Gründe:

Die am 30. August 2006 beim Sozialgericht Gießen eingegangene Beschwerde des Antragstellers, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (31. August 2006), mit dem sinngemäßen Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 15. August 2006 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zu verpflichten, einen Mehrbedarf für eine durch seine Diabetes- Mellitus- Erkrankung hervorgerufene kostenaufwändige Ernährung zu decken,

hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.

Ist einstweiliger Rechtsschutz weder durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt noch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes (§ 86 b Abs. 1 SGG) zu gewährleisten, kann nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung – vorläufige Sicherung eines bestehenden Zustandes -). Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung – vorläufige Regelung zur Nachteilsabwehr -). Bildet ein Leistungsbegehren des Antragstellers den Hintergrund für den begehrten einstweiligen Rechtsschutz, ist dieser grundsätzlich im Wege der Regelungsanordnung gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 SGG zu gewähren. Danach muss die einstweilige Anordnung erforderlich sein, um einen wesentlichen Nachteil für den Antragsteller abzuwenden. Ein solcher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn einerseits dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache – möglicherweise - zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm andererseits nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund).

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (HLSG vom 29. Juni 2005 – L 7 AS 1/05 ER; Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., Rn. 27 und 29 m.w.N.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. zuletzt BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 (juris)).

Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern soweit möglich abschließend zu prüfen (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. § 86 b Rn. 16b, 16c, 40; Berlit, info also 2005, 3, 8).

Anhand dieses Maßstabs fehlt es bereits an einem Anordnungsanspruch.

Ein über den Regelsatz nach § 28 Abs. 1 SGB XII hinausgehender Bedarf zur Deckung des Lebensunterhalts ist gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII als Sonderbedarf für einen Mehrbedarf wegen krankheitsbedingter, kostenaufwändiger Ernährung vom Sozialhilfeträger zu decken.

Es handelt sich dabei um eine sogenannte Muss-Leistung, deren Höhe gesetzlich nicht bestimmt ist. Sie bemisst sich vielmehr nach dem angemessenen Mehrbedarf, den die jeweilige Gesundheitsstörung für eine kostenaufwändige Ernährung erfordert. Ein solcher Mehrbedarf ist bei dem Antragsteller wegen seiner Diabetes-Erkrankung unter Berücksichtigung sachverständiger Empfehlungen und der vorliegenden medizinischen Befunde nicht festzustellen.

Zur Feststellung eines solchen Mehrbedarfs im einstweiligen Rechtschutzverfahren greift der Senat auf fachwissenschaftliche Publikationen zurück. Insbesondere die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (Eigenverlag, Kleine Schriftenreihe, Heft 48, 2. Aufl., 1997 - Empfehlungen 97 -) stellen hierfür sachkundige Feststellungen zur Verfügung (vgl. Gesetzesbegründung zur Parallelvorschrift in § 22 Abs. 5 SGB II: BT-Drucks 15/1516 S. 57 zu § 21 Abs. 5 SGB II (Entwurf)), da sie auf medizinische und ernährungswissenschaftliche Kenntnisse gestützt und demnach als vorweggenommene Sachverständigengutachten zu werten sind. Hiernach ist bei Diabetes mellitus Typ 2.b ein Mehrbedarf nicht erforderlich. Vielmehr erfordert das mit der Erkrankung einhergehende Übergewicht eine Reduktionskost, die keine gegenüber sonstigen Leistungsempfängern erhöhten Kostenaufwand für die Ernährung erfordert (Empfehlungen 97, S. 36, Anmerkung 3). Ausdrücklich hat das der verantwortliche Referent des Deutschen Vereins in einer telefonischen Auskunft vom 19. Oktober 2006 gegenüber dem Senat nach derzeitigem Stand der Wissenschaft bestätigt. Es sind auch keine anderslautenden wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse ersichtlich, welche die getroffene Aussage erschüttern könnten. Insoweit wird entsprechend § 153 Abs. 2 SGG auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses des Sozialgerichts hingewiesen, in denen der Meinungsstand hierzu umfassend dargestellt ist (Beschluss S. 3 ff.). Vielmehr hat auch der Gesundheitsdienst des Antragsgegners sich mit Stellungnahme vom 2. November 2006 dem angeschlossen.

Der Antragsteller leidet unter einem Diabetes mellitus Typ 2.b, der eine Reduktionskost wegen des Übergewichts erforderlich macht. Insoweit stützt sich der Senat auf den Befundbericht des behandelnden Hausarztes Dr. D. vom 31. Oktober 2006, der ausdrücklich bestätigt hat, dass bei dem Antragsteller eine Reduktion des Körpergewichts dringend angezeigt ist und keine Gesundheitsstörungen vorliegen, die dem entgegenstehen. Ebenfalls hat der Gesundheitsdienst des Antragsgegners im Einklang mit den Empfehlungen 97 (S. 41) in seiner Stellungnahme vom 2. November 2006 bestätigt, dass der Antragsteller bei einer Körpergröße von 1,76 und einem Körpergewicht von 120 kg das Normalgewicht von bis zu 25 kg/m² deutlich übersteigt. Es liegen keine medizinischen Feststellungen vor, die das substantiiert in Zweifel ziehen. Zwar hat Dr. D. in seinem Befundbericht gegenüber dem Antragsgegner vom 29. Mai 2006 geäußert, der Antragsteller bedürfe eines Mehrbedarfs für Normalgewichtige. Die Aussage ist aber nicht untermauert und widerspricht dem oben skizzierten medizinischen Kenntnisstand sowie seinem eigenen späteren gegenüber dem Gericht abgegebenen Befundbericht vom 31. Oktober 2006. Die Behauptung des Antragstellers, aus gesundheitlichen Gründen zu einer Reduktionskost nicht in der Lage zu sein, ist durch die Äußerung des behandelnden Arztes Dr. D. vom 31. Oktober 2006 widerlegt. Dr. M.-W. hat insoweit im Befundbericht vom 24. Oktober lediglich mitgeteilt, sich zu Ernährungsfragen nicht äußern zu können.

Soweit der Antragsteller der Verwertung der Befundberichte widerspricht, weil er mit Schreiben vom 24. Juli 2006 seine dem Antragsgegner gegenüber erteilte Schweigepflichtsentbindung widerrufen habe, ist darauf hinzuweisen, dass die Widerrufserklärung seine gegenüber dem Gericht mit Unterschrift vom 1. August 2006 am 2. August 2006 erteilte Schweigepflichtsentbindung nicht betrifft und ohnehin der Widerruf nur einer Verwertung künftiger Auskünfte entgegenstehen könnte.

Der Senat durfte seine Sachkunde aus den benannten medizinischen Veröffentlichungen herleiten, weil sie spätestens durch den Beschluss des Sozialgerichts in das Verfahren eingeführt worden sind und sogar auszugsweise der Antragsteller Fotokopien der maßgeblichen Seiten der Empfehlungen 97 (S. 36 - 41) erhalten hat.

Aufgrund der Feststellungen lässt es der Senat ausdrücklich offen, ob auch im Falle eines Diabetes mellitus 2.a – ohne Übergewicht -, die dabei erforderliche Ernährungsweise einen Mehrbedarf begründen kann. Die Äußerungen des Antragstellers hierzu, eine ausgewogene Mischkost und empfohlener Süßstoff seien aus dem Regelsatz nicht zu bestreiten, sind insoweit nicht entscheidungserheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG entsprechend.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.