. Nach Auswertung dieser Unterlagen ließ der Beklagte die Klägerin durch die Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Dr. R., begutachten. Bei der Untersuchung gab die Klägerin an, eine ambulante Psychotherapie wegen familiärer Probleme abgebrochen zu haben. In ihrem Gutachten vom 04.10.2005 bestätigte Frau Dr. R. die bisherigen Feststellungen des Beklagten. Im Bereich der Psyche erhob sie einen geordneten, orientierten, subdepressiven Befund mit Verdacht auf eine Schmerzverarbeitungsstörung. Eine Behinderung im Sinne des SGB IX stellte sie diesbezüglich nicht fest. Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2005 zurück.

Die Klägerin hat am 03.11.2005 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Detmold mit dem Begehren erhoben, einen höheren GdB als 30 festzustellen. Ihre Leiden hätten sich weiter verschlimmert. Hinzugekommen seien handchirurgische Probleme. Hierzu hat sie zwei Atteste betreffend das Wirbelsäulenleiden und das Handleiden überreicht. Mit weiterem Schreiben vom 14.12.2005 hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass bei ihr eine mehrschichtige Depressionssymptomatik bestehe. Dies habe der Psychiater Dr. W. in einer Untersuchung vom 07.12.2005 festgestellt. Einen entsprechenden Bericht des Dr. W. vom 08.12.2005 fügte sie zur Kenntnis bei. Nach Auswertung dieses Berichts unterbreitete der Beklagte mit Schreiben vom 23.01.2006 einen Regelungsvorschlag und erklärte sich bereit, ein psychisches Leiden ab Dezember 2005 mit einem GdB von 20 und den Gesamt-GdB ab diesem Zeitpunkt entsprechend mit 40 anzunehmen. Dieses Angebot hat die Klägerin angenommen und beantragt, dem Beklagten die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Das SG hat mit Beschluss vom 05.04.2006 entschieden, dass der Beklagte die erstattungsfähigen Kosten der Klägerin zur Hälfte zu tragen habe. Nach billigem Ermessen sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin mit dem Vergleich einen Teilerfolg erzielt habe. Dieser Teilerfolg sei erst nach Klageerhebung eingetreten und beinhalte nicht die (ursprüngliche) Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Zwar habe der Beklagte unverzüglich nach dem Eingang des Befundberichts von Dr. W. ein Vergleichsangebot unterbreitet. Er sei dennoch nicht völlig von der Verpflichtung freizustellen, außergerichtliche Kosten zu erstatten. Eine völlige Kostenfreistellung käme einer unbilligen Sanktion dafür gleich, dass die Klägerin von ihrem Recht Gebrauch gemacht habe, durch Klageerhebung eine sozialgerichtliche Überprüfung der Entscheidung des Beklagten einzuleiten. Zwar hätte sie unter Umständen denselben Erfolg auch mit einem Neufeststellungsantrag erreichen können. Sie hätte dann aber keine Überprüfung der Entscheidung hinsichtlich des zurückliegenden Zeitraums erwarten können und somit ihre Rechtsposition verschlechtert. Im Übrigen beziehe sich das Prozess- und folglich auch Kostenrisiko auf den gesamten Zeitraum zwischen Antragstellung und letzter mündlicher Verhandlung. Hinzu komme, dass der Gesundheitszustand ein fließendes Geschehen darstelle und sich oft nicht exakt feststellen lasse, wann eine GdB-wirksame Verschlechterung eingetreten sei. Würden sich die Beteiligten im Gerichtsverfahren - mangels anderer konkreter Anhaltspunkte oder um weitere aufwändige Sachverhaltsaufklärung zu vermeiden - auf (meist) einen späteren Zeitpunkt einigen und die Klägerseite ihrem ursprünglichen Klageziel dadurch näher kommen, liege darin ein Teilerfolg, dem bei der Kostenentscheidung Rechnung getragen werden müsse (vgl. BayLSG, Beschluss vom 03.06.2005, L 15 B 595/04 SB).

Gegen den ihm am 25.04.2006 zugestellten Beschluss hat der Beklagte am 05.05.2006 Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, dass eine Änderung des Gesundheitszustandes der Klägerin erst im Klageverfahren belegt worden sei. Dieser Änderung habe er durch den Regelungsvorschlag unverzüglich entsprochen. Eine weitere Sachaufklärung im Verwaltungsverfahren habe sich mangels entsprechender Angaben der Klägerin und fehlender Befunde der behandelnden Ärzte nicht aufgedrängt. Auch der Hinweis des Arztes von E. sei gewürdigt worden. Wenn eine Überweisung zu einem Facharzt im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Jahr zurückliege und keine Gesundheitsstörungen in diesem Fachgebiet geltend gemacht würden, seien zu diesem Punkt weitere Ermittlungen nicht erforderlich. Die Klägerin hätte den jetzigen Klageerfolg mit einem Änderungsantrag und - rückwirkend - mit einem Antrag gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ebenso erzielen können.

Die Klägerin hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beklagte hat der Klägerin die entstandenen außergerichtlichen Kosten nicht zu erstatten.

Gemäß § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht, wenn das Verfahren - wie hier - anders als durch Urteil endet, auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Diese Entscheidung ist eine nach sachgemäßem Ermessen zu treffende Billigkeitsentscheidung, bei der der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. In der Regel entspricht es der Billigkeit, dass derjenige die Kosten zu erstatten hat, der im Prozess - voraussichtlich - unterlegen wäre. Diese allein am Prozessausgang orientierte Betrachtungsweise ist jedoch nicht in allen Fällen sachgerecht; auch zu beachten ist, ob überhaupt und inwieweit der beklagte Sozialleistungsträger Veranlassung zur Erhebung bzw. Fortführung der Klage geboten hat ("Veranlassungsprinzip"). So zieht eine im Zeitpunkt ihrer Erledigung zulässige und begründete Klage dann keine Kostenerstattungspflicht des Beklagten nach sich, wenn dieser für die Einlegung bzw. Fortführung der Klage nicht verantwortlich ist. Das ist in der Regel jedenfalls dann der Fall, wenn sich die Sachlage nach Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts geändert und der Beklagte dieser Änderung unverzüglich Rechnung getragen hat (ständige Rechtsprechung des LSG NRW, z.B. Beschluss vom 27.06.2004, L 6 B 11/04 SB; Beschluss vom 24.03.2004, L 7 B 1/04 SB; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 01.11.2005, L 13 B 5/05 SB; weitergehend wohl Hessisches LSG, Beschluss vom 07.02.2003, L 12 B 93/02 RJ: sofortiges Anerkenntnis wohl nicht erforderlich; aA Bayerisches LSG, Beschluss vom 03.06.2005, L 15 B 595/04 SB, wenn es sich um eine chronisch fortschreitende Erkrankung handelt). War der angefochtene Bescheid im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig und hätte das Sozialgericht die Klage bei sofortiger Entscheidung abweisen müssen, ist es unbillig, dem Beklagten das Risiko einer nachträglichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers aufzuerlegen. Der Beklagte ist aber dann an den Kosten des Klägers zu beteiligen, wenn er durch sein Verhalten nach Klageerhebung Einfluss auf die Verfahrensdauer nimmt. Das ist der Fall, wenn eine Änderung im Laufe des Verfahrens eintritt und der Beklagte trotz Kenntnis dieser Änderung keine Bereitschaft zeigt, der Änderung Rechnung zu tragen. Dann hat er zwar keine Veranlassung zur Klageerhebung wohl aber zur Fortführung des Verfahrens gegeben.

Nach diesen Grundsätzen ist es gerechtfertigt, dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten der Klägerin nicht aufzuerlegen. Der Beklagte hat weder die Erhebung der Klage noch deren Fortführung veranlasst.

Die Klage hatte im Zeitpunkt, in dem sie erhoben worden ist (November 2005), keine Aussicht auf Erfolg. Ausreichende Befunde, die eine mit einem GdB zu bewertende Funktionsstörung auf psychiatrischem Gebiet belegen könnten, lagen nicht vor. Eine (fach-)ärztliche Behandlung der von der Klägerin geltend gemachten Störungen ist damals nicht erfolgt. Die vom Arzt von E. im Jahr 2004 veranlasste psychiatrische Mitbehandlung hatte die Klägerin lange abgebrochen. Aktuelle psychiatrische Befunde haben die behandelnden Ärzte nicht mitgeteilt. Die Sachverständige R. konnte bei ihrer Untersuchung keinen GdB-relevanten Befund erheben. Die Klägerin selbst hat im Verwaltungsverfahren zu etwaigen psychischen Störungen nichts vorgetragen.

Ein GdB von 20 für ein psychisches Leiden konnte bei der Klägerin erst festgestellt werden, nachdem sie sich im Dezember 2005 zu einer psychiatrischen Untersuchung begeben hat. Den hier erhobenen Befunden hat der Beklagte durch den Regelungsvorschlag vom 23.01.2006 umgehend Rechnung getragen. Es ist nicht Aufgabe und Pflicht des Beklagten im Verwaltungsverfahren Ermittlungen zu Gesundheitsstörungen eines Antragstellers vorzunehmen, für die sich weder aus dessen Vortrag noch aktuell aus Befunden der behandelnden Ärzte Anhaltspunkte ergeben. Vielmehr obliegt es dem jeweiligen Antragsteller, diejenigen Hinweise zu geben, die eine sachgerechte Ermittlung im Sinne seines Begehrens ermöglichen.

Allein die Tatsache, dass der Gesundheitszustand ein fließendes Geschehen darstellt und das psychische Leiden der Klägerin möglicherweise auch bereits zu irgendeinem (nicht näher bestimmbaren) Zeitpunkt vor der Untersuchung durch den Psychiater Dr. W. mit einem GdB von 20 hätte bewertet werden können, rechtfertigt es nicht, dem Beklagten Kosten der Klägerin aufzuerlegen. Eine solche Maßgabe würde den Beklagten unbillig belasten und potentielle Kläger von vornherein von einem Teil ihres grundsätzlichen Prozessrisikos befreien. Weil der Gesundheitszustand fließend ist, zeichnen sich die sozialgerichtlichen Verfahren regelmäßig dadurch aus, dass eine GdB-relevante Veränderung der Gesundheitsstörungen erst im Laufe des Verfahrens eintritt und der/die Kläger/in schließlich doch noch in den beanspruchten GdB hineinwächst. Nach der Auffassung des SG hätte dies zur Konsequenz, dass die Kläger/innen mit guter Wahrscheinlichkeit davon ausgehen könnten, im Ergebnis zumindest von einem Teil ihrer außergerichtlichen Kosten entlastet zu werden.

Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des SG, dass die Kostenfreistellung des Beklagten die Klägerin unbillig dafür sanktionieren würde, von ihrem Recht auf gerichtliche Überprüfung der Entscheidung des Beklagten Gebrauch gemacht zu haben. Zunächst ist zu beachten - wie das Sozialgericht selbst ausgeführt hat - dass die Klägerin ihr nunmehr erreichtes Klageziel auch mit einem (kostenfreien) Änderungsantrag beim Beklagten hätte erreichen können. Auch hinsichtlich des zurückliegenden Zeitraums wäre ein (ebenso kostenfreier) Überprüfungsantrag beim Beklagten gem. § 44 SGB X möglich, eine Inanspruchnahme der Gerichte daher nicht notwendig gewesen. Natürlich steht der Klägerin unbenommen das Recht zu, eine gerichtliche Überprüfung einzuleiten. Auch diese Überprüfung ist nach der geltenden Rechtslage kostenfrei, sofern die Klägerin sich selbst vertritt. Entscheidet sich die Klägerin trotz dieser umfassenden kostenfreien Möglichkeiten dazu, sich zusätzlich vor Gericht kostenpflichtig vertreten zu lassen, so muss sie das Risiko dieser besonderen Kosten billigerweise selbst tragen.

Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).