Hessisches Landessozialgericht - L 7 AL 169/13 B - Beschluss vom 05.02.2014
Die Klage ist innerhalb der Frist schriftlich erhoben worden, wenn Name und Anschrift des Klägers aus dem Klageschriftsatz unmissverständlich erkennbar sind. Auch wenn auf dem Schriftsatz die eigenhändige Unterschrift des Klägers fehlt, rechtfertigt dies kein Fristversäumnis, denn § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG ist nur eine Sollvorschrift. Eine Unterschrift ist zur Wirksamkeit der Klage dann nicht erforderlich, solange sich aus dem vorgelegten Schriftstück ergibt, wer Klage erhoben hat, und solange keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Klage ohne Willen des Klägers in den Verkehr gelangt ist.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Fulda (SG), mit dem sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt wurde.
In der Sache verfolgt er mit der Klage die Gewährung eines Gründungszuschusses, den die Beklagte mit Bescheid vom 3. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2013 abgelehnt hatte. Der Widerspruchsbescheid wurde am 17. Juli 2013 seitens der Beklagten zur Post gegeben und ging dem Kläger nach seinen eigenen Angaben am 19. Juli 2013 zu. Am 18. August 2013, um 11:13:02 Uhr, (= Eingang auf dem Server) war in dem Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des SG die als PDF-Datei angehängte Klage des Klägers gegen die Beklagte eingegangen. Das Sozialgericht druckte das PDF-Dokument (7-seitige Klageschrift mit weiteren Anlagen) aus, versah das ausgedruckte Dokument mit dem Eingangsstempel des SG vom 19. August 2013 und führte es unter dem Aktenzeichen S 10 AL 76/13.
Mit Schreiben vom 2. September 2013, dem Kläger zugestellt am 5. September 2013, wies der Kammervorsitzende den Kläger darauf hin, dass dem Transfervermerk zu seiner Nachricht vorliegend keine qualifizierte elektronische Signatur nach § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes entnommen werden könne und die Klage daher unzulässig sein dürfte. Gleichzeitig wurde dem Kläger Gelegenheit gegeben, zu einer gegebenenfalls zu gewährenden Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorzutragen.
In einem erneut per EGVP ohne gültige qualifizierte Signatur am 6. September 2013 übermittelten Schreiben teilte der Kläger daraufhin mit, dass die Klage per EGVP von seinem im Verfahren benannten Beistand, Herrn C. C., in seinem Auftrag eingereicht worden sei. Die Nachricht trage daher seine Visitenkarte und die Signatur von Herrn C. Er versichere, dass Herr C. von ihm bevollmächtigt gewesen sei, die Klage in seinem Namen einzureichen. Weder § 2 des Signaturgesetzes, noch § 65a SGG, noch die VO GVBl. 2007, 699 verlangten, dass Visitenkarte und Signatur identisch sein müssen. Die Signatur seines Beauftragten erfülle alle genannten Vorschriften. Damit sei aus seiner Sicht die Klage zulässig. Hilfsweise werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er und sein Beistand seien jedenfalls davon ausgegangen, dass die Einreichung form- und fristgerecht erfolgt sei. Dieses Schreiben vom 6. September 2013 ist am 10. September 2013 auf dem Postweg und vom Kläger unterzeichnet beim SG eingegangen.
Mit Beschluss vom 25. November 2013 hat das SG den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Vorliegend habe der Kläger die gesetzliche Verfahrensfrist des § 87 Abs. 1 S. 1 SGG nicht eingehalten, indem die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2013, welcher dem Kläger nach seinem eigenen Vortrag am 19. Juli 2013 zugegangen sei, erst am 10. September 2013 wirksam schriftlich erhoben worden sei. Eine wirksame Klageerhebung vor dem 10. September 2013 durch Nutzung des EGVP am 19. August 2013 scheitere an der mangelnden qualifizierten elektronischen Signatur der Nachricht i.S.v. § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes. Dass eine solche im Falle des Klägers erforderlich sei, folge aus § 65a Abs. 1 S. 3 SGG in Verbindung mit der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwaltschaften vom 26. Oktober 2007, GVBl. 2007, 699. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, da der Kläger nicht ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die vorgenannte gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, was vom SG in den Gründen des Beschlusses näher ausgeführt wird.
Gegen den ihm am 29. November 2013 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 30. Dezember 2013 (= Montag) Beschwerde eingelegt. Er habe am 18. August mit seinem Bevollmächtigten und Beistand Herrn C. C. per EGVP Klage beim Sozialgericht Fulda eingereicht. Die Nachricht habe nach dem Absenden vom EGVP eine gültige Visitenkarte von ihm und ein gültiges Zertifikat von Herrn C. als Absender enthalten. Weder das Sendeprotokoll noch die Eingangsbestätigung hätten einen Hinweis darauf enthalten, dass die Klage nicht ordnungsgemäß eingereicht worden sei. Wenn die gerichtsinterne Überprüfung zu anderen Ergebnissen gelange, könne ihm das nicht zugerechnet werden. Erst mit Schreiben vom 2. September 2013, und damit verspätet, sei er von dem Gericht in Kenntnis gesetzt worden.
Der Kläger beantragt daher,
den Beschluss des Sozialgerichts Fulda vom 25. November 2013 aufzuheben und ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses.
Der Senat hat die Verfahrensakte S 10 AL 76/13 beigezogen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens S 10 AL 76/13 ergänzend Bezug genommen.
II.
Die nach § 172 Abs. 1 SGG statthafte sowie form- und fristgerecht eingereichte (§ 173 SGG) Beschwerde ist begründet. Das SG hat zu Unrecht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist abgelehnt.
Eine Wiedereinsetzung nach § 67 Abs. 1 SGG kommt überhaupt nur dann in Betracht, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor, da der Kläger die Klagefrist eingehalten hat.
Nach § 87 Abs. 1 SGG ist die Klage binnen einen Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (§ 87 Abs. 2 SGG). Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, und zwar selbst dann, wenn der Zugang tatsächlich früher erfolgt (Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X Kommentar, 8. Auflage 2014, § 37 Rn. 12 m.w.Nw.). Geht man vorliegend davon aus, dass der vom Kläger mit der Klage angefochtene Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 17. Juli 2013 am gleichen Tag noch zur Post aufgegeben wurde, gilt er folglich mit dem 20. Juli 2013 als bekannt gegeben. Dass dieser Tag ein Samstag ist, steht der Fiktionswirkung nicht entgegen; die Fiktion gilt unabhängig davon, ob in den drei Tagen auch ein Wochenende oder Feiertag liegt oder ob der fiktive Zugangstag ein Samstag, Sonntag oder Feiertag ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2010, B 14 AS 12/09 R). § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB X greift bei der Ermittlung des Tags der Bekanntgabe nicht ein, da diese Vorschrift nur den Ablauf einer Frist regelt. Die einmonatige Frist für die Klageerhebung endet gemäß § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB mit dem Ablauf desjenigen Tages des folgenden Monats, welcher durch seine Zahl dem Tag entspricht, an dem die Bekanntgabe erfolgt ist oder als erfolgt gilt. Dies ist somit der 20. August 2013. Der vom SG ausgedruckte, mit Eingangsstempel vom 19. August 2013 versehene, per EGVP übermittelte Klageschriftsatz des Klägers (Bl. 1 bis 7 der Gerichtsakte mit weiteren Anlagen) liegt somit noch innerhalb der Frist des § 87 SGG.
Die Klage ist auch innerhalb der Frist schriftlich erhoben worden (§ 90 SGG). Name und Anschrift des Klägers (vgl. hierzu BSG vom 18. November 2003, B 1 KR 1/02 S, SozR 4-1500 § 90 Nr. 1) sind aus dem ausgedruckten Klageschriftsatz unmissverständlich erkennbar. Zwar fehlt auf dem Schriftsatz die eigenhändige Unterschrift des Klägers; diese ist jedoch nach der Sollvorschrift des § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG zur Wirksamkeit der Klage (anders als bei Einlegung der Berufung) nicht zwingend erforderlich. Eine Unterschrift ist zur Wirksamkeit der Klage dann nicht erforderlich, solange sich aus dem vorgelegten Schriftstück ergibt, wer Klage erhoben hat, und solange keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Klage ohne Willen des Klägers in den Verkehr gelangt ist (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 10. Auflage 2012, § 90 Rn. 5a, § 92 Rn. 13 m.w.Nw.). Da solche Anhaltspunkte hier nicht erkennbar sind und auch aus dem Klageschriftsatz in Verbindung mit den beigefügten Anlagen, unter denen sich sogar eine mit der Unterschrift des Klägers versehene Eingliederungsvereinbarung sowie ein auf seinen Namen ausgestelltes Online-Zertifikat befindet, eindeutig erkennbar ist, wer Klage erhoben hat, bestehen an der Wirksamkeit der Klageerhebung trotz fehlender Unterschrift keine Bedenken. Dem steht auch vorliegend nicht die letztlich der Beschleunigung und bürgerfreundlichen Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens dienende (vgl. BT-Drs 15/4067 S. 24) Regelung des § 65a SGG entgegen. Zwar war das vom Kläger per EGVP übermittelte Dokument offensichtlich nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen; eine solche kann jedoch gem. § 65a Abs. 1 Satz 3 SGG nur für Dokumente vorgeschrieben werden, die einem schriftlich zu unterzeichnenden Schriftstück gleichstehen. Da eine Klage jedoch - wie bereits ausgeführt - aufgrund der Sollvorschrift des § 92 SGG gerade auch ohne Unterschrift wirksam sein kann, kann das Nichtvorliegen einer gültigen qualifizierten elektronischen Signatur der Wirksamkeit der Klageerhebung vorliegend nicht entgegenstehen (so im Ergebnis wohl auch Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 65a Rn. 10).
Da der Kläger die Klagefrist mithin nicht versäumt hat, war auch für die Entscheidung über den (hilfsweise) für den Fall der Fristversäumung gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung kein Raum. Das SG hätte ihn als gegenstandslos behandeln müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2004, XII ZB 50/04, Rn. 14, juris).
Da das Wiedereinsetzungsverfahren nur ein unselbständiges Zwischenverfahren ist, bleibt die Kostenentscheidung einer Endentscheidung des SG vorbehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2000, II ZB 20/99, Rn. 11, juris).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).