Sozialgericht Dresden - S 21 AS 6348/10 - Urteil vom 14.02.2014
Mit der Verpflichtung der privaten Pflegeversicherungsunternehmen auf eine Beitragsabsenkung zugunsten ihrer Versicherten im Basistarif, die auch für die Bezieher von Alg II maßgebend ist, hat der Gesetzgeber für diesen Personenkreis zugleich festgelegt, welche Beitragshöhe "angemessen" und "notwendig" ist, nämlich der Beitrag, den private Versicherungsunternehmen von derart beitragsprivilegierten Personen höchstens fordern können. Eine weitere Reduzierung des Beitrags für Bezieher von Alg II ist nicht vorgesehen. Das Regelungsgefüge der § 110 Abs. 2 Satz 4 SGB XI, § 12 Abs. 1c VAG, § 57 Abs. 1 Satz 2 SGB XI eröffnet insbesondere nicht die Möglichkeit, die Beitragsforderung des privaten Pflegeversicherungsunternehmens auf 18,04 Euro, den Beitragssatz für Alg II-Bezieher in der sozialen Pflegeversicherung, zu reduzieren. Daher muss ein Beitrag bis zu maximal 36,56 Euro monatlich als notwendig i.S. des § 26 Abs. 3 SGB II a.F. angesehen werden, zumal der Gesetzgeber, wie sich aus der Aufstellung der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben ergibt, die Einbeziehung eines Teils des Pflegeversicherungsbeitrags in den Regelbedarf nicht erwogen hat.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der dem Kläger endgültig zustehenden Leistungen im Zeitraum Oktober bis Dezember 2009.
Der am 1975 geborene Kläger bezog von Oktober 2005 bis Dezember 2010 Leistungen nach dem SGB II.
Der Kläger wohnt in einer 2-Zimmer-Wohnung in der R.-Straße in H .. Die Grundmiete für die Wohnung beträgt 204 EUR. Die Betriebskosten inklusive Heizkosten umfassen 120 EUR. Die konkrete Höhe der Heizkosten schlüsselt der Vermieter nicht auf.
Der Kläger ist als Gewerbetreibender selbstständig tätig und wurde mit Bescheid vom 15.06.2000 von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Der Kläger ist privat renten-versichert sowie privat kranken- und pflegeversichert.
Am 07.05.1998 meldete der Kläger ein Gewerbe in P.-Dorf, einem Ortsteil der Stadt B., für den Vertrieb von Finanzdienstleistungen an. Dieses erweiterte er mit Gewerbeummeldung vom 05.02.2004 auf bestimmte Maklertätigkeiten. Für das Gewerbe in P.-Dorf mietete der Kläger ein 26 m2 großes Büro in P.-Dorf an. Das Gewerbe in P.-Dorf betrieb der Kläger allein.
Am 08.01.2004 meldete der Kläger in der Stadt K. ein Gewerbe für einen Textilshop unter der Adresse an. Den Textilshop betrieb der Kläger mit mehreren, überwiegend in Teilzeit beschäftigten Angestellten.
Die Buchhaltung für das Finanzdienstleistungsgewerbe in P.-Dorf und den Textilshop in K. erfolgte getrennt. Für beide Gewerbe existierten separate Konten und Abrechnungen.
Bereits bei der Erstantragstellung am 20.10.2005 gab der Kläger an, Gewinne nur mit dem Finanzdienstleistungsgewerbe in P. zu erzielen. Der Textilshop in K. erwirtschaftete lediglich Verluste. Die Verluste glich der Kläger mit den aus seinem Finanzdienstleistungsgewerbe erzielten Gewinnen aus. Die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2008 wiesen jeweils negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb von mindestens -5.000 EUR auf. Der Beklagte rechnete dem Kläger bei der Leistungsbewilligung die erzielten Gewinne aus dem Finanzdienstleistungsgewerbe stets als Einkommen an und berücksichtigte die Verluste aus dem Textilshop nicht.
Zum 20.02.2008 verlegte der Kläger den Textilshop von K. nach P. Der Kläger, der in diesem Zeitraum an einer vom Beklagten veranlassten Coaching-Maßnahme für die Selbstständigkeit teilnahm, bezweckte mit der Verlegung eine Steigerung der Erträge aus dem Textilshop aufgrund der verbesserten örtlichen Lage.
Hinsichtlich des vorliegend streitgegenständlichen Zeitraums (01.10.2009-31.12.2009) stellte der Kläger am 06.09.2009 einen Weiterbewilligungsantrag. Der Kläger entrichtete in diesem Zeitraum monatliche Beiträge für seine private Krankenversicherung in Höhe von 200,88 EUR, für seine private Pflegeversicherung in Höhe von 18,08 EUR und für seine private Rentenversicherung in Höhe von 56,26 EUR bzw. ab Dezember 2009 in Höhe von 57,94 EUR.
Mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 21.09.2009 gewährte der Beklagte dem Kläger monatliche Leistungen in Höhe von 636,51 EUR. Als Grund für die vorläufige Leistungsgewährung nannte der Beklagte die selbstständige Tätigkeit des Klägers. Der Leistungsgewährung legte er einen Regelbedarf von 359 EUR und einen Bedarf für Unterkunft und Heizung von 317,21 EUR (Grundmiete von 204 EUR, kalte Betriebskosten von 60 EUR und Heizkosten von 60 EUR abzüglich einer Warmwasserpauschale von 6,79 EUR) zugrunde. Der Beklagte rechnete auf diesen Bedarf ein monatliches Einkommen von 378,63 EUR, bereinigt 222,90 EUR, an. Weiterhin gewährte der Beklagte monatliche Zuschüsse zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 124,32 EUR, zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 18,08 EUR und zur privaten Rentenversicherung in Höhe von 40,80 EUR.
Am 10.02.2010 reichte der Kläger seine abschließenden Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit (abschließende EKS) für den Zeitraum 07-12/2009 beim Beklagten ein. Der Kläger erstellte separate abschließende EKS für sein Finanzdienstleistungsgewerbe und seinen Textilshop. Nach eigenen Angaben erwirtschaftete der Kläger mit seinem Finanzdienstleistungsgewerbe im Zeitraum 10-12/2009 einen durchschnittlichen monatlichen Verlust von 143,07 EUR und mit seinem Textilshop einen durchschnittlichen monatlichen Verlust von 444,28 EUR. In der abschließenden EKS für das Finanzdienstleistungsgewerbe berücksichtigte der Kläger unter dem Posten "Versicherung/Beiträge" die Kosten für seine private Kranken, Pflege- und Rentenversicherung als Betriebsausgaben mit Beträgen von 275,22 EUR und 276,90 EUR. Den Posten "sonstige Betriebsausgaben" für das Finanzdienstleistungsgewerbe schlüsselte der Kläger in einer auf Bl. 932 der Verwaltungsakte enthaltenen Übersicht, auf welche hinsichtlich der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, näher auf.
Mit Änderungsbescheid vom 01.04.2010 setzte der Beklagte die dem Kläger für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2009 endgültig zustehenden Leistungen auf monatlich 741,15 EUR fest und zahlte an den Kläger einen Betrag in Höhe von insgesamt 313,92 EUR nach. Bei der Berechnung berücksichtigte der Beklagte einen für das Finanzdienstleistungsgewerbe des Klägers für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2009 ermittelten monatlichen Gewinn von 247,82 EUR, bereinigt 118,26 EUR, und ließ die Verluste aus dem Textilshop von monatlich durchschnittlich 444,29 EUR außer Betracht. Der Berechnung der Gewinne aus dem Finanzdienstleistungsgewerbe und der Verluste aus dem Textilshop legte der Beklagte die Angaben des Klägers in den abschließenden EKS vom 10.02.2010 zugrunde. Die Raumkosten für das Finanzdienstleistungsgewerbe bezifferte der Beklagte jedoch mit 625,65 EUR, obwohl sich aus der abschließenden EKS des Klägers eine Summe von 624,75 EUR ergab. Für das Finanzdienstleistungsgewerbe erkannte der Beklagte den Ausgabenposten "Versicherungen / Beiträge" nicht an und kürzte den Ausgabeposten "sonstige Betriebsausgaben" um die darin enthaltenen Ausgaben für Bewirtungskosten, Blumen, Arztrechnungen, Bürogetränke, Dekomaterial und Medikamente. Die Angaben über Einnahmen und Ausgaben für den Textilshop erkannte der Beklagte vollständig an.
Mit Schreiben vom 03.05.2010 reichte der Kläger Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 01.04.2010 ein. Als Begründung führte er an, es sei kein Verlustausgleich in derselben Einkommensart erfolgt und es seien nicht alle angegebenen Ausgaben berücksichtigt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.08.2010 (W 2397/10) wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Der für den Textilshop errechnete durchschnittliche monatliche Verlust von 444,28 EUR dürfe bei der Ermittlung des Einkommens nicht von dem Gewinn aus dem Finanzdienstleistungsgewerbe abgezogen werden. Ein Verlustausgleich zwischen den einzelnen Einkommensarten sei gemäß § 5 ALG II-V nicht zulässig. Einkommen dürfe nicht um Ausgaben einer anderen Einkommensart vermindert werden. Nicht zu berücksichtigen seien auch Verluste aus einer zweiten selbstständigen Tätigkeit, wenn aus der ersten Gewinne erwirtschaftet werden. Einem Leistungsberechtigten sei es zuzumuten, die zweite unwirtschaftliche selbständige Tätigkeit aufzugeben. Ein Verlustausgleich aus mehreren selbstständigen Tätigkeiten sei somit nicht zulässig. Ebenso wie im Recht der Grundsicherung Schulden bei der Ermittlung des Einkommens mangels Rechtsgrundlage nicht berücksichtigt würden, könnten auch Verluste selbstständig Tätiger nicht vom Einkommen abgesetzt werden. Weiterhin seien die Ausgaben des Klägers zutreffend berücksichtigt worden. Die Versicherungsbeiträge für die private Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung stellten ebenso wenig Betriebsausgaben wie Arztrechnungen und Rechnungen über Medikamente dar. Ausgaben für Bewirtungskosten, Blumen, Bürogetränke und Dekomaterial seien als vermeidbare Betriebsausgaben ebenfalls nicht anzuerkennen gewesen. Schließlich sei der Zuschuss zur privaten Krankenversicherung nur in Höhe des gesetzlichen Krankenversicherungsbeitrags von 124,32 EUR zu gewähren gewesen.
Daraufhin hat der Kläger am 29.09.2010 Klage zum Sozialgericht Dresden erhoben.
Am 10.12.2012 meldete der Kläger, weil er weiterhin mit dem Textilshop nur Verluste erwirtschaftete, sein Gewerbe in P. ab. Er ist seitdem nur noch im Finanzdienstleistungsgewerbe tätig.
Der Kläger ist der Auffassung, dass ein Verlustausgleich innerhalb derselben Einkommensart auf Grundlage des § 5 ALG II-V möglich sei. Eine andere Auslegung finde im Wortlaut des § 5 ALG II-V keine Stütze. Es liege insbesondere keine planwidrige Regelungslücke vor, die eine andere Auslegung zuließe. Berücksichtige man den Verlust aus dem Textilshop, ergebe sich für den streitgegenständlichen Zeitraum ein Gesamtverlust und damit kein anrechenbares Einkommen. Weiterhin ist der Kläger der Auffassung, dass der Beklagte den Zuschuss für die private Krankenversicherung in Höhe der dem Kläger tatsächlich entstandenen Aufwendungen von monatlich 200,88 EUR zu gewähren habe. Darüber hinaus habe der Beklagte die vom Kläger angegebenen Ausgaben für das Finanzdienstleistungsgewerbe teilweise zu Unrecht gekürzt. Anerkannt werde, dass die im Posten "Versicherungen/Beiträge" angegebenen Kosten nicht berücksichtigungsfähig seien. Demgegenüber hätten die "sonstigen Betriebsaufwendungen" im vollen Umfang in die Berechnung einbezogen werden müssen. Ein enger Kundenkontakt spiele im Finanzdienstleistungsgewerbe eine große Rolle. Es müsse Vertrauen aufgebaut werden. Dazu gehöre eine gute Büroatmosphäre ebenso wie Blumensträuße zum Geburtstag der Kunden als Teil der Kundenpflege. Auch dienten Treffen in Gaststätten der Vorbesprechung von Vertragsabschlüssen und der Kundenbindung.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 12.02.2013 ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass er den Zuschuss zur privaten Krankenversicherung im streitgegenständlichen Zeitraum nunmehr in Höhe von monatlich 200,88 EUR gewährt und dem Kläger einen Betrag von monatlich 76,56 EUR (200,88 EUR - 124,32 EUR), also insgesamt 229,68 EUR nachzahlen wird. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 11.03.2013 angenommen.
Der Kläger beantragt,
den Änderungsbescheid vom 01.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger über den bereits anerkannten Betrag von 229,68 EUR hinaus für Oktober bis Dezember 2009 weitere Leistungen der Grundsicherung in Höhe von monatlich 118,58 EUR zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass im Falle zweier selbstständiger Tätigkeiten kein Verlustausgleich zu erfolgen habe. Die Allgemeinheit solle nicht belastet werden, wenn es dem Leistungsberechtigten möglich sei, die nicht profitable selbstständige Tätigkeit aufzugeben. Hinsichtlich der vom Beklagten nicht anerkannten sonstigen Betriebsausgaben vertritt der Beklagte die Ansicht, dass Selbstständige, die staatliche Transferleistungen in Anspruch nehmen, Einschränkungen ihrer unternehmerischen Freiheit hinnehmen müssten. Leistungsberechtigte seien gehalten, ihre Ausgaben so gering wie möglich und nötig zu halten. Treffen mit Kunden in Gaststätten seien nicht erforderlich. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein öffentlicher Ort für die Besprechung von Geschäften und - damit verbunden - von sensiblen Daten geeigneter als ein Treffen in den eigenen Geschäftsräumen oder in den Wohnräumen der Kunden sein solle.
Das Gericht hat Bände I bis VI (Blatt 1-1334) der Verwaltungsakte des Beklagten zur BG-Nr. sowie die Gerichtsakten zu den parallel verhandelten Verfahren S 21 AS 6347/10 und S 21 AS 6349/10 beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte einschließlich der gewechselten Schriftsätze und auf die beigezogenen Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die als Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Klage ist begründet.
Der Änderungsbescheid vom 01.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.08.2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf höhere endgültige Leistungen.
Der Beklagte stützte den Änderungsbescheid vom 01.04.2010 zu Recht auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 3 SGB III und setzt darin vorläufig bewilligte Leistungen endgültig fest. Gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III können Leistungen vorläufig bewilligt werden, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat. Lassen sich die Anspruchsvoraussetzungen endgültig feststellen, so wird der Leistungsanspruch endgültig festgesetzt und dem Leistungsberechtigten werden Leistungen nachgezahlt oder eine Erstattung der vorläufig gewährten Leistungen verlangt (§ 328 Abs. 3 SGB III). Vorliegend handelte es sich bei dem Bewilligungsbescheid vom 21.09.2009 um einen vorläufigen Bescheid im Sinne von § 328 Abs. 1 SGB III, denn der Bescheid wird ausdrücklich als vorläufig bezeichnet, zitiert § 40 Abs. 1, Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III als Rechtsgrundlage und enthält den Hinweis, dass noch nicht abschließend entschieden werden konnte und gegebenenfalls Leistungen zu erstatten sind.
Der Beklagte setzte die dem Kläger zustehenden endgültigen Leistungen fehlerhaft lediglich auf monatlich 741,15 EUR bzw. nach dem Teilanerkenntnis auf monatlich 817,71 EUR fest. Der Kläger hat im Zeitraum vom Oktober bis Dezember 2009 Anspruch auf endgültige monatliche Leistungen in Höhe von 936,29 EUR und damit verbunden einen Anspruch auf Nachzahlung eines weiteren monatlichen Betrages von 118,58 EUR.
Der 1975 geborene Kläger ist leistungsberechtigt i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB II, denn er hat das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, ist erwerbsfähig im Sinne von § 8 SGB II, hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
a) Der Kläger hat zunächst gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II Anspruch auf Zahlung des Regelbedarfs gemäß § 20 Abs. 1 SGB II, der im hier betroffenen Leistungszeitraum von Oktober bis Dezember 2009 monatlich 359,00 EUR umfasste (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II a.F. i.V.m. Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 1. Juli 2008 vom 17.06.2009).
b) Darüber hinaus hat der Kläger nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II einen Anspruch auf Zahlung von Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind.
Der monatliche Unterkunftsbedarf des Klägers beläuft sich auf 317,53 EUR. Der Kläger hat, da der Beklagte ein Kostensenkungsverfahren nie durchführte, Anspruch auf die Übernahme seiner tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Diese Aufwendungen setzen sich zusammen aus der Grundmiete von 204 EUR und Betriebskosten inklusive Heizkosten von 120 EUR. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte mangels näherer Angaben für seine Berechnung kalte Betriebskosten von 60 EUR und Heizkosten von 60 EUR zugrunde legte. Einheitliche monatliche Betriebs- und Heizkostenvorauszahlung sind bei fehlender Tilgungsbestimmung durch Mieter und Vermieter hälftig auf die kalten und warmen Betriebskosten aufzuteilen (vgl. hierzu im Einzelnen: SG Dresden, Urteil vom 01.06.2012, S 40 AS 5436/11, Rn. 25 ff. - zitiert nach juris). Von den Heizkosten ist eine Warmwasserpauschale in Höhe von monatlich 6,47 EUR abzuziehen. Die Kosten der Aufbereitung des Warmwassers sind von den Heizkosten abzuziehen, weil sie bereits in der Regelleistung enthalten sind und eine Berücksichtigung bei den Kosten der Unterkunft und Heizung letztlich eine doppelte Berücksichtigung dieser Kosten zugunsten der Klägerin zur Folge hätte (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 27.02.2008, B 14/11b AS 15/07 R, Rn. 20 - zitiert nach juris). Die Höhe der Warmwasserpauschale richtet sich dabei nach dem jeweiligen Regelsatz und umfasst einen Prozentsatz von 1,802 % des Regelsatzes. Bei einem Regelsatz von 359 EUR ergibt sich so eine Warmwasserpauschale von 6,47 EUR.
c) Als weiterer Bedarf sind die Zuschüsse zur privaten Rentenversicherung in Höhe von 40,80 EUR, zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 200,88 EUR und zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 18,08 EUR gemäß § 26 SGB II a.F. zu berücksichtigen.
Gemäß § 26 Abs. 1 SGB II a.F. erhalten Bezieher von Arbeitslosengeld II, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind, einen Zuschuss zu den Beiträgen, die für die Dauer des Leistungsbezugs freiwillig für eine private Alterssicherung gezahlt werden. Der Zuschuss ist auf die Höhe des Betrages begrenzt, der ohne die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wäre. Dieser Betrag belief sich, ausgehend von einer gemäß § 166 Abs. 1 Nr. 2a SGB VI zugrunde zu legenden beitragspflichtigen Einnahme von 205 EUR und dem im Jahr 2009 geltenden Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung von 19,90 %, auf 40,80 EUR.
Nach § 26 Abs. 2 SGB II a.F. gilt für Bezieher von Arbeitslosengeld II, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig und nicht familienversichert sind und die für den Fall der Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind, § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). Die Vorschriften des § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 VAG sind nach der Rechtsprechung des BSG so auszulegen, dass Beiträge zur privaten Krankenversicherung in Höhe bis zum hälftigen Basistarif i.S.d. § 12 Abs. 1a VAG übernommen werden (BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 108/10 R). Da die Beiträge des Klägers zur privaten Krankenversicherung mit 200,88 EUR unterhalb des für ihn maßgeblichen hälftigen Basistarifs von 284,82 EUR (569,63 EUR / 2) lagen (zur Höhe des Basistarifs: BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 4 AS 108/10 R, Rn. 20 - zitiert nach juris), sind sie in voller Höhe zu übernehmen. Der Beklagte hat ein entsprechendes Teilanerkenntnis abgegeben.
Gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB II a.F. werden schließlich für die Bezieher von Alg II, die in der sozialen Pflegeversicherung nicht versicherungspflichtig und nicht familienversichert sind, die Aufwendungen für eine angemessene private Pflegeversicherung im notwendigen Umfang übernommen. Was eine "angemessene private Pflegeversicherung im notwendigen Umfang" ist, wird weder im SGB II noch im SGB XI ausdrücklich geregelt. Das BSG führt zur Höhe der maximal zu übernehmenden Beiträge Folgendes aus:
"Die Höhe der Beiträge regelt § 110 Abs. 2 Satz 3, 4 SGB XI idF des Pflegeversicherungs-Weiterentwicklungsgesetzes vom 28.5.2008 (BGBl I 874) wie folgt: "Für Personen, die im Basistarif nach § 12 des Versicherungsaufsichtsgesetzes versichert sind und deren Beitrag zur Krankenversicherung sich nach § 12 Abs. 1c Satz 4 oder 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes vermindert, darf der Beitrag 50 vom Hundert des sich nach Abs. 1 Nr 2 Buchst e ergebenden Beitrags nicht übersteigen; Für die Aufbringung der nach Satz 3 verminderten Beiträge gilt § 12 Abs. 1c Satz 5 oder 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes entsprechend; dabei gilt Satz 6 mit der Maßgabe, dass der zuständige Träger den Beitrag zahlt, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der sozialen Pflegeversicherung zu tragen ist." Danach darf der Beitrag in der privaten Pflegeversicherung für Personen im verminderten Basistarif zur privaten Krankenversicherung im Jahr 2010 bei dem normalen Beitragssatz von 1,95 vH (§ 55 Abs. 1, 3 SGB XI) und einer Beitragsbemessungsgrenze von 3750 Euro (§ 55 Abs. 2 SGB XI, § 6 Abs. 7 SGB V) maximal 36,56 Euro betragen.
Der in § 110 Abs. 2 Satz 4 SGB XI für die Bezieher von Alg II enthaltene Verweis auf § 12 Abs. 1c Satz 5, 6 VAG mit der ausdrücklichen Maßgabe, dass der zuständige Leistungsträger nach dem SGB II (nur) den Beitrag zu übernehmen hat, der für einen Bezieher von Alg II in der sozialen Pflegeversicherung zu zahlen ist, lässt auf eine Deckungslücke schließen. Denn im Jahr 2010 betrug der ermäßigte Beitragssatz für Alg II-Bezieher in der sozialen Pflegeversicherung 18,04 Euro. Nach § 57 Abs. 1 Satz 2 SGB XI ist für die Beitragsbemessung von Alg II-Beziehern abweichend von § 232a Abs. 1 Satz 1 Nr 2 SGB V der dreißigste Teil des 0,3620-fachen der monatlichen Bezugsgröße pro Tag zugrunde zu legen; die monatliche Bezugsgröße nach § 18 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) betrug im Jahr 2010 2555 Euro.
Der Beklagte kann sich jedoch auf die Begrenzung der Leistungspflicht auf die Höhe der in der sozialen Pflegeversicherung versicherten Leistungsbezieher nicht berufen, soweit dies der Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 26 Abs. 3 SGB II a.F. für eine Absicherung der privat pflegeversicherten Alg II-Empfänger durch eine "angemessene private Pflegeversicherung im notwendigen Umfang" widerspricht. Mit der Verpflichtung der privaten Pflegeversicherungsunternehmen auf eine Beitragsabsenkung zugunsten ihrer Versicherten im Basistarif, die auch für die Bezieher von Alg II maßgebend ist, hat der Gesetzgeber für diesen Personenkreis zugleich festgelegt, welche Beitragshöhe "angemessen" und "notwendig" ist, nämlich der Beitrag, den private Versicherungsunternehmen von derart beitragsprivilegierten Personen höchstens fordern können. Eine weitere Reduzierung des Beitrags für Bezieher von Alg II ist nicht vorgesehen. Das Regelungsgefüge der § 110 Abs. 2 Satz 4 SGB XI, § 12 Abs. 1c VAG, § 57 Abs. 1 Satz 2 SGB XI eröffnet insbesondere nicht die Möglichkeit, die Beitragsforderung des privaten Pflegeversicherungsunternehmens auf 18,04 Euro, den Beitragssatz für Alg II-Bezieher in der sozialen Pflegeversicherung, zu reduzieren (vgl BSG vom 18.1.2011 - B 4 AS 108/10 R - BSGE 107, 217 = SozR 4-4200 § 26 Nr 1). Daher muss ein Beitrag bis zu maximal 36,56 Euro monatlich als notwendig i.S. des § 26 Abs. 3 SGB II a.F. angesehen werden, zumal der Gesetzgeber, wie sich aus der Aufstellung der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben ergibt (vgl für den Rechtszustand seit dem Jahr 2011: § 6 Abs. 1 Regelbedarfsermittlungsgesetz), die Einbeziehung eines Teils des Pflegeversicherungsbeitrags in den Regelbedarf nicht erwogen hat." (BSG, Urteil vom 16.10.2012, B 14 AS 11/12 R, Rn. 30-32 - zitiert nach juris)
Dem schließt sich das Gericht nach eigener Prüfung an. Da der Beitrag in der privaten Pflegeversicherung für Personen im verminderten Basistarif zur privaten Krankenversicherung im Jahr 2009 maximal 35,83 EUR betrug, war der Zuschuss zur privaten Pflegeversicherung des Klägers in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen von 18,08 EUR zu gewähren.
Der monatliche Gesamtbedarf des Klägers betrug im streitgegenständlichen Zeitraum damit 936,29 EUR (359 EUR Regelleistung + 317,53 EUR KdU + 40,80 EUR Zuschuss RV + 200,88 EUR Zuschuss KV + 18,08 EUR Zuschuss PV).
d) Diesen Bedarf kann der Kläger weder vollständig noch zum Teil mit Einkommen aus Gewerbebetrieb decken. Der Kläger erzielte zwar Einkommen aus dem Finanzdienstleistungsgewerbe, doch war von diesem Gewinn der Verlust aus dem Textilshop ist Abzug zu bringen (hierzu nachfolgend aa)). Aus diesem Grund kann vorliegend auch offen bleiben, ob die vom Kläger aufgeführten "sonstigen Betriebsausgaben" als notwendige Ausgaben i.S.d. § 3 Abs. 2 ALG II-V anzuerkennen gewesen wären. Selbst unter Zugrundelegung der Berechnung des Beklagten ergäbe sich für das Finanzdienstleistungsgewerbe allenfalls ein Gewinn von monatlich 247,82 EUR. Dieser Gewinn wird durch die Verluste aus dem Textilshop in Höhe von monatlich 444,28 EUR vollständig ausgeglichen (hierzu nachfolgend bb)).
aa) Bei der Ermittlung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit sind sowohl die Gewinne des Klägers aus dem Finanzdienstleistungsgewerbe als auch die Verluste aus dem Textilshop zu berücksichtigen. Es handelt sich hierbei insgesamt um ein einheitliches Einkommen aus Gewerbebetrieb i.S.d. § 3 ALG II-V. Erzielt ein Leistungsberechtigter mit verschiedenen Tätigkeiten (z.B. verschiedenen Gewerben) oder mit verschiedenen Vermögensgegenständen (z.B. verschiedenen verpachteten oder vermieteten Grundstücken) Einkommen aus derselben Einkommensart, ist das Einkommen aus dieser Einkommensart auf Grundlage der Berücksichtigung der gesamten Einnahmen und Ausgaben für diese Einkommensart zu ermitteln. Gewinne und Verluste innerhalb derselben Einkommensart dürfen dabei miteinander verrechnet werden (sog. horizontaler Verlustausgleich). § 5 ALG II-V steht dem nicht entgegen, denn die Vorschrift untersagt nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur einen Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkommensarten (sog. vertikaler Verlustausgleich).
§ 5 ALG II-V, der mit Wirkung zum 01.01.2008 in die ALG II-Verordnung eingefügt wurde, lautet:
"Ausgaben sind höchstens bis zur Höhe der Einnahmen aus derselben Einkunftsart abzuziehen. Einkommen darf nicht um Ausgaben einer anderen Einkommensart vermindert werden."
Darf gemäß § 5 Satz 2 ALG II-V Einkommen nicht um Ausgaben einer anderen Einkommensart vermindert werden, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass Einkommen um Ausgaben aus derselben Einkommensart vermindert werden darf.
Was unter dem Begriff der Einkommensart zu verstehen ist, ergibt sich aus der Systematik der ALG II-Verordnung: diese unterscheidet in ihren Regelungen zur Anrechenbarkeit von Einkommen zwischen den Einkommensarten des Einkommens aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 2 ALG II-V), aus selbstständiger Arbeit, aus Gewerbebetrieb, aus Land- und Fortwirtschaft (§ 3 ALG II-V) sowie aus Sozialleistungen, Vermietung und Verpachtung sowie Kapitalvermögen (§ 4 ALG II-V). Nach der aktuell geltenden Fassung des § 4 ALG II-V kommt noch Einkommen aus Wehr-, Ersatz- und Freiwilligendienstverhältnissen hinzu.
Der Kläger erzielt Einkommen nur aus Gewerbebetrieb. Ein horizontaler Verlustausgleich innerhalb dieser Einkommensart ist nach dem Wortlaut des § 5 ALG II-V zulässig.
Dem steht nicht entgegen, dass die Begründung des Verordnungsgeber ein anderes Verständnis des § 5 ALG II-V indiziert. In der Verordnungsbegründung wird zu § 5 ALG II-V Folgendes ausgeführt:
"Mit der Vorschrift wird der Ausgleich von Verlusten zwischen einzelnen Einkommensarten für die Berechnung des in der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu berücksichtigenden Einkommens ausgeschlossen. Ausgaben werden damit nur bei der jeweiligen Einkunftsart abgesetzt.
Leistungen zum Lebensunterhalt dürfen nur erbracht werden, soweit Hilfebedürftigkeit vorliegt. Daher sind alle zur Verfügung stehenden Einnahmen vorrangig für den Lebensunterhalt einzusetzen. Daraus ergibt sich bereits, dass diese Einnahmen dann nicht mehr für den Verlustausgleich zur Verfügung stehen können. Insoweit hat die Regelung auch klarstellenden Charakter.
Die Regelung gilt daher auch für den Ausgleich von Verlusten in einer Einkommensart, wenn zum Beispiel zwei selbständige Tätigkeiten betrieben werden." (Entwurf für eine Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld, November 2007, S. 17)
Nach Auffassung des Verordnungsgebers soll ein Verlustausgleich auch innerhalb einer Einkommensart - "wenn zum Beispiel zwei selbstständige Tätigkeiten betrieben werden" - ausgeschlossen sein. In dem Wortlaut der Regelung findet diese Intention jedoch keinerlei Stütze. § 5 ALG II-V regelt ausdrücklich, dass Einkommen nicht um Ausgaben einer anderen Einkommensart vermindert werden darf. Eine Regelung, etwa dergestalt, dass außerdem Einkommen aus einer abgrenzbaren Tätigkeit nicht um Ausgaben einer zweiten abgrenzbaren Tätigkeit derselben Einkommensart vermindert werden darf, wurde nicht aufgenommen. Auch kann der Begriff "Einkommensart" nicht so verstanden werden, dass bei mehreren Gewerbebetrieben das Einkommen aus dem einen Gewerbebetrieb eine andere Einkommensart als das Einkommen aus dem anderen Gewerbebetrieb bildet. Auch der Verordnungsgeber geht davon aus, dass zwei selbstständige Tätigkeiten "in einer Einkommensart" betrieben werden.
Widersprechen Gesetzeswortlaut und Gesetzesbegründung einander, genießt bei einer Auslegung der Wortlaut einer Norm den Vorrang. Dies entspricht dem Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.
Es ist dem Beklagten zuzugeben, dass der Sinn und Zweck, der einen (vertikalen) Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkommensarten ausschließt, auch den Ausschluss eines horizontalen Verlustausgleichs rechtfertigen könnte. Durch den Ausschluss des vertikalen Verlustausgleichs soll verhindert werden, dass Hilfeempfänger auf Kosten der Allgemeinheit verlustreichen Tätigkeiten nachgehen (BSG, Urteil vom 12.06.1992, 11 RAr 75/91, Rn. 22 - zitiert nach juris). Auch und gerade im Hinblick auf den Bedarfsdeckungsgrundsatz des SGB II begegnet der Ausschluss eines Verlustausgleichs dann keinen Bedenken, wenn Einnahmen tatsächlich zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen (SG Mainz, Urteil vom 10.07.2012, S 16 AS 325/10, Rn. 18 - zitiert nach juris). Dass Einnahmen gegebenenfalls zur Begleichung von Schulden aus einer verlustreichen Einkommensart genutzt werden, beruht dann auf einer freiwilligen Entscheidung des Leistungsempfängers. Zahlungen zur Tilgung von Schulden können im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende grundsätzlich nicht vom Einkommen abgesetzt werden (BSG, Urteil vom 19.09.2008, B 14/7b AS 10/07 R).
Die genannten Bedenken gegen einen vertikalen Verlustausgleich lassen sich auch auf den vorliegenden Fall übertragen, führen jedoch zu keiner anderen Auslegung des § 5 ALG II-V. Dem Kläger wäre es zwar möglich gewesen, die Gewinne aus dem Finanzdienstleistungsgewerbe zur Bestreitung seines Lebensunterhalts einzusetzen und damit nicht die Verluste aus dem Textilshop auszugleichen. Es gab getrennte Konten für beide Gewerbe. Auch wäre es dem Kläger möglich gewesen, den verlustreichen Textilshop aufzugeben. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger seit Februar 2008 mit seinem Textilshop in einer Umstrukturierungsphase befand und er hoffte, auch mit Unterstützung des Beklagten, mit diesem Gewerbe zukünftig ebenfalls Gewinne zu erwirtschaften. Selbst wenn man der Auffassung des Beklagten folgte, dass auch ein horizontaler Verlustausgleich ausgeschlossen ist, wäre in seinem solchen Fall zu überlegen, ob analog § 10 der Verordnung zu § 82 SGB XII eine Härtefallregelung zur Anwendung käme.
Die Probleme im Zusammenhang mit einem ausnahmslosen Ausschluss eines horizontalen Verlustausgleichs ohne Härtefallregelung und auch die Frage, wann im Einzelfall zwei voneinander abgrenzbare Tätigkeiten innerhalb derselben Einkommensart tatsächlich vorliegen, sind vom Gesetzgeber zu lösen. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, eine Norm aufgrund einer sich im Wortlaut nicht widerspiegelnden Intention des Verordnungsgebers in ihr Gegenteil auszulegen und die konkreten Voraussetzungen für die vom Verordnungsgeber nur kursorisch umschriebene beabsichtigte Regelung auszugestalten. Der Verordnungsgeber hat das Problem des Verlustausgleichs zwischen Tätigkeiten aus derselben Einkommensart bereits im Jahr 2007 erkannt, aber seitdem keine Schritte zur gesetzlichen Ausgestaltung dieser Problematik unternommen. Maßgeblich bleibt daher weiterhin der eindeutige Wortlaut des § 5 ALG II-V.
Schließlich entspricht die Zulässigkeit eines (horizontalen) Verlustausgleichs innerhalb einer Einkommensart auch den Regelungen bzw. der Rechtsprechung zum Einkommensbegriff in anderen Bereichen des Sozial- und Verwaltungsrechts (zum Begriff "positives Einkommen" in § 2 BEEG führte das BSG aus, dass vertikaler Verlustausgleich ausgeschlossen, ein horizontaler Verlustausgleich innerhalb einer Einkommensart aber zulässig ist: BSG, Urteil vom 27.06.2013, B 10 EG 2/12 R, Rn. 32; zur Zulässigkeit eines horizontalen Verlustausgleichs im Rahmen der Beitragsbemessung nach § 240 SGB V im Krankenversicherungsrecht: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 02.11.2011, L 4 KR 39/08, Rn. 66; zur Zulässigkeit des horizontalen Verlustausgleichs nach § 21 Abs. 1 Satz 2 BAföG: OVG NRW, Beschluss vom 17.06.2010, 12 A 1312/08, Rn. 3; zum horizontalen Verlustausgleich bei der Beamtenversorgung nach § 53 Abs. 7 BeamtVG, VG Kassel, Urteil vom 20.05.2008, 1 E 1159/07, Rn. 18 - jeweils zitiert nach juris).
Soweit für das Recht der Grundsicherung eine grundlegend andere Regelung getroffen werden sollte, hätte sich dies ausdrücklich im Gesetzeswortlaut widerspiegeln müssen. Insoweit kann auch der Entscheidung des Hessischen LSG vom 24.04.2007 (L 9 AS 284/06 ER) nicht gefolgt werden. Soweit hier auf die Rechtsprechung des BSG zum damaligen Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und Bundessozialhilfegesetz (BSHG) verwiesen wurde, ist festzustellen, dass das BSG in den zitierten Entscheidungen lediglich den Ausschluss des Verlustausgleiches zwischen verschiedenen Einkommensarten für zulässig erachtete (BSG, Urteil vom 12.06.1992, 11 RAr 75/91; BSG, Urteil vom 27.07.1989, 11/7 RAr 99/87).
bb) Bei der Ermittlung des Einkommens aus Gewerbebetrieb sind somit sowohl die Einnahmen und Ausgaben aus dem Finanzdienstleistungsgewerbe als auch die Einnahmen und Ausgaben aus dem Textilshop zu berücksichtigen. Der Höhe nach sind die Einnahmen und Ausgaben aus dem Textilshop sowie die Einnahmen aus dem Finanzdienstleistungsgewerbe zwischen den Beteiligten unstreitig. Uneinigkeit besteht mittlerweile nur noch hinsichtlich des für das Finanzdienstleistungsgewerbe geltend gemachten Ausgabenpostens "sonstigen Betriebsausgaben".
Es kann dahinstehen, ob der Beklagte zutreffend die Ausgaben für Bewirtungskosten, Blumen, Arztrechnungen, Bürogetränke, Dekomaterial und Medikamente nicht anerkannte. Selbst bei Zugrundelegung der Berechnung des Beklagten ergäbe sich für das Finanzdienstleistungsgewerbe allenfalls ein Gewinn von monatlich 247,82 EUR. Dieser Gewinn wird durch die Verluste aus dem Textilshop in Höhe von monatlich 444,28 EUR vollständig ausgeglichen.
Die Berechnung des Einkommens des Klägers aus Gewerbebetrieb im Einzelnen geht aus der folgenden Übersicht hervor. Die Übersicht berücksichtigt dabei mit Ausnahme der fehlerhaft addierten Raumkosten für das Finanzdienstleistungsgewerbe die einzelnen Einnahmen und Ausgaben für das Finanzdienstleistungsgewerbe, wie der Beklagte sie seiner Leistungsbewilligung zugrunde legte, und nimmt die der Höhe nach unstreitigen Verluste aus dem Textilshop der Übersichtlichkeit halber nur als jeweils einheitlichen Ausgabenposten auf:
10/2009 11/2009 12/2009 kumuliert Durchschnitt Einnahmen Betriebseinnahmen 928,15 2.134,84 573,67 3.636,66
Summe Einnahmen 928,15 2.134,84 573,67 3.636,66
Ausgaben Personalk. 1,65 1,65 Raumk. 208,25 208,25 208,25 624,75 lfd. Kosten 157,61 61,00 45,09 263,70 Reisek 3,50 28,80 120,06 152,36 Invest. 14,99 14,99 Büromaterial 34,88 196,32 22,89 254,09 Telefon 64,88 48,10 64,23 177,21 Beratungskosten 76,45 66,45 370,67 513,57 Sonstige Betriebsausgaben 79,68 244,64 181,66 505,98 Tilgung von Darlehen 128,00 128,00 128,00 384,00
Verluste aus Textilshop 702,47 64,73 565,65 1.332,85
Summe Ausgaben 1.457,37 1.046,29 1.721,49 4.225,15
Ergebnis -529,22 1.088,55 -1.147,82 -588,49 -196,16
e) Unter Zugrundelegung des ermittelten Bedarfs ergeben sich für den Kläger folgende endgültige Leistungsansprüche im streitgegenständlichen Zeitraum:
Zeitraum Hilfebedarf Anrechenbares Einkommen Leistungsanspruch Lebensunterhalt KdU Zuschüsse KV/PV/RV Gesamt 10-12/2008 359,00 EUR 317,53 EUR 259,76 EUR 936,29 EUR 0,00 EUR 936,29 EUR
Der Kläger hat unter Berücksichtigung der ihm bereits ausgezahlten monatlichen Leistungen von 636,51 EUR und des im Teilanerkenntnis zugestandenen monatlichen Leistungsanspruchs von 817,71 EUR Anspruch auf weitere endgültige Leistungen von monatlich 118,58 EUR.
2. Die Kostentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
3. Die Berufung bedurfte der Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Berufung ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Frage nach der Zulässigkeit eines (horizontalen) Verlustausgleichs innerhalb derselben Einkommensart und der Auslegung des § 5 ALG II-V ist bislang noch nicht obergerichtlich geklärt.