Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 7 AS 1218/14 B ER - Beschluss vom 18.07.2014
Die Übernahme der laufenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung ist auch geeignet, schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Nachteile, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, abzuwenden.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten noch um die Gewährung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Mit Beschluss vom 23.06.2014 hat das Sozialgericht (SG) den Antragsgegner verpflichtet, vom 23.05.2014 bis 22.11.2014 der Antragstellerin zu 1) den Regelbedarf und den Mehrbedarf für Alleinerziehende bzw. ihrer 2002 geborenen Tochter, der Antragstellerin zu 2), den Regelbedarf nach § 23 Nr. 1 2. Alt. Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Das SG ist nach summarischer Prüfung davon ausgegangen, dass die 1967 geborene Antragstellerin zu 1) als rumänische Staatsangehörige nicht aufgrund von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Den weitergehenden Antrag, den Antragstellern einstweilen auch die Kosten der Unterkunft zu gewähren, hat das SG abgelehnt, weil kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sei. Die Begleichung des laufenden Mietzinses könne nicht mehr die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nach § 543 Abs. 1, 2 Nr. 3 a/b, § 569 Abs. 3 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und damit die Sicherung der Wohnung bewirken. Zum einen sei die Zweimonatsfrist nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage abgelaufen. Zum anderen lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Vermieterin die Begleichung der Mietschulden außerhalb der Schutzfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB akzeptiert und das Mietverhältnis fortsetzt.
Mit Bescheid vom 10.07.2014 hat der Antragsgegner den Antragstellern in Ausführung dieses Beschlusses vorläufig den Regelbedarf und den Mehrbedarf bzw. den Regelbedarf unter Anrechnung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit bzw. des Kindergeldes für den Zeitraum vom 23.05.2014 bis 22.11.2014 gewährt.
Mit der am 25.06.2014 erhobenen Beschwerde begehren die Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners, ihnen vorläufig Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Sie verweisen auf das Schreiben des Bevollmächtigten der Vermieterin vom 22.05.2014, wonach die Antragsteller in der Wohnung bleiben können, falls der Mietrückstand ausgeglichen und die laufende Miete gesichert wird.
Der Antragsgegner verweist auf die Ausführungen des SG im angegriffenen Beschluss.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet.
Gemäß § 86 b Absatz 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dies ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden, § 86 b SGG in Verbindung mit den §§ 920 Absatz 2, 294 ZPO. Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.08.2001, Az.: B 9 V 23/01 B). Die mit einer einstweiligen Anordnung auf die Durchführung einer Maßnahme in der Regel zugleich verbundene Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache erfordert darüber hinaus erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches und des Grundes, da der einstweilige Rechtsschutz trotz des berechtigten Interesses des Rechtssuchenden an unaufschiebbaren gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Verlagerung in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes führen darf. Erforderlich ist mithin das Vorliegen einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht. Soweit es um die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz geht, müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen bzw. wenn dies nicht möglich ist, auf der Basis einer Folgenabwägung auf Grundlage der bei summarischen Prüfung bekannten Sachlage entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, 830 ff. mit weiteren Nachweisen, Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Auflage 2012 zu § 86 b Rn. 29 a).
Die Antragsteller haben nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung Anspruch auf Zahlung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung vom 01.07.2014 bis zum 22.11.2014. Hinsichtlich der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des SG, die er sich nach Prüfung zu eigen macht (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG). Was den Ausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II anbetrifft, gewährt der erkennende Senat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren in vergleichbaren Konstellationen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Regelbedarfe und ggf. Mehrbedarfe (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 09.07.2014 - L 7 AS 957/14 B ER).
Entgegen der Rechtsansicht des SG sind nach der im einstweiligen Rechtschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte vorliegend auch die Voraussetzungen für die Gewährung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II glaubhaft gemacht.
Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist es nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalens (NRW) insoweit erforderlich, dass Wohnungs- und Obdachlosigkeit droht (LSG NRW, Beschlüsse vom 25.05.2012 - L 7 AS 743/12 B ER; Beschluss vom 25.05.2011 - L 12 AS 381/11 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 28.02.2013 - L 7 AS 306/13 B ER). Ein Anordnungsgrund ist damit grundsätzlich erst bei Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Vermieterin hat mit Schreiben vom 09.10.2013 zunächst das Mietverhältnis fristlos gekündigt und mit weiterem Schreiben vom 04.12.2013 Räumungsklage beim Amtsgericht C erhoben.
Entgegen der Einschätzung des SG ist die Übernahme der laufenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung im tenorierten Umfang auch geeignet, schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Nachteile, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, abzuwenden. Dem SG ist zwar zuzustimmen, dass die Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 BGB zwischenzeitlich verstrichen ist und das Amtsgericht C zudem am 02.06.2014 ein Versäumnisurteil erlassen hat. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Unterkunft nicht mehr gesichert werden kann. Denn zum einen hat die Antragstellerin zu 1) Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt und das Amtsgericht C im Anschluss daran Termin zur mündlichen Verhandlung für den 08.09.2014 bestimmt. Zum anderen hat der Bevollmächtigte der Vermieterin auf Hinweis und auf Nachfrage des Senats in Ergänzung seines Schreibens vom 22.05.2014 am 30.06.2014 mitgeteilt, dass die Vermieterin sich verpflichtet, aus dem Versäumnisurteil keine Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten, wenn der rückständige Mietzins - innerhalb von zwei Monaten vom Datum der Rechtskraft des Titels an gerechnet - gezahlt wird bzw. die entsprechende Zahlungsverpflichtung vorliegt. Darüber hinaus hat sich die Vermieterin bereit erklärt, für den Fall, dass der Antragsgegner die Bedarfe für Unterkunft und Heizung im aktuellen Bewilligungsabschnitt nicht übernimmt, auf drei Monate begrenzt die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren abzuwarten, wenn gewährleistet wird, dass der rückständige Mietzins bis zur Rechtskraft des Titels gezahlt wird. Damit kann der Verlust der Wohnung durch eine Verpflichtung des Antragsgegners im einstweiligen Rechtsschutzverfahren abgewendet werden. Jedenfalls bis zur Entscheidung der beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängigen Vorlageverfahren zur Klärung der europarechtlichen Wirksamkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II besteht ausreichende Gewähr, dass die laufende Mietzinszahlung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zeitnah gewährleistet werden kann.
Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Nach summarischer Prüfung unter Berücksichtigung des "Merkblattes Wohnungswechsel/Umzug in das Stadtgebiet C" beträgt die angemessene Kaltmiete für einen Zwei-Personen-Haushalt 307,00 EUR monatlich. Unabhängig davon, ob die vom Antragsgegner nach diesem Merkblatt in Ansatz gebrachten Beträge von 1,25 EUR/m² als Heizkosten und 1,70 EUR/m² als Betriebskosten unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des LSG NRW (Urteil vom 28.11.2013 - L 7 AS 1121/13) und des BSG (Beschluss vom 02.04.2014 - B 4 AS 17/14) zutreffend ermittelt wurden, handelt es sich bei der Miete der Antragstellerinnen, wie sie sich aus der Klageschrift an das Amtsgericht C vom 04.12.2013 ergibt, um angemessene Bedarfe der Unterkunft und Heizung (368,20 EUR = 196,20 EUR [KM] + 72,00 EUR [BK] + 100,00 EUR [HK]).
Die Antragsteller waren nicht darauf zu verweisen, die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (mit) aus dem Einkommen der Antragstellerin zu 1) zu bestreiten. Denn der Antragsgegner hat im Bescheid vom 10.07.2014 das Einkommen der Antragstellerin zu 1) bereits zur Anrechnung gebracht.
Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind direkt an die Vermieterin zu zahlen (§ 22 Abs. 7 S. 2, 3 SGB II).
Die weitergehende Beschwerde ist unbegründet. Eine erneute Rückfrage beim Bevollmächtigten der Vermieterin ergab, dass das Mietkonto am 26.06.2014 Mietschulden in Höhe von 5400,00 EUR ausgewiesen hat. Darin enthalten waren auch die Mieten für Mai und Juni 2014. Die Schulden waren daher Gegenstand der Verfahren L 7 AS 982/14 B ER und L 7 AS 983/14 B, der laufende Bezug ab Juli 2014 ist Gegenstand dieses Verfahrens.
Da der Antrag in der Hauptsache Aussicht auf Erfolg hat, war den Antragstellern für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren (§§ 73a SGG, 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).