Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 50 ab Geburt und Feststellung der Voraussetzungen der Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF".

Der am 1976 geborene Kläger stellte am 6. September 2006 beim Amt für Familie und Soziales Chemnitz einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung, des GdB und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises, beschränkt auf die in diesem Antrag aufgeführte Funktionsbeeinträchtigung ("Autismus"). Als Behandlerin gab er allein Frau Dr. W (Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin) an.

Die Versorgungsverwaltung holte daraufhin einen Befundbericht von Dr. W ein, die unter dem 25. September 2006 ausgeführt hat, der Kläger habe sich am 31. August 2006 in ihrer fachpsychiatrischen Behandlung vorgestellt, da er eine Klärung der Frage gewollt habe, ob er an einem Asperger-Syndrom leiden könne. Er habe eine ausführliche Anamnese und Selbstbeschreibung mitgebracht. Die Beschreibung, die der Kläger von seiner Frühgeschichte bis heute erzählt habe, entspreche dem Symptomenkomplex eines Asperger-Syndroms. Er habe sich, soweit er sich zurück erinnern könne, als Außenseiter gefühlt, habe immer große Schwierigkeiten in der ihn sehr verwirrenden sozialen Kommunikation gehabt, habe Strategien gelernt, damit er nicht so auffalle, ohne je eine richtige gefühlshafte Zugehörigkeit zu entwickeln. Er habe ein gestörtes nonverbales Verhalten gezeigt, er habe keine emotionale Resonanzfähigkeit in der Beziehung zu Anderen, insbesondere nicht zu Gleichaltrigen als Kind gehabt. Er habe Strategien erlernen müssen, um in Kontakt mit Anderen zurecht zu kommen. Seine psychomotorische und motorische Entwicklung sei verzögert gewesen. Er habe ab dem fünften Lebensjahr am Sonderturnen wegen motorischer Auffälligkeiten teilnehmen müssen, er habe eine so schlechte Schrift gehabt, dass er Sonderstunden zusammen mit legastheniekranken Kindern habe durchführen müssen. Seine Hauptaktivität sei "das Leben zu beobachten" bei Mitschülern, bei Dingen oder Tieren. Dadurch sei er immer Einzelgänger und Beobachter gewesen. Er habe körperlichen Kontakt gemieden, habe soziale Kontakte gefürchtet, habe Schwierigkeiten in der Orientierung im öffentlichen Nahverkehr, gerate immer wieder in gefährliche Situationen auf der Straße, da seine Aufmerksamkeit deutlich reduziert sei und er drohe vor Autos oder Lastwagen zu laufen. Er sei bei sehr zahlreichen Sinneswahrnehmungen in seiner Wahrnehmung gestört, gerate durcheinander, könne diese vielen Wahrnehmungen nicht sortieren. Dies sei insbesondere auf der Straße gefährlich. Gelegentlich komme es zu Synkopen, die er sich dadurch erkläre, dass er hochgradig konzentriert mit einer bestimmten Sache sei und bei Ablenkung dann das Bewusstsein verliere. Neurologisch oder internistisch sei das bisher allerdings nicht abgeklärt. In Überforderungssituationen falle ihm häufig das Atmen schwer, möglicherweise halte er auch die Luft an. Aufgrund der motorischen Einschränkung und auch möglicherweise der Aufmerksamkeitsstörung passiere es ihm immer wieder, dass er beim Radfahren von der Straße abkomme und im Graben lande. Er fahre aufgrund von Gleichgewichtsproblemen mit einem Dreirad für Erwachsene. Unerträglich seien für ihn Veränderungen in der Struktur. Wenn Dinge nicht so stünden wie sie immer stünden, benötige er eine klare Struktur, die er unverändert durchhalten möchte. Da ihm die gefühlshafte Verbundenheit mit anderen fehle, sei es ihm schwierig, die Vermutungen, Annahmen und unterschwelligen Bedeutungen der Anderen zu erfassen, so dass er schnell in eine verwirrte, unsichere Situation gerate. Der Kläger habe das Abitur, habe ein Studium begonnen und nach kurzer Zeit abgebrochen und lebe seitdem mit Unterstützung der Mutter. Es bestehe keinerlei Intelligenzdefizit. Es gebe keine Hinweise auf eine andere Entwicklungsstörung. Aus psychiatrischer Sicht könne davon ausgegangen werden, dass der Kläger unter einem Asperger-Syndrom, also einer autistischen Krankheit leide.

Nach versorgungsärztlicher Stellungnahme (Dipl.-Med. B am 11. Dezember 2006) stellte das Amt für Familie und Soziales C mit Bescheid vom 1. Februar 2007 bei dem Kläger einen GdB von 50 fest. Die Voraussetzungen für Merkzeichen lägen nicht vor. Eine rückwirkende Feststellung könne nicht erfolgen, da die vorliegende Funktionsstörung erst mit Befund vom 19. September 2006 nachgewiesen sei.

Dagegen hat der Kläger spätestens am 11. Juli 2007 Widerspruch eingelegt: Die Diagnose "Autismus" werde grundsätzlich nur gestellt, wenn diese in der frühesten Kindheit vorgelegen habe. Er habe keine Berufsausbildung und nie eine Fahrerlaubnis gemacht. Die Diagnose sei erst jetzt gestellt worden, weil vorher leider niemand auf die Idee gekommen sei, dass es Autismus sein könnte. Er verlasse seine Wohnung kaum. Beispielsweise schätze er Entfernungen falsch ein oder sehe nur Details um sich und nicht die Zusammenhängen im Straßenverkehr. Jederzeit nehme er eine große Anzahl von Sinnesreizen wahr. Autismus bedeute u. a., dass diese Reize nicht automatisch vorsortiert würden wie bei Nichtautisten. Die genannte Psychiaterin habe ihm gegenüber das Merkzeichen "B" befürwortet. Er wisse jedoch nicht, welche Angaben er dazu machen soll. Er wisse auch nicht, wer ihm dabei helfen könnte. Er wisse, dass er zur Mitwirkung verpflichtet sei. Dazu müsste er jedoch erfahren, wie er dies tun könne und was für Informationen erforderlich seien. Besonders bezogen auf das Merkzeichen "H" habe er noch keine verlässlichen Informationen gefunden. Er vergesse regelmäßig zu essen und verspüre oft trotzdem keinen Hunger. Es könne ihn überfordern einzukaufen. Das besondere Interesse an der rückwirkenden Feststellung sei die Wiederaufnahme in die Familienversicherung seiner Mutter, was nur möglich sei, wenn die Behinderung vor der Vollendung des 27. Lebensjahres vorgelegen habe. Bisher habe ihm seine Mutter die Beiträge für eine freiwillige Versicherung bezahlt, da er nahezu kein eigenes Einkommen habe. Vorgelegt hat der Kläger ein "ärztliches Attest" von Dr. W vom 6. Februar 2007: Der Kläger leide unter einer angeborenen seelischen Erkrankung, deren Einschränkungen lebenslang bestehen würden, wobei er insbesondere in seinem sozialkommunikativen Verhalten eingeschränkt sei. Aus diesem Grund falle es ihm schwer mit Menschen direkt Kontakt aufzunehmen. Man sollte ihm die Möglichkeit einräumen, Angelegenheiten mit Behörden ausschließlich schriftlich zu erledigen.

Für den versorgungsärztlichen Dienst hat Dipl.-Med. S unter dem 4. Juli 2007 ausgeführt, eine abschließende Beurteilung sei nach derzeitiger Aktenlage nicht möglich. Nervenärztlich bestätigt sei ein Asperger-Syndrom, eine Form des frühkindlichen Autismus. Für die Beurteilung fehlten aber wichtige Informationen, die sich speziell auf die Notwendigkeit von Nachteilsausgleichen beziehen würden, denn die Angaben im nervenärztlichen Befundbericht entsprächen ausschließlich anamnestischen Angaben, die doch durchaus in Diskrepanz zum bisherigen Lebensweg des Klägers stünden. Versorgungsärztlich sei bereits auf notwendige Sachverhaltsermittlungen hingewiesen worden, wobei der Besonderheit der mündlichen Kommunikationsschwierigkeiten des Klägers entgegengekommen und zunächst um schriftliche Mitarbeit gebeten worden sei (frühere Begutachtungen - es sei schwer vorstellbar, dass bisher weder der Rentenversicherer noch die Agentur für Arbeit eine Begutachtung zum Leistungsbild vorgenommen habe, von wem erhalte der Kläger Bezüge zum Lebensunterhalt?; Zeugnisse - enthielten Beurteilungen, diese müssten dem Kläger vorliegen). Nach Eingang der Unterlagen sei die Notwendigkeit einer zusätzlichen nervenärztlichen Begutachtung zu prüfen. Als Gutachter wäre dann Dr. K vorzuschlagen. Mit Schreiben vom 20. Juni 2007 hat die Versorgungsverwaltung - nach versorgungsärztlicher Stellungnahme der Ärztin H vom 14. Juni 2007 - den Kläger gebeten mitzuteilen, ob bezüglich der von ihm geltend gemachten Behinderung frühere Befunde, Krankenhausberichte, Gutachten bei anderen Einrichtungen oder anderen Leistungsträgern vorlägen. Dieser Bitte ist der Kläger nicht nachgekommen.

Mit Schreiben vom 31. August 2007 hat Dr. K (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in R ) der Versorgungsverwaltung mitgeteilt, dass er den Gutachtenauftrag über den Kläger unerledigt zurücksende. Der Kläger lehne eine persönliche Untersuchung auch nach einer zweiten Einladung ab. Aus den Unterlagen einschließlich der Biographie des Klägers (Abitur, begonnenes Studium) sei es für ihn nicht plausibel, dass ihm der Autismus nicht ermöglichen sollte, zu einer psychiatrischen Untersuchung zu kommen. Der psychiatrische Bericht von Frau Dr. W enthalte leider keinen aussagekräftigen psychischen Befund, der es ermöglichte, ein Gutachten nach Aktenlage zu erstellen.

Unter dem 29. August 2007 führte die Ärztin S (versorgungsärztlicher Dienst) aus, die Begründung für die Ablehnung der Begutachtung bei Herrn Dr. K sei nicht nachvollziehbar und werde wieder von "einer Person" verfasst, die nicht im unmittelbaren Umkreis des Klägers sich aufhalte und wahrscheinlich den Kläger nicht einmal persönlich kenne. Auch wenn die Diagnose "Autismus" stimme, sollte eine solche Begutachtung machbar und zumutbar sein. Aus versorgungsärztlicher Sicht sei unter diesen Aspekten eine Feststellung nach dem Schwerbehindertengesetz nicht möglich. Die Zweifel an der fachlichen Kompetenz des Facharztes Dr. K würden seitens des ärztlichen Dienstes der Versorgungsverwaltung keineswegs geteilt.

Der Widerspruch blieb daraufhin ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid des Sächsischen Landesamtes für Familie und Soziales vom 21. September 2007). In dem Bescheid wurde eine rückwirkende Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch und der Voraussetzungen für die Merkzeichen "B" und "H" abgelehnt.

Hiergegen hat sich die am 8. Oktober 2007 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) erhobene Klage gerichtet, mit der der Kläger die rückwirkende Feststellung der Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" sowie die Feststellung eines höheren GdB geltend gemacht hat. Der Kläger hat gebeten, künftig jederzeit barrierefrei mit ihm zu kommunizieren, was ersatzweise zu ihm laut ärztlichem Attest nicht zumutbaren Telefonaten eine schnelle schriftliche Kommunikation per Email, Fax, Internetchat oder ähnlichem Mittel in einem Telefonat ähnlicher zeitnaher Abfolge zu bedeuten habe. Hierzu verweise er auf die Kommunikationshilfeverordnung, dort besonders § 2, in der in § 3 ausdrücklich auch Autisten als Teil der Gruppe sprachbehinderter Personen aufgeführt würden und dazu auch auf das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), insbesondere § 9.

Ein vom SG dem Kläger übersandter Fragebogen über medizinische Behandlung und Sozialleistungsbezug sowie ein Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht und der sozialrechtlichen Geheimhaltungspflicht hat der Kläger dem Gericht nicht zurückgesandt. Vielmehr hat er ein ärztliches Attest von Dr. W vom 1. April 2008 vorgelegt: "Der Obengenannte stellte sich erstmalig im Aug. 2006 in meiner Sprechstunde vor. Er leidet unter einem Asperger-Syndrom, einer Erkrankung aus dem autistischen Formenkreis. Diese Erkrankung geht mit einer Störung des sozialkommunikativen Verhaltens einher und sehr großen Kontaktschwierigkeiten mit anderen Menschen, aber zusätzlich auch mit Orientierungsstörungen, Problemen mit der Konzentration bei Reizüberflutung, Ängsten vor öffentlichen Räumen, in denen man Menschen begegnen könnte und grob- und feinmotorischen Problemen. Der Pat. kann kein normales Fahrrad fahren, da er Koordinierungsschwierigkeiten hat und deswegen ein Dreirad benutzt, bei dem er sicheren Halt findet, nicht balancieren muss und weniger schnell umkippt. Wenn er sich körperlich sicherer fühlt, kann er sich besser auf den Straßenverkehr konzentrieren, und seine visuelle Wahrnehmung ist sicherer. Er lebt auf dem Land und hat sehr große Schwierigkeiten seine alltäglichen Einkäufe zu verrichten, wozu er das Dreirad benötigen würde, da er in einen weiter entfernten Ort zum Einkaufen fahren muss. Er ist jetzt größtenteils auf die Hilfe seiner Mutter angewiesen. Das Dreirad dient dem Ausgleich seiner autistischen Behinderung. Wenn er ein Dreirad benutzt und dadurch motorisch entlastet ist, kann er sich besser konzentrieren und ist dadurch im Straßenverkehr sicherer. Wichtig ist auch, dass er sein Rad in den öffentlichen Verkehrsmitteln transportieren kann, damit er dadurch auch einen größeren Radius gewinnt. Zurzeit ist er schwer eingeschränkt in seinem Radius, er kann weder Behörden noch Ärzte in ausreichendem Maße aufsuchen. Ein Rollstuhl im engeren Sinne ist nicht notwendig. Es handelt sich um ein Dreirad, dass der Pat. selber in Gang setzen kann, das ihn in seiner Konzentration entlastet und das nicht so leicht umstürzt, wie ein Zweirad und ihm dabei die Möglichkeit schafft, seine alltäglichen Verrichtungen alleine durchzuführen und soziale Kontakte aufzunehmen. Aus diesem Grund wird ein Dreirad als notwendig für diesen Pat. angesehen."

Ferner hat der Kläger ein weiteres ärztliches Attest von Frau Dr. W vom 24. April 2008 vorgelegt: "Der Obergenannte befindet sich in meiner fachärztlichen Behandlung.

Im August 2006 wurde bei ihm ein Asperger-Syndrom festgestellt. Das Asperger-Syndrom gehört zu den Autismusspektrum-Störungen, die eine Vielzahl von Symptomen, ein weites Spektrum an klinischen Manifestationen und eine große Variationsbreite von Ausprägungsgraden hat. Es sind Entwicklungsstörungen des zentralen Nervensystems und sind mit Beeinträchtigungen basaler Hirnfunktionen assoziiert, die die Kontaktfähigkeit beeinflussen.

Zu den Autismusspektrum-Störungen gehören der frühkindliche Autismus, dadurch erkennbar, dass er mit unter 3 Jahren sich erstmanifestiert, dass die kognitive Funktion und die Sprache meist deutlich beeinträchtigt sind. Außerdem gibt es noch den atypischen Autismus, der meistens mit einer geistigen Behinderung einhergeht und das Asperger-Syndrom. Das Asperger-Syndrom manifestiert sich normalerweise erst nach dem 3. Lebensjahr. Es zeigt Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion, stereotype Verhaltensweisen und Interessen, aber keine Sprachentwicklungsverzögerung und keine kognitiven Beeinträchtigungen. Aus diesem Grund fallen diese Kinder allenfalls durch Verhaltensstörungen im Kindergarten und der Schule auf, nicht aber durch schlechte Noten oder Kommunikationsstörungen aufgrund von Sprachstörungen. Häufig liegt sogar ein besonders hochfunktionaler Autismus vor, dass heißt diejenigen haben besonders hohe Intelligenzfunktionen, die dann aber - spätestens nach der Schulausbildung - zu keiner langfristigen beruflichen Einordnung führen, da dann andere Qualitäten, insbesondere die der sozialen Einordnung, der Kommunikationsfähigkeit und der Flexibilität, notwendig werden. Insofern ist es extrem selten, dass bei der Diagnostik im Erwachsenenalter irgendwelche Unterlagen oder Nachweise aus der frühen Kindheit vorliegen. Normalerweise ist es nicht mal zur Vorstellung beim Psychologen oder Ärzten gekommen. Die meisten Patienten, die jetzt mit einem Asperger-Syndrom diagnostiziert werden, können aus diesem Grund nur - aufgrund der anamnestischen Befundaussagen des Betroffenen und seine Erziehungsperson, insbesondere der Mütter - diagnostiziert werden. Diese Sensibilisierung für diese Erkrankung hat dazu geführt, dass in zunehmendem Maße jetzt auch schon Kinder diagnostiziert werden, das trifft aber für den Jahrgang des Patienten nicht zu. Der Ausführungsgrad des Asperger-Syndroms bei dem Pat. ist als schwerwiegend einzuschätzen, da er in seiner Alltagsbewältigung sehr schwer eingeschränkt ist und nur mit Mühe ein selbständiges Leben aufrecht erhalten kann. Seine Symptomatik ist außerordentlich typisch, so dass an der Diagnose keinerlei Zweifel bestehen."

Hierzu legte der damalige Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dipl.-Med. S vom 16. Juli 2008 vor: "Der Kläger legt erneut Atteste seiner Psychiaterin, die ihn vermutlich nur einmal gesehen hat und zwar am 31.08.2006, denn diese praktiziert in Berlin und der Kläger wohnt in R (Vogtlandkreis) und nach den Angaben verlässt er seinen Wohnort praktisch nicht, vor. Sowohl der Bericht der Psychiaterin vom 19.09.2006 als auch die Atteste beinhalten praktisch ausschließlich anamnestische Angaben zum bisherigen Verlauf und zur aktuellen Lebensgestaltung allerdings nicht einmal tatsächlich einen psychiatrischen Befund. Wie breit gefächert die autistischen Störungen in ihrer Symptomatik sein können, hat die Psychiaterin beschrieben und gerade deshalb ist ein ärztlicher Befund für eine medizinische Begutachtung erforderlich, um den Einzelfall exakt zu beurteilen zu können.

Anhaltspunkte sehen für eine autistische Störung vom Asperger-Typ einen GdB zwischen 50 bis 80 vor. Zu einer höheren Bewertung als 50 bedarf es somit eines exakten Befundes, der entsprechende Einschränkungen auch belegt. Bezüglich der geltend gemachten Merkzeichen muss die Notwendigkeit aufgrund der behinderungsbedingten Einschränkungen bestehen und wenn man sich das Attest von Frau Dr. W vom 01.04.2008 anschaut, worin sie beschreibt, dass die Nutzung des Dreirades insbesondere auch die Mitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln medizinisch notwendig ist um den selbstständigen Aktionsradius von Herrn S zu vergrößern, kann nicht der Schluss gezogen werden, die begehrten Merkzeichen medizinisch notwendig sind.

Wesentliche Hilfen bei den täglich wiederkehrenden Verrichtungen sind beim Kläger nicht erforderlich, denn hierauf hat die Kommunikationseinschränkung keinen Einfluss.

Auch dass der Kläger mit Unterstützung nicht in der Lage sein soll an einer geeigneten Art und Anzahl öffentlicher Veranstaltungen teilzunehmen ist nicht nachvollziehbar. Eine Bindung an die Wohnung liegt eindeutig nicht vor und das Attest der Psychiaterin vom 01.04.2008 beschreibt auch den Weg der Einbindung des Klägers in das öffentliche Leben."

Mit Beweisanordnung vom 23. August 2010 beauftragte das SG Herrn Dr. S (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie für die Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie in Markkleeberg) mit der Erstellung eines Gutachtens auf psychiatrischem Fachgebiet nach Aktenlage, gegebenenfalls nach ambulanter Untersuchung, falls ferner erforderlich auch im Wege eines Hausbesuches.

Dr. S teilte dem SG unter dem 7. September 2010 mit, für die Gutachtenerstellung würden aufgrund des bisherigen problematischen Verlaufs einer Beurteilung des Klägers drei Möglichkeiten eingeräumt. Als dritte Möglichkeit sei eine Hausbegutachtung beim Kläger selbst erwähnt. Eine Begutachtung im Rahmen eines Hausbesuches sei ihm aus zeitlichen/Entfernungsgründen nicht möglich. Die zweite Möglichkeit einer ambulanten Untersuchung des Klägers in seiner (irgendeiner) Begutachtungspraxis werde vom Kläger generell aus seiner Sicht nicht für möglich gehalten mit Hinweis auf die vorliegende Behinderung. Eine in diesem Zusammenhang auch thematisierte Kommunikation per E-Mail halte er nicht für sinnvoll, könne diese auch nicht leisten. Es bliebe demnach die erste Variante einer Begutachtung nach Aktenlage. Nach der ersten Durchsicht der Akten erscheine es aber sinnvoll, dafür auch die kompletten Behandlungsunterlagen der immer wieder als behandelnden Psychiaterin erwähnten Frau Dr. W einzusehen zu können. Auch wäre es hilfreich, sämtliche noch vorhandene Schulzeugnisse einschließlich diverser Beurteilungen einsehen zu können. Nach den Unterlagen habe der Kläger das Abitur abgelegt, auch ein Studium begonnen, was er aber nach kurzer Zeit abgebrochen und gemäß Bericht der erwähnten Nervenärztin von September 2006 dann mit Unterstützung seiner Mutter gelebt habe. Es sei offensichtlich über das Versorgungsamt mehrfach versucht worden, entsprechende Unterlagen beizuziehen, was allerdings nicht gelungen sei, da der Kläger selbst in diesem Zusammenhang auf vorliegende Unterlagen bei seinem Psychiater verweise. Im Übrigen werde hier eine Anerkennung seit Geburt gefordert. Auf diesem Hintergrund sei eine möglichst lückenlose Dokumentation über bisherige ärztliche Behandlungen sowie über die soziale Entwicklung für eine möglichst umfassende Beurteilung schon erforderlich.

Der Aufforderung, die vom Sachverständigen benötigten Unterlagen einzureichen, ist der Kläger nicht nachgekommen.

Dr. S hat unter dem 12. November 2010 dem SG mitgeteilt, dass für ihn eine Begutachtung nur möglich sei, wenn er persönlich mit dem Kläger von Angesicht zu Angesicht kommunizieren könne, nicht über E-Mail oder per Fax. Letzteres verstehe wohl der Kläger unter "barrierefreier Kommunikation". Es werde nicht die Diagnose "Autismus" begutachtet, sondern die aufgrund der Umstände vorliegende Behinderung des Klägers. Dieser sei zudem der Auffassung, dass "Autismus" als angeboren gelte und damit die Frage der rückwirkenden Anerkennung in fachlicher Hinsicht ausreichend geklärt sei. Er erlaube sich anzumerken, dass selbst bei tatsächlichem Vorliegen einer autistischen Störung die zeitbezogenen Auswirkungen durchaus unterschiedlich sein könnten. Aus diesem Grund habe er auch um weitere Sachaufklärung gebeten. Mit Schreiben vom 27. November 2010 führte Dr. S gegenüber dem Kläger aus, dass er eine Begutachtung in einem unmittelbaren persönlichen Kontakt für sehr wichtig halte, anderenfalls könne eine Beurteilung gleich nach Aktenlage erfolgen, wobei naturgemäß Fragen offen blieben und der persönliche Eindruck des Gutachters mit daraus resultierenden wesentlichen Aufschlüssen hinsichtlich der psychischen Befindlichkeit des zu Begutachteten nicht gegeben sei. Gerade bei der von ihm geltend gemachten Behinderung sei eine unmittelbare Beurteilung von Verhaltensweisen und Reaktionen im interpersonellen Kontakt von Bedeutung. Auch die in einem persönlichen Gespräch zu klärenden Entwicklungsbesonderheiten seiner Biografie ließen sich durch "neutrale Medien" nur unzureichend und insbesondere nur sehr mühsam und langwierig klären, wobei auch hier die oben erwähnten Möglichkeiten einer umfassenden Beurteilung der psychischen/psychomentalen Befindlichkeit des zu Begutachtenden nicht gegeben seien. Eine Untersuchung durch Herrn Dr. S in Markkleeberg hat der Kläger jedoch abgelehnt.

Der Sachverständige erstellte daraufhin ein Gutachten nach Aktenlage (vom 26. März 2011). Er führte aus, der psychiatrische Bericht von Frau Dr. W enthalte leider keinen aussagekräftigen psychischen Befund, der es ermöglichte, ein Gutachten nach Aktenlage zu erstellen. Wie es zu der Konsultation bei Frau Dr. W gekommen sei, ob weitere Konsultationen in der Praxis der Ärztin erfolgt bzw., was von der Ärztin außer dem Verfassen von verschiedenen Briefen bzw. "Attesten" noch geleistet worden sei (z. B. therapeutische Aktivitäten), gehe aus den Unterlagen nicht hervor. Sie erwähne im Bericht vom 19. September 2006 aber, dass der Kläger eine ausführliche Anamnese und Selbstbeschreibung mitgebracht habe. Diese Beschreibung, die der Kläger von seiner Frühgeschichte bis zum Zeitpunkt der Konsultation erzähle, entspräche diesem (autistischem) Symptomkomplex, mit jetzt detaillierten Ausführungen aufgrund der beigebrachten Selbstbeschreibung. Die vom Kläger beigebrachte ausführliche Anamnese werde leider, was den biografisch/sozialen Bereich betreffe, nicht im Detail wiedergegeben. Weder aus dem Bericht der Nervenärztin noch aus dem gesamten Aktenvorgang erhelle sich die Biografie und insbesondere auch die Entwicklung im Sozialraum (Herkunftsfamilie, Kindheit und Jugend, Schullaufbahn) nicht ausreichend, bis auf den obigen Hinweis auf Ablegung des Abiturs und Abbruch eines Studiums (Fachrichtung nicht genannt) nach kurzer Dauer sowie die Unterstützung seitens der Mutter, wobei auch hier keine Details angegeben würden. Es gebe auch sonst nur wenige Hinweise auf die gegenwärtige Lebensführung einschließlich finanzieller bzw. allgemein-sozialer Situation etc. Die hier zur Debatte stehende Autismusform beziehe sich nach den vorliegenden Schilderungen auf die sogenannte autistische Psychopathie oder das Asperger-Syndrom. Während der frühkindliche Autismus viel häufiger mit hirnorganischen Störungen verbunden sei mit in der Regel erheblichen sprachlichen Problemen und meist auch deutlich niedrigerer geistiger Leistungsfähigkeit, sei das Asperger-Syndrom charakterisiert durch eine deutlich formal höhere intellektuelle Leistungsfähigkeit bis in den Bereich von Sonderbegabungen mit in der Regel auch relativ hoch stehender sprachlicher Äußerungsmöglichkeit, wobei allerdings das hier deutlich höhere intellektuelle Potential im Vergleich zum frühkindlichen Autismus aufgrund der sozialen/kommunikativen Probleme häufig nicht ausreichend realisiert werden könne, so dass trotz in der Regel relativ guter formaler geistiger Leistungsfähigkeit die Betreffenden nicht zu einer existenzsichernden Tätigkeit kämen. Bei den Hauptsymptomen autistischer Syndrome im engeren Sinne (tiefgreifende Entwicklungsstörungen) seien Kontaktstörungen im Sozialbereich, hier als Kernsymptom oder Hauptsymptom, während autistisches Verhalten bei geistig Retardierten (nicht im Sinne eines frühkindlichen Autismus) oder bei Schizophrenen nicht als Begleitsymptom zu registrieren sei. Bezüglich des Asperger-Syndroms sei hinsichtlich der Genese darauf hinzuweisen, dass hier offensichtlich genetische Faktoren eine Rolle spielten, da in der Familie dieser Betroffenen nicht selten auch Menschen zumindest mit autistischen Zügen zu beobachten seien. Im vorliegenden Fall sei unter Berücksichtigung der Beschreibungen der Eigenheiten des Klägers, die von ihm stammten und der am 31. August 2006 konsultierten Nervenärztin schriftlich vorgelegt seien, von einem Asperger-Syndrom auszugehen, auch wenn gutachterlicherseits der Kläger selbst nicht in Augenschein habe genommen werden können, was für eine Diagnosestellung schon von Bedeutung gewesen wäre, zumindest auch hinsichtlich der Beurteilung des Ausprägungsgrades aufgrund der explorativ und von der Beobachtung zu erwartenden Informationen. Für die vorliegende Fragestellung sei insbesondere hinsichtlich der rückwirkenden Anerkennung wären natürlich Detailinformationen bezüglich der Biografie unbedingt erforderlich, die sich aus den Unterlagen nicht ausreichend entnehmen ließen. Auch wenn die in den vorliegenden Befundberichten teilweise hervorgehobenen motorischen, insbesondere Gleichgewichtsprobleme nicht so ganz zum Asperger-Syndrom passten, werde von einer derartigen Symptomatik ausgegangen und die vorliegenden Beweisfragen wie folgt beantwortet: 

"Zu 2.1.: Seit Antragstellung vom 06.09.2007 mit Bezug auf den Erstbericht der konsultierten Fachärztin Frau Dr. W vom 19.09.2006 und der Erstvorstellung bei ihr am 31.08.2006 wird von einem Ausprägungsgrad eines ASPERGER-Syndroms im GdB-Bereich von etwa 70 bis 80 ausgegangen unter dem Vorbehalt der Vorlage eines detaillierten Lebenslaufes mit ausführlicher Darstellung der schulischen Entwicklung einschließlich des begonnenen Studiums und der in diesem Zusammenhang realisierten Mobilität bzw. sonstiger sozialer Aktivitäten einschließlich der Bewältigung der notwendigen Alltagsleistungen. Es ist sicher richtig, dass autistische Syndrome in engerem Sinne, also der frühkindliche Autismus nach KANNER und die sogenannte autistische Psychopathie nach ASPERGER bereits im frühen Kindesalter Auffälligkeiten zeigen, wenn auch zeitlich etwas versetzt, die sich insbesondere beim ASPERGER-Syndrom erst allmählich im Laufe der Entwicklung stärker herauskristallisieren, so dass eine Querschnittsbeurteilung 2006 bzw. 2007/Antragstellung keineswegs auf frühere Zeiträume übertragbar sind. Wie sich bereits aus der nur bruchstückhaft bekannten schulischen Entwicklung ableiten lässt, war der Kläger in Kindheit und Jugend offensichtlich, wenn auch möglicherweise mit teilweiser Unterstützung der Mutter, im öffentlichen Raum mobiler mit annehmbar weniger Kontaktproblemen im Sozialraum als jetzt dargestellt. Eine rückwirkende Anerkennung einer Behinderung im Rahmen eines ASPERGER-Syndroms seit Geburt ist zumindest, was den Ausprägungsgrad anbelangt, nicht möglich. Auch eine graduelle Abstufung im Zeitverlauf lässt sich nur mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erstellen, wenn detaillierte biografische Informationen vorliegen.
Zu 2.2.: Die autistischen Verhaltensweisen bedingen unterschiedlich ausgeprägte Einschränkungen im Sozialbereich mit zahlreichen assoziierten speziellen Beeinträchtigungen. Nach der versorgungsärztlichen Terminologie ergibt sich für das ASPERGER-Syndrom pauschal zunächst ein Spielraum zwischen GdB 50 und 80 in Abhängigkeit vom sich über den Zeitverlauf herauskristallisierenden Ausprägungsgrad dieses spezifischen Syndroms. Ein vom Versorgungsamt im Bescheid vom 01.02.2007 mitgeteilter GdB von 50 erscheint unter Berücksichtigung der vorliegenden Beschreibungen der Symptomatik zu niedrig angesetzt - siehe oben. Zu 2.3.: Siehe 2.1 ... Zu 2.4.: NTA "G" käme bei einer Votierung unter einem GdB von 80 im vorliegenden Falle nicht in Frage. Der Begutachtete bietet zwar gewisse motorische Probleme, inwieweit es sich hier tatsächlich um Gleichgewichtsprobleme handelt, erscheint ausgesprochen fragwürdig. Wie aus dem Bericht der Fachärztin Frau Dr. W vom 19.09.2006 zu entnehmen ist, spielen hier psychische Faktoren für die "Gleichgewichtsproblematik" eine Rolle, ohne dass die notwendigen versorgungsärztlichen Kriterien erfüllt werden. Auch eine hilfsweise Annahme einer Gleichsetzung mit einem geistig behinderten Menschen mit entsprechenden Störungen der Orientierungsfähigkeit lässt sich nicht zwingend ableiten. Es wird in verschiedenen Schriftsätzen der konsultierten Fachärztin Frau Dr. W und der ehrenamtlich tätigen Frau S S auf Probleme der Mobilität im öffentlichen Verkehrsraum ohne Begleitperson hingewiesen. Auch hier lässt sich allein aus den vorliegenden Beschreibungen in Analogie zur geistigen Behinderung nicht ableiten, dass Hilfen zum Ausgleich von Orientierungsstörungen (im speziellen Fall Eigenheiten autistischer Verhaltensweisen) zwingend erforderlich wären, auch wenn der Begutachtete unter anderem in diesem Zusammenhang die bisher vorgeschlagenen Gutachtentermine bei zwei Gutachtern nicht realisiert hat. Bezüglich des Merkzeichens RF ist anzumerken, dass der Begutachtete prinzipiell in der Lage ist, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, aufgrund der spezifischen Symptomatik sicher nur ausgewählte derartige Veranstaltungen. Das Merkzeichen H kommt im vorliegenden Fall keinesfalls in Betracht, auch nicht, wenn der Gesamt-GdB auf 80 festgelegt werden könnte. Sollte nach versorgungsärztlichen Kriterien eine Anhebung des GdB auf 80 möglich sein, würde dies gegebenenfalls auch eine Zuerkennung der Merkzeichen G und B implizieren, allerdings wohl nur nach weiteren Detailinformationen über die aktuelle Lebensführung des Klägers einschließlich detaillierter Schilderungen über den Sozialraum, in dem sich der Kläger aufhält und die notwendigen Dinge des täglichen Lebens auch eigenständig (oder mit Hilfeleistungen Dritter) realisiert." 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens wird auf Blatt 72 bis 91 der SG-Akte Bezug genommen.

Der Beklagte erhob hiergegen Einwendungen durch Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. J vom 2. Mai 2011: Menschen mit Asperger-Syndrom könnten im Allgemeinen ein eigenständiges Leben führen. Viele seien berufstätig oder hätten studiert. Das individuelle Leistungsspektrum eines Betroffenen schwanke jedoch oft zwischen einerseits nahezu genialen und andererseits unterdurchschnittlichen Fähigkeiten. Diese Unterschiede bei Patienten mit autistischen Störungen herauszufinden, sei nicht auf der Grundlage einer einmaligen Konsultation oder per Aktenlage möglich. Insofern könne der Höhe des GdB im Sachverständigengutachten von 70 bis 80 nicht gefolgt werden. Maßgeblich gehöre zur Beurteilung der Biografie, der berufliche Werdegang, Erfolg oder Misserfolg therapeutischer Bemühungen etc. auf der Grundlage objektiver Befunde. Die Selbstdarstellung des Klägers gegenüber Frau Dr. W entspreche nicht einer objektiven Aussage bzw. Wahrnehmung. Es gebe mittlerweile rund 30 Symptome, die gehäuft mit autistischer Symptomatik einhergingen. Des Weiteren seien u. a. folgende Störungsmuster von autistischen Störungen abzugrenzen: Schizophrenie, schizoide Persönlichkeitsstörungen, Zwangsstörungen, nonverbale Lernstörung etc. Diese Abgrenzung gehe aus dem psychiatrischen Befund nicht hervor und wäre auch während einer einmaligen Konsultation nicht realisierbar. Beim Fehlen objektiver Befunde zur Querschnittsbeurteilung des Ausmaßes des Krankheitsbildes sei eine rückwirkende Anerkennung auf der Grundlage des psychiatrischen Erstbefundes vom 31. August 2006 nicht möglich. Für das Asperger-Syndrom sähen die VMG einen GdB von 50 bis 80 vor. Bei fehlenden objektiven Befunden könne somit lediglich der Mindest-GdB von 50 zum Einsatz gebracht werden. Dies werde auch dadurch untersetzt, dass der Sachverständige den angedachten GdB von 70 bis 80 unter Vorbehalt bei entsprechenden vorliegenden Unterlagen empfohlen habe. Bei dem Kläger läge keine Bindung an den Wohnbereich vor, so dass das Merkzeichen "RF" nicht zum Einsatz komme. Orientierungsstörungen bestünden nicht. Die angegebenen Gleichgewichtsstörungen seinen diagnostisch oder klinisch nicht verifiziert, so dass die Merkzeichen "G" und "B" nicht begründet seien. Ein Hilfebedarf an der Person bei den Grundverrichtungen bestehe nicht, so dass Hilflosigkeit ebenfalls nicht vorliege.

Der Kläger hat noch ein weiteres "ärztliches Attest" von Dr. W vom 15. April 2011 vorgelegt: " Aufgrund seiner hier festgestellten Behinderung ist er als dauerhaft verhandlungsunfähig im Bezug auf mündliche Verhandlungen bei Gericht zu betrachten. Seine Behinderung ist auch nicht therapierbar oder endet irgendwann. Bei dieser Art von Behinderung ist es allerdings möglich, die Betroffenen auf schriftlichen Weg, z. B. Telefax, E-Mail, Briefe zu befragen. Aufgrund dieser Behinderung können die Betroffenen in bestimmten Situationen, wie sie eine mündliche Verhandlung vor Gericht darstellt, nicht in adäquater Weise ihre eigenen Interessen vertreten, sie können sich nicht in geeigneter Weise ausreichend Gehör verschaffen, da in dieser Art der Vortrag nicht möglich ist. Außerdem können solche Situationen aufgrund der Reizüberflutung zu Störungen in der Reizverarbeitung einschließlich psychischer Schmerzen führen. Insbesondere das Eingehen durch erneutes Nachfragen, umformulieren von Fragen, Pausen einschieben, führt häufig zu dem Gegenteil des Erwünschten. Solche Situationen sind insgesamt für derart Behinderte unzumutbar. Sollte der Betroffene ausnahmsweise in seinem eigenen Ermessen, einen solchen Termin aufgrund der eigenen Einschätzung seiner aktuellen Verfasstheit und der sonstigen Faktoren der jeweiligen Situation freiwillig wahrnehmen wollen, darf dies nicht verallgemeinernd, als Widerlegung der hier enthaltenen Feststellung gewertet werden. Abschließend ist zu sagen, dass diese allgemeinen Feststellungen nach heutigem Kenntnisstand lebenslang gelten werden."

Mit Urteil vom 28. Juli 2011 hat das SG die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei nicht begründet.

In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt: "Der Bescheid vom 01.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2007 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Richtiger Beklagter ist auf Grund des Art. 44 des Gesetzes zur Neuordnung der Sächsischen Verwaltung vom 29.01.2008 ("Änderung des Sächsischen Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches") und der damit verbundenen Einführung des § 15a in das Sächsische Gesetz zur Ausführung des Sozialgesetzbuches (SächsAGSGB) der Vogtlandkreis.

Gemäß § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) hat der Beklagte auf einen entsprechenden Antrag des Behinderten das Vorliegen einer Behinderung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und den Grad der Behinderung - nach Zehnergraden abgestuft und nur soweit ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt - in einem Bescheid festzustellen. Dabei sind die Auswirkungen sämtlicher Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX zu betrachten. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen wird ein Grad der Behinderung nur für den Gesamtzustand der Behinderung festgestellt, nicht aber für die jeweiligen einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. BSGE 81, 50).

Im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung muss die Feststellung und Bewertung der Behinderung nach einheitlichen Richtlinien erfolgen. Diese Richtlinien fanden sich bis zum 31.12.2008 in den vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zuletzt 2008 herausgegebenen "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP). Die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit erkannte die AHP umfassend als eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage an, von deren Grundsätzen nur bei besonderen Umständen abgewichen werden kann, weil sie den Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung wiedergeben und damit als antizipiertes Sachverständigengutachten im Regelfall der gleichmäßigen Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Schwerbehindertenrechts dienten (vgl. BSGE 91, 205 zu den AHP Ausgabe 1996; BVerfG NJW 1995, 3049; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 1. Dezember 2003, Az: L 4 SB 74/03).

Am 01.01.2009 ist die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412) mit der Anlage zu deren § 2 in Kraft getreten und damit an die Stelle der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit" die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (Anlage zur VersMedV). Eine inhaltliche Änderung ergibt sich für den vorliegenden Fall daraus nicht.

Das Gericht hatte Herrn Dr. S damit beauftragt, die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen im Sinne einer Behinderung festzustellen und das Gericht im Hinblick auf die Höhe und den Zeitpunkt des GdB und des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen medizinisch zu beraten. Hierbei ist das Gericht auf die persönlichen Verhältnisse des Klägers, wie sich aus seinem Verhalten im gesamten Verfahren erschließen, eingegangen und hat es Dr. S freigestellt, das grundsätzlich nach Aktenlage angeforderte Gutachten falls erforderlich nach ambulanter Untersuchung, falls ferner erforderlich auch nach Hausbesuch zu erstatten. Dr. S hat sein Gutachten nach Aktenlage erstattet. Der freigestellte Hausbesuch war ihm nicht möglich, zur ambulanten Untersuchung ist der Kläger nicht erschienen.

Für das bei dem Kläger festgestellte Asperger-Syndrom, einer autistischen Erkrankung, hat der Beklagte zu Recht ab Antragstellung einen GdB von 50 festgestellt. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des Gutachters unter Auswertung der Aktenlage, namentlich der Feststellungen der behandelnden Ärztin Dr. W , geht auch das Gericht von einer leichten Form aus. Hierfür ist ein GdB von 50-80 vorgesehen (Teil B Nr. 3.5 Anlage zur VersMedV). Eine Behinderung liegt erst ab Beginn der Teilhabebeeinträchtigung vor. Eine pauschale Festsetzung des GdS [GdB] nach einem bestimmten Lebensalter ist nicht möglich. Ein GdB für die Vergangenheit kann nach Aktenlage daher nicht festgestellt werden. Ein höherer GdB als 50 (50-70) setzt tief greifende Entwicklungsstörungen mit mittleren sozialen Anpassungsstörungen voraus. Diese liegen insbesondere vor, wenn die Integration in Lebensbereiche nicht ohne umfassende Unterstützung (zum Beispiel einen Integrationshelfer als Eingliederungshilfe) möglich ist. Eine solche Ausprägung der Krankheit des Klägers erschließt sich aus dem gesamten Akteninhalt nicht. Aus den zutreffenden und überzeugenden Feststellungen des Gutachters, soweit er solche auf Grund des prozessualen Verhaltens des Klägers treffen konnte folgt auch, dass bei dem Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Merkzeichen nicht vorliegen. Im Übrigen folgt das Gericht der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 21.09.2007 und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 136 Abs. 3 SGG)."

Gegen das am 23. August 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 22. September 2011 beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung des Klägers.

Der Kläger trägt vor, das SG habe nicht für ohne nennenswerte Probleme möglich gewesene Barrierefreiheit beim gerichtlich bestellten Gutachter gesorgt. Auch Dr. S habe festgestellt, dass ein GdB von 50 unter Berücksichtigung der vorliegenden Beschreibung der Symptomatik zu niedrig angesetzt sei. Und dass, sollte nach versorgungsärztlichen Kriterien eine Anhebung des GdB auf 80 möglich sein, dieses auch die Zuerkennung der Merkzeichen "G" und "B" implizierte. Die Ablehnung einer rückwirkenden Feststellung bei einem bestätigten Vorliegen von Geburt an samt begründetem Interesse sei nicht zu rechtfertigen. Autistischen Kindern würden bis zu einem gewissen Alter zudem regelhaft Merkzeichen zuerkannt. Ein ärztliches Attest über die Verhandlungsunfähigkeit habe dem Gericht vorgelegen, spätestens dieses hätte dazu verpflichten müssen, eine barrierefreie Begutachtung zu gewährleisten und auch den Termin im Gericht barrierefrei zu gestalten. Dies sei jedoch wissentlich nicht geschehen. Dessen Nichtgewährung stelle eine erhebliche wohl auch grundrechtlich relevante Benachteiligung im Rahmen der Behinderung dar, um deren Nachteilsausgleiche es eigentlich im Verfahren gehe. Insofern dürfte das Urteil auch als verfassungswidrig zu betrachten sein. Das Berufungsgericht werde insoweit dringend darum gebeten dafür zu sorgen, dass die bereits vorliegenden Unterlagen angemessen berücksichtigt würden oder eine barrierefreie Begutachtung erfolgen könne. Das SG habe sich nicht erkennbar in gebotener Gründlichkeit mit dem Gutachten nach Aktenlage auseinandergesetzt und sogar darauf verzichtet aufgezeigte faktisch offenbar günstige Punkte im Gutachten, wie beispielsweise die Äußerung zum Merkzeichen "RF" in seiner Entscheidung auch nur zu erwähnen. Dies alles vermittele nicht das Bild eines angemessenen rechtlichen Gehörs durch das SG. Auch die gegen Rechtsprechung auf europäischer Ebene verstoßene immens lange Dauer, die bis zum im Umfang bemerkenswert kurzem Urteil vergangen sei, lege leider nahe, dass zumindest dieser "Senat" des SG Chemnitz vermutlich auf Überlastung nicht mehr in ausreichendem Maße arbeitsfähig sei und möglicherweise deswegen die Akteninhalte nicht im erforderlichen Maße zur Kenntnis genommen und auf Teile nie eingegangen sei.

Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers wird auf dessen undatierte Schreiben (Bl. 116, 123, 127, 130 bis 134, 157 bis 158, 177 bis 180 und 183 bis 185, 189 bis 190 der Gerichtsakte beider Rechtszüge) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. Juli 2011 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 1. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2007 zu verpflichten, bei ihm ab 4. April 1976 einen höheren GdB als 50 und die Voraussetzungen der Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Kläger hat ein an seine Mutter gerichtetes Schreiben des Finanzamtes Neumünster vom 12. Januar 2012 vorgelegt hinsichtlich der Antragstellung auf rückwirkende Berücksichtigung des Behindertenfreibetrages ab 1976 für den Kläger.

In einem Befundbericht vom 19. März 2012 führte Frau Dr. W aus, der Kläger habe sich am 31. August 2006 einmalig und ausschließlich in ihrer Behandlung im persönlichen Kontakt befunden. Weitere Kontakte seien überwiegend nur noch telefonisch bzw. überwiegend per Fax erfolgt, jedes Mal mit der Bitte um Ausstellung eines Attestes von Seiten des Klägers. Bei ihm liege ein Asperger-Syndrom vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Befundberichtes wird auf Blatt 136 bis 137 der Gerichtsakte beider Rechtszüge Bezug genommen.

Zuvor hat der Kläger unter dem 13. Februar 2012 die Entbindung von der Geheimhaltungspflicht und ärztlichen Schweigepflicht erteilt, allerdings begrenzt allein auf Frau Dr. W. Die zuständige Krankenkasse wurde nicht von der sozialrechtlichen Geheimhaltungspflicht entbunden.

Zu dem Befundbericht von Frau Dr. W legte der Beklagte eine weitere versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. J vom 6. Mai 2012 vor, wegen deren Einzelheiten auf Blatt 139 der Gerichtsakte beider Rechtszüge verwiesen wird.

Mit Beweisanordnung vom 21. Mai 2012 wurde Dr. P G ... (Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Helios Vogtland-Klinikums Plauen) zum Gutachter auf psychiatrischem Fachgebiet ernannt mit der Bitte, das Gutachten im Wege eines Hausbesuches zu erstatten. Der Sachverständige teilte daraufhin, dass er keine Hausbesuche durchführen könne. Mit Beschluss vom 22. Juni 2012 wurde die Beweisanordnung des Gerichts dahingehend abgeändert, dass das Gutachten nach ambulanter Untersuchung erstattet werden soll.

Der Kläger hat daraufhin am 15. August 2012 mitgeteilt, dass er künftig grundsätzlich keine geplante Begutachtung mehr annehmen werde, bei der die ausführenden Personen nicht im Vorfeld schriftlich bestätigten, dass der Kommunikationsteil fernschriftlich (also aus einer vertrauten Umgebung ohne präsente Störreize heraus) barrierefrei absolviert werden könne. Begutachtungen, die das Kriterium nicht erfüllten, lehne er hiermit mit Wirkung auf die Zukunft ab und bitte das Gericht dafür Sorge zu tragen, dass er künftig nicht noch weitere Termine absagen müsse, weil immer die barrierefreie Kommunikation verweigert werde. Der für die Begutachtung bestimmte Stationsarzt habe sich ohne sachliche Begründung geweigert, die Begutachtung in Anwesenheit seiner Begleitperson vorzunehmen und damit aus seiner Sicht gegen geltende Rechtsprechung verstoßen. In der Folge habe die Begutachtung nicht unter akzeptablen Umständen zu Ende geführt werden können. Aus diesem Grund sei sein Vertrauen in die Klinik als gestört anzusehen, weshalb er (zusätzlich zu den dargestellten Problemen der fehlenden Barrierefreiheit) eine Begutachtung dort ablehne. Nach Kenntnis gegebenenfalls mitgeteilter Ansichten des heutigen Gutachters behalte er sich jedoch vor, zu deren Verwendung gegebenenfalls doch zuzustimmen. Beim heutigen Termin sei auch seine Erwartung enttäuscht worden, die in der Akte vorzufindenden Beschreibungen zu unumgänglicher barrierefreier Kommunikationsmöglichkeit könnten als Grundvoraussetzungen betrachtet werden. Auch aus diesem Grunde sei die Verweigerung des Zugangs für seine Begleitperson besonders schwerwiegend. Es sei offenbar die Erwartung vorhanden gewesen, man könne in jedem Fall "einfach so" ohne präzise Wortwahl etc. mit ihm plaudern und er würde dann vor Ort Antworten mündlich äußern oder aufschreiben können. Es offenbare ein Maß an fehlendem Grundlagenwissen, das nahezu zwangsläufig die Frage aufwerfe, wie ein entsprechend qualifiziertes Gutachten auf diesem Wege entstehen sollte. Im heutigen Fall habe man durch auf sie Einreden mit ständigen Wiederholungen versucht, doch die Vorstellungen der Gutachterin zu akzeptieren. Auch dies sei weit entfernt vom geeigneten Umgang, da eigentlich hätte klar sein müssen, dass solche Diskussionen vor Ort nicht sicher barrierefrei umzusetzen seien. Auch an sich seien Personen der Ausstrahlung "quirlig-wieselflink-überall-zugleich" meist denkbar ungeeignet für den Kontakt mit Autisten.

Der Sachverständige Dr. P G teilte dem Gericht am 17. August 2012 mit, der Kläger sei für die psychiatrische Exploration (einschließlich neurologische und internistische Untersuchungen für die Durchführung der Testpsychologie) am 15. August 2012 um 10:00 Uhr in die Klinik einbestellt worden. Die Stationsärztin Frau M habe als ärztliche Mitarbeiterin in der Klinik und unter seiner Aufsicht erst einmal nur für unterstützende Dienste (z. B. Empfang des Probanden, Erklärung von Räumlichkeiten, Verteilung der "Textbögen" u. a.) dem Probanden zur Verfügung gestanden. Die Begegnung mit dem Probanden am 15. August 2012 habe sich wie folgt gestaltet: "Nachdem der Proband zum Begutachtungstermin also erschienen war, erhielt er zunächst zur Beantwortung die Fragebögen, welche zur Testpsychologie erforderlich sind (z. B. für die Autismus-Diagnostik gibt es ja verschiedene Diagnostische Interview-Bögen u. a.). Danach war die fachärztliche Exploration beim Chefarzt geplant. Herr S bestand darauf, dass auch seine "Freundin" dem Gespräch beiwohnen sollte. Daraufhin wurde er von Frau M aufmerksam gemacht, dass wir zunächst alleine mit ihm sprechen wollten, gerne dann später mit seiner "Begleitperson". Danach legte er ein Stück Papier mit folgender Aufschrift "xaxeauties.net" auf das Waschbecken und verließ die Station. Die Begleitperson wurde daraufhin zu ihrer Zugehörigkeit befragt: Sie berichtete, seit 2008 eine Freundin des Probanden zu sein. Eine "Betreuung" nach dem Betreuungsgesetz liege wohl nicht vor. Sie selbst kommuniziere mit Herrn S über das Internet, da er auch nicht mit ihr "sprechen" würde. Ihr wurde erklärt, dass zunächst ein Kontakt mit dem Probanden persönlich stattfinden müsse. Sie könne aber gerne später dem Gespräch - vorausgesetzt das Einverständnis des Probanden u. a. - beiwohnen. Sie wurde dann gebeten in der Sitzecke Platz zu nehmen. Es erfolgte dann eine weitere Rücksprache mit Herrn Chefarzt Priv.-Doz. Dr. F. P G ... Sowohl Herr S als auch seine "Begleitung" waren dann aber nicht mehr auffindbar, so dass wir leider keine Begutachtung des Probanden vornehmen konnten."

Prinzipiell sei für die ärztliche Begutachtung, insbesondere in seinem Fachgebiet die persönliche Anwesenheit des Patienten bzw. Probanden unabdingbar, sowohl für das Ausfüllen der Textbögen als auch für das Interview, einschließlich Anamnese bzw. diagnostisches Gespräch. Von Bedeutung sei auch, dass es möglichst eine potentielle Einflussnahme durch "Dritte" beim Gespräch in der Regel ebenso zu vermeiden gelte. Zur Komplettierung der Fremdanamnese, einschließlich Hinweise bzw. weitere Informationen, sei gerne auch ein späterer Gesprächstermin mit Dritten - auch in Anwesenheit des Probanden - sicher sinnvoll. In diesem Rahmen sei zu der von dem Probanden erwähnten Diagnose "Autismus" Folgendes prinzipiell anzumerken: Bei dieser Diagnose handele es sich um eine klinische Diagnose (!), d. h. diese müsse aufgrund einer klinischen Symptomatik von einem klinischen Experten gestellt werden (s. o. Absatz über Erfordernisse betreffend Interview und Testpsychologie). Zusätzlich müssten auch andere psychiatrische Grunderkrankungen (z. B. Ängste, Zwänge, Depressionen, Psychose, soziales Vermeidungsverhalten u. a.) entweder ausgeschlossen oder als Begleiterkrankung mit in Erwägung gezogen werden. In der Anlage habe man dem Gericht vorsorglich die aktuellen Literaturempfehlungen zu dem Thema "Autismus-Diagnostik" beigelegt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf Blatt 159 bis 176 der Gerichtsakte beider Rechtszüge Bezug genommen.

Auf das Schreiben von Dr. P G erhob der Kläger am 17. September 2012 Einwendungen erhoben, wegen deren Einzelheiten auf Blatt 177 bis 180 der Gerichtsakte beider Rechtszüge verwiesen wird.

Für die Stellung eines Antrags nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht dem Kläger eine Frist bis 12. Oktober 2012 gesetzt.

Am 21. September 2012 hat der Kläger dem Gericht mitgeteilt, er weise eindrücklich darauf hin, dass er aus seiner Sicht keine Begutachtung unrechtmäßig verweigert habe. Er habe nie behauptet, dass eine Begutachtung vor Ort nicht möglich sei, sondern dass eine Barrierefreiheit gewährleistet werden müsse.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte beider Rechtszüge und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte nach Lage der Akten entscheiden, da in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde und der Beklagte infolge des Ausbleibens des Klägers Entscheidung nach Lage der Akten beantragt hat (§ 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Mit Recht hat das SG die Klage im Ergebnis abgewiesen. Bei dem Kläger ist weder ab Geburt (4. April 1976) ein höherer GdB als 50 festzustellen noch die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF". Der Bescheid der Versorgungsverwaltung vom 1. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Statthafte Klageart für das Begehren des Klägers ist eine mit der Anfechtung der Verwaltungsakte des Beklagten einhergehende Verpflichtungsklage als Sonderfall der Leistungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2000, Az.: B 9 SB 3/99 R). Für eine derartige Klage ist der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz maßgeblich (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 54 Rd.-Nr. 34). Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist daher das Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I Seite 1046), in Kraft getreten ab 1. Juli 2001 (Artikel 68 Abs. 1 SGB IX).

Nach § 69 Abs. 1 SGB IX stellt die für die Feststellung des GdB zuständige Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Bei mehreren, sich gegenseitig beeinflussenden Funktionsbeeinträchtigungen ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich. Die Beklagte hat dabei im Verfügungssatz eines Bescheides nach § 69 Abs. 1 Satz 1 nur das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und den GdB festzustellen. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen und die daraus folgende Funktionsbeeinträchtigung und deren Auswirkung sind demgegenüber lediglich in der Begründung des Verwaltungsaktes anzugeben (vgl. BSG, Urteile vom 24. Juni 1998, Az. B 9 SB 18/97 R, B 9 SB 20/97 R, B 9 SB 1/98 R und B 9 SB 17/97 R).

Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 bis 6 SGB IX ist die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung als GdB, nach Zehnergraden abgestuft, von 20 bis 100 festzustellen. Für den GdB gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG normierten Maßstäbe entsprechend. Für die Beurteilung ist danach maßgeblich, in welchem Ausmaß die aus einer Gesundheitsstörung hervorgehenden Beeinträchtigungen den Betroffenen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft behindern. Dabei sind einerseits besonders berufliche Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, andererseits finden auch Einschränkungen bei der Ausübung von Tätigkeiten im Haushalt oder in der Freizeit Berücksichtigung. Das SGB IX gilt gleichermaßen für Berufstätige wie auch für Nichtberufstätige. Für den streitigen Zeitraum sind bis zum 1. Juli 2001 die entsprechenden Vorschriften des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG) anzuwenden. Grundlage für die inhaltliche Bemessung und den Umfang einer Behinderung sowie die konkrete Bestimmung des GdB sind im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller behinderten Menschen die vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) 2004/2005/2008" (Anhaltspunkte - AHP) sowie die 1973 herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen", die 1977 herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Begutachtung Behinderter nach dem Schwerbehindertengesetz" sowie die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach den Schwerbehindertengesetz 1983/1996". Die Rechtsprechung der Sozialgerichte erkennt die AHP umfassend als eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Bemessung sowohl des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigung an. In den AHP ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben und ermöglicht auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Rechtsprechung sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigung, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügt. Eine Abweichung von den AHP kann daher nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Ansonsten ist es nicht zulässig, eine vom Gutachter festgestellte Behinderung mit einem GdB-Wert zu bemessen, der nicht im Einklang mit den Richtlinien der AHP steht. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mehrfach die Bedeutung der AHP auch für das Gerichtsverfahren herausgestellt und den AHP den Charakter antizipierter Sachverständigengutachten beigemessen (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nrn. 1, 5 und 6). Dabei umschreibt der Begriff des GdB indes nicht einen medizinischen, sondern einen rechtlichen Begriff; seine Festlegung ist daher nicht Aufgabe von Sachverständigen. Sie beruht auch nicht auf medizinischen Erfahrungen, sondern auf einer rechtlichen Wertung von Tatsachen, die allerdings mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Bei der danach auf den zunächst festzustellenden medizinischen Tatsachen erforderlichen rechtlichen Schlussfolgerung geben zwar die Auffassungen der Sachverständigen wertvolle Fingerzeige; doch ist stets zu beachten, dass es sich dabei nicht nur um die Erörterung medizinischer, sondern um eine solcher rechtlicher Begriffe handelt, die im Streitfall den Gerichten obliegt (vgl. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Da § 69 SGB IX inhaltsgleich die vorhergehende Regelung des § 4 Schwerbehindertengesetz übernommen hat, ist davon auszugehen, dass das Gesetz grundsätzlich keine Abkehr von der bisherigen Feststellungspraxis für die Ermittlung des GdB enthält (BSG, Urteil vom 27. Februar 2002, Az. B 9 SB 6/01 R). Für die Zeit ab 1. Januar 2009 ist über § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX und § 30 Abs. 16 BVG die Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) anzuwenden (konkret zur GdB-Bemessung: Anlage zu § 2 der VersMedV, Anlageband zum BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008), zuletzt in der Fassung der Fünften Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2122).

Das Asperger-Syndrom (ICD-10 F 84.5) wird in der aktuellen ICD-10 als Störung von unsicherer nosologischer Validität durch dieselbe Form qualitativer Abweichungen der wechselseitigen sozialen Interaktion, wie für den Autismus typisch, charakterisiert, zusammen mit einem eingeschränkten, stereotypen, sich wiederholenden Repertoire von Interesse und Aktivitäten. Die Störung unterscheidet sich vom Autismus in erster Linie durch fehlende allgemeine Entwicklungsverzögerung bzw. den fehlenden Entwicklungsrückstand der Sprache und der kognitiven Entwicklung. Die Störung geht häufig mit einer auffallenden Ungeschicklichkeit einher. Die Abweichungen tendieren stark dazu, bis in die Adoleszenz und das Erwachsenenalter zu persistieren. Gelegentlich treten psychotische Episoden im frühen Erwachsenenleben auf. Eingeordnet ist das Asperger-Syndrom in "Tiefgreifende Entwicklungsstörungen" (ICD-10 F 84). Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie zu tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (F 84) (Stand der letzten Aktualisierung: 11/2006 - die Gültigkeit ist zwischenzeitlich abgelaufen, die Leitlinie wird zur Zeit überprüft) wird der frühkindliche Autismus wie folgt definiert: tief greifende, meist wahrscheinlich genetisch bedingte Entwicklungsstörung, Manifestation vor dem vollendeten dritten Lebensjahr, persistiert während der gesamten Lebenszeit. Das Asperger-Syndrom sowie der atypische Autismus umfassen Teilaspekte des frühkindlichen Autismus. Das Asperger-Syndrom weist als Leitsymptome auf: qualitative Beeinträchtigung der gegenseitigen sozialen Interaktion, begrenzte, repetitive und stereotypische Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten; Fehlen einer klinisch eindeutigen, allgemeinen und schwerwiegenden Verzögerung der gesprochenen und rezeptiven Sprache und/oder der kognitiven Entwicklung; die Kommunikationsstörung wird in dem ICD-10 nicht erwähnt, sie stellt aber eine bedeutsame Beeinträchtigung dar und wird nicht durch die gute Sprachfähigkeit kompensiert; die kommunikativen und sprachlichen Fähigkeiten sind in den ersten drei Lebensjahren unauffällig. Um die Erkrankung zu diagnostizieren ist eine störungsspezifische Diagnostik erforderlich. In den Leitlinien wird zur Symptomatik Folgendes ausgeführt: Eine zuverlässige Diagnostik der autistischen Störung erfordere die gezielte entwicklungs- und symptomorientierte Befragung der Eltern und eine strukturierte Beobachtung des Verhaltens des betroffenen Kindes oder Jugendlichen. Dazu bedürfe es der Anwendung standardisierten Interview- und Beobachtungsverfahren, um die Diagnose zu sichern. Als differenzierte Untersuchungsinstrumente würden derzeit die Autismus-Diagnostische Interview-Revision und das Autismus-Diagnostische Beobachtungs-Instrument eingesetzt. Beide Instrumente verlangen eine intensive Schulung. Zum Screening würden sich Fragebögen wie der Fragebogen über Verhalten und soziale Kommunikation empfehlen. Weitere, weniger an den letzten Revisionen der Klassifikation (ICD-10/DSM-IV) orientierte Verfahren seien: die Autismus-Beurteilungs-Skala (CARS) oder die Autismus-Verhaltensliste (ABC). Ferner seien die störungsspezifischen Entwicklungsgeschichte, die psychiatrische Komorbitität und Begleitstörungen sowie störungsrelevante Rahmenbedingungen erforderlich, auch eine Apparative, Labor- und Testdiagnostik.

Die AHP (Nr. 26.3) und die VersMedV sehen für autistische Syndrome als besondere im Kindesalter beginnende psychische Behinderung in leichter Form (z. B. Typ Asperger) einen GdB-Rahmen von 50 bis 80 vor, sonst von 100; andere emotionale und psychosoziale Störungen ("Verhaltensstörungen") mit lang andauernden erheblichen Einordnungsschwierigkeiten (z. B. Integration in der Normalschule nicht möglich) mit 50 bis 80.

Sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im erstinstanzlichen und auch im Berufungsverfahren hat der Kläger als allein behandelnde Ärztin Frau Dr. W benannt. Diese hat er jedoch einmalig am 31. August 2006 im Rahmen einer persönlichen Vorstellung in Berlin konsultiert. Dazu hatte er eine ausführliche Anamnese und Selbstbeschreibung mitgebracht. Weitere sowohl medizinische als auch andere Unterlagen zur Beurteilung seines Gesundheitszustandes (Zeugnisse und Beurteilungen etc.) hat der Kläger weder der Verwaltungsbehörde noch dem Sozialgericht noch dem Landessozialgericht zugänglich gemacht. Eine entsprechende Mitarbeit hat der Kläger gegenüber der Versorgungsverwaltung abgelehnt. Zur Einschätzung eines höheren GdB als 50 auch rückwirkend ab Geburt und der begehrten Merkzeichen ist der Befundbericht von Dr. W jedoch kaum verwertbar. Dr. K führte unter dem 31. August 2007 aus, aus den Unterlagen einschließlich der Biografie des Klägers (Abitur, begonnenes Studium) sei es für ihn nicht plausibel, dass ihm der Autismus es nicht ermöglichen sollte, zu einer psychiatrischen Untersuchung zu kommen. Der psychiatrische Bericht von Frau Dr. W enthalte leider keinen aussagekräftigen psychischen Befund, der es ermöglichte, ein Gutachten nach Aktenlage zu erstellen. Auch die Ärztin S hat für den ärztlichen Dienst der Versorgungsverwaltung unter dem 29. August 2007 eingeschätzt, dass unter versorgungsärztlicher Sicht unter den vorliegenden Aspekten eine Feststellung nach dem Schwerbehindertengesetz nicht möglich sei. Die Begründung für die Ablehnung der Begutachtung durch den Kläger sei nicht nachvollziehbar.

Dr. S schätzte in seinem Gutachten nach Aktenlage ein, die Beschreibung, die der Kläger von seiner Frühgeschichte bis zum Zeitpunkt der Konsultation der Behandlerin Dr. W erzählt habe, entspräche einem autistischen Symptomenkomplex, mit stets detaillierten Ausführungen der beigebrachten Selbstbeschreibung. Die vom Kläger beigebrachte ausführliche Anamnese würde leider, was den biografisch/sozialen Bereich betreffe, nicht im Detail wiedergegeben. Weder aus dem Bericht der Nervenärztin noch aus dem gesamten Aktenvorgang erhelle sich die Biografie und insbesondere auch die Entwicklung im Sozialraum nicht ausreichend, bis auf den obigen Hinweis auf Ablegung des Abiturs und Abbruch eines Studiums nach kurzer Dauer sowie die Unterstützung seitens der Mutter, wobei auch hier keine Details angegeben würden. Es gebe auch sonst nur wenige Hinweise auf die gegenwärtige Lebensführung einschließlich finanzieller bzw. allgemein sozialer Situation etc. Im vorliegenden Fall sei unter Berücksichtigung der Beschreibung der Eigenheiten des Klägers, die natürlich von ihm stammten und der am 31. August 2006 konsultierten Nervenärztin schriftlich vorgelegt worden seien, von einem Asperger-Syndrom auszugehen, auch wenn gutachterlicherseits der Kläger selbst nicht in Augenschein habe genommen werden können, was für eine Diagnosestellung schon von Bedeutung gewesen wäre, zumindest auch hinsichtlich der Beurteilung des Ausprägungsgrades aufgrund der explorativ und von der Beobachtung zu erwartenden Informationen. Für die vorliegende Fragestellung insbesondere hinsichtlich einer rückwirkenden Anerkennung wären natürlich Detailinformationen bezüglich der Biografie unbedingt erforderlich, die sich aus den Unterlagen nicht ausreichend entnehmen ließen. Seit Antragstellung vom 6. September 2007 mit Bezug auf den Erstbericht der Fachärztin Dr. W vom 19. September 2006 und der Erstvorstellung bei ihr am 31. August 2006 werde von einem Ausprägungsgrad eines Asperger-Syndroms im GdB-Bereich von etwa 70 bis 80 ausgegangen unter dem Vorbehalt der Vorlage eines detaillierten Lebenslaufs und ausführlicher Darstellung der schulischen Entwicklung einschließlich des begonnenen Studiums und der in diesem Zusammenhang realisierten Modalität bzw. sonstiger sozialer Aktivitäten einschließlich der Bewältigung der notwendigen Alltagsleistungen.

Entgegen der Ansicht des Klägers hat der Sachverständige Dr. S damit nicht den GdB für das Asperger-Syndrom mit 70 bis 80 bemessen, sondern er hat dies unter dem Vorbehalt der Vorlage bestimmter Unterlagen gestellt, die aber der Kläger nicht vorgelegt hat.

Nach Überzeugung des Senats zutreffend hat Dr. J am 2. Mai 2011 ausgeführt, die Unterschiede bei Patienten mit autistischen Störungen herauszufinden, sei nicht auf der Grundlage einer einmaligen Konsultation oder per Aktenlage möglich. Maßgeblich gehöre zur Beurteilung die Biografie, der berufliche Werdegang, Erfolg oder Misserfolg therapeutischer Bemühungen etc. auf der Grundlage objektiver Befunde. Die Selbstdarstellung des Klägers gegenüber Frau Dr. W entspreche nicht einer objektiven Aussage bzw. Wahrnehmung. Es gebe mittlerweile rund 30 Syndrome, die gehäuft mit autistischer Symptomatik einhergingen. Des Weiteren seien u. a. folgende Störungsmuster von autistischen Störungen abzugrenzen: Schizophrenie, schizoide Persönlichkeitsstörung, Zwangsstörungen, nonverbale Lernstörung etc. Diese Abgrenzung gehe aus dem psychiatrischen Befund nicht hervor und wäre auch während einer einmaligen Konsultation nicht realisierbar. Beim Fehlen objektiver Befunde zur Querschnittsbeurteilung des Ausmaßes des Krankheitsbildes sei eine rückwirkende Anerkennung auf der Grundlage des psychiatrischen Erstbefundes vom 31. August 2006 nicht möglich. Für das Asperger-Syndrom sähen die VMG einen GdB-Rahmen von 50 bis 80 vor. Bei fehlendem objektiven Befund könne somit lediglich der Mindest-GdB von 50 zum Ansatz gebracht werden. Auch aus den "ärztlichen Attesten" von Frau Dr. W und ihrem Befundbericht geht nicht hervor, inwieweit sie eine störungsspezifische Diagnostik entsprechend der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie für die "Tief greifenden Entwicklungsstörungen (F 84)" durchgeführt hat. Damit korreliert auch die Äußerung von PD Dr. P G vom 17. August 2012, dass prinzipiell für die ärztliche Begutachtung, insbesondere auf seinem Fachgebiet, die persönliche Anwesenheit des Patienten bzw. Probanden unabdingbar sei, sowohl für das Ausfüllen der Testbögen als auch für das Interview (nach ICD-10-Scheckliste, International Classification of Disease) einschließlich Anamnese bzw. diagnostisches Gespräch. Bei der Diagnose Autismus handele es sich um eine klinische Diagnose, d. h. diese müsse aufgrund einer klinischen Symptomatik von einem klinischen Experten gestellt werden. Zudem müssten noch andere psychiatrische Grunderkrankungen entweder ausgeschlossen oder als Begleiterkrankung mit in Erwägung gezogen werden. Die Durchführung dieser Diagnostik hat der Kläger aber weder der Versorgungsverwaltung, noch dem SG noch dem Landessozialgericht ermöglicht, indem er eine psychiatrische Begutachtung durch drei verschiedene Ärzte jeweils abgelehnt hat.

Sofern der Kläger darauf beharrt, im Rahmen einer ärztlichen Begutachtung die Kommunikationsteile fernschriftlich ("also aus einer vertrauten Umgebung ohne präsente Störreize heraus") bei Barrierefreiheit absolviert werden könne, ist dies nicht nachvollziehbar. Der Kläger hat 12 oder 13 Jahre (je nach Bundesland) die Schule besucht und mit dem Abitur abgeschlossen und sodann ein Studium begonnen, das er nach eigenen Angaben abgebrochen hat. Auch war er durchaus in der Lage, sich einmalig bei der Psychiaterin Dr. W in Berlin persönlich vorzustellen. Nach § 4 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG) wird unter Barrierefreiheit Folgendes verstanden: "Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind." Nach § 9 Abs. 2 BGG i. V. m. §§ 1, 2, 3 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2b der Verordnung zur Verwendung von Gebärdensprache und anderen Kommunikationshilfen im Verwaltungsverfahren nach dem BGG (Kommunikationshilfenverordnung - KHV) kommt für Menschen mit autistischer Störung als Beteiligter eines Verwaltungsverfahrens eine gestützte Kommunikation als Kommunikationsmethode in Betracht. Bei der gestützten Kommunikation berührt der Kommunikationshelfer, der so genannte Stützer, eine kommunikationsbeeinträchtigte Person, Schreiber oder auch Nutzer genannt. Diese körperliche Hilfestellung soll es der kommunikationsbeeinträchtigten Person ermöglichen, eine Kommunikationshilfe zu bedienen. Die gestützte Kommunikation gilt bei vielen Praktikern und einigen Wissenschaftlern als Methode der unterstützten Kommunikation, ein Fachgebiet, dass sich mit Alternativen und ergänzenden Kommunikationsformen für Menschen beschäftigt, die nicht oder nur unzureichend über Lautsprache verfügen (vgl. http://de.wikipedia.olg/wiki/Gest%C3%BCtzte kommunikation, Stand 26. September 2012). Damit hätte der Kläger allenfalls Anspruch auf die Kommunikationsmethode einer gestützten Kommunikation im Sinne der Kommunikationshilfeverordnung im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens. Darauf besteht jedoch kein Rechtsanspruch im Rahmen einer gutachterlichen Untersuchung zur Fertigung eines entsprechenden psychiatrischen Fachgutachtens. Hier ist es unerlässlich, dass der Kläger im direkten unmittelbaren Kontakt mit dem die Begutachtung durchführenden Arzt steht. Wie bereits von PD Dr. P G festgestellt, ist ein fernschriftlicher Kommunikationsteil im Rahmen einer psychiatrischen Begutachtung nicht möglich, um ein valides Gutachten zu erstellen. Der Kläger verkennt im Übrigen auch den Begriff der "Barrierefreiheit"; sein Begriff der "Barrierefreiheit" entspricht nicht dem in § 4 BBG Genannten.

Unter Berücksichtigung der o. a. genannten Umstände konnte der Senat auch nicht feststellen, ob der Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" (vgl. AHP Nr. 30 und Teil D 1. der Anlage zur VersMedV), für das Merkzeichen "B" (vgl. AHP Nr. 32, Teil D 2. der Anlage zur VersMedV), "RF" (vgl. AHP Nr. 33) und "H" (vgl. AHP Nr. 21 und Teil A 4. der Anlage zur VersMedV) erfüllt. Dazu hätte es einer ärztlichen Begutachtung des Klägers bedurft, die dieser jedoch verweigert hat. Auch hat er weitere Unterlagen, die möglicherweise eine Einschätzung seiner Funktionsschränkungen zuließen (z. B. Zeugnisse, Beurteilungen etc.) weder der Versorgungsverwaltung noch den Sozialgerichten zugänglich gemacht. Auch hat er als Behandlerin allein Frau Dr. W benannt. Den für ihn zuständigen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung hat er ausdrücklich nicht von der sozialrechtlichen Geheimhaltungspflicht befreit, so dass dem Senat auch diesbezügliche Anfragen bei der für den Kläger zuständigen Krankenkasse verwehrt waren. Seinen Mitwirkungspflichten bei der Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 2. Hs. SGG) ist der Kläger damit letztlich nicht nachgekommen. Der Senat konnte daher nicht ermitteln, ob ein höherer GdB als 50 bereits ab Geburt und ob die Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" ab Geburt beim Kläger vorliegen. Der Kläger hat sich damit trotz Aufforderung grundlos geweigert, dem Gericht nähere Angaben zu machen, obwohl er es könnte und es ihm auch nicht unzumutbar ist. Das Gericht hat sich daher nicht gedrängt gefühlt, weitere Ermittlungen von Amts wegen anzustellen. Ein Antrag nach § 109 SGG hinsichtlich der Anhörung eines bestimmten Arztes hat der Kläger nicht gestellt.

Der Kläger trägt letztlich die objektive Beweislast für das Vorliegen eines höheren GdB als 50 für die Zeit seit seiner Geburt und das Vorliegen der Voraussetzungen für Merkzeichen "G", "B", "H" und "RF" seit seiner Geburt. Diesen Nachweis hat der Kläger jedoch nicht führen können.

Nach alledem hatte die Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.