Landessozialgericht Baden-Württemberg - 7 SO 2073/06 - Urteil vom 23.11.2006
Aus den gesetzlichen Vorschriften folgt nicht notwendig, dass das für volljährige Kinder gezahlte Kindergeld immer dem Kindergeldberechtigten zuzurechnen ist, unabhängig davon, ob dieses an das Kind weitergeleitet wird oder nicht. Eine solche Einkommenszurechnung mag geboten sein, wenn volljährige Kinder weiterhin in häuslicher Gemeinschaft mit den Eltern leben. Denn in diesem Falle wird der Bedarf des volljährigen - und bedürftigen - Kindes in den der Bedarfsgemeinschaft eingerechnet, weshalb mit der Einkommensanrechnung eine Erhöhung des Gesamtbedarfs der Bedarfsgemeinschaft korrespondiert. Anders gestaltet sich die Situation jedoch bei volljährigen Kindern, die - wie hier - nicht in häuslicher Gemeinschaft mit dem kindergeldberechtigten Elternteil leben, aber auf die Weiterleitung des Kindergeldes zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind. Das Argument, § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII habe eine Zurechnung des Kindergeldes als Einkommen des Kindes allein bei Minderjährigen angeordnet greift insoweit zu kurz. Richtig daran ist, dass es Ziel dieser Regelung war, "die Sozialhilfebedürftigkeit möglichst vieler Kinder zu beseitigen". Umgekehrt kann es aber nicht Ziel dieser Regelung gewesen sein, die Sozialhilfebedürftigkeit der Eltern volljähriger Kinder unabhängig davon zu begründen oder zu erhöhen, ob sie das Kindergeld an ihre Kinder weiterleiten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) um die Anrechnung von Kindergeld als Einkommen.
Die am 1955 geborene Klägerin bezieht aufgrund Bewilligungsbescheids der Beklagten vom 14. Februar 2005 seit 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Hierbei wurde das Kindergeld, welches die Klägerin für ihren am 1980 geborenen, mit ihr nicht in häuslicher Gemeinschaft lebenden Sohn S. bezieht, bei dieser als Einkommen angerechnet.
Mit Schreiben vom 7. April 2005 beantragte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten die Gewährung ergänzender Grundsicherungsleistungen für die Zukunft unter Anderem mit der Begründung, das Kindergeld dürfe nicht auf deren Bedarf angerechnet werden. Die Klägerin habe das an sie ausbezahlte Kindergeld in der Vergangenheit stets an ihren Sohn weitergeleitet.
Durch Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2005 wurden die Grundsicherungsleistungen der Klägerin ab Juni 2005 bis auf Weiteres abgeändert; die monatlichen Leistungen wurden - unter Berücksichtigung des Krankenversicherungsbeitrags ab Juni 2005 - auf 503,93 Euro festgesetzt.
Mit Bescheid vom 6. September 2005 wurde der Antrag der Klägerin vom 7. April 2005 auf Gewährung höherer Leistungen abgelehnt. Zur Begründung wurde in Bezug auf das Kindergeld ausgeführt, dieses sei bei volljährigen Kindern immer Einkommen des Kindergeldberechtigten. Selbst wenn die Klägerin das Kindergeld an ihren Sohn weiterleite, könne dies nicht zu Lasten des Grundsicherungsträgers gehen, da sie andernfalls ihre eigene Leistungsberechtigung erhöhen würde.
Dagegen erhob die Klägerin am 19. September 2005 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2005 zurückgewiesen wurde mit der Begründung, nach § 82 Abs. 1 SGB XII gehörten zum Einkommen grundsätzlich alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert bis auf die dort genannten Ausnahmen. Bei Minderjährigen sei das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts benötigt werde. Nach Rdnr. 82.50 der Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg zum SGB XII sei Kindergeld Einkommen des Kindes, soweit es von den Kindergeldberechtigten nachweislich durch einen besonderen Zuwendungsakt zweckgebunden an dieses weitergegeben werde. Durch einen solchen Zuwendungsakt dürfe der Kindergeldberechtigte seine Leistungsberechtigung und die weiterer unterhaltsberechtigter Angehöriger allerdings nicht herbeiführen oder erhöhen. Durch die Weitergabe des Kindergeldes an den Sohn würde sich die Leistungsberechtigung der Klägerin um monatlich 154,- Euro erhöhen, weshalb das Kindergeld der Klägerin als Einkommen zuzurechnen sei.
Am 26. Oktober 2005 hat die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben, die sie damit begründet hat, sie habe das Kindergeld bislang immer an ihren Sohn, der nicht in ihrem Haushalt lebe, weitergeleitet. Lediglich ab April 2005 habe sie es zur Sicherung der eigenen Existenz behalten; im Obsiegensfalle werde sie aber auch dieses Geld an ihren Sohn weiterleiten. Dieser absolviere eine Ausbildung, für die er nur eine Ausbildungsbeihilfe in Höhe von 300,- Euro monatlich erhalte und sei daher zur Sicherung seines eigenen Unterhalts auf das Kindergeld angewiesen. Ihr Sohn wohne nach dem Verlust seiner letzten (eigenen) Wohnung seit Kurzem bei den Großeltern, bis er wieder eine eigene Wohnung gefunden habe und werde auch von seinem Vater finanziell unterstützt. Das Kindergeld sei fehlerhaft auf ihre Grundsicherungsleistungen angerechnet worden. Unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) sei anerkannt gewesen, dass Kindergeld, das von einem Elternteil seinem einkommens- und vermögenslosen Kind zugewendet werde, bei diesem und nicht beim Kindergeldberechtigten als Einkommen zähle. Das SGB XII treffe keine Regelung für volljährige Kinder; die Bestimmung des § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII betreffe nur minderjährige Kinder. In § 1 Nr. 8 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-Verordnung) vom 20. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2622) werde aber Kindergeld nicht als Einkommen des Berechtigten betrachtet, soweit es nachweislich an das nicht im Haushalt des Hilfebedürftigen lebende volljährige Kind des Berechtigten weitergeleitet werde. Es sei kein Grund ersichtlich, dies im SGB XII anders zu beurteilen.
Durch Gerichtsbescheid vom 2. März 2006 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Kindergeld sei sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen nach § 82 SGB XII. Nach § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII sei einem minderjährigen Kind das Kindergeld zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts benötigt werde. Eine entsprechende Regelung fehle für volljährige Kinder. Kindergeld für volljährige Kinder sei daher grundsätzlich Einkommen des entsprechenden Elternteils. Das Kindergeld werde grundsätzlich an den Berechtigten ausgezahlt; dies sei in der Regel ein Elternteil (§ 62 Abs. 1, § 64 Abs. 1 EStG). Dementsprechend sei diesem das Kindergeld als Einkommen zuzurechnen. Da die Berechtigung zum Kindergeldbezug gesetzlich geregelt sei, bedürfe es bei einer Abweichung hiervon ebenfalls einer gesetzlichen Regelung. Für minderjährige Kinder finde sich für die Einkommenszurechnung eine solche Regelung in § 82 Abs. 1 Satz SGB XII. Eine entsprechende Zurechnungsregelung gebe es für Volljährige nicht. Das Kindergeld, welches ein Elternteil für ein volljähriges Kind beziehe, stelle daher für diesen Einkommen dar. Hierauf habe auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Urteil vom 28. April 2005 - 5 C 28/04 - in einem obiter dictum hingewiesen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass § 1 Abs. 1 Nr. 8 der Alg II-Verordnung bestimme, außer den in § 11 Abs. 3 SGB II genannten Einnahmen sei Kindergeld für volljährige Kinder des Hilfebedürftigen, soweit es nachweislich an das nicht im Haushalt des Hilfebedürftigen lebende volljährige Kind weitergeleitet werde, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Zwar handele es sich bei § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II praktisch um eine mit § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII wortgleiche Vorschrift und es spreche einiges dafür, dass insofern auch gleiche rechtliche Folgen gezogen werden sollten. Anders als im SGB II gebe es jedoch zum SGB XII keine entsprechende Verordnung, die Kindergeld in Fällen der vorliegenden Art entsprechend § 1 Abs. 1 Nr. 8 Alg II-Verordnung als Einkommen des Kindes definiere. Hinzu komme, dass sich aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 8 Alg II-Verordnung ("Außer" den in. genannten Einnahmen.) ergebe, dass auch der Verordnungsgeber davon ausgehe, dass Kindergeld, welches für volljährige Kinder bezogen werde, Einkommen eines Elternteils sei. Ganz unabhängig davon habe die Klägerin, auch wenn dies gewissermaßen aus einer Notsituation heraus geschehen sei, das Kindergeld im fraglichen Zeitraum ab April 2005 nicht an ihren Sohn weitergeleitet. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 8 Alg II-Verordnung sei somit nicht erfüllt.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf den der Klägerin am 15. März 2006 zugestellten Gerichtsbescheid verwiesen.
Hiergegen richtet sich die am 11. April 2006 zum Landessozialgericht eingelegte Berufung, mit welcher die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend dazu ausführt, zwar enthalte das SGB XII keine Anrechnungsvorschrift für Kindergeld bei volljährigen Kindern. Es sei jedoch kein Grund ersichtlich, im Bereich des SGB XII anders zu entscheiden als im Bereich des SGB II mit der Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 8 Alg II-Verordnung. Dies umso mehr, als das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Abstimmung der Unterhaltsrechts- mit sozial- und steuerrechtlichen Bestimmungen angemahnt und der Bundesgerichtshof (BGH) mittlerweile entschieden habe, dass bei Volljährigen Kindergeld in vollem Umfang auf deren Bedarf anzurechnen sei. Dies spreche dafür, jedenfalls weitergeleitetes Kindergeld bei Volljährigen als deren Einkommen anzusehen. Die Klage sei jedoch auch während des Zeitraums begründet, in welchem die Klägerin wegen des Verhaltens der Beklagten das Kindergeld zur Deckung ihrer eigenen Existenz nicht weitergeleitet habe. Dies folge aus § 242 BGB, wonach niemand Vorteile aus seinem eigenen treuwidrigen Verhalten ziehen dürfe. Dies gelte auch für das Sozialrecht. Im Zeitraum April 2005 bis einschließlich April 2006 habe der Vater der Klägerin seinem Enkel Unterhalt als Vorschuss in Höhe des Kindergeldes geleistet. Seit dem 1. Mai 2006 leite die Klägerin das Kindergeld wieder an in ihren Sohn weiter, weil die Unterstützung durch dessen Großvater entfallen sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 2. März 2006 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Oktober 2005 zu verurteilen, ihr ab 1. April 2005 um 154,- Euro monatlich höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg. Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 und 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig; insbesondere ist sie statthaft, weil die Berufungssumme von 500,- Euro überschritten ist (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Berufung ist auch im tenorierten Umfang begründet.
Streitbefangen ist vorliegend der Zeitraum von der Antragstellung (Schreiben vom 7. April 2005) bis zur Entscheidung durch den Senat. Denn die Beklagte hat mit den angefochtenen Ablehnungsbescheiden ersichtlich einen Sachverhalt geregelt, der über den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung hinausreicht (vgl. Urteil des Senats vom 21. September 2006 - L 7 SO 1110/06 -). Innerhalb dieses Zeitraums hat die Klägerin von Mai 2006 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat, also bis November 2006, Anspruch auf Gewährung - um den Betrag des angerechneten Kindergelds - erhöhter Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. In diesem Zeitraum hat sie das bezogene Kindergeld nachweislich an ihren Sohn weitergeleitet, welches von diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts benötigt wurde. Ein weiter gehender Anspruch besteht im maßgeblichen Zeitraum nicht.
Zu wessen Einkommen Kindergeld gerechnet wird, beurteilt sich vorliegend nach § 82 SGB XII. Nach der noch zum BSHG entwickelten Rechtsprechung des BVerwG sind Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt werden, so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Kindergeld ist daher grundsätzlich sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen (BVerwG, Urt. v. 25. November 1993 - 5 C 8/90 -, BVerwGE 94, 326, 328). Denn es handelt sich hierbei um eine mit der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG zweckidentische Leistung im Sinne von § 77 BSHG. Allerdings enthielt das BSHG keine besondere Regelung, wem Kindergeld als Einkommen zugeordnet wird. Nach der hierzu ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung war es - vorbehaltlich einer besonderen rechtlichen Zuordnung - als Einkommen dessen anzusehen, an den es ausbezahlt wird (BVerwG, Urteile vom 21. Juni 2001 - 5 C 7.00 - FEVS 53, 113 m. w. N., vom 17. Dezember 2003 - 5 C 15/02 -, NJW 2004, 2541 f. und vom 28. April 2005 - 5 C 28.04 -, NJW 2005, 2873).
Hiervon ausgehend ist bei der Einkommenszurechnung zwar prinzipiell auf das zu § 76 BSHG entwickelte Zuflussprinzip abzustellen (vgl. BVerwG, DVBl. 2001, 1065), welches auch für die Einkommensberechnung nach § 82 SGB XII Geltung beansprucht (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 82 Rdnr. 6; vgl. zu diesem auch im Rahmen der Alg II-Bewilligung zwingend anzuwendenden Prinzip Beschluss des Senats vom 22. April 2006 - L 7 AS 3826/06 PKH-A -). Danach kommt es für den Einkommensbegriff - sowohl was den Zeitpunkt als auch die Person des Empfängers anbelangt - grundsätzlich auf den tatsächlichen Zufluss in Geld oder Geldeswert an. Dies gilt auch im Rahmen der Anrechnung von Kindergeld auf das Einkommen. Allerdings macht das SGB XII selbst in § 82 Abs. 1 Satz 2 hiervon eine Ausnahme, wenngleich begrenzt auf den Personenkreis minderjähriger Kinder. Danach wird Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zugerechnet, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes benötigt wird. Eine vergleichbare Regelung findet sich in § 11 Abs. 1 Satz 3 des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuchs Zweites Buch - SGB II - vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 2955)), während für volljährige Kinder eine entsprechende Regelung fehlt.
Hieraus folgt indessen nicht notwendig der Umkehrschluss, dass das für volljährige Kinder gezahlte Kindergeld immer dem Kindergeldberechtigten zuzurechnen ist, unabhängig davon, ob dieses an das Kind weitergeleitet wird oder nicht. Eine solche Einkommenszurechnung mag geboten sein, wenn volljährige Kinder weiterhin in häuslicher Gemeinschaft mit den Eltern leben (vgl. u. a. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. vom 20. April 2006 - L SO 74/05 - und Beschluss vom 13. Juni 2005 - L 8 AS 118/05 ER, jeweils (juris) m.w.N.; zum Streitstand Grupp/Wrage, SGb 2005, 439). Denn in diesem Falle wird der Bedarf des volljährigen - und bedürftigen - Kindes in den der Bedarfsgemeinschaft eingerechnet, weshalb mit der Einkommensanrechnung eine Erhöhung des Gesamtbedarfs der Bedarfsgemeinschaft korrespondiert. Anders gestaltet sich die Situation jedoch bei volljährigen Kindern, die - wie hier - nicht in häuslicher Gemeinschaft mit dem kindergeldberechtigten Elternteil leben, aber auf die Weiterleitung des Kindergeldes zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind. Das Argument, § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII habe eine Zurechnung des Kindergeldes als Einkommen des Kindes allein bei Minderjährigen angeordnet (vgl. BVerwG, 28. April 2005, a.a.O.) greift insoweit zu kurz. Richtig daran ist, dass es Ziel dieser Regelung war, "die Sozialhilfebedürftigkeit möglichst vieler Kinder zu beseitigen" (BT-Drucks 15/1514 S. 65 zu § 77 Entwurf (entspricht § 82 des Gesetzes)). Umgekehrt kann es aber nicht Ziel dieser Regelung gewesen sein, die Sozialhilfebedürftigkeit der Eltern volljähriger Kinder unabhängig davon zu begründen oder zu erhöhen, ob sie das Kindergeld an ihre Kinder weiterleiten.
Auch die steuer- und zivilrechtlichen Regelungen rechtfertigen keine uneingeschränkte Zurechnung des Kindesgeld zum Einkommen der Eltern. Zwar folgt aus dem Zweck des Kindergeldes keine von der Auszahlung unabhängige Zuordnung als Einkommen des Kindes (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2003, a.a.O.). Auch ist es Zweck des Kindergeldes, die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes zu bewirken (§ 31 EStG). Mit diesem Zweck wird Kindergeld nicht dem Kind selbst (vertreten durch die Eltern) als Einkommen zur Sicherung seines Existenzminimums gewährt, sondern es bleibt der Teil des elterlichen Einkommens steuerfrei, den diese zur Existenzsicherung ihres Kindes benötigen (BVerwGE 114, 339, 340). Das Kindergeld dient damit, soweit es für den Zweck der steuerlichen Freistellung nicht erforderlich ist, "der Förderung der Familie" und nicht etwa allein oder vorrangig der Förderung des Kindes, für das Kindergeld gewährt wird. Zutreffend ist auch, dass das Zivilrecht das Kindergeld nicht abweichend vom Steuerrecht dem Kind als Einkommen zuordnet. § 1612b BGB regelt allein die Anrechnung von Kindergeld in Bezug auf den Unterhalt für das Kind (vgl. dazu BGH, Urteil vom 29. Januar 2003 - XII ZR 289/01 - FamRZ 2003, 445 = MDR 2003, 749 = NJW 2003, 1177; BVerfG, Beschluss vom 9. April 2003 - 1 BvL 1/01 und 1 BvR 1749/01-, FamRZ 2003, 1370 = NJW 2003, 2733 ).
Indessen rechtfertigen diese steuer- und zivilrechtlichen Erwägungen nach Auffassung des Senats für das Fürsorgerecht des SGB XII nicht die Schlussfolgerung, Kindergeld für volljährige Kinder allein mit Blick auf den Zufluss bei einem Elternteil als dessen Einkommen anzusehen, auch wenn dieser es bestimmungsgemäß unverzüglich an das außerhalb seines Hausstandes lebende Kind weiterleitet, welches dieses zur Sicherung seines Unterhalts benötigt. Denn das Kindergeld ist in diesen Fällen beim Kindergeldberechtigten ein bloßer "Durchlaufposten". Die materielle Situation stellt sich insoweit faktisch nicht anders dar als bei der Direktauszahlung im Wege des sog. Abzweigungsverfahrens nach § 74 EStG bzw. nach § 48 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), in welchem das Kindergeld dem Kind als Einkommen zugeordnet wird (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2003, a.a.O.). Allerdings kann es aus materiellen Billigkeitsgründen für die Einkommenszurechnung nicht (allein) darauf ankommen, ob und ggf. ab wann das sog. Abzweigungsverfahren nach § 74 Abs. 1 EStG praktiziert wird. Dies müsste in den Fällen als formalistisch erscheinen, in denen - wie hier - aufgrund der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Hilfeempfängers unabhängig von einer Antragstellung nach § 74 Abs. 1 EStG die materiellen Voraussetzungen für die Abzweigung des Kindergelds vorliegen. Hinzu kommt, dass auch bei der Abzweigung (von Amts wegen) der Berechtigte - und nicht der Zahlungsempfänger - der Inhaber des Kindergeldanspruchs bleibt, die Rechtsinhaberschaft des Kindergeldanspruchs also nicht verändert wird (Weber-Grellet in Schmidt, EStG 25. Aufl. 2006, § 74 Rdnr. 2).
Aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit ist daher Kindergeld für ein volljähriges Kind nicht als Einkommen des bezugsberechtigten Elternteils zu berücksichtigen, wenn dieser es nachweislich unverzüglich an das nicht in seinem Haushalt lebende Kind zur notwendigen Deckung des Unterhalts weitergeleitet hat (ebenso Brühl in LPK-SGB XII, § 82 Rdnr. 68 unter Verweis auf OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23. Februar 2002 - 12 A 10375/02 - FEVS 54, 45). Insoweit ergibt sich aus der Bestimmung des § 1 Abs. 1 Nr. 8 Alg II-Verordnung ein übergreifender materieller Rechtsgedanke, welcher der Generalisierung in Bezug auf die Einkommensberechnung bei Hilfebedürftigen zugänglich und zur Vermeidung unbilliger Ergebnisse auch bei der Auslegung und Anwendung des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII heranzuziehen ist. Hierdurch mindert sich zwar im Einzelfall das sozialhilferechtlich anrechnungsfähige Einkommen eines Hilfeempfängers mit der Folge dessen möglicher (erhöhter) Bedürftigkeit. Dies ist jedoch mit Blick auf die Schutzrichtung des Kindergeldes hinzunehmen. Denn mit dieser Handhabung wird letztlich nur bewirkt, dass ein Elternteil nicht sozialhilferechtlich dafür sanktioniert wird, dass er dafür sorgt, dass die öffentliche Sozialleistung des Kindergeldes, die Eltern gewährt wird, um ihre Unterhaltslast gegenüber den Kindern zu erleichtern (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2005 - XII ZR 34/03 - BGHZ 164, 375-387 = NJW 2006, 57-60), auch tatsächlich "ankommt" und bestimmungsgemäß verwendet werden kann. Das muss vor allem dann gelten, wenn ansonsten das Kind selber mangels Unterhaltsleistung der Eltern bedürftig würde.
Hiervon ausgehend stehen der Klägerin höhere Grundsicherungsleistungen zu, soweit sie das Kindergeld im streitbefangenen Zeitraum nach den o. g. Maßgaben an ihren Sohn weitergeleitet hat, was von Mai bis November 2006 der Fall ist. Dies wird belegt durch die eidesstattliche Versicherung des Sohnes der Klägerin vom 20. November 2006, an deren Richtigkeit zu zweifeln keine Veranlassung besteht. In dem davor liegenden Zeitraum, in welchem die Klägerin dies - wenn auch aus nachvollziehbaren Gründen - nicht getan hat (April 2005 bis April 2006), verbleibt es demgegenüber bei der Anrechnung des Kindesgeldes auf ihr Einkommen. Mit Blick auf das Zuflussprinzip kann die Klägerin die Nichtanrechnung von Kindergeld auf ihr Einkommen für diesen Zeitraum auch nicht nach Treu und Glauben bzw. unter Heranziehung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs beanspruchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Anrechenbarkeit des Kindergeldes für volljährige, nicht im Haushalt des Hilfebedürftigen lebende Kinder auf dessen Einkommen nach § 82 SGB XII betrifft eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist, aber im Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Rechtsprechung und Fortentwicklung des Rechts einer solchen Klärung bedarf (§ 160 Abs. 2 Nr. l SGG).