Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem 9. Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX - um die Höhe des Grades der Behinderung - GdB - und um Nachteilsausgleiche.

Mit Bescheid vom 19.03.2004 wurde bei dem 1988 geborenen Kläger ein GdB von 100 und die Merkzeichen "erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" - G -, "auf ständige Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen" - B - und "hilflos" - H - festgestellt. Dies war das Ergebnis des Verfahrens vor dem Sozialgericht Düsseldorf mit dem Aktenzeichen S 30 SB 231/02. Bereits mit Bescheid vom 26.02.2002 war bei dem Kläger das Merkzeichen "ständig gehindert an öffentlichen Veranstaltung teilzunehmen" - RF - festgestellt worden.

Im September 2006 trat das Versorgungsamt B.  in eine Überprüfung der Feststellung von Amts wegen ein. Zu diesem Zweck holte es Befundberichte von den Ärzten des Klägers ein und ließ den Kläger von dem HNO-Arzt Dr. M. begutachten.

Nach entsprechender Anhörung erteilte das Versorgungsamt B.  unter dem 07.12.2007 einen Bescheid, wonach die Behinderungen

1. Geringe- bis mittelgradige Schwerhörigkeit bds. Einzel-GdB 20
2. leichte Sprachstörung Einzel-GdB 10
3. Chronisch hyperplastische Rhinopathie, Nasenatmungsbehinderung Einzel-GdB 10
4. Asthma bronchiale Einzel-GdB 20

einen GdB von nur noch 30 bedingen.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Münster mit Beschied vom 14.07.2008 als sachlich unbegründet zurückwies.

Dagegen richtet sich die am 13.08.2008 erhobene Klage mit der der Kläger vorträgt, die von der Beklagten behauptete deutliche Besserung in seinem Gesundheitszustand sei nicht eingetreten. Unberücksichtigt geblieben sei eine bei ihm bestehende Immunschwäche.

Das Gericht hat zur Sachverhaltsermittlung ein Gutachten von dem HNO-Arzt Dr. K. eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit beschwert, als bei ihm hätte ein GdB von 70 festgestellt werden müssen. Dagegen ist der Entzug der bei dem Kläger früher festgestellten Merkzeichen rechtmäßig.

Ermächtigungsgrundlage für die Abänderung der früheren Bescheide ist § 48 Abs. 1 des 10. Buches Sozialgesetzbuch - SGB X -. Nach dieser Vorschrift darf die zuständige Behörde Bescheide ändern, wenn eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche Änderung kann medizinischer aber auch rechtlicher Natur sein.

Geht es um den Grad der Behinderung und um gesundheitliche Merkmale als Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (Merkzeichen), treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 9. Buch, SGB IX). Für Verwaltung und Gerichte gleichermaßen beachtlich sind dabei die Bewertungsmaßstäbe der seit dem 01.01.2009 geltenden versorgungsmedizinischen Grundsätze, Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung. Die versorgungsmedizinischen Grundsätze lösen die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ab, die für die Zeit vor dem 01.01.2009 als antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich waren und normähnliche Wirkung entfalteten.

Nach Maßgabe dieser Vorschriften ist in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers gegenüber den Feststellungen im Bescheid vom 19.03.2004 eine wesentliche Besserung eingetreten, die es rechtfertigt, den Gesamt-GdB von 100 auf 70 herabzusetzen.

Die Kammer folgert dies aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. K.. Dieser hat beim Kläger eine hochgradige hochtonbetonte sensorineurale Schwerhörigkeit beiderseits festgestellt und mit einem GdB von 60 bewertet. Außerdem hat der Sachverständige eine audiogene Sprachentwicklungsbehinderung diagnostiziert und mit einem Einzel - GdB von 20 bewertet. Den Gesamt- GdB hat der Sachverständige für sein Fachgebiet auf 60 geschätzt und festgestellt, dass für den HNO- Bereich eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen nicht eingetreten ist. Dem Gutachten des Sachverständigen folgt das Gericht, zumal die Feststellungen des Sachverständigen zwischen den Beteiligten wohl unstreitig sind.

Schließlich leidet der Kläger noch an einem Asthma bronchiale mit IgG2 Subklassenmangel. Nach dem Befundbericht der Universitätsklinik A. ist diese Behinderung jedoch nicht mit wesentlichen Einschränkungen verbunden, so dass hierfür allenfalls ein Einzel - GdB von 20 in Betracht kommt, was maximal zu einer Anhebung des Gesamt - GdB von 70 führen kann (Tei A Punkt 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze). Bezüglich dieser Behinderung ist im Laufe der Zeit auch eine wesentliche Besserung eingetreten. Mit Bericht vom 20.03.1991 teilte die Universitätsklinik A. noch mit, der Kläger leide an einer chronischen Gedeihstörung. Die H. Kinderklinik diagnostizierte beim Kläger unter dem 14.05.1991 noch ein schweres Atemnotsyndrom. Derartige Behinderungen sind nunmehr nicht mehr zu erkennen.

Die Voraussetzungen für die Weiterbewilligung von Merkzeichen liegen in der Person des Klägers nicht mehr vor. Der Kläger ist nicht erheblich Gehbehindert, weil bei ihm Behinderungen im Bereich des Gehens nicht vorliegen. Aus diesem Grund ist der Kläger auch bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht dauernd auf fremde Hilfe - insbesondere beim Ein- und Aussteigen - angewiesen. Darüber hinaus ist der Kläger offensichtlich nicht hilflos. Die Kammer folgt diesbezüglich dem Gutachten des Sachverständigen Dr. K..

Schließlich liegen beim Kläger auch nicht die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "RF" vor. Rechtsgrundgrundlage hierfür ist § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) und Art. 4 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 des am 1. April 2005 in Kraft getretenen Achten Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 08.03.2005 (Achter Rundfunkänderungsstaatsvertrag, zuletzt geändert am 18.12.2009, GV. NRW 2009, S. 206) (zur Anspruchsnormqualität der vorgenannten Bestimmungen siehe Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 08.11.2007, Az. B 9/9a SB 3/06 R, Juris, gegen LSG Hamburg, Urteil vom 08.08.2006, Az. L 4 SB 22/05, Juris). Danach sind behinderte Menschen von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien, wenn sie nicht nur vorübergehend um mindestens 80 v.H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind und wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Ausnahmsweise sind nach § 6 Abs. 7 Nr. 7 b) des o.g. Vertrages auch hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, ebenfalls zu befreien.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. etwa Urteile vom 10.08.1993, Az. 9/9a RVs 7/91, in: Breith 1994, S. 230, und vom 16.03.1994, Az. 9 RVs 3/93, juris) ist die Unmöglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen tatbestandlich nur dann zu bejahen, wenn der Schwerbehinderte in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist. Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich nur solchen Personengruppen zugute kommt, die den gesetzlich ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind. Als Maßstab der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" ist im Schwerbehindertenrecht nicht mehr Punkt 33 der " Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP, herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Ausgabe: 2005 - AHP-) anzuwenden, denn die "Anhaltspunkte" sind seit Ende 2008 außer Kraft getreten und durch die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) mit den Versorgungs-medizinischen Grundsätzen (VMG) abgelöst worden. Die VMG enthalten allerdings keine Kriterien nach denen das Merkzeichen "RF" zu gewähren ist, so dass nur die gesetzliche Regelung maßgeblich ist. Entscheidend ist demgemäß allein die Frage, ob beim Kläger ein GdB von mindestens 80 vorliegt und ob der Kläger im Sinne der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) gehindert ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen oder ob der Kläger - trotz Hörhilfen - sich nicht ausreichend verständigen kann.

Beim Kläger liegt schon ein GdB von 80 nicht (mehr) vor. Er ist darüber hinaus aber auch nicht gehindert an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Zwar ist der Kläger hochgradig hörbehindert, er ist aber durchaus in der Lage - unter Benutzung des Hilfsmittels Hörgerät - sich mit anderen zu verständigen. Hiervon konnte sich die Kammer in der mündlichen Verhandlung überzeugen. Angesichts moderner Hörgerätetechnik ist es nicht (mehr) gerechtfertigt - wie noch in den "Anhaltspunkten" vorgesehen - bei einem GdB von 50 davon auszugehen, dass eine ausreichende Verständigung über das Gehör nicht möglich ist. Die frühere Priviligierung der hochgradig Hörbehinderten in Punkt 33 (2) a) der "Anhaltspunkte" ist im Lichte der Rechtsprechung des BSG zum Merkzeichen "RF" nicht mehr gerechtfertigt und mit dem Ausserkrafttreten der "Anhaltspunkte" auch gegenstandslos geworden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG