Hessisches Landessozialgericht - L 9 AS 601/10 - Urteil vom 29.10.2012
Der Anspruch auf Übernahme der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung einschließlich der Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts für ein isoliertes Widerspruchsverfahren nach § 63 Abs. 1 SGB X steht nur dem Mandanten - hier: dem Kläger - gegenüber dem Beklagten, nicht dagegen dem Rechtsanwalt im eigenen Namen zu.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine von dem Beklagten erklärte Aufrechnung. Der Kläger bezieht von dem Beklagten ergänzende Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit bestandskräftigem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 25. Februar 2009 forderte der Beklagte von dem Kläger die Erstattung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 760,69 Euro. In einer anderen Angelegenheit half der Beklagte einem Widerspruch des Klägers mit Abhilfebescheid vom 20. Mai 2010 ab und erklärte sich bereit, die Kosten des Widerspruchsverfahrens dem Grunde nach zu übernehmen. Mit Kostenrechnung vom 25. Februar 2010 machten die Bevollmächtigten des Klägers Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 309,40 Euro geltend. Mit Schreiben vom 25. Juni 2010 teilte der Beklagte dem Kläger und seinen Bevollmächtigten mit, dass die Kosten in Höhe von 309,40 Euro grundsätzlich erstattungsfähig seien, dieser Anspruch aber gegen die Forderung aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 25. Februar 2009 aufgerechnet werde.
Nach erfolgloser Zahlungsaufforderung an den Beklagten hat der Kläger am 16. Juli 2010 beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Er hält die Aufrechnung für unzulässig, da sie dazu führe, dass Hilfebedürftige keinen Rechtsschutz mehr erlangen könnten. Die Aufrechnung verstoße gegen § 394 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und § 54 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Der Beklagte hat vorgetragen, die Aufrechnung sei zulässig. § 54 SGB I sei nicht anwendbar.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 14. September 2010 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klage sei als isolierte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet. Der Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Zahlung von 309,40 Euro sei nach § 389 BGB durch Aufrechnung erloschen. Die Voraussetzungen einer Aufrechnung nach den § 387 ff. BGB lägen vor. Es handele sich um gegenseitige Forderungen. Der Beklagte sei Schuldner der Hauptforderung (dem Anspruch auf Kostenerstattung) und Gläubiger der Erstattungsforderung aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 25. Februar 2009. § 9 Satz 2 Beratungshilfegesetz (BerHG), wonach der Anspruch auf die Vergütung des Rechtsanwalts auf diesen übergehe, wenn der Gegner verpflichtet sei, die Kosten der Wahrnehmung seiner Rechte zu ersetzen, greife nicht ein. Beratungshilfe habe der Kläger zwar beantragt, bisher aber nicht erhalten. Eine Abtretung sei ebenfalls nicht erfolgt. Die Forderungen seien als Ansprüche auf Geld gleichartig. Die Forderung des Beklagten aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 25. Februar 2009 sei wirksam und fällig. Der Bescheid sei bestandskräftig geworden. Die Hauptforderung, also die Forderung des Klägers aus § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), sei auch erfüllbar. Die Aufrechnung habe der Beklagte mit Schreiben vom 25. Juni 2010 erklärt. Diese Erklärung sei dem Kläger auch zugegangen, da der Klägervertreter zum Empfang von Willenserklärungen berechtigt gewesen sei.
Der Aufrechnung stehe auch nicht § 43 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) entgegen. Nach dieser Vorschrift könnten Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zu einem Betrag in Höhe von 30 Prozent der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung mit Ansprüchen der Träger von Leistungen nach diesem Buch aufgerechnet werden, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung oder auf Schadensersatz handele, die der Hilfebedürftige durch vorsätzliche oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst habe. Bei den begehrten 309,40 Euro handele es sich um einen Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X und nicht um Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne dieser Vorschrift.
Ebenso wenig stehe der Aufrechnung § 51 i.V.m. § 54 SGB I entgegen. Nach § 51 Abs. 1 SGB I könne der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen des Berechtigten aufrechnen, soweit diese Ansprüche nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar seien. Geldleistungen im Sinne dieser Vorschrift seien die Leistungen der §§ 11, 18 bis 29 SGB I (BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 KR 21/03 R -). Dazu sei es erforderlich, dass es sich um Sozialleistungen nach § 11 SGB I handele. Der Begriff der Sozialleistung werde unterschiedlich ausgelegt. Die konkrete Frage, ob es sich bei dem Anspruch auf Erstattung der Kosten eines Vorverfahrens nach § 63 SGB X um eine Sozialleistung handele, habe das BSG zunächst ausdrücklich offen gelassen (Urteil vom 15. Oktober 1984 - 11 RA 28/84 -), dann aber dahingehend entschieden, dass es sich nicht um eine Sozialleistung handele (Urteil vom 24. Juli 1986 - 7 RAr 86/84 -). Diese Auffassung sei vorzugswürdig. Aus dem Wortlaut des § 11 SGB I ("Gegenstand der sozialen Rechte ") sei bereits erkennbar, dass ein Bezug zu den sozialen Rechten erforderlich sei. Dies werde auch durch die Gesetzesbegründung gestützt. Danach seien unter einer Sozialleistung alle Vorteile zu verstehen, die nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches zur Verwirklichung sozialer Rechte dem Einzelnen zu Gute kommen sollen (BT-Drucks. 7/868 S. 24). Der Kostenerstattungsanspruch diene weder unmittelbar noch mittelbar der Verwirklichung der sozialen Rechte. Er bezwecke allein, das rechtswidrige Handeln des Leistungsträgers angemessen auszugleichen. Dies erfolge durch Übernahme der zur Durchsetzung der Sozialleistung notwendigen Kosten. Das Ziel der Verwirklichung von sozialen Rechten werde hingegen allein durch die Bewilligung der begehrten Leistung im Widerspruchsverfahren erreicht. Bekäme der Widerspruchsführer nur die Kosten für das Verfahren ersetzt, wäre er auf dem Weg zur Durchsetzung seines sozialen Rechts keinen Schritt weiter gekommen. Der Kostenerstattungsanspruch sei also bloße Folge der Durchsetzung eines sozialen Rechts, diene aber nicht zur Verwirklichung solcher Rechte.
Der Beklagte habe die Aufrechnung auch nicht durch Verwaltungsakt erklären müssen. Ob eine Verrechnung nach § 52 SGB I durch Verwaltungsakt zu erklären sei, sei eine Frage, die dem Großen Senat des BSG vorliege (Vorlagebeschluss vom 25. Februar 2010 - B 13 R 76/09 R -). Dabei werde vertreten, dass zur Erklärung der Verrechnung ein Verwaltungsakt erforderlich sei, da ansonsten die Regelung des § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X, wonach eine Anhörung bei einer Aufrechnung oder Verrechnung gegen Forderungen von weniger als 70,00 Euro nicht erforderlich sei, nicht nachvollziehbar wäre. Daraus schließe der 13. Senat in dem zitierten Beschluss, dass damit der Gesetzgeber für den Bereich des Sozialrechts die Handlungsform "Verwaltungsakt" vorgegeben habe. Der 4. Senat vertrete hingegen die Auffassung, dass eine Verrechnungserklärung durch einfache Erklärung erfolgen könne (BSG, Beschluss vom 22. September 2009 - B 4 SF 1/09 S). Es liege zunächst nahe, diese Diskussion auch auf die Aufrechnung zu übertragen, auch wenn der 4. Senat an der Vergleichbarkeit Zweifel anmelde. Trotz der einheitlichen Regelung von Aufrechnung und Verrechnung durch Verweis in § 52 SGB I auf § 51 SGB I sei aber ein wesentlicher Unterschied zu bedenken. Eine Verrechnung erfolge immer nur durch einen Sozialleistungsträger, während die Möglichkeit der Aufrechnung auch dem Versicherten oder Hilfebedürftigen zur Verfügung stehe. Für einige Aufrechnungen im Bereich des Sozialrechts komme daher eine Erklärung durch Verwaltungsakt von vornherein nicht in Betracht. Die Aufrechnungen des Hilfebedürftigen ließen sich auch nicht an § 51 SGB I messen, sondern unterlägen allein den Voraussetzungen der Aufrechnung nach dem BGB. Ebenso gelte, dass Aufrechnungen von Sozialleistungsträgern, für die § 51 SGB I - wie hier - keine Anwendung finde, nicht zwingend unter den Anwendungsbereich von § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X fallen müssten. Zwar unterscheide diese Norm nicht wie § 51 SGB I danach, ob es sich um Sozialleistungen oder andere Ansprüche handele, doch sei, wenn der Schluss gezogen werde, dass Aufrechnungen nach § 51 SGB I durch Verwaltungsakt erfolgen müssten, die Existenz des § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X als zwingendes Argument verbraucht. Für Aufrechnungen, die sich allein auf das Zivilrecht stützten, treffe die Vorschrift dann keine Aussage mehr.
Letztlich komme dann nur noch eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung als für diesen Fall rechtmäßige Handlungsweise des Beklagten in Betracht (im Ergebnis ebenso BSG, Urteil vom 15. Dezember 1994 - 12 RK 69/93 -). Für einen Verwaltungsakt fehle es an der notwendigen Rechtsgrundlage. Diese wäre aber auch für eine Aufrechnungserklärung erforderlich, da das Erlöschen der Forderung des Einzelnen gegen die Behörde eine Belastung des Einzelnen sei. § 51 SGB I könne dafür nicht herangezogen werden, da er von seinen Voraussetzungen her nicht eingreife (s.o.). Die Aufrechnung habe auch nicht deshalb Verwaltungsaktsqualität, weil sie mit der Vollziehung eines Verwaltungsakts vergleichbar wäre (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1982 - 3 C 6/82 -). Die §§ 387 ff. BGB kämen als Ermächtigungsgrundlage für einen Verwaltungsakt nicht in Betracht. Allerdings seien sie Rechtsgrundlage für die öffentlichrechtliche Aufrechnungserklärung der Behörde. Der Beklagte habe also die Aufrechnung durch einfache Willenserklärung erklären können. Eines Verwaltungsaktes habe es nicht bedurft. Aus diesem Grunde sei auch keine Anhörung erforderlich gewesen.
Anhaltspunkte für eine Treuwidrigkeit der Aufrechnung bestünden nicht. Die Aufrechnung widerspreche auch nicht Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG - (vgl. BFH, Beschluss vom 30. Juli 1996 - VIIb 7/96 -). Das Grundgesetz setze in diesem Artikel und auch in Art. 3 Abs.1 i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG voraus, dass eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes erfolge (ständige Rechtsprechung, z. B. BVerfG, Beschluss vom 11. Mai 2009 - 1 BvR 1517/08 - ; BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 -). Diese Angleichung müsse auch im Widerspruchsverfahren erfolgen, ohne das der gerichtliche Rechtsschutz regelmäßig gar nicht zu erreichen sei. Dazu diene das Beratungshilfegesetz. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen würden durch dieses Gesetz auch ausreichend umgesetzt (BVerfG, Beschluss vom 11. Mai 2009 s. o.). Es könne für dieses Verfahren dahinstehen, ob die Beobachtung des Klägervertreters, Beratungshilfe würde durch das Amtsgericht erst bewilligt, wenn sich ergeben hätte, dass kein Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Leistungsträger bestehe, richtig sei. Die Frage, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe vorgelegen haben, sei hier nicht streitgegenständlich. Das entstehende Problem, dass Hilfebedürftige, gegen die noch eine Forderung des zuständigen SGB II-Trägers bestehe, keinen Rechtsanwalt fänden, da die Bezahlung aufgrund der drohenden Aufrechnung nicht gesichert sei, sei jedenfalls im Rahmen des Beratungshilfegesetztes zu lösen. Es sei nicht Aufgabe der Sozialleistungsträger, die Kosten für die Angleichung des Rechtsschutzes zwischen Bemittelten und Unbemittelten zu übernehmen. Sollte eine Lösung nach dem Wortlaut nicht möglich sein, bedürfe es einer verfassungskonformen Auslegung bzw. einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht. Die Kammer verkenne dabei nicht, dass eine solche Vorgehensweise dazu führen würde, dass der Kläger über die Beratungshilfe die Kosten seines Rechtsanwalts (teilweise) erhalte und zusätzlich durch die Aufrechnung ein Teil der Forderung des Beklagten gegen ihn erlösche. Dies sei aber hinzunehmen.
Gegen das dem Kläger am 26. Oktober 2010 zugestellte Urteil hat dieser durch seine Bevollmächtigten am 28. Oktober 2010 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung haben die Bevollmächtigten ausgeführt, die von dem Beklagten erklärte Aufrechnung sei unwirksam. Die durch den Abhilfebescheid vom 20. Mai 2010 getroffene Entscheidung könne nicht einfach durch Aufrechnung aufgehoben werden. Soweit das Sozialgericht ausgeführt habe, die Aufrechnungserklärung sei kein Verwaltungsakt, sondern eine einfache Willenserklärung, könne dem nicht gefolgt werden, weil eine einfache Willenserklärung eine Verwaltungsentscheidung nicht aufheben könne. Auch lägen die Voraussetzungen der §§ 387 ff. BGB nicht vor. So fehle es entgegen der Auffassung des Sozialgerichts an der Gleichartigkeit der Ansprüche. Die Forderung des Beklagten aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei auf eine Geldzahlung gerichtet; der Anspruch des Klägers, gegen den aufgerechnet werde, richte sich aber auf Freistellung von einer Verbindlichkeit, nämlich der Kostenerstattung. Abgesehen von der fehlenden Gleichartigkeit hätte der Beklagte die Kostenentscheidung förmlich aufheben müssen. Hierzu hätte ein Aufhebungs- oder Rücknahmegrund nach den Vorschriften des SGB X gegeben sein müssen; dies sei aber nicht der Fall. Außerdem sei es für die Arbeit eines Rechtsanwalts nicht hinnehmbar, auf die Kostengrundentscheidung der Sozialbehörde nicht mehr vertrauen zu können. Auch stünde § 43 SGB II vorliegend einer Aufrechnung entgegen. Schließlich handele es sich entgegen der Auffassung des Sozialgerichts bei dem Anspruch auf Kostenübernahme um eine Sozialleistung.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 14. September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an ihn - den Kläger - zu Händen seiner Bevollmächtigten auf deren Konto 309,40 Euro auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung seines Antrages auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Die Kostengrundentscheidung sei entgegen der Ausführungen in der Berufungsbegründung nicht aufgehoben worden. Da sie nicht zu beanstanden sei, bestehe dazu auch kein Anlass. Infolge der durchgeführten Aufrechnung habe der Kläger lediglich keinen Anspruch mehr, dass aufgrund der Kostengrundentscheidung an ihn Geld ausgezahlt werde. Die Forderungen seien auch gleichartig im Sinne des § 387 BGB. Dies sei im erstinstanzlichen Urteil zutreffend festgestellt worden. Bei dem Kostenerstattungsanspruch des Klägers handele es sich nämlich um keinen Schuldbefreiungsanspruch, sondern ebenfalls um einen Zahlungsanspruch. Dies ergebe sich aus § 63 SGB X. Dort sei von der Erstattung von Kosten, also der Zahlung von Geld, und nicht von der Befreiung von einer Verbindlichkeit die Rede.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufung ist zulässig. Zwar wird der Beschwerdewert von mehr als 750,00 Euro nicht erreicht (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), das Sozialgericht hat aber die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).
Die danach zulässige Berufung ist aber nicht begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 14. September 2010 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Diese ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig. Nach dieser Vorschrift kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Zwar hat der Beklagte über den Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens durch Verwaltungsakt (Abhilfebescheid vom 20. Mai 2010) entschieden. Vorliegend wendet sich der Kläger aber nicht gegen den Abhilfebescheid vom 20. Mai 2010, sondern begehrt die Auszahlung der festgesetzten Kosten. Wird nicht über Höhe und Umfang eines Anspruchs, sondern lediglich über die Auszahlung der Leistung gestritten, ist die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG als zulässig anzusehen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 1990 - 4 RA 47/88 - BSGE 67, 143 m.w.N.). In dem Klagebegehren kann nicht gleichzeitig die Erhebung einer Anfechtungsklage gesehen werden, da der Beklagte die Aufrechnung nicht durch Verwaltungsakt verfügt hat. Das Schreiben des Beklagten vom 25. Juni 2010 enthält allein eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung und kann auch nicht als Formverwaltungsakt verstanden werden (zum Formverwaltungsakt vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 4 R 71/06 R - BSGE 97, 63).
Die danach zulässige Klage ist aber unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Auszahlung der Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von insgesamt 309,40 Euro.
Anspruchsinhaber ist vorliegend der Kläger, nicht dagegen sein Bevollmächtigter. Der Anspruch auf Übernahme der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung einschließlich der Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts für ein isoliertes Widerspruchsverfahren nach § 63 Abs. 1 SGB X steht nur dem Mandanten - hier: dem Kläger - gegenüber dem Beklagten, nicht dagegen dem Rechtsanwalt im eigenen Namen zu (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. April 2012 - L 19 AS 312/12 B -). Die Voraussetzungen des § 9 Satz 2 BerHG, wonach der Anspruch auf die Vergütung des Rechtsanwalts auf diesen übergeht, wenn der Gegner verpflichtet ist, die Kosten der Wahrnehmung seiner Rechte zu ersetzen, liegen nicht vor. Denn dem Kläger ist Beratungshilfe (bisher) nicht gewährt worden. Der Kläger hat seinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens auch nicht an seinen Bevollmächtigten abgetreten.
Die Erstattungsforderung ist durch Aufrechnung entsprechend § 389 BGB erloschen.
Die Vorschriften der §§ 387 ff. BGB sind auch im öffentlichen Recht anwendbar (BSG, Urteil vom 25. August 1961 - 1 RA 233/59 - BSGE 15, 36; Urteil vom 15. Dezember 1994 - 12 RK 69/93 - BSGE 75, 283; BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1982 - 3 C 6/82 - BVerwGE 66, 218). Nach § 387 BGB kann, soweit zwei Personen einander Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teiles aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Die Aufrechnung ist die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts und erfolgt in der Regel durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Die Aufrechnungserklärung ist eine Handlung, die der Erfüllung der eigenen Verbindlichkeit dient und dabei gleichzeitig die Befriedigung der eigenen Forderung bewirkt. Die Erklärung wird ohne Rücksicht darauf, ob die Aufrechnung seitens des Bürgers oder seitens der Behörde erfolgt und ob mit einer privatrechtlichen gegen eine öffentlich-rechtliche, mit einer öffentlich-rechtlichen gegen eine privatrechtliche oder mit einer öffentlich-rechtlichen gegen eine öffentlichrechtliche Forderung aufgerechnet wird, nicht aus einer hoheitlichen Position, sondern auf einer gleichgeordneten rechtlichen Ebene abgegeben (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1982 s. o.).
Die von dem Beklagten gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 25. Juni 2010 erklärte Aufrechnung, die dem Kläger über seinen Bevollmächtigten zugegangen ist, ist wirksam. Die Aufrechnungslage ist gegeben. Es handelt sich um gegenseitige Forderungen. Der Beklagte ist Schuldner der Hauptforderung (dem Anspruch auf Kostenerstattung) und Gläubiger der Gegenforderung (Erstattungsforderung aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 25. Februar 2009). Die Forderungen sind entgegen der Auffassung des Klägers auch gleichartig. Das Erfordernis der Gleichartigkeit von Haupt- und Gegenforderung bezieht sich auf den Gegenstand der Leistung und beschränkt die Aufrechnung im Wesentlichen auf beiderseitige Geldforderungen (Grüneberg in: Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 387 Rdnr. 9). Sowohl der Erstattungsanspruch des Beklagten als auch der Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens sind auf Geld gerichtet. Für den Anspruch des Klägers folgt dies schon aus dem Wortlaut des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wonach ein Anspruch auf Erstattung notwendiger Aufwendungen besteht. Darunter fallen die Kosten eines Bevollmächtigten, die sich in Gebühren und Auslagen unterteilen (vgl. Roos in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 63 Rdnr. 12). Dass der Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X auf Geld gerichtet ist, ergibt sich außerdem aus dem Charakter des Anspruchs als Schadensersatzanspruch gegen die sich nicht rechtmäßig verhaltende Behörde nach erfolgreichem Widerspruch (vgl. Roos s. o. § 63 Rdnr. 8). Sowohl die Hauptforderung des Klägers aus dem Abhilfebescheid des Beklagten vom 20. Mai 2010 als auch die Gegenforderung des Beklagten aus dem bestandskräftigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 25. Februar 2009 sind auch fällig und erfüllbar.
Entgegen der Auffassung der Bevollmächtigten des Klägers wird durch die Aufrechnungserklärung nicht die mit Abhilfebescheid vom 20. Mai 2010 getroffene Kostenentscheidung aufgehoben. Die Aufrechnung bewirkt vielmehr, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB).
§ 394 BGB steht der Aufrechnung nicht entgegen. Nach Satz 1 dieser Vorschrift findet, soweit eine Forderung der Pfändung nicht unterworfen ist, die Aufrechnung gegen die Forderung nicht statt. Die Forderung des Klägers ist nicht unpfändbar i. S. dieser Vorschrift. Pfändungsverbote ergeben sich insbesondere aus §§ 850a bis 850i, 852, 859 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 860 und 863 Zivilprozessordnung - ZPO - (vgl. Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl. 2010, § 829 Rdnr. 13 ff.), deren Voraussetzungen aber hier nicht vorliegen.
Der Wirksamkeit der Aufrechnung stehen auch sozialrechtliche Vorschriften nicht entgegen.
§ 43 SGB II ist nicht anwendbar, weil es sich bei dem Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X nicht um einen Anspruch auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne dieser Vorschrift handelt.
Die die Aufrechnung und Pfändung betreffenden sozialrechtlichen Vorschriften (§§ 51, 54 SGB I) sind vorliegend nicht einschlägig. § 51 Abs. 1 SGB I ermächtigt den zuständigen Leistungsträger (nur) unter bestimmten Voraussetzungen zur Aufrechnung gegen Ansprüche auf Geldleistungen. Geldleistungen im Sinne dieser Vorschrift sind die Leistungen, die Gegenstand der in den §§ 2 bis 10 und 18 bis 29 SGB I aufgeführten sozialen Rechte sind. Hierbei handelt es sich um materielle Rechte, während der Kostenerstattungsanspruch, der die Korrektur des rechtswidrigen Handelns eines Leistungsträgers bezweckt, auf Verwaltungsverfahrensrecht beruht, soweit es um das Vorverfahren geht, dem ein gerichtliches Verfahren nicht gefolgt ist (BSG, Urteil vom 24. März 1983 - 1 RJ 92/81 - BSGE, 55, 40; BSG, Urteil vom 24. Juli 1986 - 7 RAr 86/84 - rv 1986, 200; BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 KR 21/03 R -).
Die Aufrechnung gegen den Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens durfte auch durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung (entsprechend § 387 BGB) erfolgen; einer Entscheidung durch Verwaltungsakt bedurfte es nicht.
Im Grundsatz ist in allen öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten die Möglichkeit der Aufrechnung durch rechtsgeschäftliche Willenserklärung anerkannt (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1994 - 12 RK 69/93 - BSGE 75, 283 m.w.N.). Das Bundesverwaltungsgericht und der Bundesfinanzhof vertreten insoweit die Auffassung, dass die Erklärung der Aufrechnung die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts und für sich allein kein Verwaltungsakt sei (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1982 - 3 C 6/82 - BVerwGE 66, 218; BFH, Urteil vom 2. April 1987 - VII R 148/83 - BFHE 149, 482). Das BSG sieht die Aufrechnung allein an die zivilrechtlichen Voraussetzungen geknüpft an, soweit nicht sozialrechtliche Beschränkungen eingreifen (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1994 s. o. m.w.N.).
Für Sozialleistungsansprüche war in der Rechtsprechung des BSG überwiegend anerkannt, dass die Aufrechnung nach § 51 SGB I bzw. die Verrechnung nach § 52 SGB I durch Verwaltungsakt zu erfolgen hat (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 1996 - 14 REg 10/95 - BSGE 78, 132 m.w.N.). Die davon abweichende Auffassung des 4. Senats des BSG (Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr. 1; Beschluss vom 22. September 2009 - B 4 SF 1/09 S -) führte zur Vorlage der Rechtsfrage an den Großen Senat, "ob eine Verrechnung nach § 52 SGB I durch Verwaltungsakt zu erklären ist" (Vorlagebeschluss des 13. Senats vom 25. Februar 2010 - B 13 R 76/09 R - m.w.N. zur bisherigen Rspr. des BSG juris Rdnrn. 26 bis 33). Der Große Senat des BSG hat die Vorlagefrage dahingehend beantwortet, dass der Leistungsträger die Rechtsfolgen einer einseitig gegenüber dem originär Sozialleistungsberechtigten ausgeführten Verrechnung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen mit ihm obliegenden Geldleistungen nach § 52 SGB I durch Verwaltungsakt regeln darf (Beschluss vom 31. August 2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81). Er hat aber lediglich die Frage, ob bei der konkreten Konstellation für die Verrechnung die Handlungsform des Verwaltungsakts rechtmäßig gewählt wurde, als entscheidungserheblich angesehen. Nicht zu entscheiden hatte der Große Senat u. a. die Sachverhaltsvariante, dass der Verrechnungsgegner nicht Inhaber eines Sozialleistungsanspruchs (§ 11 SGB I) ist. Nicht entscheidungserheblich war außerdem die Rechtsnatur der Aufrechnung i. S. d. § 51 SGB I und die Frage, ob bzw. inwieweit trotz ggf. rechtswidrigen Verwaltungsakts eine darin enthaltene wirksame Verrechnung durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung zu sehen sein kann (vgl. zum Form- Verwaltungsakt: BSG, Urteil vom 16. Dezember 2009 - B 7 AL 43/07 R - Rdnr. 16; BFH, Urteil vom 25. April 1989 - VII R 105/87 - BFHE 157, 8) oder ob sich die Annahme einer Verwaltungsaktsqualität und die einer öffentlich-rechtlichen Willenserklärung nicht gegenseitig ausschließen, weil auch die Willenserklärung eine hinreichend konkrete Angabe der gewollten Rechtsfolgen enthalten müsse. Da die Entscheidung des Großen Senats des BSG nur die Frage betrifft, ob die Verrechnung nach § 52 SGB I durch Verwaltungsakt geregelt werden darf, kann aus ihr jedenfalls nicht allgemein gefolgert werden, dass die Aufrechnung nach der Rechtsprechung des BSG "einen Verwaltungsakt darstellt" (so aber Bayer. LSG, Beschluss vom 13. März 2012 - L 7 AS 723/11 NZB -).
Dass außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 51 ff. SGB I eine Aufrechnung durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung zulässig ist und nicht zwingend durch Verwaltungsakt zu erfolgen hat, wird auch in der neueren Rechtsprechung des BSG (stillschweigend) vorausgesetzt (Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 15/11 R -; Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 4/10 R - SozR 4-2500 § 264 Nr. 3). In einer früheren Entscheidung hat das BSG umgekehrt die Frage, ob eine Aufrechnung durch Verwaltungsakt in anderen, nicht dem Sozialleistungsrecht zuzurechnenden Bereichen der öffentlichen Verwaltung zuzulassen ist, für die § 51 SGB I nicht gilt, offen gelassen (Urteil vom 27. März 1996 - 14 REg 10/95 - BSGE 78, 132). Auch daraus kann geschlossen werden, dass immer dann, wenn - wie hier - eine Aufrechnung in der Form eines Verwaltungsaktes durch Rechtsvorschriften nicht vorgeschrieben ist, ein Handeln durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung möglich ist.
Ungeachtet dieser Frage bleibt aber die Aufrechnung als solche materiell-rechtlich unabhängig davon wirksam, ob sie als öffentlich-rechtliche Willenserklärung oder als Verwaltungsakt hätte ergehen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2009 - B 7 AL 43/07 R - m.w.N.).
Die Aufrechnung ist auch weder treuwidrig noch widerspricht sie Art. 19 Abs. 4 GG. Sie unterliegt, abgesehen von sozialrechtlichen Sonderregelungen, grundsätzlich keinen Einschränkungen (vgl. zum Steuerrecht BFH, Beschluss vom 30. Juli 1996 - VII B 7/96 - BFH/NV 1997, 93). Soweit die Bevollmächtigten des Klägers vorgetragen haben, Beratungshilfe werde durch das Amtsgericht erst bewilligt, wenn sich ergeben habe, dass kein Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Leistungsträger bestehe, ist diese Frage - worauf schon das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat - nicht entscheidungserheblich, da die Bewilligung von Beratungshilfe nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Insoweit ist aber darauf hinzuweisen, dass die Bewilligung von Beratungshilfe nach §§ 1 ff. BerHG nicht voraussetzt, dass ein Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Gegner des Auftraggebers nicht besteht. § 9 BerHG sieht vielmehr vor, dass der Gegner die gesetzliche Vergütung für die Tätigkeit des Rechtsanwalts zu zahlen hat, wenn er verpflichtet ist, dem Rechtsuchenden die Kosten der Wahrnehmung seiner Rechte zu ersetzen. Der Anspruch geht auf den Rechtsanwalt über. Dieser muss sich Zahlungen, die er von dem Gegner seines Auftraggebers nach § 9 BerHG erhalten hat, auf die aus der Landeskasse im Rahmen der Beratungshilfe zu zahlende Vergütung anrechnen lassen (§ 58 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, da sich die angesprochenen Rechtsfragen aus den gesetzlichen Vorschriften und der vorliegenden Rechtsprechung des BSG beantworten lassen.