Gründe:

Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens über die Höhe des zugewiesenen Regelleistungsvolumens für das Quartal III/10.

Die Klägerin ist eine radiologische Gemeinschaftspraxis mit Vorhaltung von CT und MRT und seit dem 01.01.2008 in der Zusammensetzung Frau Dr. J., Herr R. und Herr Dr. O. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die Dres. R. u. O. betrieben gemeinsam schon seit 2004 eine Praxis an unterschiedlichen Standorten, Frau Dr. J. kam im Januar 2008 dazu. Praxissitz der neuen Gemeinschaftspraxis ist A-Stadt. Nach einigen zeitlichen Verzögerungen hat die Antragstellerin ihre Praxistätigkeit im Quartal III/09 aufgenommen.

Mit Bescheid vom 09.06.2009 erhielt die Antragstellerin zudem die Genehmigung, eine Zweigpraxis in X-Stadt zu betreiben.

Die Antragstellerin hat seit Aufnahme der Praxistätigkeit über die Höhe des zugewiesenen Regelleistungsvolumens für sämtliche Quartale einstweilige Anordnungsverfahren durchgeführt. Für die Quartale III/09 und IV/09 wurden ihr seitens des Hessischen Landessozialgerichts jeweils Regelleistungsvolumina auf der Grundlage einer Fallzahl von 1500 Fällen zugebilligt (HLSG, Beschluss vom 21.12.2009, Az.: L 4 KA 77/09 B ER, vorhergehend SG Marburg, Beschluss vom 06.08.2009, Az.: S 11 KA 430/09 ER). Diese Rechtsprechung setzte die 10. Kammer des SG Marburg für das Quartal I/2010 fort (Beschluss vom 17.05.2010, Az.: S 10 KA 188/10 ER). Das für das Quartal II/2010 durchgeführte einstweilige Anordnungsverfahren haben die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24.08.2010 durch Vergleich beendet. Die Antragsgegnerin hatte der Antragstellerin für dieses Quartal einen Betrag von 54.000 EUR ausgezahlt, auf.

Aus technischen Gründen lässt sich nachfolgende Tabelle leider nicht darstellen.

Die Praxisentwicklung ist der folgenden Tabelle zu entnehmen: 
tatsächliche Fallzahl dem RLV zugrunde gelegte Fallzahl zugebilligte Fallzahl Rechtsprechung ursprünglich zugewiesenes RLV Honoraranforderung gesamt Honorar gemäß Honorarbescheid
III/09 379 90 1500 3700,09 EUR 41.453,21 EUR 9.586,10 EUR 
IV/09 1178 18 1500 621,23 EUR 129.788,93 EUR 28.401,93 EUR 
I/10 2187 842 1500 52.187,15 EUR 
II/10 2656 101 Vergleich 6.697,04 EUR gezahlt 54.000 EUR 
III/10 Bis 23.8. nach Angabe der AS: 1785 373 28.122,96 EUR

 

Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 16.06.2010 mit, dass sie für das Quartal III/10 monatliche Abschlagszahlungen in Höhe von 5.000 EUR leisten werde. Die Antragsgegnerin wies der Antragstellerin auf der Grundlage der tatsächlichen Fallzahl aus dem Quartal III/09 mit Bescheid vom 18.06.2010 ein Regelleistungsvolumen in Höhe von 28.088,25 EUR für das Quartal III/10 und korrigierte diesen Betrag auf der Grundlage des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 01.07.2010 von Amts wegen mit Bescheid vom 28.07.2010 auf 28.122,96 EUR. Gegen den ursprünglichen Bescheid vom 18.06.2010 hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 28.06.2010 Widerspruch eingelegt. Gegen die Zuweisung des Regelleistungsvolumens im Quartal III/10 wendet sich die Antragstellerin nun im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes mit Antrag vom 21.07.2010.

Sie trägt vor, dass sich ihre aus den gerichtlichen Verfahren bereits bekannten wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert hätten, so dass der Anordnungsgrund unverändert fortbestehe. Darüber hinaus verweist die Antragstellerin auf die Entscheidungen des BSG vom 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R und vom 17.03.2010 - B 6 KA 41/08 R zu Praxen in der Gründungs bzw. Aufbauphase. Die Antragstellerin rügt zudem den verspäteten Erlass des Bescheides. Die Zuweisung des RLV habe nach den gesetzlichen Vorgaben des § 87 b Abs. 5 S. 1 SGB V spätestens vier Wochen vor Quartalsbeginn zu erfolgen.

Die Antragstellerin beantragt, 

die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr für das Quartal III/2010 vorläufig ein Regelleistungsvolumen auf der Basis von mindestens 1.500 Fällen zuzuerkennen.

Die Antragsgegnerin beantragt, 

den Antrag zurückzuweisen.

Sie hält weiterhin an ihrer Rechtsauffassung fest, dass die dem Bescheid zugrunde gelegte Fallzahl den rechtlichen Vorgaben entspräche, auch unter dem neuen HVV 2010. Dieser enthalte hinreichende Wachstumsmöglichkeiten für unterdurchschnittlich abrechnende Praxen. Zudem seien die von der Antragstellerin vorgetragenen Argumente nicht geeignet, die Annahme des Vorliegens eines außergewöhnlichen Grundes im Sinne des Abschnitts II. Ziffer 3.4 HVV 2010 zu rechtfertigen. Bei der Antragstellerin handele es sich zudem weder um eine Neupraxis im Sinne des Beschlusses des Vorstandes vom 14.09.2009 noch um eine "junge" Praxis.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend Bezug genommen auf die Prozessakte sowie die beigezogenen Akten zu den Aktenzeichen S 11 KA 430/09 ER, L 4 KA 77/09 B ER, S 10 KA 188/10 ER, S 11 KA 453/10 ER, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

 

II

Der zulässige Antrag ist auch begründet.

In diesem Umfang besteht sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag einen Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 1 u. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Es müssen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 920 Zivilprozessordnung i. V. m. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG).

Der Antragstellerin steht aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen bei summarischer Prüfung der Rechtslage ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Zuweisung eines Regelleistungsvolumens (RLV) auf der Basis einer Fallzahl des Durchschnitts der Fachgruppe zu.

Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.06.2010 in der geänderten Fassung des Bescheides vom 28.07.2010, der gemäß § 86 SGG Bestandteil des Verfahrens geworden ist, die beide die Zuweisung des Regelleistungsvolumens für das Quartal III/2010 beinhalten, ist offensichtlich rechtswidrig.

Wegen dieser Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit ist eine Feststellung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch möglich, obwohl in der Hauptsache eine Ermessensentscheidung im Raum steht. Dies gebietet auch der Rechtsgewährleistungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG. Das Ermessen der Antragsgegnerin im Hinblick auf die Zuweisung des Regelleistungsvolumens ist für das Quartal III/10 insoweit auf Null reduziert, als eine andere Entscheidung als die Zuweisung eines Regelleistungsvolumens auf der Basis einer Durchschnittsfallzahl der Fachgruppe nicht in Betracht kommt. Dies begründet den Anordnungsgrund.

1. Die Zuweisung des Regelleistungsvolumens ist zunächst schon deshalb rechtswidrig, weil der Zuweisungsbescheid entgegen den ausdrücklichen gesetzlichen Vorgaben in § 87 b Abs. 5 S. 1 SGB V nicht spätestens vier Wochen vor Quartalsbeginn erlassen worden ist. Das Quartal III/2010 begann am 01. Juli 2010. Der RLV-Zuweisungsbescheid hätte damit spätestens am 03. Juni 2010 erlassen werden müssen. Erfolgt die Zuweisung - wie vorliegend - zu spät, so sieht § 87 b Abs. 5 S. 4 SGB V vor, dass das bisherige Regelleistungsvolumen - vorliegend also dasjenige aus dem Quartal II/2010 vorläufig fort gilt. Dies bedeutet, dass ein gegebenenfalls zu hohes (fortgeltendes) Regelleistungsvolumen nicht mehr nachträglich korrigiert werden darf (Engelhard, in: Hauck/Haines, SGB V, § 87b, Rn. 83). Insoweit steht der Antragstellerin mindestens der im Quartal II/2010 gewährte Betrag von 54.000EUR zu.

2. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts zudem aus der Tatsache, dass die Antragsgegnerin nach wie vor die Vorgaben des BSG zu den Wachstumsmöglichkeiten für unterdurchschnittliche Praxen missachtet. Das Gericht hält insoweit an seiner Rechtsprechung, Beschluss vom 06.08.2009, Az.: S 11 KA 430/09 ER ausdrücklich fest. Das BSG hat wiederholt klargestellt, dass umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen die Möglichkeit haben müssen, zumindest den durchschnittlichen Umsatz der Arztgruppe zu erreichen (u.a. BSGE 83, 52, 58 f = SozR 3-2500 § 85 Nr. 28 S 206 ff; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 27 S 195; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr. 48 S 411; BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 5, jeweils RdNr. 19; zuletzt Urteil vom 03.02.2010, B 6 KA 1/09 R). Dem Vertragsarzt muss - wegen seines Rechts auf berufliche Entfaltung unter Berücksichtigung der sogenannten Honorarverteilungsgerechtigkeit (vgl. BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 32 RdNr. 17 sowie das weitere Urteil vom 28.3.2007, B 6 KA 10/06 R - MedR 2007, 560 = USK 2007-26) - die Chance bleiben, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so legitimerweise seine Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern (BSGE 92, 233 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 9, jeweils RdNr. 18; BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 5, jeweils RdNr. 19; BSG, Urteile vom 28.1.2009 Nr. ). Daher ist allen Praxen mit unterdurchschnittlichen Umsätzen die Möglichkeit einzuräumen, durch Umsatzsteigerung jedenfalls bis zum Durchschnittsumsatz der Fachgruppe aufzuschließen (stRspr des Senats, u.a. BSGE 83, 52, 58 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 28 S 206 f; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 6 RdNr. 19; BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 5, jeweils RdNr. 19; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 32 RdNr. 16; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 45 RdNr. 28) und damit ihre Praxis zu einer mit typischen Umsätzen auszubauen (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 32 RdNr. 17; BSG MedR 2007, 560 = USK 2007-26).

Für neu gegründete Praxen hat das BSG in seiner Entscheidung vom 03.02.2010 dies dahingehend präzisiert, dass für sog. "Aufbaupraxen" bzw. "Anfängerpraxen" insoweit Besonderheiten gelten, als ihnen in der Aufbauphase, die auf einen Zeitraum von drei, vier oder fünf Jahren bemessen werden kann (vgl.. BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 32 RdNr. 16; BSG MedR 2007, 560 = USK 2007-26), die Steigerung auf den Durchschnittsumsatz sofort möglich sein muss, während dies anderen, noch nach der Aufbauphase unterdurchschnittlich abrechnenden Praxen jedenfalls innerhalb von fünf Jahren ermöglicht werden muss (BSG jeweils a.a.O.). Allerdings haben auch Aufbaupraxen keinen Anspruch auf Teilhabe an der Honorarverteilung, der über den Durchschnittsumsatz der Fachgruppe hinausgeht (BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 6 RdNr. 19). Diese Rechtsprechung des BSG, der sich das Gericht vollumfänglich anschließt, bezieht sich ausdrücklich auf die hier streitgegenständliche Problematik von Fallzahlzuwachsregelungen.

Ausgehend hiervon geht das Gericht davon aus, dass es sich bei der Antragstellerin um eine Aufbaupraxis, wenn auch nicht Anfängerpraxis handelt, die erst seit dem 01.01.2008 in der jetzigen Zusammensetzung besteht. Für diese Aufbaupraxis gebietet es der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit, jegliche Fallzahlbegrenzungen bis zum Durchschnitt der Fachgruppe in der Aufbauphase zu unterlassen.

Das Gericht geht weiter davon aus, dass diese letztlich aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Rechtsprechung auch für die mit dem GKV-WSG geschaffenen Regelleistungsvolumina gilt (so auch Engelhard in: Hauck/Haines, SGB V, § 87b, Rn. 96).

Zunächst bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Bewertungsausschuss bzw. Erweiterte Bewertungsausschuss überhaupt berechtigt ist, Regelungen zu den Praxen in der Aufbauphase selbst nur subsidiär vorzusehen und im Übrigen an die Gesamtvertragsparteien auf regionaler Ebene zu delegieren. Probleme hinsichtlich der Delegationsbefugnis sieht das Gericht im Hinblick auf § 87b Abs. 4 SGB V, wonach der Bewertungsausschuss u. a. das Verfahren zur Berechnung und zur Anpassung der Regelleistungsvolumina nach den Absätzen 2 und 3 sowie Art und Umfang, das Verfahren und den Zeitpunkt der Übermittlung der dafür erforderlichen Daten zu bestimmen hat (Satz 1). Die Befugnis der Gesamtvertragsparteien ist demgegenüber darauf beschränkt, gemäß den Vorgaben des Bewertungsausschusses nach den Sätzen 1 und 2 unter Verwendung der erforderlichen regionalen Daten die für die Zuweisung der Regelleistungsvolumina nach Absatz 5 konkret anzuwendende Berechnungsformel festzustellen (§ 87b Abs. 4 Satz 3 SGB V). Daraus könnte zu schließen sein, dass der Bewertungsausschuss wenigstens in groben Zügen die Behandlung von jungen Praxen zu regeln hat. Im Hinblick auf die in §§ 87b SGB V zum Ausdruck kommenden honorarpolitischen Vereinheitlichungstendenzen und der Tatsache, dass regionale Besonderheiten für die Behandlung sog. junger Praxen ohne Bedeutung sind, dürfte dies auch dem Zweck der Aufteilung der Befugnisse entsprechen.

Das Gericht ist der Überzeugung, dass die Gesamtvertragsparteien des hier maßgeblichen HVV 2010 der Rechtsprechung des BSG zu Praxen in der Aufbauphase nicht hinreichend Rechnung getragen haben. Sie haben durch die Regelung Nr. 3.5 die Aufbauphase faktisch auf ein Jahr begrenzt. Wer im Vorjahresquartal als Aufsatzquartal bereits zugelassen war, kann nach dem Wortlaut der Vorschrift nur die seinerzeit abgerechnete Fallzahl, unabhängig davon, ob und in welchem Umfang sie unter der durchschnittlichen Fallzahl liegt, erhalten. In der Folgezeit gelten dann die Regelungen, die für alle unterdurchschnittlichen Praxen gelten (s. sogleich). Nr. 3.5 HVV 2010, die insoweit die subsidiär geltende Regelung des Erweiterten Bewertungsausschusses übernimmt, ist somit offensichtlich nicht im Einklang zu der genannten Rechtsprechung des BSG (Bedenken zu Nr. 3.5 des Beschlusses des Erweiterten Bewertungsausschusses in seiner 7. Sitzung am 27./28.8.2008, Teil F insoweit auch bei Engelhard, a.a.O., Rdnr. 97). Weder für unterdurchschnittliche Praxen noch für Praxen in der Aufbauphase sieht der HVV 2010 eine ausdrückliche Regelung vor. Die Höhe des Regelleistungsvolumens eines Arztes ergibt sich aus der Multiplikation des zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen KV-bezogenen arztgruppenspezifischen Fallwertes (FW-AG) gemäß Anlage 2 und der Fallzahl des Arztes im Vorjahresquartal. Damit gilt die tatsächliche Fallzahl des Vorjahresquartals. Eine Steigerung des Regelleistungsvolumens im Folgejahr ist daher nur möglich, wenn im aktuellen Quartal die Fallzahl im Vergleich zum Vorjahresquartal regelleistungswidrig gesteigert werden kann. Dies widerspricht nicht nur dem Zweck, möglichst auch eine Leistungsausweitung zu verhindern, sondern zwingt den Vertragsarzt dazu, zunächst vergütungslos Leistungen zu erbringen, um im Folgejahr seine Vergütung steigern zu können. Je geringer die RLV-relevante Fallzahl ist, um so prozentual höher ist der Teil der Leistungen, der zunächst ohne Vergütung erbracht werden muss. Zwar sind damit theoretisch enorme Umsatzsprünge denkbar. Dies gilt aber im Übrigen auch für durchschnittlich bzw. überdurchschnittliche Praxen; insofern greift dann nur ab 150 % der durchschnittlichen Fallzahl die Abstaffelungsregelung (Nr. 3.2.1HVV 2010). Damit gibt der HVV einen Weg vor, der es Praxen in der Aufbauphase nicht ermöglicht, abrechnungskonform, also ohne nennenswerte Honorareinbußen, ein durchschnittliches Regelleistungsvolumen zu erhalten. Dies hält das Gericht im Anschluss an seine Rechtsprechung (Beschluss vom 06.08.2009 - S 11 KA 430/09 ER) für rechtswidrig (insofern abweichend, aber ohne Thematisierung der aufgezeigten Problematik die Beschwerdeentscheidung LSG Hessen, Beschl. v. 21.12.2009 - L 4 KA 77/09 B ER -; vgl.. a. Engelhard, a.a.O., Rdnr. 98). So hält das Gericht die Annahme der Beschwerdeinstanz, die Praxis der Antragstellerin könne binnen eines Jahres - bezogen auf das RLV - durchschnittliche Honorarwerte erreichen, für nicht zutreffend. Diese Annahme gilt nur dann, wenn bereits im Vorjahresquartal der RLV-Berechnung eine Fallzahl zugrunde gelegt wird, die bereits dem Durchschnitt der Fachgruppe entspricht. Unter dieser Prämisse kann jedoch schon begrifflich nicht mehr von einer "Wachstums"möglichkeit gesprochen werden. Das Beispiel der Antragstellerin manifestiert vielmehr anschaulich, dass sich auch mehr als ein Jahr nach tatsächlicher Aufnahme der Praxistätigkeit eine Situation perpetuiert, die dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit in keiner Weise mehr Rechnung trägt. Die Antragstellerin hat ihre Fallzahlen erheblich gesteigert, im Quartal II/2010 bereits auf 2656 Fälle. Es ist mit dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BSG zu Praxen in der Aufbauphase unvereinbar - sie im Folgequartal III/10 unter Hinweis auf das Vorjahresquartal mit einer Fallzahl von 373 Fällen auszustatten, obwohl offensichtlich ist, dass sie damit weiterhin mehr als 80% der Praxistätigkeit vorfinanzieren muss. Jedenfalls muss ihr die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe zugebilligt werden, die die Antragsgegnerin zu ermitteln haben wird. Das Gericht geht aufgrund der in den Honorarbescheiden für die Quartale III/09 und IV/09 ersichtlichen Zahlen davon aus, dass die durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe bei ca. 4650 Fällen/Praxis liegt, wobei eine Praxis durchschnittlich aus 4 Ärzten besteht. Insoweit ergibt sich überschlägig ein Fachgruppendurchschnitt von ca. 1150 Fällen/Arzt, was für die Antragstellerin eine der RLV-Berechnung zugrunde zu legende Fallzahl von knapp 3500 Fällen bedeuten würde.

Selbst wenn man der Argumentation der Antragsgegnerin folgen wollte und die bei der Antragstellerin die Referenzfallzahl des Quartals III/09 zugrunde zu legen hätte, hielte es das Gericht zumindest für erwägenswert, dass diese nach der rechtskräftigen Entscheidung des LSG Hessen, Beschluss vom 21.12.2009 - L 4 KA 77/09 B ER - bei 1500 Fällen anzusetzen wäre.

Selbst wenn insgesamt den Erwägungen des Gerichts nicht zu folgen sein sollte, so dürfte auf der Grundlage von LSG Hessen, Beschluss vom 21.12.2009 - L 4 KA 77/09 B ER - eine Ausnahme nach II Nr. 3.4 HVV 2010 oder auf der Grundlage des Beschlusses des Vorstandes der Antragsgegnerin vom 14.09.2009 ein anderer außergewöhnlicher Grund vorliegen.

Hinsichtlich der schwierigen wirtschaftlichen Situation hat die Antragstellerin im Termin zur mündlichen Verhandlung zum Hauptsacheverfahren S 11 KA 189/10 eine Auswertung des Steuerberaters vorgelegt. Dieser ist glaubhaft zu entnehmen, dass die Liquiditätssituation der Antragstellerin noch mindestens bis Ende des Jahres 2010 als äußerst angespannt gelten muss. Insoweit hat das Gericht - auch vor dem Hintergrund der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des RLV-Zuweisungsbescheides - keinerlei Bedenken hinsichtlich des Vorliegens eines Anordnungsgrundes.

Der Antrag musste deshalb vollumfänglich Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Das Gericht hat den Streitwert nach der sich aus dem Antrag ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen festgesetzt (§ 52 Abs.1 Gerichtskostengesetz - GKG - ) und dabei überschlägig die Differenz zwischen dem zugebilligten RLV und den im Vorquartal gewährten 54.000EUR zugrunde gelegt.