Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

Der 1970 geborene erwerbstätige Kläger beantragte bei dem Versorgungsamt C. am 19. August 2004 die Feststellung eines Grades der Behinderung, insbesondere die Ausstellung eines Ausweises für schwerbehinderte Menschen sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung). Nach Einholung verschiedener medizinischer Unterlagen, insbesondere einem Befundbericht der Ärzte für Chirurgie und Unfallchirurgie Dres. med. D., E. und F. vom 27. August 2004, dem u. a. ein ärztlicher Entlassungsbericht des LVA-Schwerpunktklinikums H. vom 26. März 2004 beigefügt war, stellte das Versorgungsamt C. mit Bescheid vom 23. September 2004 einen GdB von 20 ab dem 3. November 2003 fest. Die Entscheidung stützte sich unter Zugrundelegung einer gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Beraters des Versorgungsamtes - Herrn Dr. med. H. - vom 18. September 2004 auf die Funktionsbeeinträchtigung im Zusammenhang mit Veränderungen des linken Kniegelenkes.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 12. Oktober 2004 am 18. Oktober 2004 Widerspruch, den der Beklagte nach Auswertung eines Operationsberichtes der Klinik I. GmbH vom 5. Oktober 2004 sowie einer Epikrise der Ärzte für Chirurgie und Unfallchirurgie Dres. med. J., E. und F. vom 15. Oktober 2004 sowie eines Entlassungsbriefes des Rehazentrums J. vom 13. Januar 2005 unter ärztlicher Beteiligung seines ärztlichen Beraters - Dr. med. L. - vom 25. Januar 2005 mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2005 zurückwies. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides heißt es unter anderem:

"Von der Klageschrift, den sonstige Schriftsätzen und nach Möglichkeit von den Unterlagen sind Abschriften für die Beteiligten beizufügen."

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 26. März 2005 "Widerspruch", der bei dem Beklagten am 4. April 2005 einging. Mit Schreiben vom 05. April 2005 bat der Beklagte um Mitteilung, ob das Schreiben als Klage angesehen werden solle und erinnerte mit Schreiben vom 16. Juni 2005 an die erbetene Stellungnahme. Mit Schreiben vom 15. August 2005 wies der Beklagte daraufhin, dass gegen den Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2005 Klage vor dem Sozialgericht einzulegen sei, woraufhin sich der Kläger mit Schreiben vom 18. September 2005, eingegangen bei dem Beklagten am 27. September 2005, an den Beklagten wandte und dort Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2005 erhob, die dieser mit Schreiben vom 4. Oktober 2005, eingegangen bei dem Sozialgericht Lüneburg am 17. Oktober 2005, dem Gericht vorgelegt hat.

Der Kläger trägt zur Begründung seines Begehrens vor, nach wie vor habe sich an seinem Leiden nichts zum Positiven verändert, so dass er am 24. Oktober 2005 erneut am linken Knie in der Klinik I. in M. operiert worden sei. Des Weiteren habe er seit dem letzten Jahr eine Fraktur des linken Wadenbeines. Ferner leide er unter einer Minderbelastbarkeit sowie andauernden Schmerzen.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

den Bescheid des Versorgungsamts C. vom 23. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2005 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, einen Grad der Behinderung von mindestens 30 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, der mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. September 2004 festgestellte Grad der Behinderung von 20 sei nach wie vor zutreffend, die Funktionsbeeinträchtigungen seien leidensgerecht bewertet.

Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes hat das Gericht dem Kläger mit Verfügung vom 27. Februar 2006 einen Erklärungsvordruck über die ihn behandelnden Ärzte nebst einer vorbereiteten Schweigepflichtentbindungserklärung übersandt, die er trotz Erinnerung des Gerichts mit Verfügung vom 21. März 2006 nicht zurückgesandt hat. Mit Verfügung vom gleichen Tage hat das Gericht gleichzeitig die Beteiligten gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hinsichtlich des Erlasses eines Gerichtsbescheides angehört. Das Gericht hat den Kläger dann erneut mit Verfügungen vom 03. Mai 2006 sowie 14. Juni 2006 um die Übersendung des Erklärungsvordruckes gebeten, worauf dieser jedoch erneut nicht reagierte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie auf den Inhalt der beigezogenen Schwerbehindertenakte des Beklagten zum Aktenzeichen ... ergänzend Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist bereits unzulässig, da dem Kläger ein Rechtschutzbedürfnis nicht zur Seite steht.

1. Die Kammer konnte gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform gemäß § 105 Abs. 1 S. 2 SGG ordnungsgemäß mit Verfügung vom 21. März 2006 angehört worden sind.

2. Zunächst ist allerdings festzuhalten, dass die Klage nicht verfristet erhoben worden ist. Gemäß § 66 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen Rechtsbehelf dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Gemäß § 66 Abs. 2 S. 1 beträgt die Frist dann ein Jahr, wenn diese Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden ist.

a) Im vorliegenden Fall wies der angefochtene Widerspruchsbescheid eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung auf, so dass anstelle der einmonatigen Klagefrist des § 87 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG die einjährige Klagefrist nach § 66 Abs. 2 S. 1 SGG maßgebend war. Es hieß in dieser Belehrung: "Von der Klageschrift, den sonstigen Schriftsätzen und nach Möglichkeit von den Unterlagen sind Abschriften für die Beteiligten beizufügen." Damit wurde bei dem Empfänger der Eindruck erweckt, dass die Klage nur durch die Einreichung einer Klageschrift mit einer zusätzlichen Abschrift wirksam erhoben werden konnte. Die so zu verstehende Belehrung war unzutreffend. Der Beklagte hat die Regelung des § 93 S. 1 SGG, wonach der Klageschrift, den sonstigen Schriftsätzen und nach Möglichkeit den Unterlagen (vorbehaltlich des § 65a SGG) Abschriften für die Beteiligten beizufügen sind, aus ihrem Zusammenhang herausgelöst und damit bei dem Empfänger den Eindruck einer dieser Norm nicht zukommenden Bedeutung hervorgerufen. Insbesondere machen die Regelungen des § 93 S. 2 und 3 SGG deutlich, dass die Nichtbeifügung an sich erforderlicher Abschriften in keiner Weise die Wirksamkeit einer Klageerhebung oder sonstiger Prozesshandlungen berührt. Der Gesetzgeber hat in diesen Regelungen des § 93 S. 2 und S. 3 SGG klargestellt, dass das Fehlen erforderlicher Abschriften lediglich zur Folge haben kann, dass das Gericht sie nachträglich anfordert oder sie selbst anfertigt, wobei die im Regelfall geringfügigen Kosten für die Anfertigung von dem Kläger bzw. der Klägerin eingezogen werden können.

Der erläuterte sachlich unzutreffende Zusatz in der den Widerspruchsbescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung war damit geeignet, bei dem Kläger den Eindruck entstehen zu lassen, ohne Beifügung einer Abschrift werde eine Klage bereits aus diesem Grunde erfolglos bleiben, obwohl schon eine Postkarte für eine Erhebung der Klage genügt hätte, sofern ihr entnommen werden kann, dass es sich um ein solches Rechtsmittel handelt. Dies reicht für die Annahme der erforderlichen Kausalität zwischen fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung und Erschwerung der Rechtsverfolgung aus (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22. Juli 1982, - 7 R 115/81 -, SozR. 1500, § 93 SGG Nr. 1; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 93 Rdnr. 4), zumal gerade älteren und behinderten Menschen das Schreiben oft schwer fällt und gerade solche Betroffenen vielfach auf Grund fehlender einfacher Zusatzmöglichkeiten zu einem Kopierer oder einem Computer dem Erfordernis der Beifügung einer Abschrift gerade angesichts eines durch eine Rechtbehelfsfrist nicht selten bewirktem Zeitdruck nur dadurch genügen könnten, dass sie handschriftlich im buchstäblichen Sinn eine Abschrift fertigen.

b) Die einjährige Klagefrist nach § 66 Abs. 2 S. 1 SGG hat der Kläger augenscheinlich gewahrt, so dass es nicht darauf ankommt, ob der "Widerspruch" vom 26. März 2005 oder erst das ausdrücklich als Klage bezeichnete Schriftstück vom 18. September 2005 als Klage zu werten ist.

3. Dem Kläger steht jedoch ein Rechtsschutzbedürfnis nicht zur Seite. Der Kläger hat trotz mehrmaliger Aufforderungen und Erinnerungen die für die Fortführung des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere die medizinische Aufklärungsarbeit des Gerichts, erforderlichen Mitwirkungshandlungen, nämlich die Übersendung des genannten Erklärungsvordruckes nebst einer Schweigepflichtentbindungserklärung nicht vorgelegt. Daher konnte das Gericht die für die Beurteilung des medizinischen Sachverhaltes erforderlichen Befundunterlagen bei den den Kläger behandelnden Ärzten nicht einholen. Darüber hinaus geht die Kammer auf Grund der Tatsache der fehlenden Mitwirkung des Klägers sowie der Tatsache, dass er sich gegenüber dem Gericht nicht ein einziges Mal geäußert hat, davon aus, dass er am Fortgang des Verfahrens keinerlei Interesse hat. Insoweit besteht kein Rechtsschutzbedürfnis; die Klage ist als unzulässig abzuweisen.

4. Im Übrigen ist nach Prüfung der im Verwaltungsverfahren eingeholten medizinischen Unterlagen auch nicht ersichtlich, dass die angegriffenen Entscheidungen des Beklagten in der Sache unzutreffend wären. Sie bewegen sich vielmehr in dem Rahmen, die die Bewertungsrichtlinien der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (herausgegeben vom damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) - AHP 2004 - vorgeben, so dass auch nicht ersichtlich ist, dass der Kläger durch die angegriffenen Entscheidungen des Beklagten beschwert sein könnte, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG, wobei das Gericht das ihm zustehende billige Ermessen dahin ausgeübt hat, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben, weil der Kläger mit seinem Begehren vollumfänglich unterlag.