Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) vorliegen.

Die 1927 geborene Klägerin beantragte am 18.08.2011 beim Beklagten die Durchführung des Feststellungsverfahrens nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und machte in diesem Zusammenhang den Nachteilsausgleich "RF" geltend. Sie leide an Gleichgewichtsstörungen, Schwerhörigkeit und Herzbeschwerden. Ihr sei bereits die Pflegestufe I bewilligt worden. Im Verwaltungsverfahren befragte der Beklagte die Hausärztin der Klägerin Frau Dipl. med. G, die Fachärztin für HNO-Heilkunde Frau F und zog die Epikrise eines Krankenhausaufenthaltes im Mai 2011 sowie das Pflegegutachten aus Juni 2011 bei. Nach Auswertung der Befundberichte schätzte der von dem Beklagten beauftragte Versorgungsarzt den Gesamt-GdB mit 60 ein. Hierbei berücksichtigte er einen GdB von 40 für das Hör- und Gleichgewichtsorgan (Schwerhörigkeit GdB 20; otogene Gleichgewichtsstörungen GdB 30), einen GdB für die Heizleistungsminderung von 20 und einen GdB von 20 für eine Nierenfunktionseinschränkung. Durch Feststellungsbescheid vom 03.11.2011 stellte der Beklagte einen GdB von 60 fest, verneinte jedoch die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF". Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Klägerin darauf hin, dass bisher die Osteoporose ebenso wenig berücksichtigt sei wie der Schlaganfall, die Depressionen und Gefühlsstörungen in Händen und Füßen. Im Widerspruchsverfahren befragte der Beklagte die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie P sowie den Facharzt für Orthopädie Dr. B. Dies führte zur Einschätzung eines Gesamt-GdB von 90 durch den Beklagten unter Berücksichtigung eines GdB für den Bereich Nervensystem/Psyche von 60 (psychische Minderbelastbarkeit 10, Polyneuropathie 30, Hirnschädigung 50), eines GdB für das Hör- und Gleichgewichtsorgan von 20, eines GdB von 20 für das Herz/Kreislaufsystem, eines GdB von 20 für die Harnorgane und jeweils eines GdB von 20 für den Bereich Haltungs- und Bewegungsorgane/rheumatische Krankheiten einerseits sowie der Wirbelsäule andererseits. Durch Widerspruchsbescheid vom 07.02.2012 half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab. Er stellte einen GdB von 90 ab Antragstellung sowie von Amts wegen die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" fest und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Er verneinte weiterhin die Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF". Der Beklagte entschied zudem, die Kosten des Widerspruchsverfahrens zur Hälfte zu erstatten.

Mit ihrer wegen der Feststellung des Merkzeichens "RF" erhobenen Klage hat die Klägerin auf ihre starke Einschränkung der Beweglichkeit außer Haus verwiesen. Sie sei auf ständige Begleitung angewiesen. Die Nutzung der vorhandenen Kommunikationsmittel ermögliche es ihr, Kontakt zur Außenwelt zu halten. Sie meint, der Beklagte verkenne die Komplexität ihrer Leiden, wenn er ihr zumute, mit einem Fahrdienst und ggf. Rollstuhl an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Sie sieht sich außerstande, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen und sieht in der Nutzung von Rundfunk und Fernsehen die einzigen Möglichkeiten, noch "halbwegs" am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Sinngemäß beantragt die Klägerin schriftsätzlich,

den Beklagten unter Aufhebung des Feststellungsbescheids vom 03.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2012 zu verurteilen, bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des Widerspruchsbescheids Bezug genommen und darauf aufmerksam gemacht, dass die die Klägerin das Merkzeichen "B" für eine ständige Begleitung bisher nicht beantragt habe.

Das Gericht hat Befundberichte eingeholt von dem Facharzt für Orthopädie Dr. B vom 08.08.2012, von der Nervenärztin Frau P vom 09.08.2012 und 16.01.2014, von der Fachärztin für Augenheilkunde Dr. K vom 27.08.2012, von der Fachärztin für Innere Medizin Dipl. med. G vom 28.08.2012 und 20.01.2014, sowie von der Fachärztin für HNO-Heilkunde Frau F vom 27.09.2012 und 22.03.2012. Außerhalb des Klageverfahrens hat der Beklagte auf einen Änderungsantrag der Klägerin vom 17.10.2012 hin durch Neufeststellungsbescheid vom 14.03.2013 bei ihr einen GdB von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "B" festgestellt. Hierbei ist der Beklagte von einem GdB von 70 für den Bereich Nervensystem/Psyche ausgegangen und hat ferner einen GdB von 20 für den Bereich des Sehvermögens, einen GdB von 20 für das Hör- und Gleichgewichtsorgan, einen GdB von 20 für das Herz-Kreislauf-System, einen GdB von 20 für die Nierenfunktionseinschränkung, einen GdB von 20 für die Knochentkalkung und einen GdB von 30 für ein Wirbelsäulensyndrom zugrunde gelegt. Er hat den Aktenvorgang zum Änderungsantrag in Kopie zur Gerichtsakte gereicht.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen. Diese haben dem Gericht vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerin oder eines Bevollmächtigten entscheiden, weil sie von dem Termin zur mündlichen Verhandlung mit einem entsprechenden Hinweis benachrichtigt worden ist (vgl. §§ 110 Absatz 1, 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin ist durch den Bescheid des Beklagten vom 03.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2012 in ihren Rechten nicht verletzt. Sie hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF".

Gemäß § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch das Vorliegen gesundheitlicher Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Nachteilsausgleichen gehört das hier streitige Merkzeichen "RF", das nach § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) auf der Rückseite des Schwerbehindertenausweises einzutragen ist, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. Bis zum 31.12.2012 sah der landesrechtlich einheitlich geregelte Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 a) die Gebührenbefreiung für blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung vor sowie in Nr. 7b) die Gebührenbefreiung für hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 RGebStV wurden von der Rundfunkgebührenpflicht behinderte Menschen befreit, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Mit dem zum 01.01.2013 in Kraft getretenen landeseinheitlich geregelten Rundfunkbeitragsstaatsvertrag - RBStV - (vgl. Gesetz zu dem Fünfzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 09.06.2011, Gesetzes- und Verordnungsblatt für das Land Brandenburg Teil I, Nr. 9) ist die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nur noch für taubblinde Menschen und Empfänger von Blindenhilfe nach § 72 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vorgesehen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 RBStV). Für die nach der alten Rechtslage gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7b und Nr. 8 RGebStV noch von der Rundfunkgebühr befreiten Personen findet sich - von den tatbestandlichen Voraussetzungen her praktisch wortgleich - eine Neuregelung in § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 RBStV. Sie können nunmehr lediglich die Ermäßigung des Rundfunkbeitrags auf ein Drittel beanspruchen. Das Gericht geht davon aus, dass für die Zeit ab 01.01.2013 auch für die in § 4 Abs. 2 Satz 1 RBStV genannten Personen eine Eintragung des Merkzeichens "RF" in den Schwerbehindertenausweis in Betracht kommt, auch wenn ihnen keine Beitragsbefreiung mehr zusteht (vgl. zu dieser Frage auch: Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 13.02.2013, S 7 SB 2213/11, zitiert nach juris). Es kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die in § 4 Abs. 2 Satz 1 RBStV genannten Personen von der Inanspruchnahme oder dem Nachweis ihres Nachteilsausgleichs ausschließen wollte. Näher liegt es anzunehmen, dass nur der Kreis der vom Rundfunkbeitrag Befreiten eingeschränkt werden sollte, ohne gleichzeitig auf eine Anpassung von § 3 Abs. 1 Nr. 5 SchwbAwV an die zum 01.01.2013 in Kraft tretende Änderung der Rundfunkbeitragsbefreiung bzw. die Einführung der Beitragsermäßigung hinzuwirken. Gemäß § 69 Abs. 5 Satz 2 SGB IX dient der Ausweis dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Leistungen und sonstigen Hilfen, die schwerbehinderten Menschen nach Teil 2 oder nach anderen Vorschriften zustehen. Das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs, der in der Ermäßigung des Rundfunkbeitrags liegt, ist zu dessen Nachweis ebenso im Schwerbehindertenausweis einzutragen wie das Erfüllen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs, der zur Beitragsbefreiung führt. Es darf davon ausgegangen werden, dass es der Verordnungsgeber der Schwerbehindertenausweisverordnung bei der Neufassung des § 3 SchwbAwV zum 01.01.2013 (vgl. Dritte Verordnung zur Änderung der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 07.06.2012, BGBl I, S. 1275) schlicht versäumt hat, die Änderungen im Rundfunkbeitragsrecht umzusetzen, was die weitere Verwendung des Terminus "Rundfunkgebührenpflicht" zeigt.

Bei der Klägerin liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF" nicht vor. Der Beklagte hat die begehrte Feststellung zu Recht abgelehnt. Zu dieser Überzeugung gelangt das Gericht aufgrund der umfassenden Würdigung des Vortrags der Klägerin und der von dem Beklagten sowie vom Gericht beigezogenen Befundunterlagen.

Eine Einschränkung des Sehvermögens liegt bei der Klägerin nicht in einem Ausmaß vor, dass dafür ein GdB von 60 zu berücksichtigen ist. Das Gericht hat keinen Zweifel an der Auswertung der eingeholten Befunde durch die von dem Beklagten beauftragten Ärzte. Diese haben für eine leichtgradige Einschränkung des Sehvermögens einen GdB von 20 berücksichtigt. Auch die Klägerin beruft sich nicht auf eine hochgradige Einschränkung des Sehvermögens.

Die Klägerin ist unstreitig auch nicht gehörlos. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Klägerin trotz Hörhilfen keine ausreichende Verständigung über das Gehör möglich ist.

Auch die Voraussetzungen von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 RGebStV bzw. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 RBStV sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist sie infolge ihres Leidens nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Als öffentliche Veranstaltungen sind Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -, vgl. Urteil vom 17. März 1982 - 9a/9 RVs 6/81, zitiert nach juris). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an diesen Veranstaltungen kann nur dann bejaht werden, wenn der schwerbehinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.08.2013, L 13 SB 1/11, zitiert nach juris). Aus den beigezogenen Befundberichten und Entlassungsberichten ergibt sich gerade nicht, dass die Klägerin praktisch an das Haus gebunden ist. Die schwere Polyneuropathie sowie die Folgen des diätetisch behandelten Diabetes mellitus sowie des Vitamin B 12-Mangels führen bei der Klägerin zwar dazu, dass sie unsicher läuft, wie die Nervenärztin Frau P zuletzt in ihren Befundberichten vom 09.08.2012 und 16.01.2014 mitteilte. Daneben lässt die geringe Kraft in den Händen die Benutzung des Rollators durch die Klägerin in nur geringem Umfang zu. Jedoch hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass die Klägerin in Begleitung und unter Nutzung eines Rollstuhls länger als 30 Minuten an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Frau P beschreibt diese Möglichkeiten für die Klägerin in ihren Befundberichten ausdrücklich. Es ist der Klägerin auch zuzumuten, mit Hilfsmitteln - z. B. unter Nutzung eines Rollstuhls - und in Begleitung das Haus zu verlassen und öffentliche Veranstaltungen aufzusuchen. Solange ein Schwerbehinderter mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist er von der Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 03.06.1987, 9a RVs 27/85, Rn. 11, zitiert nach juris). Besondere Umstände, die im Fall der Klägerin gegen die Zumutbarkeit sprechen, sind nicht ersichtlich. Aus dem Schreiben vom 18.01.2013, das die Klägerin im Rahmen des Änderungsantrags an den Beklagten richtete, ergibt sich zudem, dass sie das Haus verlässt, wenn auch ihre Fähigkeit, längere Wegstrecken zurückzulegen, stärker eingeschränkt ist.

Anhaltspunkte dafür, dass medizinische Gründe zur Annahme eines Härtefalles im Sinn des § 6 Abs. 3 RGebStV bzw. § 4 Abs. 6 RBStV führen, liegen nicht vor. Dies ist z. B. der Fall, wenn ein GdB von weniger als 80 festgestellt ist, die betroffene Person jedoch insbesondere aus psychischen Gründen ständig nicht in der Lage ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 16.02.2012, B 9 SB 2/11 R, zitiert nach juris). Da der Beklagte nur Feststelllungen zu den gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen zu treffen hat, sind andere als medizinische Gründe für die Bejahung eines Härtefalls vorliegend nicht zu prüfen.

Das Gericht konnte von der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens absehen. Die beigezogenen Befundunterlagen sind aussagekräftig und boten keinen Anhaltspunkt dafür, in der Sache weiter ermitteln zu müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und berücksichtigt, dass die Klägerin im Widerspruchsverfahren hinsichtlich der Höhe des GdB einen Teilerfolg errungen hatte, jedoch im Klageverfahren nicht obsiegt hat.

Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus §§ 143, 144 SGG.