Thüringer Landessozialgericht - Urteil vom 23. Februar 2004 - Az: L 6 RJ 877/02
1. Eine Totalendoprothesenversorgung beider Hüftgelenke kann eine Besserung des Gesundheitszustandes im Sinne von § 48 SGB X sein und zum Entzug einer Rente führen, die wegen Verschleißerscheinungen der Hüftgelenke gewährt wurde.
2. Alkoholabusus allein bedingt in der Regel keine dauernde Leistungsunfähigkeit.
3. Grundsätzlich geht eine Nichterweislichkeit des Gesundheitszustandes bei der Rentenentziehung aus dem Grundsatz der negativen Feststellungslast zu Lasten des Rentenversicherungsträgers.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die der verstorbenen Ehefrau des Klägers mit Bescheid vom 9. November 1990 gewährte Rente entziehen durfte.
Die 1957 geborene und am 26. August 2000 verstorbene R. H. (im folgenden: Versicherte) war Facharbeiterin für Anlagentechnik (Facharbeiterzeugnis vom 15. Juli 1976) und nach eigenen Angaben von September 1976 bis Mai 1983 als Näherin und anschließend von Mai 1984 bis Februar 1989 als Metallarbeiterin beim VEB S. H., bzw. anschließend bei der inzwischen aufgelösten S. AG H., beschäftigt. Entlohnt wurde sie zuletzt in der Lohngruppe 1c. Welcher Tarifvertrag einschlägig war ist nicht bekannt (Auskunft der D. GmbH, Landesdepot T., vom 12. Dezember 2001).
In ihrem Gutachten vom 27. September 1990 diagnostizierte die Dipl.-Med. R. eine Verschleißerkrankung der Hüftgelenke beidseits, links mehr als rechts. Aus orthopädischer Sicht sei auf Grund dieser Diagnose kein lohnbringender Leistungsrest mehr vorhandenen. Mit Bescheid vom 9. November 1990 wurde der Versicherten Invalidenrente ab 1. September 1990 gewährt; ab 1. Januar 1992 wurde sie als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit geleistet (Bescheid der Beklagten vom 28. November 1991).
Die Versicherte wurde am 24. August 1995 mit einer zementfreien Totalendoprothese links versorgt. Nach dem Gutachten des Orthopäden Dipl.-Med. J. vom 17. Januar 1996 war die Situation im Vergleich zur Voruntersuchung noch schlechter geworden.
Mit Bescheid vom 2. März 1998 nahm die Beklagte den Bescheid vom 28. November 1991 hinsichtlich der Rentenhöhe nach § 45 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft zurück. Dagegen wurde kein Rechtsmittel eingelegt.
In seinem Gutachten vom 28. September 1998 führte der Dipl.-Med. J. aus, nach nunmehr erfolgter Totalendoprothesenversorgung beider Hüftgelenke mit einem recht guten, funktionellen und morphologischen Ergebnis bestehe von Seiten des Achs- und Bewegungsapparates nur noch eine Osteochondrose lumbal. Die Gesamtsituation habe sich auf Grund der Operation deutlich verbessert, sodass man jetzt von einer deutlich gesteigerten Leistungsfähigkeit ausgehen könne. Die Belastbarkeit der Hüftgelenke sei nicht wesentlich eingeschränkt. Damit könne die Versicherte noch leichte, zeitweise mittelschwere Arbeiten vollschichtig ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Klettern und Steigen, ohne Absturzgefahr und ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten (zumutbar: 15 Kilogramm) verrichten.
Unter dem 26. Oktober 1998 teilte die Beklagte der Versicherten mit, sie beabsichtige die Aufhebung des Bescheids vom 2. März 1998 für die Zukunft, nachdem diese wieder in der Lage sei, leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Die Versicherte wandte ein, sie sei nicht in der Lage, eine berufliche Tätigkeit ausüben.
Mit Bescheid vom 4. November 1998 entzog die Beklagte die mit Bescheid vom 9. November 1990 gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zum 30. November 1998, weil sich der Gesundheitszustand der Versicherten soweit gebessert habe, dass sie wieder leichte Arbeiten vollschichtig verrichten könne.
Mit ihrem Widerspruch trug die Versicherte vor, trotz ihrer Operationen sei sie in ihrer Bewegungsfähigkeit derart beeinträchtigt, dass sie für eine Arbeit auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe. Auch könne sie eine Wegstrecke über 500 Metern nicht ohne fremde Hilfe zurücklegen.
Die Beklagte zog diverse Unterlagen über die Beschäftigung der Versicherten bei und gewährte ihr eine Rehabilitationsmaßnahme in der K. Klinik H. vom 3. bis 21. April 2000. In dem Entlassungsbericht vom 22. Mai 2000 werden folgende Diagnosen genannt: Hüft-TEP-Implantation links 1995, rechts 1996 bei Dysplasiecoxarthrose beidseits, Lumboischialgiesyndrom bei Osteochondrose L5/S1, Gonarthrose rechts mehr als links, Adipositas. Die Versicherte könne noch leichte Arbeiten vollschichtig - vorwiegend im Sitzen - ausüben. Längere Gehstrecken, Steigen von Leitern, Treppen sowie häufiges Bücken und Heben, Tragen und Bewegen von Lasten ohne technische Hilfsmittel seien ihr nicht zumutbar. In den Unterlagen der behandelnden Ärztin Dipl.-Med. S. ist erstmals unter dem 7. August 2000 Alkoholkonsum (mindestens eine Flasche Schnaps am Tag), Gelbfärbung der Haut und Bauchwassersucht vermerkt.
Am 23. August 2000 wurde die Versicherte mit den Diagnosen dekompensierte alkoholtoxische Leberzirrhose mit repato-renalem Nierenversagen, Aszites, Leukozytose (Neutrophilie), Anasarka, Verdacht auf Sepsis, anamnestisch Alkoholabusus seit sieben Jahren, Hüft-TEP beidseits 1996 und 1997 in das V.-Krankenhaus in H. eingeliefert. Sie verstarb dort am 26. August 2000 an einem hepatorenalen Syndrom in Folge einer alkoholtoxischen Leberzirrhose (Krankenbrief vom 26. September 2000).
Mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2001 wies die Beklagte den von dem Kläger weitergeführten Widerspruch zurück, weil auf Grund einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse die Voraussetzungen für eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und Invalidität nicht mehr vorlägen.
Auf die Klageerhebung hat das Sozialgericht u.a. Befundberichte des Facharztes für Chirurgie Dr. G. und des Orthopäden Dr. K. mit entsprechenden Krankenunterlagen sowie eine Arbeitgeberauskunft der D. GmbH, Archiv- und Dokumentationszentrum, Landesdepot T. vom 12. Dezember 2001 eingeholt und mit Urteil vom 5. September 2002 die Klage abgewiesen.
Mit seiner Berufung trägt der Kläger vor, eine wesentliche Verbesserung des Gesundheitszustandes der Versicherten nach der Totalendoprothesenversorgung beider Hüftgelenk habe nicht vorgelegen. Die Beklagte habe das Verfahren über zweieinhalb Jahre verschleppt und nicht einen einzigen ärztlichen Zusatzbericht eingeholt. Insofern sei es ihm nicht möglich, einen aktuellen Gesundheitsbericht vorzulegen. Die Versicherte habe seit ca. sieben bis acht Jahren unter Alkoholabhängigkeit gelitten und zuletzt zwei Flaschen Schnaps täglich getrunken. Es sei davon auszugehen, dass die dekompensierte alkoholtoxische Leberzirrhose nicht innerhalb eines kurzen Zeitraumes entstanden sei, sondern im November 1998 bereits vorgelegen habe. Damit wäre sie jedenfalls auf Grund ihres Alkoholabusus rentenberechtigt gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 5. September 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. November 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2001 aufzuheben und ihm aus der Versicherung seiner verstorbenen Ehefrau Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit über den 30. November 1998 bis zum 31. August 2000 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht zeigen die beigezogenen Unterlagen eine Verbesserung des Leistungsvermögens der Versicherten; ihnen sei bezüglich eines Leberschadens nichts zu entnehmen. Eine Alkoholabhängigkeit könne lange unerkannt bleiben und erst im Rahmen einer Entzugssymptomatik auffallen.
Der Senat hat die Originalunterlagen der behandelnden Ärzte der Versicherten (Orthopäde Dr. K. und Allgemeinärztin Dipl.-Med. S.) beigezogen und den Beteiligten die Kopie eines Gutachtens der berufskundlichen Sachverständigen J. vom 25. Dezember 2000 aus einem anderen Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 695/98) übersandt.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig und statthaft. Insbesondere kann der Kläger als Ehegatte und Sonderrechtsnachfolger (vgl. § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - SGB I -) die Rechte der verstorbenen Versicherten wahrnehmen und damit auch Berufung einlegen.
Die Berufung ist unbegründet, weil sich das Leistungsvermögen der verstorbenen Versicherten zumindest ab 28. September 1998 (Gutachten des Dipl.-Med. J.) gegenüber den medizinischen Verhältnissen zum Zeitpunkt des Erlasses des Ursprungsverwaltungsakts aus orthopädischer Sicht wesentlich gebessert hatte und die Beklagte damit den Bescheid vom 9. November 1990 für die Zukunft aufzuheben hatte. Nach den vorliegenden Unterlagen liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Leistungsvermögen der Versicherten zu diesem Zeitpunkt wegen einer Leberzirrhose oder sonstiger Krankheiten nicht mehr vollschichtig war.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit sich in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass des Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Bestand am 31. Dezember 1991 Anspruch auf eine nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets berechnete Invalidenrente, ist diese Rente vom 1. Januar 1992 als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu leisten, wenn die Hinzuverdienstgrenze nach Absatz 2 nicht überschritten wird, andernfalls wird sie als Rente wegen Berufsunfähigkeit geleistet (§ 302a Abs. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI -). Eine als Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit geleistete Invalidenrente wird bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres geleistet, solange der Versicherte berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist oder die persönlichen Voraussetzungen für den Bezug von Blindengeld oder Sonderpflegegeld nach den am 31. Dezember 1991 geltenden Vorschriften des Beitrittsgebiets vorliegen (§ 302a Abs. 3 Satz 1 SGB VI).
Hier hat die Beklagte mit Bescheid vom 4. November 1998 den Invalidenrentenbescheid vom 9. November 1990 zum 30. November 1998 aufgehoben. Die Versicherte war nach den vorliegenden Unterlagen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr berufs- oder erwerbsunfähig. Eine wesentliche Änderung lag damit vor, weil die Beklagte nunmehr unter den objektiv vorliegenden Umständen den gewährenden Verwaltungsakt nicht mehr hätte erlassen dürfen (vgl. Bundessozialgericht (BSG) in SozR 2200 § 1255a Nr. 19 S. 56 m.w.N.; BSGE 59, 111, 112). Ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit nach den § 43 SGB VI in der Fassung bis 1. Januar 2000 (a.F.) bestand nicht mehr; die Leistungsfähigkeit der Versicherten war nicht mehr in dem für eine Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken.
Nach § 43 Abs. 1 SGB VI a.F. erhielt Rente wegen Berufsunfähigkeit derjenige Versicherte, der berufsunfähig war, wenn er die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt hatte. Die Versicherte war nicht mehr berufs- und demnach auch nicht mehr erwerbsunfähig im Sinne von § 44 SGB VI a.F., denn Erwerbsunfähigkeit setzt wesentlich stärkere Einschränkungen des Leistungsvermögens voraus als Berufsunfähigkeit.
Nach § 43 Abs. 2 S. 1 SGB VI a.F. ist ein Versicherter berufsunfähig, wenn seine Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Nach Satz 2 umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nach Satz 4 nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Berufsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist somit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung das Vermögen des Versicherten, das heißt die ihm zu Gebote stehende Fähigkeit, seine durch Ausbildung oder bisherige Berufstätigkeit erworbene berufliche Qualifikation (Berufskompetenz) im (inländischen) Arbeitsleben zur Erzielung von Einkommen einzusetzen; ihr Verlust ist nur bedeutsam, soweit sie in einer rentenversicherten Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit eingesetzt wurde (vgl. BSG in SozR 3-2600 § 43 Nr.13). Die Minderung der Berufsfähigkeit muss dauerhaft sein, das heißt mehr als 26 Wochen betragen und ausschließlich auf Beeinträchtigungen durch Krankheit oder Behinderungen beruhen. Die Haftung des Versicherungsträgers setzt voraus, dass das gesundheitliche Vermögen des Versicherten bei keinem Beruf, der seiner geschützten Berufskompetenz entspricht (ihn als fachlich qualitativ weder über- noch unterfordert) dafür ausreicht, ihn wenigstens hälftig auszuüben. Nicht versichert ist grundsätzlich die Gefahr, keinen geeigneten Arbeitsplatz zu erhalten.
Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit wird nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs festgestellt. Aus diesem Grund hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in vier Gruppen entsprechend der Bedeutung, Dauer und Umfang der Ausbildung eingeteilt. Die Gruppen werden charakterisiert durch den Leitberuf des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion beziehungsweise des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 49). Die Einordnung eines bestimmten Berufes in dieses Schema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der absoluten förmlichen Berufsausbildung, sondern auch nach der Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt dem aus der Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnden Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Es kommt somit auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird.
Tarifverträge können im Einzelfall ein wichtiges Hilfsmittel sein, wenn der bisherige Beruf kein staatlich geregelter Ausbildungsberuf ist und andere Erkenntnismittel nicht zur Verfügung stehen. Kann der Versicherte Tätigkeiten, die ihm sozial zumutbar sind, vollschichtig verrichten, ist die Erwerbsfähigkeit nicht auf weniger als die Hälfte derjenigen von vergleichbaren Versicherten im Sinne des § 43 Abs. 2 S. 1 SGB VI herabgesunken.
Wesentliches Merkmal und Beurteilungsmaßstab für die Qualität eines Berufes ist nach der Rechtsprechung des BSG stets die tarifliche Einstufung durch die Tarifvertragsparteien. Sie ist einerseits wesentlich für die abstrakte - „tarifvertragliche" - Qualifizierung (im Sinne eines selbständigen Berufsbildes) innerhalb eines nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrages, zum anderen für die tarifliche Zuordnung und der konkreten, zuletzt ausgeübten Tätigkeit eines Versicherten zu einer Berufssparte und hierüber zu einer bestimmten Tarifgruppe des jeweils geltenden Tarifvertrages (vgl. BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 14).
Der „bisherige Beruf" der Versicherten im Sinne dieser Vorschrift war der einer Metallarbeiterin bei der S. AG H., eine ungelernte Tätigkeit, allenfalls eine Anlerntätigkeit des unteren Bereichs (Anlernzeit bis ein Jahr). Nach den Angaben der Versicherten im Antrag auf berufliche Rehabilitation verrichtete sie „verschiedene Packarbeiten". In dem Erfassungsbeleg (AK-Stammdatenbeleg 4) wird der Arbeitsbereich „Kartonage/Packerei" genannt. Die letzte Entlohnung erfolgte nach der Lohngruppe 1c. Um welchen Lohnrahmentarifvertrag es sich handelte, war den Unterlagen allerdings nicht zu entnehmen (D. GmbH vom 12. Dezember 2001: entweder Rahmenkollektivvertrag der Werktätigen in den volkseigenen Betrieben des Maschinenbaues und der Elektrotechnik oder Rahmenkollektivvertrag in den sozialistischen Betrieben der Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie). Zu DDR-Zeiten waren die Lohngruppen qualitätsmäßig aufsteigend gegliedert, wonach hier eine relativ geringe Entlohnung vorlag. Angesichts des Tätigkeitsbereichs der Versicherten gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Einstufung fehlerhaft war.
Unerheblich ist, dass nach der Auskunft der D. GmbH die Entlohnung als „Facharbeiter" erfolgte und es sich um eine Tätigkeit als „Facharbeiter" gehandelt habe. Nachdem sich die Versicherte vom erlernten Beruf der Facharbeiterin für Anlagentechnik 1976 vor Ablauf der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren gelöst hatte, konnte sie diesen Berufsschutz nicht erwerben (vgl. BSGE 53, 269, 270; BSGE 57, 291, 293). Die rechtliche Beurteilung der Stelle, die nur Unterlagen aufbewahrt, ist für die Einstufung und Bewertung der Tätigkeit unerheblich.
Hinsichtlich der Einstufung als Ungelernte oder allenfalls als Angelernte des unteren Bereichs ist die Benennung einer zumutbaren Verweisungstätigkeit eigentlich nicht erforderlich. Angesichts der Rechtsprechung des 13. Senats des Bundessozialgerichts (vgl. BSGE 81, 15, 18), nach der auch eine größere Summierung gewöhnlicher Leistungseinschränkungen zur Benennungspflicht führen kann, verweist der Senat die Versicherte jedoch hilfsweise für die Zeit ab Ende November 1998 auf die Tätigkeit als Produktionshelferin und lässt dahingestellt, ob eine Summierung in diesem Sinne tatsächlich vorliegt.
Bei den Produktionshelfertätigkeiten handelt es sich nach dem berufskundlichen Gutachten der Sachverständigen J. (Az.: L 6 RJ 695/98) um einfachste wiederkehrende Tätigkeiten wie Aufmachen von Fertigerzeugnissen zur Verschönerung oder Aufbesserung des Aussehens, Kennzeichnen und Fertigmachen von Waren für den Versand; Bekleben, Bemalen, Blankreiben, Einfetten, Einhüllen von Waren und Erzeugnissen; Zurichten von Textilien; Kennzeichnen von Waren durch Banderollieren, Etikettieren, Stempeln, Bekleben, Heften, Anbringen von Abziehbildern; Abzählen, Abmessen oder Abwiegen von Waren oder Erzeugnissen. Es gibt in der Bundesrepublik eine nennenswerte Zahl solcher Helfertätigkeiten, die körperlich leicht sind, einen Wechsel der Körperhaltung erlauben bzw. bei denen überwiegend gesessen werden kann und die nicht im Akkord und nicht im Schichtsystem verrichtet werden.
Konkretes Beispiel für diese Tätigkeiten sind - so die Sachverständige - die Arbeiten bei der Fa. A. in S. Diese produziert nicht im eigentlichen Sinne, sondern betreibt Lohnfertigung; andere Unternehmen geben dort Leistungen in Auftrag. U.a. werden dort Lohnleistungen für K. H. B. durchgeführt. Als Beispiel für eine konkrete Tätigkeit wird genannt: in einem Karton von 0,50 m x 0,50 m sind ca. 3.000 kleine Tütchen (halb so groß wie Portionsbeutel C., mit 0,2 g Inhalt), 13 oder 20 Tütchen werden abgezählt und in einen anderen kleineren Karton gestellt, Karton wird geschlossen. Die Arbeit findet an Tischen statt. Vor den Tischen steht eine Art Barhocker. Sie kann bei Bedarf im Sitzen oder Stehen verrichtet werden. Die Tische sind so hoch, dass dort ohne gebückte Haltung gearbeitet wird; es ist keine Akkordarbeit oder Fließbandarbeit. Intellektuelle Anforderungen werden nicht gestellt, und die Tätigkeit ist nicht mit einer nervlichen Belastung verbunden.
Eine solche Tätigkeit konnte die Versicherte zumindest seit 28. September 1998 wieder vollschichtig ausüben. Das ergibt sich aus dem Gutachten des Dipl.-Med. J. von diesem Tage und dem ärztlichen Entlassungsbericht der K.-Klinik H. vom 22. Mai 2000. Dipl.-Med. J. berichtet über die Totalendoprothesenversorgung beider Hüftgelenke mit einem „doch recht guten" funktionellen und morphologischen Ergebnis. Die Gesamtsituation habe sich durch die Operationen deutlich gebessert, so dass von einer deutlich gesteigerten Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben auszugehen sei. Damit könne die Versicherte leichte, zeitweise mittelschwere Arbeiten ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Klettern und Steigen, ohne Absturzgefahr und häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten (bis 15 Kilogramm) ausüben.
Diese Beurteilung eines vollschichtigen Leistungsvermögens wird unterstützt durch den genannten Entlassungsbericht. Nach ihm konnte die Versicherte noch leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen vollschichtig verrichten. Längere Gehstrecken, Steigen von Leitern und Treppen, häufiges Bücken und Heben, Tragen und Bewegen von Lasten ohne technische Hilfsmittel und kniende Tätigkeiten seien nicht zumutbar. Die Abweichung von dem Gutachten (leichte statt leichte bis mittelschwere Tätigkeiten) ist unerheblich, weil die benannte Verweisungstätigkeit auch mit diesem Leistungsvermögen ausgeübt werden könnte. Die eingeholten Befundberichte widersprechen diesem Ergebnis nicht.
Damit lag eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen im Vergleich zu dem Umständen bei der Rentengewährung 1991 vor. Damals war die Rente wegen der Verschleißerkrankung der Hüftgelenke gewährt worden (vgl. Gutachten der Dipl.-Med. R. vom 27. September 1990). Wesentliche andere Diagnosen wurden nicht gestellt. Nach den Operationen lagen - wie sich aus dem Gutachten des Dipl.-Med. J. und dem Entlassungsbericht ergibt - wesentliche objektive und wesentliche Verbesserungen des Gesundheitszustandes der Versicherten vor. Nunmehr war diese wieder in der Lage, vollschichtig arbeiten zu können.
Soweit die Versicherte im Widerspruchsverfahren und später der Kläger vorgetragen haben, sie habe aus orthopädischen Gründen unter erheblichen Schmerzen gelitten, eine Wegstrecke von 500 Metern nicht zurücklegen können und sei auf eine ständige Begleitperson angewiesen gewesen, belegen die vorliegenden Unterlagen diese Behauptungen nicht. Tatsächlich berichtet auch der behandelnde Orthopäde Dr. K. im Befundbericht vom 10. Juli 2001 von einer „deutlichen Besserung nach beidseitiger Hüft-OP". Im Übrigen kann der unbewiesene Vortrag angesichts des Todes der Versicherten heute nicht mehr belegt werden.
Eine Umkehr der Beweislast kommt nicht in Betracht. Für die vorgetragene Verfahrensverschleppung gibt es keinen Beweis. Die Beklagte hat nach Eingang der Widerspruchsbegründung Ermittlungen zur früheren beruflichen Tätigkeit der Versicherten aufgenommen und ein medizinisches Rehabilitationsverfahren eingeleitet. Diesem stimmte die Versicherte erst nach mehrmaliger Erinnerung Anfang 2000 zu. Auch im weiteren Verfahren sind keine Anhaltspunkte für eine Verschleppung ersichtlich. Der Senat hat die Unterlagen der behandelnden Ärzte Dr. K. und Dipl.-Med. K. beigezogen, aus denen sich aber auch keine Hinweise für den Vortrag des Klägers ergeben. Im Übrigen würde selbst eine nachgewiesene Verschleppung nicht zu einer Umkehr der Beweislast führen. Angesichts des Beweisnotstandes wären nur verminderte Anforderungen an den Beweis zu stellen (vgl. BSG vom 31. Mai 1996 - Az.: 2 RU 24/95 m.w.N., nach juris). Nachdem es für die Behauptungen zur Leistungsunfähigkeit wegen Schmerzen und Wegeeinschränkung unter 500 Meter keine Belege gibt, könnte auch bei geringeren Anforderungen an den Beweis keine Leistungsunfähigkeit angenommen werden.
Es gibt auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Versicherte 1998 wegen der Leberzirrhose leistungsunfähig war. Dass diese am 26. August 2000 an einem hepatorenalen Syndrom infolge einer alkoholtoxischen Leberzirrhose verstorben ist, besagt zur Frage der Leistungsfähigkeit in den Monaten und Jahren davor nichts. Den beigezogenen ärztlichen Unterlagen ist diesbezüglich nichts zu entnehmen. Erstmals unter dem 7. August 2000 vermerkte die behandelnde Allgemeinärztin Dipl.-Med. S. in ihrer Behandlungskartei eine Gelbfärbung der Haut und Alkoholabusus. Das völlige Fehlen früherer Hinweise in den medizinischen Unterlagen, im Entlassungsbericht vom 22. Mai 2000, in den eingeholten Befundberichten und die Tatsache, dass die Versicherte selbst diesbezüglich keine Einschränkungen (oder auch nur die Diagnose) vorgetragen hatte, sprechen gegen eine Leistungsunfähigkeit zum Entziehungszeitpunkt.
Der vorgetragene massive Alkoholabusus seit ca. sieben Jahre vor dem Tod beweist keine Leistungsunfähigkeit und lässt diese auch nicht zwangsläufig vermuten. Alkoholabusus allein bedingt in der Regel keine dauernde Leistungsunfähigkeit (vgl. „Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung", hrs. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 6. Auflage 2003, S. 572).
Angesichts der Tatsache, dass im Rahmen der Amtsermittlung keinerlei Anhaltspunkte dafür gefunden werden konnten, dass die Leistungsfähigkeit der Versicherten zum Zeitpunkt der Aufhebung durch ihren Alkoholabusus bzw. eine Leber- oder Nierenschädigung wesentlich beeinträchtigt war, trägt der Kläger - der hieraus Rechte herleiten will -, nicht aber die Beklagte die Beweislast. Zwar geht grundsätzlich eine Nichterweislichkeit des Gesundheitszustandes bei der Rentenentziehung aus dem Grundsatz der negativen Feststellungslast zu Lasten des Rentenversicherungsträgers (vgl. BSGE 7, 295, 298 ff.; Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: September 2003, § 48 Rdnr. 22). Hier hat die Beklagte eine wesentliche Änderung der Verhältnisse (auf orthopädischem Gebiet) aber nachgewiesen. Wenn dann aus anderen nach dem Tode nicht mehr feststellbaren und zu Lebzeiten auch nie erwähnten Gründen die Verbesserung der tatsächlichen Verhältnisse (hier: Gesundheit) bestritten wird, trifft die Beweislast den Vortragenden, hier also den Kläger.
Die Ausführungen des Klägers zur Unbilligkeit der Aufhebung sind angesichts des Wortlauts des § 48 Abs. 1 SGB X („ist aufzuheben") unerheblich. Ein Ermessen der Beklagten bzgl. der Aufhebung bestand nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlagen.