Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 7 VE 10/13 - Urteil vom 03.12.2014
Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann ein tätlicher Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind. Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann.
Tatbestand:
Umstritten ist eine Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung von Opfer für Gewalttaten (OEG).
Die am ... 2002 geborene Klägerin beantragte am 6. Juni 2007 durch ihre Mutter bei dem Beklagten die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Als Schädigung benannte sie eine Traumatisierung, dissoziale Störungen, schwere Anpassungsstörungen, Kindergartenuntauglichkeit und spastische Deplegie infolge sexuellen Missbrauchs und Psychoterror durch den leiblichen Vater J. B. Die Übergriffe hätten im Zeitraum von 2002 bis 2004 stattgefunden. Die Kindesmutter habe den sexuellen Missbrauch im Februar 2004 direkt nach Vollzug festgestellt, als sie den Kindesvater nackt neben der Klägerin angetroffen habe. Die Windelhose und der Body der Klägerin seien geöffnet gewesen; das Kind habe zwei wunde Stellen aufgewiesen. Tatort sei die Wohnung in Sch., Sachsen-Anhalt, gewesen, vermutlich seien Übergriffe aber auch in A., Schweiz, vorgekommen. Tatanlass sei das Machtverhalten des Erzeugers gegenüber Mutter und Kind gewesen. Dieser habe auch schon als Jugendlicher seine Schwester mehrfach sexuell missbraucht. Er sei von der Kindesmutter im Februar 2004 unmittelbar nach dem Missbrauch auf die Tat angesprochen worden, habe aber darauf nicht ja, nicht nein gesagt, sondern nur provozierend gelächelt.
Der Beklagte zog die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Magdeburg (Aktenzeichen 526 Js 6208/06) bei. Daraus ist ersichtlich, dass die damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 15. Februar 2006 bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg Strafanzeige gegen J. B. gestellt und den Vorfall im Februar 2004 in Sch. nach wörtlichem Zitat aus den Unterlagen der Mutter der Klägerin wie folgt wiedergegeben hatte:
"Sie sei wie erstarrt in der Wohnung gestanden und wusste, dass etwas los ist, sie habe gespürt, dass etwas Schlimmes passiert sei. Sie habe I. in die Arme genommen und gesehen, dass die Windel einseitig offen war und ebenfalls der Body. Es sei offensichtlich gewesen, dass die Windel offen war, denn sie selbst habe die Kleine gewickelt und die Windel ordentlich zugemacht. I. schrie, hatte ein rotes Köpfchen und Ängste. Ich stellte fest, dass I. zwei rote Stellen an der Scheide hatte. Ich stellte den Kindesvater zur Rede. Dieser reagierte nicht, sagte nicht ja, nicht nein, grinste, holte sich Essen aus der Küche und sah fern. Er ließ mich stehen."
Nach diesen Geschehnissen sei es zum endgültigen Bruch der Eheleute gekommen. Die Kindesmutter habe in Deutschland die Scheidung eingereicht und einstweilige Verfügungen zur Aufenthaltsbestimmung für die Klägerin und deren Gesundheitsfürsorge erwirkt. Diese Verfügungen seien anschließend in der Schweiz für ungültig erklärt bzw. in einer späteren Entscheidung vom Amtsgericht Naumburg nicht berücksichtigt worden. Der Kindesvater habe von der Schweiz aus am 5. Mai 2004 beim Amtsgericht Naumburg einen Antrag auf Rückführung der Klägerin nach dem Haager Übereinkommen und gleichzeitig ein Schutzgesuch gestellt. Durch Beschluss vom 24. Juni 2004 habe das Amtsgericht Naumburg entschieden, die Klägerin und damit auch die Kindesmutter müssten mit sofortiger Wirkung in die Schweiz zurückgeführt werden. Dem seien sie nachgekommen und hätten bis zum 18. Oktober 2005 in einer kleinen Wohnung in B. gelebt. Während dieser Zeit habe durch eine weitere Anordnung des Schweizer Gerichts W. für die Klägerin ein Ausreiseverbot bestanden, das am 18. Oktober 2005 durch eine weitere Entscheidung dieses Gerichtes aufgehoben worden sei. Sofort im Anschluss daran sei die Kindesmutter mit der Klägerin nach Deutschland zurückgekehrt.
Aufgrund der eherechtlichen Probleme hätten die damaligen Anwälte der Kindesmutter davon abgeraten, Anzeige wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs zu erstatten. Erst am 20. Januar 2005 habe sie, dabei vertreten von ihrem damaligen Schweizer Anwalt H., Strafanzeige bei der Kantonspolizei B. gestellt. Das erste Verhör der Kindesmutter zum sexuellen Missbrauch der Tochter habe am 22. Februar 2005 in B. bei der Staatsanwaltschaft von 10 bis 19:00 Uhr stattgefunden. In einem zweiten Verhör bezüglich sonstiger Straftaten (Tätlichkeiten an der Kindesmutter bei Besuchsterminen, Telefonterror, Beschattungen, Internetstraftaten) sei J. B. vernommen worden. Die Kindesmutter habe nunmehr telefonisch mitgeteilt, dass die Klägerin am 18. Januar 2006 und 2. Februar 2006 begonnen habe, über den sexuellen Missbrauch durch den Kindesvater zu berichten.
Die Staatsanwaltschaft Magdeburg zog ihrerseits den Beschluss der Staatsanwaltschaft B.l-Stadt vom 30. Mai 2006 über die Einstellung des Strafverfahrens gegen J. B. bei. Das dortige Verfahren war wegen sexueller Handlungen mit einem Kind, Pornographie, Drohung, Nötigung und unbefugte Datenbeschaffung, eventuelle Datenbeschädigung und Tätlichkeiten geführt, aber mangels Beweises des Tatbestandes eingestellt worden. Zur Begründung hatte die Staatsanwaltschaft B.-Stadt angegeben, es habe sich der von der Anzeigestellerin (Kindesmutter) geäußerte Verdacht auf sexuelle Handlungen des Angeschuldigten mit seiner Tochter in keiner Weise erhärtet. Weder die umfangreichen über das Kind erstellten Berichte und forensischen Untersuchungen noch die vorhandenen Entscheide in Sachen des Ehepaars B. hätten einen Anhaltspunkt für stattgefundenen sexuellen Missbrauch enthalten. Dem Angeschuldigten könne auch nicht nachgewiesen werden, im Besitz von Kinderpornographie gewesen zu sein. So habe insbesondere auch die durchgeführte Hausdurchsuchung keine derartigen Erzeugnisse zu Tage gefördert. Die Behauptung der Kindesmutter, wonach der Angeschuldigte sie von Februar 2004 bis Januar 2005 im Rahmen eines richtig gehenden "Stalkings" von Drittpersonen habe beschatten lassen, um sie zu ängstigen und unter Druck zu setzen, sei ebenfalls nicht nachgewiesen. Der Angeschuldigte habe sämtliche Vorwürfe bestritten. Die durchgeführten Ermittlungen hätten keinen Hinweis auf das Gegenteil erbracht. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei den Personen, die die Kindesmutter subjektiv als "Agenten" ihres Ehemannes wahrgenommen habe, um zufällig anwesende Passanten gehandelt habe. Desgleichen könne dem Angeschuldigten nicht nachgewiesen werden, sich unbefugten Zugang zu Daten der Kindesmutter beschafft oder solche vernichtet zu haben. Aus den vorhandenen Unterlagen ergebe sich, dass es sich bei den "Manipulationen" an Datenhardware zumindest teilweise um technische und produktbezogene Mängel oder Virenbefall, wie er täglich auftreten könne, gehandelt habe. Was die angeblich vom Angeschuldigten oder seinen "Hintermännern" geöffnete Post der Kindesmutter angehe, so hätten die Untersuchungen der Schweizerischen Post ergeben, dass die festgestellten Beschädigungen eindeutig durch Sortieranlagen und Transport verursacht worden sind. Die Kindesmutter habe ferner angegeben, am 5. Januar 2005 vom Angeschuldigten auf die Schulter geschlagen und ans Bein getreten worden zu sein. Dieser habe dies bestritten und im Gegenteil geltend gemacht, die Kindesmutter habe ihn angerempelt. Mangels objektiver Beweise oder Zeugenaussagen müsse bei dieser Ausgangslage im Zweifel von der Version des Angeschuldigten ausgegangen werden.
In Auswertung dieser Unterlagen hat die Staatsanwaltschaft Magdeburg zunächst mit Beschluss vom 24. August 2006 das Verfahren gegen den Beschuldigten gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt, weil ihm eine strafbare Handlung mit der für die Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nicht nachgewiesen werden könne. Der Tatvorwurf sei nicht zu begründen. Es dürfte sich letztlich wohl eher um Vermutungen der Kindesmutter handeln, die sich im Rahmen der Ermittlungen nicht erhärtet hätten. Auf die Beschwerde der Kindesmutter hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren fortgesetzt und mehrere Zeugen, darunter auch die Kindesmutter I. B., vernommen. Diese hat angegeben:
"Zu dem Zeitpunkt Februar 2004 sind mein Mann und ich regelmäßig zwischen Sch. und der Schweiz hin- und her gependelt. Wir hatten in Sch. eine kleine Wohnung ( ). Zu dem Tatzeitpunkt Februar 2004 haben wir noch nicht über Trennung gesprochen, aber ich hatte so das Gefühl, dass sich mein Mann schon von uns getrennt hatte. Er schlief nicht mehr im Ehebett. Wir hatten auch kaum noch sexuellen Kontakt miteinander. Wenn ich vom Tattag rede, dann meine ich den Februar 2004. Es war abends, ich meine es war so zwischen 17:30 Uhr/18:00 Uhr, genau kann ich mich da aber nicht mehr festlegen. Als ich die I. für das Bett fertig gemacht habe, ich habe sie auch gewickelt, in das Bett gelegt. I. hat auch bereits geschlafen. Als ich zu meinem Mann, welcher in der Stube vor dem Fernseher saß, gegangen bin, um ihm zu sagen, dass ich zu meiner Mutter hochgehe, meine Mutter hat eine Etage über uns gewohnt. Ich hatte meinen Mann noch gefragt, ob er mitkommt, dies hat er jedoch verneint. Zu dem Zeitpunkt, als ich die Wohnung verlassen hatte, saß mein Mann vor dem Fernseher, er war bekleidet. Ich habe mich ca. 10-20 min bei meiner Mutter aufgehalten, als ich dann einen lauten Schrei meiner Tochter gehört habe. Dies war Anlass, sofort in die Wohnung herunter zu rennen. Den Anblick der sich mir dann geboten hat, werde ich wohl nie wieder vergessen. Mein Mann war nackt im Schlafzimmer bei der I. Er hat so halb auf dem Bett gesessen. Die I. hat im Bett gelegen, total verschwitzt, mit hochrotem Kopf und hat ganz laut geschrien. Er ist auch sofort hoch gesprungen, als ob er sich ertappt gefühlt hat. Ich habe dann sofort meine Tochter genommen und festgestellt, dass der Body unten offen war. Die Windel war auf der einen Seite offen, auf der anderen Seite war der Verschluss zu, jedoch sehr unordentlich. Er war so zu, wie ich ihn eigentlich in der Regel nicht zu gemacht habe. Es machte den Eindruck, als ob er schnell zu gemacht wurde. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich I. beruhigt hatte. Dann bin ich mit ihr in das Bad gegangen und habe sie auf den Wickeltisch gelegt. Als ich mit dem Öl den Scheidenbereich der I. gesäubert habe, habe ich plötzlich zwei stecknadelkopfgroße rote Unterblutungen, eine an der Klitoris und eine links an der Schamlippe festgestellt. Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass diese Verletzungen vorher nicht da waren. Denn so zufällig wie ich sie beim Säubern gesehen habe, hätte ich sicher auch bereits vorher feststellen müssen, als ich die I. für den Abend fertig gemacht habe. Diese Verletzungen haben einige Tage angedauert. Ich bin mir aber so ziemlich sicher, dass sie noch da waren, als wir in der Schweiz mit der I. bei der Kinderärztin waren. Wir sind nämlich am 12. Februar in die Schweiz zurückgefahren. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte I. Fieber, mein Mann wollte aber nicht, dass ich mit ihr in Sch. zu einem Arzt gehe. Er wollte auch zunächst nicht, dass ich in der Schweiz mit ihr einen Arzt besuche. Wir sind dann aber gemeinsam, dies hat mich auch gewundert, denn mein Mann ist zuvor nie mit zum Kinderarzt gekommen, zu Frau Dr. H. in I. gefahren. Dort hat sich mein Mann auch sehr eigenartig verhalten. Er hat die Frau H. so in ein Gespräch verwickelt, dass ich letztlich noch fragen musste, ob die I. denn noch untersucht wird. Da sich I. von mir nicht ausziehen lassen wollte, hat mein Mann sie dann noch entkleidet. Ich weiß nur noch, dass die Frau H. später in einem Attest reingeschrieben hat, dass es noch zu einem Zerwürfnis der Eltern gekommen sei. Letztlich hat die Frau Dr. H. diese Verletzungen jedoch nicht gesehen. Ich wollte noch irgendwie darauf aufmerksam machen, dazu ist es jedoch nicht gekommen."
Den von der Kindesmutter im Zusammenhang mit ärztlichen Behandlungen der Klägerin vorgelegten Unterlagen ist zu entnehmen, dass die Klägerin von 2002 bis 2004 von Dr. H., Spezialärztin FMH für Kinder und Jugendliche, I., behandelt worden sei und seit 24. Februar 2004 "mit Unterbrechung CH" von der Kinderärztin Dr. L., M. Mit ärztlichem Bericht vom 6. Mai 2004 an Dr. L. hatte Dr. H. u.a. wörtlich folgendes mitgeteilt:
"Erstmals wurde I. in meiner Praxis im März 2003 im Alter von dreieinhalb Monaten gesehen wegen einmal wöchentlich auftretenden, stundenlangen Nabelkoliken ( ) Am 21.10.2003 im Alter von elf Monaten Konsultationen wegen Ausschlag im Gesicht. Diagnose einer oberen Atemwegsinfektion, schwierigen Dentition und papulösen Dermatitis im Gesicht. Behandlungen mit Kochsalz-Nasentropfen, Premandol-Creme und Fenistil-Tropfen. Am 11.12.2003 Husten, Fieber und Rhinitis. Diagnose: Bracheobronchitis ( ) Am 22.12.2003 Nachkontrolle. Diagnose: Windeldermatitis, die mit Zinksalbe und Gentianaviolett behandelt wurde. Am 29.01.04 Konsultation wegen Ausschlag im Windelbereich seit zwei Wochen. Behandlung: Mycolog-Crème sowie Nystatin-Suspension. Am 16.02.04 Konsultation im Alter von 15 Monaten wegen Fieber bis 40° seit fünf Tagen, unruhigem Schlaf (nach Deutschlandaufenthalt), wässrigem Durchfall, Halsweh und belegter Zunge, Erbrechen. Diagnose einer Gastroenteritis mit leicht reduziertem AZ und ca. 5 % Dehydratation. ( ) Am 18.02.04 Kontrollkonsultation, gutes Trinkverhalten, hat seit dem Vortage nicht mehr erbrochen, der Stuhl ist immer noch flüssig. Klinisch zeigt sie einen guten Allgemein- und Ernährungszustand bei guter Hydratation. Auf eine Hospitalisation wird deshalb verzichtet. ( ) Leider ist es zwischen den Ehepartnern zu einem schweren Zerwürfnis gekommen."
Nach Vernehmung von weiteren fünf Zeugen teilte der Generalstaatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft N. der Mutter der Klägerin am 14. Mai 2009 zum eingestellten Ermittlungsverfahren mit, nach Prüfung des Sachverhaltes keine Veranlassung gefunden zu haben, in Abänderung des angefochtenen Bescheides weitere Ermittlungen, die Erhebung der öffentlichen Klage oder eine sonstige Maßnahme anzuordnen. Die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft in M. entspreche der Sach- und Rechtslage, weil dem Beschuldigten die vorgeworfenen Handlungen nicht nachgewiesen werden könnten. Im vorliegenden Fall seien die entscheidungserheblichen Beweismittel zahlenmäßig überschaubar und ihre Beweiskraft in Bezug auf den Tatnachweis wenig ergiebig: Von den vernommenen Zeugen habe niemand als Augenzeuge einen sexuellen Missbrauch des Kindes beobachtet; der Beschuldigte habe den Tatvorwurf qualifiziert bestritten. Sexuell auffälliges Verhalten von Kindern könne, müsse aber nicht Hinweis auf eine an dem Kind verübte Straftat sein, sofern von sexuell auffälligen Verhaltensweisen bei einem derart jungen Kind überhaupt gesprochen werden könne. Das sprachliche Ausdrucksvermögen sowie der Entwicklungsstand eines kleinstkindlichen Zeugen seien nämlich derart unausgeprägt, dass verwertbare und insbesondere unbeeinflusste Erinnerungen an den Februar 2004 nicht zu erwarten seien. Den Angaben der Kindesmutter zufolge habe die Ärztin Dr. H. Verletzungen im Genitalbereich "nicht gesehen"; darüber hinaus habe der Beschuldigte "so richtig lange Fingernägel eigentlich nicht gehabt". Der anlässlich des Eheschutzverfahrens beteiligte Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst in der Schweiz habe während der "Spielbeobachtung Kindesvater - I." keine Auffälligkeiten, ängstliche Verhaltensweisen pp. festgestellt, die auf einen durch den Beschuldigten verübten sexuellen Missbrauch hindeuten könnten. Die Frage nach Anzeichen, dass das Kind I. psychisch oder physisch misshandelt oder sexuell missbraucht worden sei, habe der Gutachter ausdrücklich verneint. Bei dieser Beweislage sei ein Freispruch am Ende einer Hauptverhandlung deutlich wahrscheinlicher als die Prognose, ein Gericht werde auf Antrag der Staatsanwaltschaft die tatverdächtige Person verurteilen, so dass die Ermittlungen keinen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage böten. Der erste Strafsenat des OLG Naumburg verwarf mit Beschluss vom 8. Januar 2010 (Aktenzeichen 1 Ws [Zs] 369/09) den Antrag der Kindesmutter, entgegen dem Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft N. die Erhebung der öffentlichen Klage zu beschließen, als unzulässig.
Der Beklagte zog die Schwerbehindertenakte der Klägerin bei, wonach dieser seit 29. November 2005 wegen einer psychischen Gesundheitsstörung und spastischen Lähmung der Beine ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 zuerkannt ist. Mit Bescheid vom 3. Februar 2010 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab, da sich nach dem Ergebnis der Sachaufklärung und Prüfung und der Beiziehung der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten kein Schädigungssachverhalt im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG nachweisen lasse. Weder die Kindesmutter noch die weiteren vernommenen Zeugen seien unmittelbare Tatzeugen des von der Kindesmutter geltend gemachten Tatgeschehens gewesen. Auch durch die detailliert vor der Staatsanwaltschaft geschilderten Ereignisse, insbesondere zu der Situation im Februar 2004, habe Herrn J. B. die Tat nicht nachgewiesen werden können. Aus den Darlegungen der anderen vernommenen Zeugen habe lediglich ein zum Teil verändertes Verhalten der Klägerin festgestellt werden können, es habe sich aber kein Nachweis ergeben, um dem Beschuldigten die angezeigte Tat nachzuweisen.
Hiergegen hat die Klägerin, dabei anwaltlich vertreten, mit ihrem am 5. März 2010 eingelegten Widerspruch geltend gemacht, es treffe zwar zu, dass es für die jeweiligen Tathandlungen keine Zeugen außer dem Täter und dem Opfer gebe. Allerdings sprächen die Situationen und auch die Verhaltensweisen des Vaters und der Tochter, sowie auch der von behandelnden Ärzten und Einrichtungen mehrfach geäußerte Verdacht auf einen stattgehabten sexuellen Missbrauch, unmissverständlich für eine Tatbegehung. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück: Ein sexueller Missbrauch an I. sei nach wie vor nicht nachgewiesen. Es handele sich hier lediglich um einen Verdacht der Mutter, der aber nicht erwiesen sei. Die Staatsanwaltschaft habe das in diesem Zusammenhang eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten mit Bescheid vom 25. Februar 2009 eingestellt. Die Beschwerde gegen die Verfahrenseinstellung sei von der Generalstaatsanwaltschaft N. ablehnend beschieden und die daraufhin beantragte gerichtliche Entscheidung über die Erhebung der Klage vom Oberlandesgericht N. verworfen worden. Auch ein von der Staatsanwaltschaft in Basel diesbezüglich eingeleitetes Ermittlungsverfahren sei wegen mangelnder Beweise eingestellt worden. Für eine Anwendung der Beweiserleichterung im Sinne des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), wonach die Glaubhaftmachung von Tatsachen möglich ist, wenn nach den gegebenen Umständen die Überzeugung der Behörde zu gewinnen sei, dass die Angaben des Antragstellers den Tatsachen entsprechen, bleibe hier kein Raum. Denn aufgrund des Alters von I. zum Zeitpunkt der angeschuldigten Missbrauchsereignisse könne sie keine verwertbare Aussage machen.
Mit ihrer am 18. November 2010 vor dem Sozialgericht Magdeburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und von ihrer Prozessbevollmächtigten vortragen lassen, es sei fehlerhaft, die Glaubhaftmachung der Tatsachen allein deswegen auszuschließen, weil das betroffene Kind zum Zeitpunkt des Missbrauchs noch nicht in einem aussagefähigen Alter gewesen sei. Bereits im Alter von 3 bis 4 Jahren habe die Klägerin Handlungen des Kindsvaters beschrieben. Das tue sie auch heute noch ganz plötzlich und unerwartet, wenn zum Beispiel in der Schule über die Familie gesprochen werde oder der Vater gemalt werden solle. So erzähle die Klägerin, dass der "Papa" ihr wehgetan habe und zeige dabei auf ihr Geschlecht. Ebenso habe sie nach wie vor riesengroße Angst vor Herrn B. Regelmäßig äußere sie Befürchtungen, zum Vater reisen zu müssen. Es sei zu fragen, warum ein so kleines Mädchen so detaillierte Aussagen über das Geschehen mit ihrem Vater mache, wenn es nicht der Wahrheit entspreche. Außerdem zeige die Klägerin zahlreiche Verhaltensweisen, die eindeutig auf einen sexuellen Missbrauch hinwiesen. Ende Dezember 2004 sei die Klägerin der Physiotherapeutin G. zugewiesen worden, die mehrere außergewöhnliche Verhaltensauffälligkeiten in einem Bericht festgehalten habe. So werde bei der Klägerin durch eine bloße Berührung Angst ausgelöst, ebenso bei schnellen Annäherungen. Ein Kontrollverlust während des Spielens sei ebenfalls mit großer Angst verbunden. Besonders ausgeprägt sei die Angst bei einem Verlust ihrer Kontaktperson, der Mutter. Im Vergleich zu anderen Kindern sei die Intensität der Angst bei der Klägerin außergewöhnlich. So reagiere sie ohne Vorwarnung sehr stark, fast panikartig mit Weinen und Nein-Rufen. Auch habe die Klägerin plötzlich ihren Schlüpfer nicht mehr tragen wollen und ihn ausgezogen, was in Übrigen auch noch Jahre später vorgekommen sei. Da die Physiotherapeutin festgestellt habe, dass die Ängste der Klägerin nicht aus ihrer motorischen oder kognitiven Entwicklung hervorgegangen seien, sei für diese (die Physiotherapeutin) klar gewesen, dass die Klägerin eine Form von Gewalt am eigenen Körper erlebt haben musste. Zu diesem Zeitpunkt war sie zwei Jahre alt. Es sei zu fragen, warum ein Kind in diesem Alter über derartige Verhaltensauffälligkeiten verfüge, wenn es nicht im Vorfeld den behaupteten Missbrauch erlitten habe. Ein Kind in diesem Fall Alter verstehe noch nichts von sexuellen Handlungen, sondern reagiere nur auf erlittene Schmerzen und Erlebnisse. Auch äußere die Klägerin immer wieder von sich aus, oft aus dem Zusammenhang gerissen, dass ihr Papa ihr wehgetan habe. Dabei zeige sie zwischen ihre Beine. Solche Äußerungen habe sie auf Geschäftsessen mit der Mutter oder auf Kindergeburtstagen gemacht. Nach einem Schulwechsel habe sie bereits in den ersten Tagen des Kennenlernens ihren Mitschülern von den Missbrauchserlebnissen mit ihrem Vater erzählt. Nicht nur die Mitschüler und die Lehrer seien über die Erzählungen entsetzt gewesen, auch der Schulleiter habe unmittelbar danach das Gespräch mit der Kindesmutter gesucht. Nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Schulleiter, der sodann die Lehrer und Mitschüler mit diesem Thema konfrontiert habe, habe der normale Schulalltag für die Klägerin eintreten können. Nach wie vor, viele Jahre später, könne sich die Klägerin an die Handlungen des Kindsvaters erinnern und müsse diese durch Kundtun nach außen für sich verarbeiten. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass ein erlittener Missbrauch im jüngsten Kindesalter zu dramatischen Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten des Kindes führen könne. Genau diese Entwicklungsstörungen, insbesondere Ängste, Wutausbrüche und wechselhaftes Verhalten habe die Klägerin im Laufe ihrer Entwicklung gezeigt.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 30. Mai 2013 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 1 Abs. 1 OEG erhalte derjenige wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), der im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines rechtswidrigen, vorsätzlichen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Das Gericht habe sich nicht mit der erforderlichen an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen eines rechtswidrigen vorsätzlichen Angriffs auf die Klägerin überzeugen können. Aufgrund der unterschiedlichen Aussagen der Eltern der Klägerin sei ein tätlicher Angriff nicht nachgewiesen. Einen Angriff habe zwar die Kindesmutter bekundet, dies basiere jedoch nur auf Vermutungen, weil die Mutter bei den mutmaßlichen Tathandlungen nicht zugegen gewesen sei. Von den im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen habe niemand als Augenzeuge einen sexuellen Missbrauch der Klägerin beobachtet. Bei der Geltendmachung von Ansprüchen nach dem OEG liege die objektive Beweislast für den Nachweis der anspruchsbegründenden Tatsachen, darunter auch das Vorliegen eines rechtswidrigen vorsätzlichen tätlichen Angriffs bei dem, der den Anspruch geltend macht, das sei hier die Klägerin. Die Vermutungen der Mutter ließen sich nicht beweisen. Die umfangreichen über die Klägerin erstellten Berichte enthielten keinen Beweis für einen stattgehabten Missbrauch. Verletzungen im Genitalbereich seien nicht festgestellt worden. Das Vorbringen der Mutter werde weder durch medizinische Befunde bewiesen noch glaubhaft gemacht. Der anlässlich des Eheschutzverfahrens beteiligte Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst in der Schweiz habe keine Anzeichen dafür festgestellt, dass die Klägerin psychisch und physisch misshandelt oder sexuell missbraucht worden sei. Nach dem Bericht der Uniklinik L. vom 24. April 2008 seien die beschriebenen Symptome Ausdruck einer tiefen Verunsicherung des Kindes als Folge eines schwerwiegenden, lang anhaltenden Familienkonflikts. Es handele sich dabei um eine emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindes sowie eine beginnende Störung des Sozialverhaltens mit starken Wutanfällen. Da Ursache der Erkrankung der Klägerin nicht ein Missbrauch sein muss, sondern ebenso der lang anhaltende Familienkonflikt Auslöser der Erkrankungen sein könne, sei ein Nachweis eines Angriffs mit einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht erbracht. Die Klägerin könne den behaupteten tätlichen Angriff auch nicht gemäß § 15 KOVVfG glaubhaft machen, denn sie könne keine Angaben aus eigenem Wissen machen. Eine Aussagekompetenz für den Zeitpunkt im Februar 2004 sei bei der Klägerin zu verneinen, wie der Diplom-Psychologe Dr. T. in seiner aussagepsychologischen Stellungnahme vom 2. Mai 2008 im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren angegeben habe. Zum Zeitpunkt der möglichen Tat sei die Klägerin ein Jahr und drei Monate alt gewesen. Die von der Mutter behaupteten Erinnerungen der Klägerin an den Missbrauch seien aufgrund der Untergrenze des autobiografischen Gedächtnisses von etwa 3 bis 4 Jahren auf fremdinduzierte Scheinerinnerungen zurückzuführen. Deshalb sei die Aussage der Klägerin selbst kein taugliches Beweismittel.
Das ihr am 3. Juli 2013 zugestellte Urteil greift die Klägerin mit der am 2. August 2013 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt in Halle erhobenen Berufung an. Sie trägt vor, das SG sei aufgrund einer falschen Beweiswürdigung zur Klageabweisung gelangt. Die Aussage der Kindesmutter, die den Kindesvater nach der entsprechenden Tat ertappt habe, sei nicht ausreichend gewürdigt worden. Das Kind habe schreiend, mit hochrotem Kopf und einer seitlich geöffneten Windel neben dem Kindsvater auf dem Bett gelegen und kleine Wunden an der Scheide aufgewiesen. Der Kindesvater habe, als er auf den Vorgang angesprochen worden sei, darüber gelächelt und später erklärt, schon einmal seine Schwester missbraucht zu haben. Ebenso wenig seien die Aussagen der Zeuginnen I. B. und R. S. berücksichtigt worden, die ähnliche Verletzungen der Klägerin bereits im Oktober 2003 festgestellt hätten. Auch damals habe sich Herr B., wiederum fast nackt, neben seiner auf dem Bett liegenden weinenden Tochter befunden. Das SG habe ferner nicht das dargestellte kindliche Verhalten nach den Missbräuchen berücksichtigt. Stattdessen sei der Kindesmutter im Erörterungstermin beim SG vorgeworfen worden, sie habe der Klägerin den Missbrauch eingeredet. Zudem habe das SG zu Unrecht die problematische Entwicklung der Klägerin auf die schwierige Trennung der Eltern zurückgeführt. Dass sich Veränderungen im Verhalten der Klägerin bereits vorher gezeigt hätten, sei nicht gewürdigt worden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 30. Mai 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 3. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigung von mindestens 30 ab 6. Juni 2007 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Bescheide für zutreffend und verweist im Übrigen auf die nach seiner Überzeugung zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Urteils.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Ferner lagen in der mündlichen Verhandlung und anschließend Beratung die Schwerbehindertenakte der Klägerin vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 3. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2010 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. mit dem BVG wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch in den Jahren 2002 bis 2004.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält eine natürliche Person, die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG besteht aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.
Als tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt. Der tätliche Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zeichnet sich durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein. In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern i.S. von § 176 Strafgesetzbuch (StGB) versteht das Bundessozialgericht den Begriff des tätlichen Angriffs aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG weiter. Insoweit ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der Senat anschließt, allein entscheidend, dass die Begehungsweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat darstellen. Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind. Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Urteil vom 17. April 2013, B 9 V 1/12 R; vom 7. April 2011, B 9 VG 2/10 R und vom 29. April 2010, B 9 VG 1/09 R m.w.N. - juris -).
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) in Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Eine Sache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, das alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG bzw. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, das heißt der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Urteile vom 24. November 2010, B 11 AL 35/09 R und vom 17. April 2013, B 9 V 1/12 R; Beschluss vom 8. August 2001, B 9 V 23/01 B - juris -).
Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgungsleistungen wegen der Folgen sexuellen Missbrauchs. Nach der Auffassung des Senats ist ein tätlicher Angriff auf die Klägerin nicht bewiesen.
Grundsätzlich müssen, wie oben dargestellt, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein. Die vorgetragenen sexuellen Misshandlungen in den Jahren 2002 bis 2004 sind nicht bewiesen. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG, das sich seinerseits auf die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft B.-Stadt und M. gestützt hat, wird verwiesen.
Ergänzend ist auszuführen: Unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhaltes, wie er sich aus den Akten und den von der Mutter der Klägerin vorgelegten Unterlagen ergibt, ist der Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs des Kleinstkindes nicht nur nicht bewiesen, sondern unglaubhaft. Nicht nachvollziehbar ist die Tatsache, dass die Klägerin die Tat oder die Taten nicht zeitnah angezeigt hat, spätestens im Februar 2004, sondern erst Anfang 2005, als sie sich noch in der Schweiz befand und vor Gericht um die Wiedererlangung der Ausreisemöglichkeit mit der Klägerin kämpfte. Aber auch im Falle des Unterlassens einer zeitnahen Strafanzeige, was mit einer gewissen Rücksichtnahme auf die im Februar vielleicht noch nicht vollständig zerrüttete Ehebeziehung erklärbar wäre, hätte die Kindesmutter unter Beachtung ihrer Fürsorgepflicht auf eine angemessene medizinische Behandlung der bei dem Missbrauch im Scheidenbereich angeblich aufgetretenen Verletzungen drängen müssen. Es haben aber keine solchen Behandlungen stattgefunden, nicht bei Dr. H. und auch nicht bei Dr. L., bei denen sich die Klägerin seit März 2003 (bei Dr. L. seit 24. Februar 2004) in teils engmaschiger Kontrolle befunden hat. Verletzungen der von der Kindesmutter angegebenen Art im Scheidenbereich des Kindes sind nicht dokumentiert worden, was durchaus mit der Tatsache korrespondiert, dass es auch keine unmittelbaren Augenzeugen für sexuellen Missbrauch an dem zur angeblichen Tatzeit 15 Monate alten Kleinstkind gibt. Aktenkundig sind lediglich eine Windeldermatitis, festgestellt am 22. Dezember 2013 durch Dr. H., und ein am 29. Januar 2004 von derselben Ärztin behandelter "Ausschlag im Windelbereich".
Gemäß § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG anzuwenden. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (Satz 1 der Vorschrift). Angaben der zum angegebenen Tatzeitpunkt 15 Monate alten Klägerin sind hier aber nicht zu berücksichtigen. Denn das autobiographische Gedächtnis enthält in aller Regel keine Erinnerungen an die ersten drei Lebensjahre. Dieses Phänomen wird als infantile Amnesie bezeichnet, worauf das SG zutreffend unter Hinweis auf das aussagepsychologische Gutachten von Dr. T. hingewiesen hat. Nur hilfsweise ist zu ergänzen, dass auch die Angaben der Kindesmutter, sofern sie nach dem Maßstab des § 6 Abs. 3 OEG zu prüfen wären, kein anderes Ergebnis bringen. Denn sie hat die fragliche Tat nicht gesehen, sondern selbst nur aus Begleitumständen gefolgert. Aber auch die Begleitumstände (sonderbares Verhalten des Kindesvaters, einschlägige Verletzungen der Klägerin) sind entweder bestritten oder nicht nachprüfbar festgestellt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).