Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 9 B 17/09 AL - Beschluss vom 21.12.2009
Nach. Nr. 3106 VV RVG entsteht die so genannte fiktive Terminsgebühr, wenn. das Verfahren nach angenommenen Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Hiernach kann eine Terminsgebühr aber nur in einem Verfahren entstehen, in dem eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Dies setzt die Formulierung in Nr. 3 "Das Verfahren nach angenommenen Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet" denknotwendig voraus und entspricht somit jedenfalls der eindeutigen Zweckrichtung von Ziffer 3 der Nr. 3106 VV RVG. Für ein einstweiliges Anordnungsverfahren ist eine Entscheidung aufgrund einer mündlichen Verhandlung jedoch gesetzlich gerade nicht vorgeschrieben. Da in einem solchen Verfahren nach § 86 b Abs. 4 SGG durch Beschluss entschieden wird, gilt § 124 Abs. 3 SGG, wonach die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Ermessen des Gerichts steht. Das schließt den Ansatz der fiktiven Terminsgebühr aus.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten steht die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren im Rahmen
der durch das Sozialgericht für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
bewilligten Prozesskostenhilfe im Streit.
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. In dem zugrunde liegenden einstweiligen
Rechtsschutzverfahren vertrat er die dortige Antragstellerin, die von der
Antragsgegnerin die vorläufige Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe
begehrte. Er vertrat in diesem Verfahren die Auffassung, die Eltern der
Antragstellerin seien dieser gegenüber nicht mehr unterhaltspflichtig.
Außerdem seien sie aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, die
Antragstellerin zu unterhalten. Er legte eine entsprechende Erklärung der
Eltern vom 13.10.2008 vor. Das Sozialgericht (SG) forderte daraufhin die
Antragstellerin auf, durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft zu machen,
dass ihre Eltern tatsächlich keinen Unterhalt leisteten. Dem kam die
Antragstellerin mit Vorlage einer Erklärung ihrer Eltern vom 05.11.2008 nach,
woraufhin die Beklagte nach einem entsprechendem Richterbrief den Anspruch
anerkannte.
Dieses Anerkenntnis wurde von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 20.11.2008
angenommen.
Im Rahmen der mit Beschluss des SG vom 31.10.2008 bewilligten
Prozesskostenhilfe beantragte der Antragsteller,
seine Vergütung wie folgt festzusetzen:
Verfahrensgebühr gem. § 49 RVG i.V.m. Nr. 3102 VV RVG |
EUR 250,00 |
Terminsgebühr Sozialrecht gem. § 49 RVG i.V.m. Nr. 3106 VV RVG |
EUR 200,00 |
Einigungs- oder Erledigungsgebühr gem. § 49 RVG i.V.m. Nr. 1006 VV RVG |
EUR 190,00 |
Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG |
EUR 20,00 |
Nettobetrag |
EUR 660,00 |
19 % USt gem.Nr. 7008 VV RVG |
EUR 125,40 |
zu zahlender Betrag |
EUR 785,40 |
Diesen Betrag kürzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle auf 425,20 EUR. Er setzte die Terminsgebühr auf 110,00 EUR fest und erkannte eine Einigungs- oder Erledigungsgebühr nicht an.
Die hiergegen eingelegte Erinnerung begründete der Antragsteller damit, dass die fiktive Terminsgebühr gem. Nr. 3106 VV RVG auf die Mittelgebühr festzusetzen und im Übrigen die Erledigungsgebühr in der geltend gemachten Höhe anzuerkennen sei, weil sich die Rechtssache durch seine anwaltliche Mitwirkung erledigt habe.
Mit Beschluss vom 01.04.2009 hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen. Die Terminsgebühr sei auf 110,00 EUR festzusetzen, weil der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit nach dem von der Antragsgegnerin bereits abgegebenen Anerkenntnis auch im Falle der Wahrnehmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung nur als sehr gering einzustufen gewesen wäre. Auch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit wäre bei Anberaumung eines solchen Termins weit unterdurchschnittlich gewesen. Die Erledigungsgebühr sei nicht angefallen, weil die hierfür vorausgesetzte qualifizierte anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung nicht vorgelegen habe. Vielmehr habe die Vorlage der Erklärung der Eltern zu den üblichen Aufgaben eines Rechtsanwalts gehört.
Gegen diesen am 16.04.2009 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 23.04.2009. Als Vergleichsmaßstab für die Bestimmung des Aufwands und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sei im Rahmen der fiktiven Terminsgebühr nicht auf eine fiktive mündliche Verhandlung nach einem schriftlich ausgesprochenem Anerkenntnis, sondern auf eine "normale" mündliche Verhandlung abzustellen, wie sie sich ergäbe, ohne dass ein Anerkenntnis ausgesprochen worden wäre. Dann aber sei die Terminsgebühr mit den begehrten 200,00 EUR anzusetzen. Ferner liege in der durch ihn veranlassten Vorlage der Erklärung der Eltern vom 13.10.2008 eine qualifizierte Mitwirkung, die die Einigungs-/Erledigungsgebühr in der geltend gemachten Höhe auslöse.
Dem ist der Beschwerdegegner entgegengetreten. Die fiktive Terminsgebühr nach VV 3106 Nr. 3 RVG sei bereits gar nicht entstanden. Denn eine Terminsgebühr könne nur in einem Verfahren entstehen, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei. Dies sei bei einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren aber gerade nicht der Fall. Die Erledigungsgebühr sei nicht angefallen, weil hierfür eine Tätigkeit verlangt werde, die über die bloße Einlegung und Begründung des Rechtsmittels hinaus gehe. Eine solche Tätigkeit habe der Antragsteller gerade nicht entfaltet.
II.
Das Landessozialgericht entscheidet über die Beschwerde gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1. 33 Abs. 8 S. 2 RVG wegen im Hinblick auf den Ansatz der Terminsgebühr gegebener grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit durch den Senat.
Das Rubrum war von Amts wegen zu berichtigen. Antragsteller und Beschwerdeführer ist in Verfahren, die die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung bei gewährter Prozesskostenhilfe betreffen, der Rechtsanwalt selbst. Antragsgegner und Beschwerdegegner ist in diesem Verfahren die Landeskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor. Die durch die Prozesskostenhilfe begünstigte Partei ist am Verfahren nicht beteiligt (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 14.05.2009, L 9 B 220/07 AS).
Die Beschwerde ist gem. § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt.
Die auch sonst zulässige Beschwerde ist unbegründet. Dem Beschwerdeführer steht gegenüber der Landeskasse jedenfalls kein Anspruch auf Festsetzung einer höheren als der durch das Sozialgericht festgesetzten Vergütung zu. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist die Terminsgebühr nicht angefallen. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsauffassung des Beschwerdegegners an.
Gem. Nr. 3106 VV RVG entsteht die so genannte fiktive Terminsgebühr, wenn
1.
in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im
Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird,
2.
nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid
entschieden wird oder 3.das Verfahren nach angenommenen Anerkenntnis ohne
mündliche Verhandlung endet.
In Betracht kommt allein, dass die fiktive Terminsgebühr gem. Nr. 3 angefallen sein könnte. Hiernach kann eine Terminsgebühr aber nur in einem Verfahren entstehen, in dem eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Dies setzt die Formulierung in Nr. 3 "Das Verfahren nach angenommenen Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet" denknotwendig voraus und entspricht somit jedenfalls der eindeutigen Zweckrichtung von Ziffer 3 der Nr. 3106 VV RVG (so auch LSG NRW, Beschluss vom 20.10.2008, Az.: L 20 B 67/08 AS sowie LSG NRW, Beschluss vom 02.07.2008, Az.: L 9 B 47/98 AS).
Für das anhängig gewesene einstweilige Anordnungsverfahren ist eine Entscheidung aufgrund einer mündlichen Verhandlung jedoch gesetzlich gerade nicht vorgeschrieben. Da in einem solchen Verfahren nach § 86 b Abs. 4 SGG durch Beschluss entschieden wird, gilt § 124 Abs. 3 SGG, wonach die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Ermessen des Gerichts steht. Das schließt den Ansatz der fiktiven Terminsgebühr aus.
Die entgegenstehende Rechtsauffassung des 7. Senats (Beschluss vom 26.04.2007, Az.: L 7 B 36/07 AS) und des 5. Senats (Beschluss vom 18.09.2008, Az.: L 5 B 23/08 KR) des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vermag nicht zu überzeugen. Es ist gerade nicht unerheblich, dass im einstweiligen Anordnungsverfahren die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht vorgeschrieben ist. Insbesondere widerspricht es gerade nicht dem ausdrücklichen Wortlaut der Ziffer 3 von Nr. 3106 VV RVG, eine obligatorische mündliche Verhandlung zu verlangen. Wie bereits dargelegt, ist gerade das Gegenteil Zweckrichtung dieser Gebührenziffer.
Somit hat das Sozialgericht zu Unrecht eine Terminsgebühr in Höhe von
110,00 EUR festgesetzt. Dies ist bei der
Beschwerdeentscheidung jedoch nicht zu berücksichtigen, da der Beschluss
insoweit nicht angefochten worden
und die Beschwerdefrist zwischenzeitlich abgelaufen ist.
Zu Recht hat der UdG die vom Antragsteller geltend gemachte
Einigungs-/Erledigungsgebühr nicht berücksichtigt,
weil die hierfür erforderliche qualifizierte anwaltliche Mitwirkung (BSG,
Urteil vom 21.03.2007, Az.: B 11 a AL 53/06
R, Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 1 KR 23/06 R und Urteil vom 07.11.2006, Az.: B
1 KR 22/06 R) nicht vorliegt.
Insoweit weist der Senat darauf hin, dass die unstreitige Erledigung des
einstweiligen Anordnungsverfahrens
maßgeblich auf die Richterbriefe und verfahrensleitende Verfügungen des
Sozialgerichts zurückzuführen ist,
während sich die anwaltliche Mitwirkung im Rahmen der absolut üblichen und
erwartbaren Aufgabenwahrnehmung
eines Rechtsanwalts in einem sozialgerichtlichen Verfahren bewegt hat.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 S. 3 RVG