Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - Az.: L 9 B 259/05 SO PKH - Urteil vom 24.11.2005
Für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Krankenkostzulage sind nicht ausschließlich die neueren "Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulage in der Sozialhilfe" (Kleinere Schriften des Deutschen Vereins, 2. Aufl., 1997) heranzuziehen. Wie bereits das Oberverwaltungsgericht Schleswig (Beschluss vom 26. März 2003 - 2 MW 159/02 -) ausgeführt hat, geben diese Empfehlungen als antizipiertes Sachverständigengutachten sowohl den Verwaltungsgerichten wie auch den Sozialhilfeämtern verlässliche Informationen zwecks einheitlicher Verwaltungshandhabung. Von diesen soll daher nur abgewichen werden, wenn die dort zugrunde gelegten Annahmen durch neue Erkenntnisse erschüttert oder die dort festgelegten Mehrbeträge aufgrund der Preisentwicklung überholt seien. Bereits der Begutachtungsleitfaden des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vom Januar 2002 als auch das Rationalisierungsschema 2004 stellen aber solche neuen Erkenntnisse dar, so dass von den Empfehlungen des Deutschen Vereines abgewichen werden kann.
Gründe:
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren (S 17 SO 232/05), in dem der an Diabetes mellitus erkrankte Kläger die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung begehrt.
Die am 12. September 2005 erhobene Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht in seinem Beschluss vom 15. August 2005 unter Berufung auf die "Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft zum Thema Mehraufwand für Diabeteskost " ausgeführt, dass die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Sozialgerichtsgesetz - SGG - in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung - ZPO -). Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit entsprechend § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Gründe dieses Beschlusses Bezug genommen.
Dem kann - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, diese Stellungnahme sei nicht wissenschaftlich fundiert und die Deutsche Diabetes Gesellschaft sei an den Aussagen der Pharmafirmen orientiert. Dem kann schon deswegen nicht gefolgt werden, weil die Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft übereinstimmt mit den neueren gutachtlichen Aussagen zu der Erforderlichkeit einer Krankenkostzulagen bei Diabetes mellitus. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 6. September 2005 (L 9 B 186/05 SO ER) ausgeführt, dass nach dem "Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM) e. V. und anderen" sowie dem "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung (Kranken-kostzulage) gemäß § 23 Abs. 4 BSHG" des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vom Januar 2002 bei Diabetes mellitus eine diabetesorientierte kalorienreduzierte, fettarme und ballaststoffreiche Ernährung gegebenenfalls unter Nutzung der auch in Discountketten angebotenen speziell für Diabetiker geeigneten Nahrungsmitteln angezeigt ist, ohne dass ein finanzieller Mehraufwand entsteht. Nach beiden Stellungnahmen gilt das nicht nur bei einem Diabetes mellitus mit Übergewicht, sondern auch bei Normalgewicht. In beiden Fällen wird eine normale Vollkost bzw. eine ausgewogene Mischkost empfohlen, die einer gesunden Normalkost entspricht. Daher ist unerheblich, ob der Kläger hier übergewichtig ist oder nicht. Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass Mehrkosten nicht entstehen. Insofern kann dem Kläger nicht darin gefolgt werden, dass der im Eckregelsatz enthaltene Ernährungsanteil nicht den tatsächlichen Kosten für eine gesunde Vollkost im ernährungswissenschaftlichen Sinne entspricht. Wie der beschließende Senat und die angeführten gutachterlichen Stellungnahmen darstellen, entstehen gerade keine höheren Kosten als bei einer normalen gesunden Mischkost, die inzwischen in jedem Lebensmittelgeschäft erhältlich ist.
Dem Kläger kann auch nicht darin gefolgt werden, dass für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Krankenkostzulage ausschließlich die neueren "Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulage in der Sozialhilfe" (Kleinere Schriften des Deutschen Vereins, 2. Aufl., 1997) heranzuziehen sind. Wie bereits das Oberverwaltungsgericht Schleswig (Beschluss vom 26. März 2003 - 2 MW 159/02 -) ausgeführt hat, geben diese Empfehlungen als antizipiertes Sachverständigengutachten sowohl den Verwaltungsgerichten wie auch den Sozialhilfeämtern verlässliche Informationen zwecks einheitlicher Verwaltungshandhabung. Von diesen soll daher nur abgewichen werden, wenn die dort zugrunde gelegten Annahmen durch neue Erkenntnisse erschüttert oder die dort festgelegten Mehrbeträge aufgrund der Preisentwicklung überholt seien. Bereits der Begutachtungsleitfaden des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vom Januar 2002 als auch das Rationalisierungsschema 2004 stellen aber solche neuen Erkenntnisse dar, so dass von den Empfehlungen des Deutschen Vereines abgewichen werden kann.
Schon der "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung der Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen" von 1999 gibt einen solchen Grund, von den "Empfehlungen" abzuweichen (Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 20. Januar 2005 - 10 A 92/04 - auch zum Folgenden). Dieser Leitfaden, der ebenfalls für Diabetes mellitus keine Mehrkosten mehr vorsieht, ist bereits in enger Anlehnung an die den "Empfehlungen" vorgelegten medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Gutachten und unter ihrer vollen Würdigung erstellt worden. Außerdem wurden die Ergebnisse mehrerer ärztlicher Arbeitsgruppen des öffentlichen Gesundheitsdienstes berücksichtigt. Praktische Erfahrungen von Gesundheitsämtern, die in Zusammenarbeit mit den Sozialämtern bereits aktuelle Erkenntnisse und neue Verfahren bei der Gewährung von Mehrbedarfszuschlägen anwenden, sind in diesen Leitfaden eingeflossen. Er ist von einer Vielzahl von Ärzten aus dem gesamten Bundesgebiet erarbeitet worden. Er stützt sich somit auf eine breitere Basis als die "Empfehlungen", indem er zwar von diesen ausgeht, aber durch Beteiligung weiterer Sachverständiger und Einbeziehung neuer Erkenntnisse über diese hinausgeht. Er kommt daher zu Recht zu dem Ergebnis, dass eine Diät oder Krankenkost nicht zwangsläufig mit einem Kostenmehraufwand verbunden ist und bei einer Reihe von Erkrankungen lediglich bestimmte Nahrungsmittel vermieden werden müssen. Andere Erkrankungen benötigen im Vergleich zur normalen Mischkost (gleich Vollkost) eine veränderte Zusammensetzung, ohne dass dadurch zusätzliche Kosten entstehen. Die größere Aktualität folgt auch daraus, dass die Gutachten, die den "Empfehlungen" zugrunde liegen, aus den Jahren 1991 bis 1994 kommen und somit einen anderen Erkenntnisstand haben als der 1999 erarbeitete Leitfaden. Insoweit ist weiter zu berücksichtigen, dass anders als 1991 - Vollwertkost nicht nur in Reformhäusern zu bekommen ist, sondern auch in anderen Lebensmittelläden und ketten erhältlich ist zu geringen Preisen. Das gilt ebenfalls für die gutachtlichen Stellungnahmen aus den Jahren 2002 und 2004. Daher muss hier auch nicht - wie bereits angeführt - geklärt werden, ob der Kläger an Übergewicht leidet, wofür dann der Deutsche Verein selbst keinen Mehrbedarf empfiehlt, oder ob er den Normalgewichtigen zuzurechnen ist, für die der Deutsche Verein einen Mehrbedarf angibt.
Schließlich kann der Kläger nicht mit Erfolg gehört werden, dass das "Jobcenter" in K einen Mehrbedarf bei Diabetes mellitus gewähre. Hierbei handelt es sich um die Arbeitsgemeinschaft nach § 44b Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II), gegründet von der Bundesagentur für Arbeit und der Beklagten. Sie ist keine Stelle, die der Beklagten zuzurechnen ist, zumal Träger der Leistung nach § 21 Abs. 5 SGB II (Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung) nicht die Beklagte ist, sondern die Bundesagentur für Arbeit (§ 6 Abs. 1 SGB II). Im Übrigen wäre eine Berufung auf den Gleichheitssatz nach Art. 3 Grundgesetz unerheblich, wenn festgestellt wird - wie hier -, dass die Gewährung eines generellen Mehrbedarfs nicht rechtmäßig ist.
Prozesskostenhilfe kann nicht gewährt werden, denn die hierfür maßgeblichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO) sind - wie aus diesem Beschluss ersichtlich - nicht gegeben.
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.