Sozialgericht Düsseldorf - S 1 (28,31,3) VS 374/04 - Urteil vom 18.04.2011
Die gesetzlichen Regelungen über die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung und Schädigungsfolgen aufgrund Radarstrahlen sind durch den Bericht der Radarkommission vom 02.07.2003 konkretisiert und teilweise zu Gunsten der Versorgungsberechtigten erleichtert worden. Liegen die nach den Empfehlungen der Radarkommission geforderten Voraussetzungen vor und gelingt dem Versorgungsverpflichtetem der Gegenbeweis nicht, ist das Strahlungsleiden als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung und Entschädigung einer Hodentumorerkrankung des Klägers als Folge einer Wehrdienstbeschädigung.
Der am 00.00.1949 geborene Kläger leistete seinen Wehrdienst in der Zeit vom 1. April 1970 bis zum 30. September 1971. Ab dem 4. Januar 1971 bis zu seinem Dienstende war der Kläger in einem Flak - Batallion eingesetzt. Während dieser Zeit arbeitete er als sogenannter "Bediener 2" an dem Feuerleitgerät "Deisswil VII B".
Das Deisswil VII B enthielt mehrere Störstrahler, die grundsätzlich geeignet sind, Strahlendosen zu erzeugen, die bei Menschen maligne Tumorerkrankungen auslösen können. Störstrahlen können nur bei eingeschaltetem Radargerät entstehen. Die maßgeblichen Störstrahler des Deisswil VII B befinden sich im Drehturm des Radargerätes hinter Strahlen isolierenden Abdeckplatten. Gesundheitsbeeinträchtigende Strahlendosen konnten nur bei abgenommenen Abdeckplatten und arbeitendem Radarsender frei werden. Steht das Deisswil VII B auf ebener Erde, befinden sich die Störstrahler in einer Höhe von ca. 120 cm und 140 cm vom Boden gemessen. Wird die Abdeckplatte entfernt, wird durch einen Schalter am oberen Rand des Gehäuses eine Beleuchtung im Sendeschrank eingeschaltet. Ein weiterer Schalter unterbricht die Stromzufuhr zum eigentlichen Sender und den Störstrahlern (Interlockschalter). Wegen der technischen Einzelheiten bezüglich des Feuerleitsystems Deisswil VII B und der beim Betrieb freigesetzten Strahlung sowie der Lokalisation der Interlockschalter wird auf den Bericht der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar zum Feuerleitsystem Deisswil vom 16. Dezember 2002, (Bl. 133 ff der PA) und auf das Fotomaterial (Bl. 175, 176 der PA) sowie auf den Bericht der Strahlenmessstelle der Bundeswehr vom 23. April 2009 (Bl. 245 ff der PA) verwiesen.
Der Kläger musste neben seinen Aufgaben als "Bediener 2", Wartungsarbeiten beim Betrieb des Deisswil in Gefechtssituationen bzw. Übungen vornehmen. Insbesondere kam es häufig vor, dass die Röhren im Sendeschrank gewechselt werden mussten. Hierzu öffnete der Kläger die Abdeckplatte am Sendeschrank, wechselte die defekte Röhre, überprüfte die Funktionsfähigkeit der neu eingesetzten Röhre und schloss den Sendeschrank wieder.
Am 2. Juli 2003 wurde der Bericht der Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA (Radarkommission) veröffentlicht. Für die Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung teilte die Radarkommission ihre Ergebnisse und Empfehlungen in drei Phasen ein. Die Phase 1 wird dadurch gekennzeichnet, dass kaum Messungen zu Ortsdosisleistungen vorliegen. Diese Phase reicht bis ca. 1975. In der Phase 2 von 1975 bis 1985 wurden in der Bundeswehr Strahlenschutzmaßnahmen etabliert und es fanden Messungen zu Ortsdosisbelastungen statt. In der Phase 3, also nach 1985 existierte ein adäquater Strahlenschutz in der Bundeswehr.
Für die Anerkennung von Gesundheitsschäden bei Exposition gegenüber Röntgenstörstrahlung in der Phase 1 empfiehlt die Kommission (9.3.1 Bericht der Radarkommission):
1. Als qualifizierende Krankheiten sind alle malignen Tumore – mit Ausnahme der Chronisch Lymphatischen Leukämie (CCL) - anzusehen sowie Katarakte.
2. Voraussetzung sind ärztlich bestätigte Diagnosen mit pathologisch-histologischem Befund.
3. Die Latenzzeiten, , müssen für solide Tumore mindestens 5 Jahre, betragen.
Für die Phase 1 sollten Personen, die an Radargeräten tätig gewesen sind, anerkannt werden, wenn neben den drei oben erwähnten prinzipiellen Bedingungen zu den Krankheitsbildern der folgende Katalog erfüllt ist:
a. Als qualifizierend sind Arbeiten als Techniker/Mechaniker oder Bediener an Radaranlagen anzusehen.
b. (generell kommen nur bestimmte Organe für eine Schädigung durch Röntgenstörstrahlung in Betracht). Für alle anderen Organe ist eine Einzelfallbetrachtung nötig ...
c. Eine Anerkennung kann ausgeschlossen werden, falls die Bundeswehr zeitnah nachweist, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten konnten, die das erkrankte Organ nicht betrafen.
d. Eine Anerkennung kann ausgeschlossen werden, falls die Bundeswehr zeitnah nachweist, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten konnten, die das erkrankte Organ nicht betrafen.
e. Eine Anerkennung kann ausgeschlossen werden, falls die Bundeswehr zeitnah nachweist, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten konnten, die das erkrankte Organ nicht betrafen.
f. Eine Anerkennung kann ausgeschlossen werden, falls die Bundeswehr zeitnah nachweist, dass nur Teilkörperexpositionen auftreten konnten, die das erkrankte Organ nicht betrafen.
g.
h. Eine Anerkennung kann ausgeschlossen werden, wenn die Bundeswehr nachweisen kann, dass konstruktionsbedingt eine Tätigkeit an offenen Gerät bei eingeschalteter Hochspannung in der Nähe des unabgeschirmten Störstrahlers nicht möglich war und am abgeschirmten Gerät auftretende Ortsdosisleistungen einen (bestimmten) Wert nicht überschreiten konnten.
Wegen des weiteren Inhalts des Berichtes der Radarkommission wird auf den vollständigen Abdruck des Berichtes, der zu den Prozessakten genommen wurde, verwiesen. Nach einem Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung vom 4. März 2004 soll sich die Bundeswehr bei der Anerkennung von Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folge von Radarstörstrahlung während der Bundeswehrzeit an die Empfehlungen der Radarkommission halten (Vgl. Die Ablichtung des Erlasses Bl. 92, 93 der PA).
Im August 1987 wurde beim Kläger ein Hodensemiom links festgestellt (vgl. Bl. 30, 31 und 35 der VA). X bestätigte die Diagnose in seinem Befundbericht vom 4. November 1987. Die Pathologische Untersuchung ergab ein Semiom im Stadium pT1 NO MO. In Folge dieser Tumorerkrankung wurde der linke Hoden entfernt und eine Prothese eingelegt. Die Behandlung wurde nach einer postoperativen Bestrahlung im November 1987 abgeschlossen. Regelmäßige Nachuntersuchungen haben keine Rezidive gezeigt.
Am 10. Juli 2001 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Anerkennung und Versorgung dieses Leidens als Folge einer Wehrdienstbeschädigung. Mit Bescheid vom 19. Juni 2002 lehnte der Beklagte die Anerkennung ab. Trotz der generellen Kanzerogenität radioaktiver Strahlen gäbe es maligne Tumore, für deren Verursachung ionisierende Strahlen nicht in Betracht kämen. Dazu gehörten auch Hodentumorleiden. Ein ursächlicher Zusammenhang sei deshalb nicht wahrscheinlich. Der eingelegte Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2002 zurückgewiesen. Die Tumorerkrankung des Klägers könne nicht auf eine Strahlenexposition zurückgeführt werden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 21. August 2002 erhobene Klage des Klägers, mit der er weiterhin die Anerkennung seines Tumorleidens als Wehrdienstbeschädigung und eine entsprechende Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) verfolgt.
Der Kläger trägt vor, die Tumorerkrankung seines linken Hodens sei durch die Einwirkung von Störstrahlen bei der Bedienung des Deisswil VII B während seiner Bundeswehrzeit entstanden. In Gefechtsübungssituationen sei das Deisswil VII B eingegraben worden, um einen sicheren Stand für eine einwandfreie Funktionalität zu erreichen. Dabei habe es auch solche Situationen gegeben, dass sich der Radarturm in Höhe des Lendenbereiches befand. In diesen Situationen seien auch Wartungsarbeiten bei geöffnetem Schrank durchgeführt worden. Nach dem Einsetzen der neuen Röhren, habe er bei geöffnetem Senderschrank mittels eines Kabels die Funktion der Röhren überprüft. Teilweise sei das Deisswil auch mit geöffnetem Sendeschrank betrieben worden. Dies entweder, um eine Überhitzung des Gerätes zu vermeiden oder in anderen Fällen, um das Gerät als Wärmequelle zu nutzen.
In Vorbreitung auf eine durch das Gericht zu treffende Entscheidung haben sich alle Beteiligten damit einverstanden erklärt, dass das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung trifft. Aus dem Inhalt der Akten ergeben sich für die Beteiligten folgende Anträge:
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2002 zu verurteilen, bei ihm den
"Verlust des linken Hodens nach Krebserkrankung"
als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und ihm hierfür Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte weist hinsichtlich seines Sachvortrags und seiner prozessualen Position darauf hin, dass er aufgrund eines Erlasses des ehemaligen Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 24.10.2003 nicht in der Lage sei, eine eigenständige Prüfung hinsichtlich entschädigungspflichtiger Tatbestände und der entsprechenden Kausalität vorzunehmen. Er sei vielmehr verpflichtet, dementsprechende Entscheidungen der Beigeladenen zu übernehmen. Wegen des vollständigen Inhalts des erwähnten Erlasses wird auf Blatt 201, 202 der PA verwiesen.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene trägt vor, die Hodentumorerkrankung des Klägers sei eine qualifizierende Erkrankung im Sinne des Berichts der Radarkommission. Eine relevante Störstrahlung habe den Lendenbereich des Klägers aber gar nicht treffen können, da die Störstrahler im Verhältnis zur Standposition eines Bedieners vor dem Sendeschrank viel zu hoch angesiedelt seien. Auch bei Gefechtsübungen habe das Deisswil allenfalls an den Rädern bis zur Radnabe, also nur 40 cm, eingegraben werden können. Nur Reparaturtechniker (Personen mit qualifizierenden Tätigkeiten) seien in der Lage gewesen, gesundheitsrelevante Strahlendosen bei Arbeiten am Deisswil VII B zu erhalten, weil nur in Reparatur- und Wartungssituationen Arbeiten bei eingeschaltetem Radar und abgenommener Abdeckplatte vorgenommen wurden bzw. werden mussten. Der Kläger sei kein Reparaturtechniker gewesen, sondern nur Bediener, der auch keine Ausbildung zur Unterstützung eines Radartechnikers erhalten habe. Sie behauptet, unter Gefechtsbedingungen im Feld sei die Überbrückung der Sicherheitsschalter am Gehäuserahmen nicht möglich gewesen, da die Interlockschalter nicht arretierbar seien. Die notwendige Apparatur sei zu aufwendig, als dass sie im Feld hätte benutzt werden können. Eine Funktionsüberprüfung der neu eingesetzten Röhren könne auch vom Bedienfeld aus vorgenommen werden. Selbst bei geöffnetem Senderschrank träte keine nennenswerte Strahlung auf.
Das Gericht hat zunächst Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten über den Kläger. Sodann ist das Verfahren mit Beschluss vom 11. November 2002 zum Ruhen gebracht worden. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens im Oktober 2004 hat das Gericht die Beigeladene mit Beschluss vom 27. September 2005 zum Verfahren beigeladen und zunächst schriftliche Aussagen der Zeugen M (vom 7. mai 2007, Bl. 127 der PA) und S (vom 15. Mai 2007, Bl. 129 der PA) eingeholt. Sodann hat das Gericht über die Frage Beweis erhoben, ob und ggf. in welchen Situationen der Kläger welche Art von Wartungsarbeiten am Deisswil VII B vorgenommen hat. Hierzu wurden die ehemaligen Kameraden des Klägers, die Zeugen S und M in einem Erörterungstermin am 27. Juni 2008 vernommen. Im gleichen Termin wurde der Physiker T von der Strahlenmessstelle der Bundeswehr gehört. Wegen der Einzelheiten der Aussagen der Zeugen wird auf die Sitzungsniederschriften vom 27. Juni 2008, Bl. 185 – 195 der PA, verwiesen.
Sodann hat das Gericht zu der Frage Beweis erhoben, ob die vorhandenen Interlockschalter ggf. mit welchem Aufwand unter Gefechtsübungsbedingungen überbrückt werden konnten. Hierzu hat das Gericht am 15. November 2010 ein Feuerleitgerät Deisswil VII B in der Lehrsammlung im Marinearsenal in L in Augenschein genommen und sich die Funktion einschließlich der Sicherheitseinrichtungen insbesondere der Interlockschalter vom Sachverständigen H, einem als besonders sachkundig benannten Mitarbeiter der Herstellerfirma, erläutern lassen. Wegen der Einzelheiten der Aussagen des Sachverständigen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 15. November 2010 (Bl. 385 – 392 der PA) verwiesen.
Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten und den Inhalt der Verwaltungsakten der Beigeladenen und des Beklagten sowie der Bericht der Radarkommission, die Gegenstand der Beratung der Kammer waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil alle Beteiligten ihr Einverständnis dazu erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die Klage ist begründet. Der Kläger wird durch angefochtene Entscheidung des Beklagten vom 19.06.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2002 in seinen Rechten beschwert. Die Entscheidung ist rechtswidrig. Zu Unrecht hat der Beklagte es abgelehnt, beim Kläger einen Verlust des linken Hodens nach Krebserkrankung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und ihm hierfür Versorgung nach Soldatenversorgungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, erhält nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (§ 80 Abs. 1 Satz 1 SVG). Eine Wehrdienstbeschädigung ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 180 Abs. 1 SVG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG). Das schädigende Ereignis selbst und das Vorliegen bestimmter Schädigungsfolgen müssen allerdings im Sinne des Vollbeweises bewiesen sein. Nur hinsichtlich der Kausalität zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Eintritt einer Schädigungsfolge und dem dadurch verursachten Grad der Schädigungsfolge (GdS) gilt das Kausalitätsprinzip der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Ursächlich in diesem Sinne ist die Bedingung im naturwissenschaftlichen philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie versorgungsrechtlich nur dann nebeneinanderstehende Mitursachen und Wie Ursachen zu werten, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind. Kommt einem der Umstände gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung, ist dieser Umstand allein Ursache im Sinne des Versorgungsrechtes.
Gemäß § 9 BVG umfasst die Versorgung insbesondere die Heilbehandlung (§ 9 Nr. 1 BVG) und die Beschädigtenrente (§ 9 Nr. 3 BVG). Gemäß § 31 Abs. 1 BVG wird eine Beschädigtenrente ab einem GdS von 30 gewährt. Der GdS wird nach § 30 Abs. 1 BVG nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben bemessen, dabei sind seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen. Für die Beurteilung ist maßgebend, um wieviel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folge einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörung beeinträchtigt sind.
Der Kläger hat Anspruch auf die Anerkennung seiner Gesundheitsbeeinträchtigung "Verlust des linken Hodens nach Krebserkrankung" als Wehrdienstbeschädigung. Er hat auch grundsätzlich Anspruch auf Versorgung gemäß § 9 BVG ab dem 1. Juli 2001. Einen Anspruch auf die Gewährung einer Versorgungsrente im Sinne des § 31 BVG hat er zur Zeit jedoch nicht.
Im vorliegenden Fall sind die gesetzlichen Regelungen über die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung und Schädigungsfolgen durch den Bericht der Radarkommission (Bericht der Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der NVA vom 02.07.2003) konkretisiert und teilweise zu Gunsten der Versorgungsberechtigten erleichtert worden. Dabei handelt es sich um eine zulässige Selbstbindung der Verwaltung, denn durch den Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung vom 4. März 2004 (Blatt 92, 93 der Prozessakten) hat die oberste Bundesbehörde der Beigeladenen verfügt, in allen den Bericht der Radarkommission betreffenden Fällen nach den Empfehlungen der Radarkommission zu handeln und zu entscheiden. Durch den Erlass des Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung vom 24.11.2003 trifft diese Bindungswirkung auch den Beklagten, da er durch diesen Erlass an die Entscheidung der Beigeladenen, die sich zuvor selbst gebunden hatte, gebunden wird.
Die Voraussetzungen zur Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung beim Kläger nach den Empfehlungen der Radarkommission liegen vor.
Der Kläger absolvierte seinen Wehrdienst während der so genannten Phase 1 der Einteilung der Radarkommission, also vor 1975. Da zu diesem Zeitpunkt kaum oder keinerlei Messungen bezüglich Ortsdosisbelastungen insbesondere auch bei Radargeräten vorgenommen worden sind, hat die Radarkommission Beweiserleichterungen empfohlen, sowohl für den Vollbeweis der Exposition gegenüber Strahlenquellen, als auch bezüglich des Kausalzusammenhangs zwischen Exposition und auftretende Erkrankung. Die so formulierten Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung in Ziffer 9.3.1 des Berichtes der Radarkommission liegen vor.
Zunächst handelt es sich bei dem beim Kläger diagnostizierten Hodentumor um eine qualifizierende Krankheit im Sinne der Ziffer 1 der Empfehlungen der Radarkommission. Entsprechend der Ziffer 2 der Empfehlungen der Radarkommission ist die Erkrankung durch eine Diagnose ärztlich bestätigt und mittels eines pathologisch-histologischen Befundes kategorisiert worden. Nach der Diagnose von X handelte es sich bei der Erkrankung des Klägers um ein Hodensemiom links im Stadium pT1NO MO (vgl. Blatt 30, 31 und 35 der Verwaltungsakten des Beklagten). Auch die geforderte Latenzzeit in Ziffer 3 der Empfehlungen der Radarkommission ist gegeben. Die Tumorerkrankung ist beim Kläger erstmals im August 1987 diagnostiziert worden, also deutlich mehr als 15 Jahre nach Abschluss einer Wehrdienstzeit.
Auch die übrigen Voraussetzungen nach dem Empfehlungen der Radarkommission in Ziffer a und b sind gegeben. Der Beigeladenen eingeräumte Gegenbeweis nach den Ziffern c und e ist nicht gelungen.
Bei der Tätigkeit des Klägers handelt es sich im Sinne der Ziffer a um eine qualifizierende Tätigkeit. In den Empfehlungen sind die Tätigkeiten als Techniker/Mechaniker oder als Bediener genannt. Der Kläger war Bediener 2 des Deisswil VII B also, wie sich durch die Beweisaufnahme vom 15. November 2010 abschließend beweisen ließ, als so genannter Radaroperater tätig. Die Beigeladene hatte zunächst vorgetragen, dass Bediener grundsätzlich nicht in den Kreis der qualifizierenden Tätigkeiten hereingenommen werden könnten. Dies widerspricht jedoch dem Wortlaut und dem Inhalt der Empfehlungen der Radarkommission unter Ziffer a. Dort sind eindeutig auch die Bediener als qualifizierend tätig genannt worden. Darüber hinaus hat die Beweisaufnahme vom 27.06.2008 unzweideutig ergeben, dass der Kläger entgegen dem Vortrag der Beigeladenen Tätigkeiten ausgeübt hat, die denen eines Mechanikers jedenfalls sehr ähnlich sind. Die Zeugin M und S haben übereinstimmend bekundet, dass der Kläger auch in ihrem Beisein kleinere Reparaturen am Sender des Deisswil VII B vorgenommen hat. Insbesondere mussten regelmäßig die Röhren im Sendegerät gewechselt werden. Dabei handelte es sich wohl um die Clipperdioden bzw. um das Klystron. Für diese Arbeiten musste die Schutzabdeckung über den Sendeschrank, die mit mindestens 9 Inbusschrauben befestigt war, abgenommen werden. Sodann musste eine Schublade herausgezogen werden in der sich entsprechende technische Einbauten befanden u. a. auch die oben erwähnten Röhren. Dass diese und andere Wartungsarbeiten am geöffneten Sendeschrank vom Kläger durchgeführt worden sind, steht für die Kammer fest. Die glaubhaften und detailfreudigen Beschreibungen des Klägers sind allesamt durch seine Kameraden, die mit ihm zusammen das Deisswil VII B bedient haben, die Zeugen M und S bestätigt worden. Die Erläuterungen des Sachverständigen H im Beweistermin vom 15. November 2010 über die technische Funktion des Deisswil VII B und die notwendig vorzunehmenden Reparaturen haben die Beschreibungen des Klägers und der Zeugen ebenfalls bestätigt.
Im Sinne der Ziffer b der Empfehlungen der Radarkommission kommen als betroffene Organe einer Schädigung durch Radarstrahlen nur bestimmte Organe in Betracht. Die im Radarbericht erwähnten Organe sind beim Kläger nicht betroffen. Darüber hinaus lässt der Radarbericht aber eine Einzelfallbetrachtung zu. Im Sinne dieser Einzelfallbetrachtung geht die Kammer davon aus, dass der Lendenbereich des Klägers und damit auch der Bereich seines linken Hodens einer schädigungsqualifizierenden Strahlung ausgesetzt war. Vom Konstruktionsaufbau des Deisswil VII B befinden sich die Strahlenquellen bei auf ebener Erde abgestelltem Fahrzeug in etwa 1,20 m bis 1,40 m Höhe. Nach dem Bericht der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar zum Feuerleitsystem Deisswil vom 16.12.2002 (Blatt 133 ff. der Prozessakten) erreichten die Strahlenwerte bei abgenommener Schutzplatte zwar grundsätzlich ein gefährdenden Bereich, konnten aber bezogen auf den Abstrahlungswinkel den Lendenbereich des Klägers nicht erreichen, wenn er aufrecht vor dem auf ebener Erde stehenden Deisswil am Sendeschrank arbeitete. Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger aber auch Arbeiten bei geöffnetem Sendeschrank ausgeführt, bei denen auch sein Lendenbereich von Strahlen getroffen werden konnte. Die Situation des auf ebener Erde stehenden Deisswil ist für die Gefechtsübungssituation atypisch. Nach den glaubhaften Bekundungen der Zeugen M und S musste das Feuerleitgerät in exakt waagerechter Posiotion ausgerichtet werden um eine einwandfreie Funktion zu gewährleisten. Bei Feldübungen musste das Deisswil deshalb teilweise eingegraben werden um diese waagerechte Position zu gewährleisten. Soweit das Deisswil insbesondere einseitig - zur Herstellung der waagerechte - eingegraben worden ist, sind bei geöffnetem Sendeschrank Strahlenexpositionen auch im Lendenbereich des Klägers möglich. Soweit die Beigeladene vorgetragen hat, das Deisswil habe nur bis zu einer Tiefe von 40 cm, bis zur Radnarbe, eingegraben werden können, ist dieser Vortrag durch die Bekundungen der Zeugen M und S widerlegt. Die Zeugen haben in ihrer Aussage plastisch und nachvollziehbar beschrieben, dass das Deisswil auch bis zu 90 cm eingegraben worden ist um die geforderte Gefechtstauglichkeit zu erzielen.
Damit gelingt der Beigeladenen auch der hier eingeräumte Gegenbeweis im Sinne der Ziffer c der Empfehlungen der Radarkommission nicht. Denn auch soweit Teilkörperexpositionen beim Kläger aufgetreten sind, konnten sie doch das erkrankte Organ treffen.
Schließlich konnte auch der Gegenbeweis im Sinne der Ziffer e der Empfehlungen der Radarkommission nicht geführt werden. Demnach kann eine Anerkennung ausgeschlossen werden, wenn die Beigeladene nachweisen kann, das konstruktionsbedingt eine Tätigkeit am offenen Gerät bei eingeschalteter Hochspannung in der Nähe des unabgeschirmten Störstrahlers nicht möglich war. Die Beweisaufnahme vom 15. November 2010 hat vielmehr das Gegenteil bewiesen. Nach der Inaugenscheinnahme und den Erläuterungen des Sachverständigen H steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die gesamte Sendeanlage des Deisswil VII B bei geöffneter Abschirmplatte betrieben werden konnte, ja sogar ein Betrieb bei herausgezogener Schublade grundsätzlich möglich war.
Wie aus der Gerätebeschreibung hervorgeht und bei der Inaugenscheinnahme auch ohne weiteres erkennbar war, befinden sich am oberen Rand der rechteckigen Ummantelung des eigentlichen Sendeschranks zwei Schalter. Diese beiden Schalter werden beim Abnehmen der Abdeckplatte sichtbar und werden durch das Abnehmen der Platte ausgelöst. Zum Einen wird damit eine Innenraumbeleuchtung eingeschaltet, zum Anderen wird die für den eigentlichen Sendebetrieb notwendige Hochspannung unterbrochen. Damit wird grundsätzlich der eigentliche Sender abgeschaltet, so dass Störstrahlen in dieser Position des Schutzschalters (Interlockschalters) nicht auftreten können.
Der Vortrag der Beigeladenen, die Sicherheitsschaltung könne unter Feldbedingungen nicht umgangen werden, ist durch die Beweisaufnahme widerlegt. Der ursprüngliche Vortrag des Klägers eine Spannungsüberbrückung sei mittels eines Kabels durchgeführt worden, hat allerdings zu keiner plausiblen Erklärung bezüglich der Überbrückung des Sicherheitsinterlockschalters geführt. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass ein solches Kabel beim Betrieb des Deisswil VII B wohl Verwendung gefunden haben kann. Ein solches Kabel wurde jedoch nach der Beschreibung des Klägers an eine Steckdose des Gerätes angeschlossen die zur Übertragung der Feuerleitlosung an die angeschlossenen Kanonen diente. Die dort zur Verfügung stehende Spannung reicht jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bei weitem nicht aus, die für den Betrieb der Sendeanlage notwendige Hochspannung zur Verfügung zu stellen. Der Sachverständige hat hierfür die nachvollziehbare Erklärung geliefert, dass mit einem solchen Überbrückungskabel allenfalls die Röhrenheizung hätte betrieben werden können, wodurch zum Einen die Wiederanlaufzeit des Radargerätes verkürzt werden konnte. Zum Anderen ließ die Funktion der Röhrenheizung einen gewissen Rückschluss auf die Funktion der Röhre selbst zu. Der eigentliche, Störstrahlen produzierende Sender konnte mit dieser Apparatur jedoch nicht betrieben werden.
Nach der Konstruktion des Deisswil VII B war eine irgendwie geartete Apparatur für die Überbrückung des Sicherheitsschalters überhaupt nicht notwendig. Der Sachverständige H demonstrierte, dass mit einem einzigen Handgriff, ein Herausziehen und Drehen des Interlockschalters, die Energiezufuhr für den Sender wiederhergestellt werden konnte. Diese Schalterstellung war eigens für Wartungs- und Prüfungssituationen eingebaut worden. Damit steht fest, dass bei geöffneter Abdeckplatte der Sender vollständig in Betrieb sein konnte und die qualifizierende Störstrahlung freisetzen konnte.
Darüber hinaus ist ein Betrieb der Störstrahler auch bei herausgezogener Schublade möglich. Grundsätzlich reißen die stromversorgenden Kabel beim Herausziehen der Schublade mittels einer Risskupplung ab. Mittels Überbrückungskabel konnten an den Abrisskupplungsenden eine Verbindung hergestellt werden, die den Betrieb auch bei herausgezogener Schublade ermöglichte. Ob und inwieweit diese Überbrückungskabel zur Standardausrüstung des Deisswil gehörten oder ob sie nur im Werkstattbetrieb eingesetzt wurden, konnte nicht geklärt werden. Jedenfalls konnte aber auch nicht bewiesen werden, dass ein solcher Betrieb unmöglich war. Vielmehr hat der Sachverständige plausibel erläutert, mit welch einfachen Handgriffen der Betrieb bei geöffnetem Sendeschrank und herausgezogener Schublade möglich war. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass ein Kampfübungseinsatz mit herausgezogener Schublade selbstverständlich nicht möglich war. Da der Sendeschrank in einem drehbaren Turm eingebaut war, wäre beim Drehen des Turmes, wie es im "Echtbetrieb" vorkommt, die Schublade abgerissen. Auch mit Blick auf diese Tatsache bleibt es jedoch dabei, dass der Beweis nicht gelungen ist, dass konstruktionsbedingt eine Tätigkeit am offenen Gerät bei eingeschalteter Hochspannung in der Nähe des unabgeschirmten Störstrahlers nicht möglich war.
Der Kläger hat damit grundsätzlich Anspruch auf Versorgung im Umfang des § 9 BVG für die bei ihm anzuerkennende Wehrdienstbeschädigung
"Verlust des linken Hodens nach Krebserkrankung."
Gemäß § 60 Abs. 1 BVG beginnt die Versorgung mit dem Monat der Antragstellung, also dem 01.07.2001. Nach dem Vortrag des Klägers selbst, besteht allerdings zur Zeit kein aktueller Behandlungsbedarf. Inwieweit und welcher Form eine Behandlung der Folgen der Wehrdienstbeschädigung notwendig sein wird, wird die Zukunft zeigen.
Ein Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente im Sinne des § 31 Abs. 1 BVG hat der Kläger allerdings nicht. Denn mit Beginn seines Versorgungsanspruchs am 01.07.2001 bestand und besteht beim Kläger kein GdS, der zum Bezug einer Rente berechtigt. Nach den für die Bewertung einer Gesundheitsbeeinträchtigung mit einem GdS maßgeblichen "Versorgungsmedizinischen Grundsätzen" beträgt der GdS nach Entfernung eines malignen Hodentumors 0. Lediglich für die Zeit einer Heilungsbewährung im Umfang von 2 Jahren nach operativer Entfernung besteht ein GdS von 50. Die Zeit der Heilungsbewährung war beim Kläger allerspätestens 1990 abgelaufen. So dass zu Beginn seines Versorgungsanspruchs der GdS 0 beträgt (vgl. versorgungsmedizinische Grundsätze Nr. 13.2 und 13.4.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Dabei hat das Gericht berücksichtigt, dass der Beklagte keinerlei eigenen Handlungsspielraum für die Führung des Prozesses hatte und sich vielmehr nach den Entscheidungen der Beigeladenen richten musste. Dadurch war die Beigeladene der Prinzipal der Prozessführung wodurch es angemessen erscheint, ihr auch die zu erstattenden Kosten aufzuerlegen.