Sozialgericht Aachen - Az.: S 11 AS 110/05 ER - Urteil vom 29.12.2005
Die Aufzählung entsprechender Erkrankungen in den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (2. Aufl., 1997), die in Rechtsprechung und Literatur zur Auslegung von § 21 Abs. 5 SGB II herangezogenen werden ist nicht abschießend. Ein Mehrbedarf kann auch aufgrund solcher Erkrankungen bestehen, die dort nicht aufgeführt sind.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung.
Die am 00.00.1966 und 00.00.1962 geborenen Antragsteller stehen im laufenden Leistungsbezug. Ihren Antrag auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 13.07.2005 mit der Begründung ab, der Antragsteller zu 2.) sollte lediglich purinhaltige Kost vermeiden, was sich ohne Mehrkosten umsetzen lasse; der Antragstellerin zu 1.) könne eine Umstellung auf vegetarische Kost empfohlen werden, dies sei jedoch "aus schulmedizinischer Sicht weder sinnvoll noch notwendig." Hiergegen legten die Antragsteller am 09.08.2005 Widerspruch ein und verwiesen auf ein Attest des Allgemeinmediziners O. Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Bescheid vom 29.11.2005 zurück. Hiergegen haben die Antragsteller am 23.12.2005 unter dem Aktenzeichen S 00 AS 000/00 Klage erhoben.
Gleichzeitig haben sie sich im Wege eines Antrags auf einstweilige Anordnung an das Gericht gewandt. Sie führen aus, die Antragsstellerin zu 1.) leide an Asthma bronchiale "auf allergischer Basis", der Antragssteller zu 2.) an "degenerativen Beschwerden verschiedenster Gelenkabschnitte".
Die Antragsteller beantragen,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zur Leistung für Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung zu verpflichten.
Der Antragsgegner beantragt telefonisch,
den Antrag zurückzuweisen.
Er bleibt bei seiner Auffassung. Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass das geltend gemachte Begehren im Rahmen der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet erscheint (Anordnungsanspruch) und erfordert zusätzlich die besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens (Anordnungsgrund). Zudem darf eine Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache nicht endgültig (d.h. irreversibel) vorweg genommen werden (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86 b, Rn. 31 m.w.N.).
Es fehlt jedenfalls an einem Anordnungsanspruch. Nach § 21 Abs. 5 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) erhalten Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Das Gericht verkennt nicht, dass die Aufzählung entsprechender Erkrankungen in den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (2. Aufl., 1997), die in Rechtsprechung und Literatur zur Auslegung von § 21 Abs. 5 SGB II herangezogenen werden (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 15.09.2005, L 3 B 44/05 ER; SG Augsburg, Urteil vom 08.11.2005, S 1 AS 225/05; SG Dresden, Beschluss vom 02.11.2005, S 34 AS 999/05 ER) nicht abschießend ist (Lang, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 21, Rn 67) und ein Mehrbedarf deswegen auch aufgrund solcher Erkrankungen bestehen kann, die - wie die vorgetragenen Allergien und Gelenkerkrankungen - dort nicht aufgeführt sind.
In beiden Fällen ist jedoch nicht hinreichend dargetan und belegt, dass die Antragsteller aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen. Dies ergibt sich auch und insbesondere nicht aus dem von den Antragstellern vorgelegten Attest des O.
O führt aus, die Antragstellerin zu 1.) leide an Pollinosis und Asthma bronchiale "auf allergischer Basis". "Bekanntermaßen" bestünden "bei Asthmatikern Allergien z.B. gegen Kuhmilchprodukte und Hühnerei". Auch eine diffuse Nahrungsmittelallergie könne das Krankheitsbild verstärken. Aus diesen abstrakten Erörterungen lässt sich mit hinreichender Sicherheit noch nicht einmal ableiten, wogegen die Antragstellerin zu 1.) überhaupt allergisch ist. Insbesondere scheint auch nach den Darlegungen von O eine Allergie gegen Milch- und Hühnereiweiß nicht hinreichend sicher. Im Übrigen ist auch eine festgestellte Allergie gegen beides noch nicht gleichbedeutend mit einer medizinischen Notwendigkeit, auf entsprechende Lebensmittel zu verzichten, da Proteine bei der üblichen Zubereitung von Speisen vielfältige Veränderungen durchlaufen. Auch hierzu ist nichts dargetan, wie O auch sonst keinerlei detaillierte und nachvollziehbare Diätempfehlung ausspricht. Hinsichtlich einer eventuellen Verstärkung der Pollinosis durch Nahrungsmittel ist nicht ersichtlich, welche Allergene überhaupt die Pollinosis auslösen. Da Pollinosis regelmäßig an das saisonale Auftreten bestimmter Allergene gekoppelt ist (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Auflage, 1997, Artikel Heufieber), erscheint insoweit auch der erforderliche Anordnungsgrund höchst zweifelhaft.
Zum Antragssteller zu 2.) heißt es bei O, es fehlten "wesentliche wissenschaftliche Erkenntnisse über die Ernährung bei Arthritiden"; wichtig sei jedoch, dass manche Patienten bei einer bestimmten (und von O nicht näher beschriebenen) Diät eine Besserung erführen. "Diese individuellen Erfahrungen sollte man einem Patienten nicht ausreden." Weiterhin drohe bei "chronischen Arthrosepatienten" auch die Entwicklung einer Osteoporose, der mit einer kalziumreichen Kost vorbeugt werden könne. Diese Ausführungen lassen weder einen konkreten Bezug zum Antragssteller erkennen noch ist ersichtlich, auf welche spezielle Kost der Antragsteller angewiesen sein soll und warum. Soweit O das Erfordernis einer kalziumreiche Kost zur Osteoporoseprophylaxe betont, ist nicht ersichtlich, dass dies zu erheblichen Mehrkosten führt. Es ist allgemein bekannt, dass gerade Kalzium in hoher Konzentration in sehr preiswerten Lebensmitteln wie Magerquark oder Milch enthalten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 SGG.