Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 7 SB 11/10 - Urteil vom 03.12.2014
Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (B 3.9) werden leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 bewertet. Für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) ist ein Bewertungsrahmen von 30 bis 40 vorgesehen. Psychische Anpassungsschwierigkeiten, die einen Behinderungsgrad von 30 bis 40 rechtfertigen, sind nach dem Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates durch Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße gekennzeichnet. Dieses Kriterium ist zur differenzierenden Einschätzung von Anpassungsschwierigkeiten analog auch dann heranzuziehen, wenn die Symptomatik der psychischen Störungen ganz unterschiedlich ist. Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten setzen neben den Auswirkungen im Berufsleben erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraus.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).
Der am ... 1944 geborene Kläger stellte am 18. Dezember 2006 beim Beklagten einen Antrag auf Feststellung von Behinderungen nach dem Neunten Buch des Sozialgerichts Gesetzes – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) und begründete dies mit einem seelischen Leiden. Der Beklagte holte einen Befundschein der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 16. Januar 2007 ein, die angab: Der Kläger sei einer beruflichen Mobbingsituation und Stress sowie anhaltender familiärer Probleme ausgesetzt (Suizid des Schwiegervaters). Dies habe zu psychischer Dekompensation geführt. Er leide an depressiver Verstimmung, Angst, Selbstzweifeln und Schlafstörungen. Trotz einer antidepressiven Medikation und einer beruflichen Wiedereingliederung bestünden die beruflichen Sorgen fort.
Die Versorgungsärztin Dipl.-Med. R. wertete diesen Befund aus und hielt einen Gesamt-GdB von 20 für angemessen. Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Februar 2007 einen GdB von 20 ab dem 18. Dezember 2006 fest. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 15. Februar 2007, der einen GdB von mindestens 50 als angemessen ansah. Er sei als Leiter einer Einrichtung für Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen im ... seit dem 1. Februar 1972 tätig und für 79 Bewohner sowie 62 Mitarbeiter zuständig. Am 15. Oktober 1979 sei es in der Einrichtung zu einer ersten Brandkatastrophe gekommen, die zu Sachschäden geführt habe. Dies habe ihn nervlich erheblich beeinträchtigt. Durch den Tod des Hausmeisters im Jahr 1980, der bei der Beseitigung der Brandschäden eingesetzt gewesen sei, habe er erstmals einen Nervenzusammenbruch erlitten. Im Jahr 1994 sei es durch den Defekt eines elektrischen Geräts in der Einrichtung ... zu einer weiteren Brandkatastrophe gekommen. Dabei habe es zwei Tote und zwei Schwerverletzte gegeben. Obwohl er wegen dieser Vorfälle weder strafrechtlich noch zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen worden sei, habe er sich erhebliche persönliche Vorwürfe gemacht. Diese Ereignisse hätten ihn veranlasst, nach dem zweiten Brand regelmäßige Kontrollen der Elektrogeräte im Heim durchzuführen, um mögliche Brandgefahren frühzeitig abzuwehren. Diese zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen hätten erhebliche Kosten verursacht und seien Gegenstand der Auseinandersetzung mit der Einrichtungsleitung gewesen. Im Juli 2005 habe er seinen Schwiegervater erhängt auf dem Dachboden aufgefunden. Dieses Ereignis habe bei ihm zu einem erneuten psychischen Zusammenbruch mit Depressionen, Schlafstörungen sowie Angstzuständen geführt. Daneben habe es verstärkt berufliche Konflikte mit der Einrichtungsleitung gegeben. Wegen dieser Querelen sei ihm im November 2005 die vollständige Personalverantwortung entzogen worden, was zu einer Arbeitsunfähigkeit bei ihm geführt habe. In der Mitte des Jahres 2006 habe er im Einvernehmen mit dem neu gewählten Vorstand versucht, in der Einrichtung wieder beruflich Fuß zu fassen. Dies sei jedoch aus gesundheitlichen Gründen gescheitert, da er nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Verantwortung zu tragen. In Entscheidungssituationen reagiere er mit Panik und Angstzuständen. Alarmsignale einer Sirene lösten bei ihm Panikgefühle aus. Die genannten Ereignisse hätten bei ihm zu einer schweren Traumatisierung und einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit geführt.
Der Beklagte zog sozialmedizinische Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 12. Januar 2006 (Dipl.-Med. H., vom 24. April 2006 und vom 26. Januar 2007 (Dr. K.) bei. Dipl.-Med. H. diagnostizierte eine Anpassungsstörung bei beruflicher Konfliktsituation und äußerte die Vermutung, dass der Kläger in das bestehende Arbeitsmilieu nicht zurückkehren könne, da dann eine Verschlechterung seiner psychischen Situation erwartet werden könne. Der Kläger habe angegeben, dass die Medikation seine Träume erträglicher gemacht habe. Gleichwohl fühle er sich gedanklich eingeengt, habe Angst etwas falsch zu machen und Probleme, Entscheidungen zu treffen. Befragt nach seinem Tagesablauf habe der Kläger angegeben: Er stehe zwischen 7.00 bis 7:30 Uhr auf, frühstücke dann und lese am Vormittag, wobei er gelegentlich einschlafe. Gegen 12:00 Uhr gehe er zum Essen zur Schwiegermutter und lege sich dann bis 15:00 Uhr hin. Danach beschäftige er sich am Computer, aber nur mit schönen Dingen, die ihm Freude machten. Abends lege er sich dann wieder hin, da ihn das Fernsehen wenig interessiere. Er schlafe viel, um die Defizite der letzten Jahre aufzuholen.
Der MDK-Gutachter Dr. K. führte im Gutachten von April 2006 aus: Der Kläger habe anlässlich der seit dem 18. November 2005 bestehenden Arbeitsunfähigkeit über Konzentrationsstörungen, Grübelneigung und Angstzustände sowie Entscheidungsunfähigkeit geklagt. Diagnostisch bestehe eine depressive Anpassungsstörung bei beruflicher Konfliktsituation sowie eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und abhängigen Persönlichkeitszügen. Der Kläger sei bewusstseinsklar und orientiert, jedoch weitschweifig in seinen Ausführungen. Er habe Angst und Insuffizienzgefühle und Selbstzweifel bei ausgeprägter altruistischer Grundhaltung geäußert sowie narzisstische Persönlichkeitszüge gezeigt. Die Freude an angenehmen Dingen des Lebens sei noch erhalten, jedoch bestehe eine erhöhte Grübelneigung und ein leichter sozialer Rückzug. Eine akute oder latente Suizidalität bestehe nicht. Inhaltlich sei eine Lösung vom bisherigen Arbeitsplatzverhältnis zu empfehlen. In seinem weiteren Gutachten von Januar 2007 führte Dr. K. aus: Der Kläger habe angegeben, dass der Vorstand aus der Diakonie gewechselt habe, so dass er sich in der Lage gesehen habe, am 1. Juli 2006 eine stufenweise Wiedereingliederung zu beginnen. Ab dem 1. Oktober 2006 sei er dann wieder voll beschäftigt gewesen, jedoch mit der Einschränkung, dass er von der Teilnahme an Vorstandssitzungen freigestellt werde. Arbeitsunfähigkeit sei dann zum 27. November 2006 erneut attestiert worden. Der Kläger strebe an, im Juli 2007 mit 63 Jahren in Rente zu gehen, wolle dabei jedoch nur wenig finanzielle Verluste hinnehmen. Tagsüber versuche er, sich mittels einer CD zu entspannen. Am PC führe er kleinere Recherchearbeiten durch und unternehme ausgedehnte Spaziergänge. Er beklage noch Schlafstörungen und eine Grübelneigung. Während der Arbeitserprobung habe nach einigen Wochen die psychische Symptomatik zugenommen. Eine ambulante nervenärztliche Behandlung sei notwendig. Die Tätigkeit als Heimleiter in einer anderen Einrichtung sei jedoch wieder möglich.
Der Versorgungsarzt Dipl.-Med. K. wertete diese Befunde unter dem 5. Juli 2007 aus und machte geltend: Nach Aktenlage bestehe beim Kläger eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, was einen Gesamt-GdB von 30 rechtfertige. Dem folgend stellte der Beklagte mit Teilabhilfebescheid vom 9. Juli 2007 ab dem 18. Dezember 2006 einen GdB von 30 fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2007 wies der Beklagte den weitergehenden Widerspruch zurück.
Dagegen hat der Kläger am 10. September 2007 beim Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben und vorgetragen: Bei ihm müsse vom Vorliegen von mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten ausgegangen werden, die mit einem Einzel-GdB von 50 bis 70 zu bewerten seien. Für die Schwere der psychischen Erkrankung spreche bereits seine Verrentung. Nach einem anliegenden Bescheid vom 23. April 2008 sei ihm ab dem 1. Juni 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt worden. Hintergrund dieser Entscheidung sei ein beigefügtes psychiatrisches Gutachten für die Rentenversicherung vom 15. Januar 2008 gewesen. In diesem Gutachten diagnostizierte der Arzt für Psychiatrie Dr. Z. beim Kläger eine mittelgradige depressive Episode und gab an: Seit Februar 1972 habe der Kläger als Heimleiter für Menschen mit geistigen und Mehrfachbehinderungen im ... in W. gearbeitet. Im Juni 2006 habe er eine Wiedereingliederung in seine bisherige Tätigkeit als Heimleiter versucht. Nach der Wahl eines neuen Vorstandes habe die Aufnahme der Tätigkeit jedoch zu einer weiteren Destabilisierung des psychischen Befundes geführt. Der Kläger habe berichtet, er sei seit November 2005 krankgeschrieben und habe seit dieser Zeit nicht mehr "die Kurve" bekommen, auf Menschen zuzugehen. Früher sei er ein "Powerman" gewesen, jetzt "rede man über ihn". Er habe seitdem ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Menschen entwickelt und ziehe sich schnell zurück. Bereits der Gedanke an seine berufliche Tätigkeit mache ihm Angst und führe zu vermehrtem Schwitzen. Er sei während seiner letzten beruflichen Tätigkeit sehr unkonzentriert und mit sich sehr unzufrieden gewesen, da er nicht das geschafft habe, was er sich vorgenommen habe. Die Erkrankung habe sein Leben verändert, da er sehr empfindsam geworden sei und sich zunehmend zurückgezogen habe. Im psychopathologischen Befund sei die Stimmung zunächst ausgeglichen, dann bei der Schilderung der Erkrankung jedoch depressiv gedrückt gewesen. Der berufliche Konflikt habe eine massive Kränkung ausgelöst, die dann zum Ausbruch von Ängsten und einer depressiven Verstimmung bei lebensmüden Gedanken geführt habe. Eine psychotherapeutische Behandlung sei zu empfehlen, um dem Kläger den Zusammenhang zwischen seinen körperlichen Beschwerden sowie den Problemen am Arbeitsplatz anschaulich zu machen. Erst danach könne eine endgültige Beurteilung der Erwerbsfähigkeit getroffen werden.
In einem beigefügten Arztbrief des ... W. wurde über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 3. bis 7. November 2007 berichtet. Hiernach sei die stationäre Aufnahme wegen akut aufgetretener linksthorakaler Schmerzen erfolgt. Die Blutdruckwerte hätten zwischen 190/80 und 170/90 mmHg gelegen. Diagnostisch bestehe eine dekompensierte arterielle Hypertonie Stadium II nach WHO mit beginnender hypertensiver Herzerkrankung.
Die Versorgungsärztin Dr. W. hat sich unter dem 13. August 2008 mit diesen Befunden auseinandergesetzt und ausgeführt: Wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit seien nicht ersichtlich. Ein noch höherer GdB als 30 sei nicht vertretbar. Der Kläger ist dieser Bewertung entgegengetreten und hat geltend gemacht: Bei ihm bestehe eine Psychose mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die eine berufliche Tätigkeit unmöglich mache.
Da SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. hat unter dem 5. Mai 2009 ausgeführt: Beim Kläger bestehe eine wechselnde Stimmungslage, wobei er sich leicht irritieren lasse. Aktuell sei sein Zustand unter einer antidepressiven Medikation weitgehend ausgeglichen. Die Belastbarkeit und die Erwerbsfähigkeit seien auf Dauer eingeschränkt. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. R. hat am 13. Mai 2009 eine rezidivierende Depression, eine Persönlichkeitsstörung, eine somatoforme Störung sowie eine arterielle Hypertonie mit hypertensiver Herzkrankheit diagnostiziert. Der Kläger sei in psychischer und physischer Hinsicht deutlich eingeschränkt und eine Arbeitsfähigkeit nicht gegeben. Geringe Konfliktsituationen führten bei ihm bereits zu einer Verstärkung der Depression.
In der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2010 hat der Kläger angegeben: Er beziehe eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit und sei nunmehr Altersrentner geworden. Er habe sich erheblich sozial zurückgezogen, was sich auch in seiner Ehe auswirke. Anders als vor der Erkrankung nehme er vieles "um des lieben Friedens willen" hin. Ihm fehle die Kraft, sich auseinanderzusetzen und Konflikte einzugehen. Gegenüber seiner Ehefrau habe er das Gefühl "zu versagen". Hätte seine Ehefrau nicht so viel Verständnis für ihn, würde es ihm noch erheblich schlechter gehen. Er nehme aktuell noch Antidepressiva und zwar in der gleichen Dosierung wie zuvor. Eine Psychotherapie habe er nicht wahrgenommen. Aufgrund seiner sozialen Stellung in einer kleinen Stadt als ehemaliger Kreistagsabgeordneter habe er Angst, dass über ihn und seine Erkrankung geredet werde.
Mit Urteil vom selben Tage hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die beim Kläger vorliegende Depression sei mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Dabei sei nicht erkennbar, dass der Kläger unter mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten bzw. schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten leide. Nach Aktenlage sei er medikamentös gut eingestellt und seine Stimmungslage stabil bis ausgeglichen. Schwerwiegende Probleme in der Familie oder im Bekanntenkreis seien nicht bekannt. Die Blutdruckerkrankung sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Dies führe in der Zusammenfassung der Behinderungen zu einem Gesamt-GdB von 30.
Gegen das ihm am 11. Februar 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. Februar 2010 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Seine erheblichen psychiatrischen Erkrankungen seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Bei ihm liege eine mittelgradige soziale Anpassungsstörung vor. Das SG habe seine Angaben in der mündlichen Verhandlung zu den familiären Schwierigkeiten sowie seinen sozialen Kontaktverlusten nicht gewürdigt und das psychiatrische Erkrankungsbild nicht ausreichend aufgeklärt. Bei ihm bestünden eine deutlich eingeschränkte psychische Belastbarkeit, ein sozialer Rückzug sowie eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Nur durch das große Verständnis der Ehefrau werde die stark belastete Ehesituation aufgefangen. Selbst unter medikamentöser Behandlung traue er sich praktisch nicht mehr aus dem Haus und pflege keine sozialen Kontakte mehr. Die Anregung, sich ehrenamtlich in einem Altenpflegeheim zu engagieren, habe er aus Angst vor der Aufgabe abgesagt. Er traue sich selbst kleinste Aufgaben oder die Übernahme von Verantwortung nicht mehr zu und ziehe sich völlig zurück. Im vorliegenden Fall sei ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 3. Februar 2010 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 9. Februar 2007 sowie den Teilabhilfebescheid vom 9. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2007 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm ab 18. Dezember 2006 einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält seine Bescheide für rechtmäßig.
In einem beigezogenen Befundbericht von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie hat Dr. K. am 28. Juni 2010 über eine leichte Stabilisierung berichtet. Der Kläger sei jedoch weiterhin wenig belastbar. Der Senat hat einen Befundbericht von der Fachärztin für Innere Medizin Dr. W. vom 7. Juli 2010 eingeholt. Hiernach bestehe eine periphere arterielle Verschlusserkrankung vom Beckentyp links im klinischen Stadium II b nach Fontaine, eine linksseitig höhergradige Stenose der A. iliaca externa am Abgang, eine A. iliaca communis nicht vollständig einsehbar sowie eine Aortenektasie der Aorta abdominalis (30 mm). Der Kläger habe angegeben, die ihm mögliche Gehstrecke habe sich auf unter 200 Meter reduziert. In einem beigefügten Arztbrief hat Dr. W. als Vordiagnosen eine Hypertonie 2. Grades, eine Hypercholesterinämie, eine Majore depressive Episode sowie einen Nikotinabusus genannt. Bei einem Test auf dem Laufbandergometer (12 % Steigung und 3,2 km/h Geschwindigkeit) habe der Schmerzbeginn bei 52 Metern gelegen. Der Abbruch sei nach einer maximalen Gehstrecke von 77 Metern wegen der Zunahme der Claudicatio-Beschwerden und Luftnot erfolgt. Wegen der starken Gehwegeinschränkung sei eine interventionelle Therapie geplant. In einem Befundbericht vom 20. Juli 2010 hat die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. R. angegeben: Es bestehe eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Bereits geringe Konfliktsituationen lösten beim Kläger massive Symptomverschlechterungen aus. Die psychische Belastbarkeit sei deutlich eingeschränkt und ein sozialer Rückzug erkennbar.
Der Kläger hat in Auswertung dieser Befunde ausgeführt: Bei ihm liege nicht nur eine affektive Psychose, sondern auch eine soziale Anpassungsstörung vor. Die erheblichen Beeinträchtigungen zeigten sich in allen Bereichen des Alltags. Er könne sich keinerlei Konflikten mehr stellen und sei beispielsweise nicht einmal mehr in der Lage, eine Diskussion mit seiner Ehefrau zu führen. Zärtlichkeiten oder sexuelle Kontakte zwischen den Eheleuten seien ausgeschlossen, was die Ehe erheblich belaste und nur noch durch das große Verständnis seiner Ehefrau aufgefangen werde. Seine Frau und er hätten praktisch ihr ganzes Leben mit der Betreuung behinderter Menschen verbracht. Allein der beruflichen Erfahrung und dem ausgeprägten sozialen Verständnis seiner Frau sei es zu verdanken, dass sie mit ihm noch zurechtkomme. Selbst unter antidepressiver Medikation könne er kaum noch soziale Kontakte führen. Er traue sich praktisch nicht mehr aus dem Haus und pflege keine sozialen Kontakte mehr. Der Bitte, sich ehrenamtlich für ein Altenheim zu engagieren, habe er aus Angst nicht nachkommen können. Es bestehe eine gerichtliche Pflicht, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Für den Fall, dass das Gericht hierzu nicht bereit sei, werde gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz beantragt, Prof. Dr. E. oder Prof. Dr. B. aus H. als Sachverständige zu hören.
In einem Erörterungstermin vom 8. Januar 2011 hat der Kläger erklärt: Wegen der Verschlusserkrankung sei eine Aortamessung vorgenommen worden. Der Befund auf der linken Seite sei dabei deutlich schlechter ausgefallen. Die Erkrankung werde als sogenannte "Schaufensterkrankheit" bezeichnet und sei mit häufigeren Gehpausen verbunden. Frühmorgens bringe er mit seiner Tochter die Enkelkinder in die Einrichtung. Die Ehefrau sei gesundheitlich stark angegriffen. Sie leide an einem Carpaltunnelsyndrom, einer Gicht sowie einer Schwerhörigkeit einschließlich Schwindel. Dies führe dazu, dass sie tageweise das Bett nicht verlassen könne. Je nach eigener körperlicher und seelischer Verfassung bügele er beispielsweise die Wäsche. Nur noch zu besonderen Anlässen suche er die Kirche auf. Immer wieder breche er geplante Vorhaben aus inneren Gründen ab. Höre er beispielsweise Kirchenglocken, sage er sich, er müsse jetzt zum Gottesdienst gehen, bringe dies dann aber doch nicht fertig. Auch habe er beabsichtigt, seine Memoiren zu schreiben, sei dabei jedoch bereits an der Frage der Gliederung gescheitert. Beispielsweise habe er geplant, seine Stasiakte einzusehen und habe entsprechende Vorbereitungen getroffen. Das Vorhaben habe er dann, wegen der damit verbundenen Belastungen, wieder aufgegeben. Mit der ärztlichen Betreuung von Dr. K. und Dr. R. sei er sehr zufrieden, da zu diesen Personen ein enges Vertrauensverhältnis bestehe. Aufgrund der früheren beruflichen Tätigkeiten habe er mit psychiatrischen Fällen zu tun gehabt und dabei erhebliche und generelle Vorbehalte gegen die Fachrichtung der Psychiatrie entwickelt. Dies wirke sich auch heute noch aus, so dass er keine Psychotherapie aufgenommen habe.
Der Senat hat weitere Befundberichte eingeholt. Dr. K. hat seit Januar 2006 über eine subdepressive Stimmungslage, Angst, Flashbacks, Erschöpfung und eine mangelnde Belastbarkeit berichtet. Diagnostisch sei von einer rezidivierenden Depression mit Somatisierungstendenz sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen. Neben einer Symptomverstärkung sei eine kognitive Störung in Gestalt einer Vergesslichkeit hinzugetreten. Durch einen Verkehrsunfall sei es beim Kläger zu einer gesundheitlichen Verschlechterung gekommen. Insgesamt sei der Kläger leicht störanfällig und wenig belastbar. Dr. G. hat über eine Bewegungseinschränkung der linken Schulter berichtet (Anteversion: 70°; Abduktion: 40°; Außenrotation: 10°). Diagnostisch bestehe eine partielle Schultersteife. Dr. H. hat angegeben, es bestehe ein mäßiger Cataracta Incipiens (beginnender Augenstar), eine Hornhautverkrümmung, eine Altersweitsichtigkeit sowie eine Visusminderung für die Fernsicht (rechts: 0,7; links: 0,5). Dr. W. hat in einem Arztbrief vom 13. Januar 2011 über eine laufbandergometrische Messung (12 % Steigung bei einer Geschwindigkeit von 3,2 km/h) berichtet. Hiernach habe der Kläger keine Schmerzen gehabt und die Gehstrecke wegen Luftnot nach 124 Metern abgebrochen. In einem weiteren Arztbrief vom 27. Juli 2011 hat Dr. W. über eine weitere laufbandergometrische Messung (12 % Steigung bei einer Geschwindigkeit von 3,2 km/h) berichtet. Dabei habe sich ein Schmerz im Bereich der linken Wade nach 78 Metern gezeigt. Der Abbruch der Gehstrecke sei nach 103 Metern wegen allgemeiner Schwäche sowie der Claudicatio-Beschwerden erfolgt. Im Arztbrief vom 7. Juni 2012 hat Dr. W. eine zunehmende Schwellung des linken Unterschenkels mit Rötung und Überwärmung mitgeteilt. Die Umfangdifferenz betrage 3 cm. Dr. R. hat über eine Gallenblasen-OP, ein Impingement-Syndrom der linken Schulter mit deutlich schmerzhafter Bewegungseinschränkung und über eine Bypass-OP berichtet. In einem Arztbrief vom 6. März 2012 hat Dr. G. angegeben: Der Kläger sei vom 5. bis 10 Februar 2012 stationär im Harzklinikum wegen einer akuten Cholezystitis (Gallenblasenentzündung) behandelt worden. In einem beigefügten Arztbrief des Universitätsklinikums M. vom 18. Mai 2012 wurde über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 7. bis 18. Mai 2012 berichtet. Es bestehe neben den bekannten Diagnosen eine artherosklerotische Herzkrankheit (Drei-Gefäß-Erkrankung) und eine Osteoporose. Dem Kläger sei am 8. Mai 2012 ein 4-fach-aortokoronarer Bypass angelegt worden.
Der Senat hat über Dr. R. einen Bericht über die Anschlussheilbehandlung in der ... Klinik Bad ... (Aufenthalt vom 18. Mai bis 7. Juni 2012) eingeholt. Darin hat Prof. Dr. S. unter dem 26. Juni 2012 berichtet: Der Kläger habe zu seinen kardiovaskulären Risikofaktoren angegeben, er habe vom 27. Lebensjahr bis zur Operation ca. eine Schachtel Zigaretten täglich geraucht. Der Bluthochdruck sei seit sechs Jahren bekannt. Auch bestehe ein Bewegungsmangel. Der Kläger trinke drei Flaschen Bier täglich. Ein Belastungs-EKG vom 24. Mai 2012 habe bei maximaler Belastung nach einer Minute bei 75 Watt wegen muskulärer Erschöpfung abgebrochen werden müssen. Der Blutdruck sei unter Belastung schnell angestiegen.
Der Senat hat ein Sachverständigengutachten vom Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Physikalische Therapie und Balneologie, Naturheilverfahren, Suchtmedizin, Rehabilitationswesen und Sozialmedizin sowie ärztlichen Direktor Z. ( ... Klinik Bad ...) vom 20. November 2013 eingeholt. Dieser hat angegeben: Bei der Untersuchung habe der Kläger die Fragen weitschweifig beantwortet, was häufiger eine Fokussierung und Eingrenzung durch den Sachverständigen erforderlich gemacht habe. Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Mnestik hätten im Laufe der Untersuchung nicht merklich nachgelassen. In der Beschreibung des Tagesablaufs seien grundsätzlich eine regelmäßige Tagesstrukturierung mit regelmäßigen Mahlzeiten sowie ein regelmäßiges Aufstehen erkennbar. So kümmere sich der Kläger beispielsweise auch um seinen Enkel, bringe diesen zur Schule und beteilige sich mit im Haushalt. Der Kläger sei in einem guten allgemeinen und leicht adipösen Ernährungszustand (Größe: 179 cm; Gewicht: 107 kg).
Das Denken des Klägers sei weitschweifig und inhaltlich auf die Kränkungssituationen eingeengt. Die Stimmung sei gedrückt und die Schwingungsfähigkeit reduziert. Bezogen auf das Auffinden des Schwagers sowie auf die erlebten Brandkatastrophen als Heimleiter habe er Alpträume und Flashbacks geschildert. Der Kläger beschreibe einen stärkeren sozialen Rückzug sowie eine Änderung seines Lebensgefühls. Deutlich werde eine starke narzisstische Kränkbarkeit, ein hoher Altruismus sowie ausgeprägte Ängste im Sinne eines zwanghaften Versuchs, immer alles richtig machen zu wollen. Auf psychotherapeutisch-psychosomatischem Gebiet sei von einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradig, einer Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, abhängigen Persönlichkeitszügen mit Somatisierungstendenz und einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen. Die rezidivierende depressive Störung sei in der vorliegenden Form mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Hinzu träten eine Persönlichkeitsstörung sowie eine posttraumatische Belastungsstörung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen, die mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten seien. Beide Erkrankungen überschnitten sich in den Funktionsbeeinträchtigungen und verstärkten sich dabei nicht gegenseitig. Insgesamt sei hierfür auf psychiatrischem Fachgebiet von einem GdB von 50 auszugehen. Die PAVK Stadium II b sei als Gefäßerkrankung wegen ausreichender Restdurchblutung mit einem Einzel-GdB von 0 bis 10 zu bewerten. Das infraenale Aortenaneurysma sei wegen seiner Größe wenigstens mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten. Der Bluthochdruck sei mit einem Einzel-GdB von 0 bis 10 einzuschätzen. Die Augenerkrankungen seien durch einen Augenarzt zu beurteilen. Das Impingement-Syndrom der linken Schulter sei mit einer Bewegungseinschränkung (Arm bis 120° hebbar) und einer entsprechenden Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit zu beschreiben. Zusammenfassend seien die Funktionseinschränkungen mit einem Gesamt-GdB von 70 zu bewerten. Auf psychiatrischem Gebiet sei seit dem 18. Dezember 2006 von einem Einzel-GdB von 50 auszugehen. Die weiteren Erkrankungen seien nach Aktenlage zeitlich erst deutlich später aufgetreten.
Der Beklagte hat eine prüfärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 18. Dezember 2013 vorgelegt und ergänzend ausgeführt: Die Bewertungsempfehlungen des Sachverständigen seien nicht einmal annähernd nachvollziehbar. Der Kläger nehme seit Jahren unverändert zwei Antidepressiva in äußerst niedriger Dosierung. Dies deute auf eine nicht ausgeprägte seelische Störung ohne zwischenzeitliche Verschlimmerung hin. Stationäre Behandlungen auf psychiatrischem Gebiet sowie eine ambulante Psychotherapie hätten nicht stattgefunden. Anhand der knappen Darstellung des Tagesablaufes sei keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit erkennbar. Da der Kläger die anstrengende Testdiagnostik ohne Schwächen in der Konzentration und Aufmerksamkeit habe durchführen können, seien keine relevanten Hirnleistungseinschränkungen zu erkennen. Die körperlichen Befunde seien durchweg unauffällig geblieben. In der Gesamtschau sei von einem Gesamt-GdB von 40 auszugehen (Seelische Störung (Einzel-GdB 30); periphere arterielle Verschlusskrankheit (Einzel-GdB 20); Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit mit Bypassversorgung (Einzel-GdB 20); Refluxkrankheit (Einzel-GdB 10)).
Der Kläger sieht sich durch das Sachverständigengutachten in seiner Gesamtbewertung bestätigt.
Der Sachverständige Z. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 4. Februar 2014 sein Gutachten verteidigt und ausgeführt: Die Prüfärztin Dr. W. habe zu Unrecht die Medikationsintensität für wertungserheblich angesehen und dabei die Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und abhängigen Persönlichkeitszügen sowie eine Somatisierungsstörung außer Betracht gelassen. Hierbei stelle sich die Frage, wie eine Persönlichkeitsstörung überhaupt medikamentös therapiert werden solle. Die beim Kläger fehlende stationären psychosomatische Behandlung sowie ambulante Psychotherapie beruhten gerade auf dieser Persönlichkeitsstörung. Bei ihm liege bereits eine deutliche Chronifizierung des Krankheitsbildes vor, die voraussichtlich durch intensive therapeutische Maßnahmen nicht mehr wesentlich beeinflusst werden könne. Aus dem Tagesablauf könne nicht geschlossen werden, dass keine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorliege. Beim Kläger bestünden ein deutlicher sozialer Rückzug, Konzentrationsstörungen sowie Suizidgedanken. Er beschreibe eine grundsätzliche Änderung seines Lebensgefühls. Zudem seien im Verlauf der Untersuchung eine starke narzisstische Kränkung sowie ausgeprägte Ängste erkennbar geworden. Dies rechtfertige die Annahme von mittelschweren sozialen Anpassungsstörungen. Sofern eine aufgehobene Schwingungsfähigkeit von der Prüfärztin verlangt werde, könne diese nur bei schwersten depressiven Beschwerden vorliegen, die bei Menschen in geschlossenen psychiatrischen Abteilungen zu finden seien. Überdies sei eine vollkommen aufgehobene Schwingungsfähigkeit erst mit dem Tod zu erwarten. Die Annahme der Prüfärztin, eine reduzierte Schwingungsfähigkeit spreche nicht für eine ausgeprägte depressive Störung, sei in dieser Form daher unhaltbar.
In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 20. Februar 2014 hat die Prüfärztin Dr. W. ihre Auffassung bekräftigt und ausgeführt: Die regelmäßige Tagesstrukturierung sowie die Fähigkeit des Klägers, eine ausführliche Testdiagnostik über Stunden ohne erkennbare Ermüdungszeichen durchführen zu können, deute nicht auf eine ausgeprägte depressive Störung. Ein GdB von 50 sei regelhaft erst dann gerechtfertigt, wenn ein betreutes Wohnen bzw. ein Betreuer erforderlich werden würde. Der Kläger sei jedoch trotz seiner Gesundheitsstörungen zur Aufrechterhaltung eines strukturierten Tagesablaufs noch selbst in der Lage und kümmere sich zudem um sein Enkelkind. Der Gesamt-GdB sei daher auf 40 einzuschätzen.
Einen Vergleichsvorschlag des Beklagten (Gesamt-GdB von 60 ab 18. April 2012 unter Kostenteilung im Berufungsverfahren) hat der Kläger abgelehnt. Er sei seit dem Jahr 2005 "ein zerbrochener Mensch" mit erheblichen psychischen Problemen und sehr starken Rückzugstendenzen gewesen. Aus seinen ehrenamtlichen Aktivitäten habe er sich vollständig zurückgezogen. Immer wieder habe der Suizidgedanken geäußert. Lediglich der Zusammenhalt der Familie habe es ihm erlaubt, die Erkrankungen einigermaßen zu meistern und "am Leben zu bleiben".
Nach der mündlichen Verhandlung vom 23. April 2014 und Vertagung des Rechtsstreits hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen sowie eines internistischen Zusatzgutachtens.
Der Sachverständige Dr. S. (Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Spezielle Schmerztherapie) hat in seinem Gutachten vom 28. August 2014 (Untersuchung vom 26. August 2014) ausgeführt: Zu seinen aktuellen Beschwerden habe der Kläger angegeben, schlecht laufen zu können. Beim Laufen entwickle sich ein Schmerz in Füßen und Wade, so dass er stehen bleiben müsse. Er habe Schmerzen, wenn er den rechten Arm hochhebe. Neben einer zeitweise auftretenden Gicht und Kopfschmerzen befielen ihn immer wieder eine Traurigkeit und Sinnfragen. Er habe keine Kraft mehr, sich für andere einzusetzen. Die Kopfschmerzen habe er seit seiner Kindheit. Diese träten mehrfach im Monat auf und dauerten eine bis drei Stunden an. Dagegen nehme er Novalgin. Im Tagesablauf stehe er morgens um 6.00 Uhr auf, ziehe seinen Jogginganzug an und helfe in der Wohnung der Tochter die Enkelkinder für die Schule oder den Kindergarten fertig zu machen. Er bringe dann die beiden Kleinsten in den Kindergarten. Wenn er zurückkomme, habe seine Ehefrau das Frühstück bereitet. Dies dauere etwa eine Stunde. Anschließend lege er sich noch einmal 30 Minuten ins Bett, ziehe sich dann an, gehe nach draußen und rede mit Nachbarn und den Menschen. Er beschäftige sich mit dem Computer und den E-Mails. Er schreibe auch an einer Autobiographie und sei dann für ein bis zwei Stunden beschäftigt. Zwischen 12.00 und 13.00 Uhr werde Mittag gegessen. Anschließend lege er sich hin, stehe gegen 15.00 Uhr auf und trinke Kaffee. Danach beschäftige er sich mit den Enkeln. Zwischen 18.00 und 19.00 Uhr gebe es Abendbrot. Später beschäftige er sich mit dem Computer, spiele Konzentrationsspiele oder schaue Fernsehen. Er habe keine Freunde, aber ein normales soziales Netz. Er sei in keinem Verein und gehe keinen Hobbys nach. Im letzten Urlaub sei man vierzehn Tage in Apolda gewesen.
Der Kläger spreche weitschweifig und sehr ausufernd. Thematisch bleibe er auf ein Thema fixiert, könne jedoch über Erlebnisse sehr differenziert berichten. Während der Exploration weiche er thematisch immer wieder in die Vergangenheit aus. Die Stimmung wirke vorwurfsvoll, enttäuscht und klagend. Beim Bericht über seine Enkelkinder habe er sich relativ temperamentvoll gezeigt, habe gestikuliert, die Kinder imitiert und mit Kleinkindstimme gesprochen. In diesem Sinne zeige der Kläger ein weites Spektrum an emotionalem Ausdruck und Schwingungsfähigkeit.
Als Diagnosen bestünden:
S 1-Wurzelläsion rechts mit Reflexverlust,
Episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp,
Leichte kognitive Störung,
Rezidivierend depressive Störung (zur Zeit leichtgradig).
Während der klinisch neurologischen Untersuchung habe sich die Aufhebung des Achillessehnenreflexes rechts sowie des Vibrationsempfindens an beiden Beinen gezeigt. Bei bekannter Spinalkanalstenose im Bereich der Lendenwirbelsäule sei am ehesten eine S 1-Wurzelschädigung rechts zu diagnostizieren. Eine funktionale Einschränkung ergebe sich daraus nicht. Die Einschränkungen der Leistungs- und Partizipationsfähigkeit wegen des episodischen Kopfschmerzes sei als leicht einzuschätzen. Nach der Durchführung verschiedener Testverfahren sei von einer leichtgradigen kognitiven Einschränkung auszugehen, die Erstsymptome einer sich entwickelnden Demenz sein könnten. Aktuell sei von einer rezidivierenden depressiven Störung auszugehen, die derzeit als leichtgradig einzuschätzen sei. Nach den Feststellungen des ersten psychiatrischen Gutachtens vom 15. Januar 2008 sei von einer mittelgradigen depressiven Episode ausgegangen worden. Anhand des damaligen psychopathologischen Untersuchungsbefundes sei dies nicht korrekt gewesen. Der Kläger habe sich bei der damaligen Untersuchung freundlich zugewandt, etwas weitschweifig, in der Stimmung zunächst ausgeglichen und bei Schilderung der Kränkungserlebnisse leicht depressiv gezeigt. Diese Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme einer mittelgradigen Episode. Die damalige Leistungseinschätzung basierte nicht auf belastbaren qualitativen und quantitativen Daten. Unbrauchbar seien auch die von der Nervenärztin vorgelegten Befundberichte aus dem Jahr 2011. Es fehle an einem kompletten psychopathologischen Untersuchungsbefund sowie an einer notwendigen neurologischen Diagnostik. Die Diagnosen einer Persönlichkeitsstörung sowie einer depressiven Störung seien daher nicht nachvollziehbar und plausibel. In dem psychosomatisch-psychotherapeutischen Gutachten habe der Sachverständige eine rezidivierende depressive Störung, eine Persönlichkeitsstörung sowie eine posttraumatische Belastungsstörung angenommen. Hierbei sei der Gutachter von einer mittelgradig bis schweren depressiven Episode ausgegangen. Im Gegensatz zu diesen erheblichen psychiatrischen Diagnosen schildere der Sachverständige einen normalen kontinuierlichen Tagesablauf. Die behaupteten Störungen seien nicht durch genaue neuropsychologische Testverfahren objektiviert worden. Vielmehr habe der Gutachter nur Selbstauskunftsbögen eingesetzt, die wegen der sog. negativen Antwortverzerrung sehr fehleranfällig seien. Die Häufigkeit dieses Phänomens werde nach aktuellen Untersuchungen mit einem Wert von 30 bis 50 % eingeschätzt. Jeder Sachverständige sei daher gehalten, genau zu überprüfen, ob eine Beschwerdeschilderung möglicherweise unkritisch bereits als Symptomnachweis akzeptiert werde. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung sei unhaltbar. Insoweit habe sich der Sachverständige lediglich auf die Ergebnisse der Selbstauskunftsbögen gestützt. Der Kläger habe jedoch zu keinem Zeitpunkt die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung erfüllt.
In dem parallel erstellten internistischen Gutachten hat der Arzt für Innere Medizin F. am 26. August 2014 ausgeführt: Als Beschwerden habe der Kläger angegeben, an Rückenschmerzen und einschlafenden Beinen zu leiden. Bei schwülem und regnerischem Wetter habe er Luftbeschwerden. Nach der Herzoperation im Jahr 2012 habe er mit dem Rauchen (ca. 20 bis 30 Zigaretten täglich) aufgehört, jedoch danach stark zugenommen. Wenn er sich aufrege, steigere sich der Bluthochdruck auf 180/100 mmHg. Er habe vier Enkelkinder. Die älteste Tochter habe Multiple Sklerose. Sport könne er nicht mehr treiben. Aktuell gehe er nur noch spazieren. Zum Untersuchungsbefund hat der Sachverständige angegeben: Die Beweglichkeit der Schulter sei etwas schmerzhaft eingeschränkt. Das linke Bein weise eine ca. 30 cm lange Narbe nach einer Venenentnahme auf. Den Belastungstest beim Fahrradergometer habe der Kläger bei zwei Minuten mit 75 Watt wegen Beinbeschwerden abgebrochen. Eine übermäßige Kurzatmigkeit sei nicht festzustellen. Er habe keine Herzbeschwerden angegeben. Krankhafte EKG-Veränderungen seien nicht aufgetreten. Bei submaximaler Belastung sei kein Hinweis auf eine höhergradige Herzschwäche erkennbar. Die Bauchschlagader sei im unteren Anteil erweitert. Diagnostisch sei von Folgendem auszugehen:
Arterielle Verschlusskrankheit (Einzel-GdB 20),
Bluthochdruck mit Herzleistungsminderung (Einzel-GdB 20),
Stoffwechselstörungen, Arteriossklerose mit Erweiterung der Bauchschlagader, Fettleber-Hepatitis bei Übergewichtigkeit (180 cm Größe; 116 kg Gewicht) (Einzel-GdB 0),
Venöse Insuffizienz der Beine (Einzel-GdB 10),
Refluxösophagitis (Einzel-GdB 10).
Im Frühjahr 2012 habe sich beim Kläger eine Herzkranzgefäßerkrankung manifestiert. Diagnostisch sei eine beidseits verengte Beckenarterie sowie eine Erweiterung der unteren Bauchschlagader festgestellt worden. Mittels Magenspiegelung sei eine Rückflusskrankheit der Speiseröhre und eine sog. Barrett-Schleimhaut der unteren Speiseröhre diagnostiziert worden. Der Kläger sei deutlich übergewichtig. Er könne mit kleineren Pausen noch ortsübliche Wege zurücklegen. Die Gehstreckenbeschwerden könnten von der arteriellen Verschlusskrankheit oder auch von der Spinalkanalstenose herrühren. Hierfür sei ein Einzel-GdB von 20 gerechtfertigt. Der Bluthochdruck habe zu einer Linksherzhypertrophie geführt, was die Belastungsluftnot erkläre. Die Leistungsbeeinträchtigung trete bei mittelschwerer Belastung auf und sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Der Kläger zeige zudem das Vollbild eines metabolischen Syndroms. Die Erweiterung der Bauchschlagader stehe im Zusammenhang der arteriellen Verschlusskrankheit. Der deutlichen Wassereinlagerung in den Beinen werde durch das Tragen von Kompressionsstrümpfen entgegengewirkt. Die venöse Insuffizienz sei mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Dies gelte auch für die Refluxkrankheit. Auf internistischem Gebiet sei zusammenfassend von einem GdB von 30 auszugehen. Diese Gesundheitsstörungen hätten sich seit Mitte 2012 nach der Herzoperation manifestiert. Die getroffene internistische Beurteilung gelte damit ab Mitte 2012.
Der die Gesamtbegutachtung leitende Dr. S. hat zusammenfassend ausgeführt: Auf psychiatrischem Gebiet halte er für den Kopfschmerz einen Einzel-GdB von 10 für angemessen. Die leichtgradigen kognitiven Störungen sowie die rezidivierenden depressiven Störungen rechtfertigen einen Einzel-GdB von jeweils 20. Zusammenfassend ergebe sich auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet damit ein GdB von 30, der unter Einbeziehung des GdB auf internistischem Gebiet von wiederum 30 zu einem Gesamt-GdB von 50 führe. Auf nervenärztlichem Gebiet sei seit dem 18. Dezember 2006 der von ihm angenommene GdB festzustellen.
Der Beklagte hat nochmals erfolglos einen Vergleichsvorschlag unterbreitet (GdB von 50 ab Mai 2012). In einer beigefügten prüfärztlichen Stellungnahme hat der Gutachter Dr. W. am 8. Oktober 2014 ausgeführt: Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sei aus den Feststellungen des Sachverständigen nicht erkennbar, so dass die Vergabe eines Einzel-GdB von 30 auf psychischen Gebiet sehr hoch erscheine. Die Wirbelsäulenbeschwerden seien neu und in ihren funktionalen Auswirkungen nicht einschätzbar. Eine spezielle Schmerztherapie führe der Kläger offenbar nicht durch. Trotz der arteriellen Durchblutungsstörungen sei der Fußpuls erhalten. Angaben zu der dem Kläger noch möglichen Wegstrecke habe der Sachverständige nicht gemacht. Für die arteriellen und venösen Umlaufstörungen der Beine sowie den Bluthochdruck, die koronare Herzerkrankung mit Bypassversorgung sei jeweils ein Einzel-GdB von 20 festzustellen. Hinzu komme die Funktionsminderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10) und die Refluxerkrankung (Einzel-GdB 10). Zusammenfassend sei der Gesamt-GdB auf 40 festzustellen.
Der Kläger hat zu dem Gutachten ausgeführt: Der Gutachter habe den Gesamt-GdB von 50 seit dem 18. Dezember 2006 mit 50 bewertet, was seinem Antrag entspreche. Die psychischen Folgen seien jedoch zu gering eingeschätzt worden. Zu den familiären Schwierigkeiten sowie dem Rückzugsverhalten des Klägers sei mehrfach detailliert vorgetragen worden. Sollte das Gericht von dieser Einschätzung abweichen, werde beantragt, Dr. S., den Sachverständigen Z., Dr. K., die Ehefrau des Klägers sowie dessen Kinder zum Termin zu laden, um die sozialen Anpassungsschwierigkeiten zu belegen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten sowie Auszüge des Rentenverfahrens waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auch statthafte Berufung des Klägers ist nur teilweise begründet.
Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 9. Februar 2007 sowie den Teilabhilfebescheid vom 9. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2007 ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG statthaft. Bei der hier erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2000, B 9 SB 3/99 R, juris). Die Klage ist aber nur insoweit begründet, als dem Kläger ein GdB von 50 ab dem 1. Mai 2012 zusteht. Ein weitergehender Anspruch auf die Feststellung eines GdB von mehr als 30 ab dem 18. Dezember 2006 besteht dagegen nicht.
Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Der hier anzuwendende § 69 SGB IX ist durch die Gesetze vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606) und vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden. Rechtsgrundlage für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB sind § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Infolge der verfahrensrechtlichen Änderungen des § 69 SGB IX durch das Gesetz vom 23. April 2004 (a.a.O.) hat sich im Übrigen nur die Satzzählung geändert. Im Folgenden werden die Vorschriften des § 69 SGB IX nach der neuen Satzzählung zitiert.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Vorschrift knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX ist durch das am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (a.a.O.) geändert worden. Nach der früheren Fassung der Vorschrift galten für den GdB die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Nach dem Wortlaut der früheren Fassung des ebenfalls durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 geänderten § 30 Abs. 1 BVG war für die Beurteilung die körperliche und geistige Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben maßgeblich, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren. Nach der Neufassung des § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades – dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) – nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden, zu deren Erlass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch den dem § 30 BVG durch das Gesetz vom 13. Dezember 2007 angefügten Abs. 17 ermächtigt worden ist.
Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und sind damit nunmehr der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen. Zuvor dienten der Praxis als Beurteilungsgrundlage die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003, B 9 SB 3/02 R, juris). Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des GdB bzw. der Schädigungsfolge bisher richtete, sind – inhaltlich nahezu unverändert – in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Die im vorliegenden Fall heranzuziehenden Abschnitte aus den Anhaltspunkten in den Fassungen von 2004, 2005 und 2008 bzw. aus den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen sind nicht geändert worden. Im Folgenden werden die Vorschriften der Versorgungsmedizinische Grundsätze zitiert. GdS und GdB werden dabei nach gleichen Grundsätzen bemessen. Die Begriffe unterscheiden sich lediglich dadurch, dass sich der GdS kausal auf Schädigungsfolgen und der GdB final auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von deren Ursachen auswirkt (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze, Teil A: Allgemeine Grundsätze 2 a).
Der hier streitigen Bemessung des GdB ist die GdS-Tabelle der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Teil A) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil A) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil A) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).
Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen des Klägers ein Gesamt-GdB von 30 ab dem 18. Dezember 2006 angenommen werden. Dieser Gesamt-GdB erhöht sich ab dem 1. Mai 2012 wegen der vom Sachverständigen F. festgestellte Verschlechterungen auf internistischem Gebiet (Bypass-OP; Gefäßerkrankung; Bluthochdruck) auf einen Gesamt-GdB von 50. Die vom Kläger geforderte Feststellung eines Gesamt-GdB von mindestens 50 seit dem 18. Dezember 2006 ist dagegen nicht gerechtfertigt, da es an den hierfür notwendigen Befunden fehlt.
1. Das zentrale Leiden des Klägers betrifft das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche". Für dieses kann ab Antragstellung am 18. Dezember 2006 ein Einzel-GdB von 30 festgestellt werden. Der Senat folgt insoweit den Einschätzungen des Sachverständigen Dr. S. auf psychiatrisch-neurologischem Gebiet.
Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (B 3.9) werden leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 bewertet. Für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) ist ein Bewertungsrahmen von 30 bis 40 vorgesehen. Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten werden mit einem GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit 80 bis 100 bewertet. Psychische Anpassungsschwierigkeiten, die einen Behinderungsgrad von 30 bis 40 rechtfertigen, sind nach dem Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates (BMA am 18./19.03.1998 – zitiert nach Rohr/Sträßer, Teil B: GdS-Tabelle-19, 96. Lfg. – Stand Dezember 2011) durch Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße gekennzeichnet. Dieses Kriterium ist zur differenzierenden Einschätzung von Anpassungsschwierigkeiten analog auch dann heranzuziehen, wenn die Symptomatik der psychischen Störungen ganz unterschiedlich ist (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 8./9.11.2000, Rohr/Sträßer, a.a.O., GdS-Tabelle-18). Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten setzen neben den Auswirkungen im Berufsleben erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraus (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 18./19.03.1998 – zitiert nach Rohr/Sträßer, a.a.O., GdS-Tabelle-19).
Nach diesem Maßstab kann beim Kläger ab 18. Dezember 2006 auf psychiatrisch-neurologischem Gebiet eine leichte kognitive Störung sowie eine rezidivierend depressive Störung (aktuell leichtgradig) festgestellt werden, die durchgehend mit einem GdB für das Funktionssystem Gehirn/Psyche von 30 zu bewerten ist. Mit dieser Einschätzung folgt der Senat dem überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. S ... Demgegenüber hält der Senat die von Dr. K. und vom Sachverständigen Z. in diesem Funktionssystem angegebenen Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer Persönlichkeitsstörung für nicht nachgewiesen. Für diese Feststellung fehlt es an hinreichend objektivierbaren Untersuchungen, die das Phänomen der sog. negativen Antwortverzerrung sicher ausschließen könnten. Gerade der Sachverständige Z. hat sich bei seinen Feststellungen lediglich auf Selbstauskunftsbögen des Klägers verlassen, ohne die darin geschilderten Angaben kritisch zu hinterfragen. Gleiches hat für die den Kläger behandelnde Psychiaterin Dr. K. zu gelten, die sich bei ihrer Einschätzung nicht auf objektivierbare Untersuchungsergebnisse stützen kann. Wertet man die Angaben des Klägers vor dem Sachverständigen Z. und insbesondere die ausführlichen Beschreibungen des Tagesablaufs beim Sachverständigen Dr. S., lassen sich schwere psychische Störungen, die das Gewicht einer schweren Zwangskrankheit erreichen und mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten verbunden wären, seit dem 18. Dezember 2006 nicht feststellen.
Die Annahme des Sachverständigen Z., beim Kläger seit dem 18. Dezember 2006 auf psychiatrischem Gebiet einen GdB von 50 festzustellen, widerspricht auch den beiden Untersuchungsergebnissen der MDK-Gutachter. In beiden Untersuchungen vor den MDK-Gutachtern schilderte der Kläger eine noch fortbestehende Freude an den angenehmen Dingen des Lebens. Der soziale Rückzug wurde von beiden MDK-Gutachtern lediglich als leichtgradig bewertet, was eine schwere psychische Störung ausschließt. Auch die den Kläger behandelnde Psychiaterin Dr. K. gab im Behandlungsverlauf eine ausgeglichene Stimmungslage bei gleichbleibender Medikation an.
Die Versorgungsärzte des Beklagten haben zudem zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger keine hochdosierten Psychopharmaka einnehme und während der gesamten Zeit auf psychischem Gebiet keine stationären Aufenthalte notwendig geworden sind. Dies spricht gegen die Annahme einer schweren psychischen Erkrankung. Zutreffend ist auch der Hinweis von Dr. W., dass der Kläger ein längeres Testverfahren bei dem Sachverständigen Z. ohne erkennbaren Leistungsverlust durchgehalten hat, was bei einer schweren psychischen Störung eher nicht zu erwarten ist. Gegen eine schwere psychische Störung spricht auch der Umstand, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt eine ambulante Psychotherapie durchgeführt hat, was auf einen erheblichen Leidensdruck hätte schließen lassen. Seine Begründung, eine derartige Behandlung aufzunehmen, weicht in seinen Angaben dabei ab. Während er in einer Untersuchung die Gefährdung seines Ansehens als ehemaliger Kreistagsabgeordneter befürchtete, verwies er an anderer Gelegenheit auf generelle Vorbehalte gegen die Psychiatrie aus der Vergangenheit.
Gegen die Annahme einer Schwerbehinderung auf psychiatrischem Gebiet spricht auch die emphatische Reaktion des Klägers gegenüber dem Sachverständigen Dr. S., als er über seine Enkelkinder berichtet hatte. Eine solch schwingungsfähige Reaktion wäre bei einer schweren psychischen Erkrankung so nicht zu erwarten. Dies gilt auch für den von Dr. S. beschriebenen Tagesablauf, insbesondere hinsichtlich der vom Kläger vorgenommenen Unternehmungen mit den Enkeln. Dieses Engagement konnte der Kläger nach seinen Angaben im Erörterungstermin am 18. Januar 2011 offenbar bereits im Jahr 2010 aufbringen und wird in den knappen Angaben des Sachverständigen Z. zum Tagesablauf auch bestätigt.
Der Beweisanregung des Klägers, zum Termin beide Sachverständige, Dr. K. sowie die Ehefrau des Klägers zu laden, sofern das Gericht zu einer anderen Bewertung als zu einem GdB von 50 ab dem 18. Dezember 2006 gelangen sollte, musste der Senat nicht nachgehen. Der unter einer Bedingung gestellte Beweisantrag wäre bereits unzulässig gewesen. Schließlich konnte die GdB-Bewertung des Senats nur nach Durchführung der mündlichen Verhandlung unter Einbeziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen. Überdies enthielt das Beweisangebot weder ein konkretes Beweisthema noch einen Hinweis auf konkrete Ereignisse, die ggf. noch zu klären gewesen wären.
Unter Würdigung der langjährig geringen Dosierung von Psychopharmaka sowie der fehlenden stationären Aufenthalte auf psychiatrischem Gebiet erreicht der Behinderungsgrad auf psychiatrischem Gebiet seit dem 18. Dezember 2006 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung noch keinen Einzelgrad von 40. Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass insbesondere die Erlebnisfähigkeit des Klägers noch weitgehend vorhanden ist. Er beschäftigt sich mit Dingen, die ihm Freude bereiten, so z.B. am PC, schaut Fernsehen und hat Freude an seinen Enkeln.
Soweit der Sachverständige Dr. S. einen episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp beim Kläger diagnostiziert hat, betrifft diese Erkrankung auch das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche und kann allenfalls mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet werden (vgl. B 2.3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze).
2. Im Funktionssystem Herz-Kreislauf leidet der Kläger an einer Hypertonie mit Herzleistungsminderung sowie einer arteriellen Verschlusskrankheit mit Gehproblemen. Nach dem überzeugenden internistischen Zusatzgutachten des Arztes F., dem sich der Senat nach eigener Sachprüfung anschließt, hat sich beim Kläger eine arterielle Verschlusskrankheit der Beine entwickelt. Hierbei kann er noch ortübliche Wege zurücklegen, muss jedoch immer wieder kleine Pausen einlegen. Nach B 9.2.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist deswegen ein Einzel-GdB von 20 zu vergeben. Hinzu kommt ein Bluthochdruck mit Linksherzhypertrophie, was mit einer Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung verbunden ist. Gemäß B 9.1.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist diese Erkrankung mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Überdies liegt eine venöse Insuffizienz vor, die mit Schwellneigungen verbunden ist. Dagegen muss der Kläger Kompressionsstrümpfe tragen. Eine stärkere Beeinträchtigung ist damit aber nicht verbunden, so dass ein Einzel-GdB von 10 zu vergeben ist. Diese Erkrankungen sind im Zusammenhang mit der Herz-OP ab Mitte 2012 aufgetreten und rechtfertigen zusammenfassend in diesem Funktionssystem einen GdB von 30.
3. Die Refluxösophagitis betrifft das Funktionssystem Magen. Durch die Behandlung mit säurehemmenden Medikamenten kann Beschwerdefreiheit erreicht werden. Beim Kläger liegt eine gering ausgeprägte Refluxerkrankung vor, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten ist (so auch der Sachverständige F. unter Hinweis auf Teil B 10.1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze).
4. Die Augenerkrankung sowie die partielle Schultersteife mit Impingement-Syndrom sind geringgradig ausgeprägt und rechtfertigen einen Einzel-GdB von jeweils 10 (B 4.3 bzw. Teil B 18.13 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze).
5. Weitere Funktionseinschränkungen, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind, sind nicht erkennbar. Die S 1-Wurzelläsion rechts mit Reflexverlust ohne funktionellen Auswirkungen (so Dr. S.) und die Stoffwechselstörungen, Arteriosklerose mit Erweiterung der Bauchschlagader sowie die Fettleber-Hepatitis bei Übergewichtigkeit bleiben ohne funktionale Auswirkungen und rechtfertigen keinen Einzel-GdB (so auf internistischem Gebiet der Sachverständige F.).
6. Da bei dem Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach A, Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze anzuwenden. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.
Danach ist von dem Behinderungsgrad von 30 für das Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche auszugehen. Eine weitere Erhöhung aufgrund der Beeinträchtigungen im Funktionssystem Herz-Kreislauf, die ab 1. Mai 2012 mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sind, ist gerechtfertigt. Der Senat hält daher ab diesem Zeitpunkt unter Berücksichtigung der mit den beiden Erkrankungen verbundenen Teilhabebeeinträchtigungen insgesamt einen Gesamt-GdB von 50 für zutreffend.
Die weiteren mit einem GdB von 10 bewerteten Funktionsbehinderungen führen nicht zur Erhöhung des Gesamt-GdB, denn von einem hier nicht vorliegenden Ausnahmefall abgesehen, führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes des Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (A 4 Nr. 3ee der Versorgungsmedizinischen Grundsätze).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt dabei den Teilerfolg des Klägers.
Gründe die Revision zuzulassen liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).