Sozialgericht Düsseldorf - S 35 VG 208/07 - Urteil vom 23.11.2009
Die objektive Erfüllung der Kriterien des § 2 Abs. 2 OEG kann jedoch nicht mit einer schädigungsunabhängig erworbenen Persönlichkeitsstörung entschuldigt werden, denn dies würde im Endergebnis zu einer Haftung des Staates für eine psychische Gesundheitsstörung führen, die mit einem gegen den Antragsteller geführten vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs in keinem Zusammenhang steht.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz - OEG - in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz - BVG - um die Anerkennung von Schädigungsfolgen.
Die 1968 geborene Klägerin wurde im April 2005 und März 2006 Opfer von tätlichen Übergriffen des Herrn L. .
Im Mai 2006 stellte die Klägerin einen Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz, nach dem ein früherer Antrag von ihr wegen fehlender Mitwirkung abgelehnt wurde. Die Beklagte zog daraufhin die Akte der Staatsanwaltschaft Köln Az.: 43 Js 145/05 bei und erteilte unter dem 28.03.2007 einen Bescheid, mit dem Leistungen nach dem OEG abgelehnt wurden. Zur Begründung führte die Beklagte aus:
"Sie beantragen Versorgung nach dem OEG für die Folgen einer
gesundheitlichen Schädigung, die Sie nach Ihren Angaben am 12.04.2005 und
03.03.2006 erlitten haben. Zur Antragsbegründung ist von Ihnen angegeben
worden, dass Sie von ihrem ehemaligen Lebenspartner, Herrn L., vorsätzlich
rechtswidrig tätlich angegriffen und gesundheitlich geschädigt worden sind.
Strafanzeige gegen den Täter haben Sie in beiden Fällen erstattet, gegen den
Täter wurde mit Datum vom 15.04.2005 und 01.09.2009 Haftbefehl ausgestellt. Bei
Ihrer polizeilichen Vernehmung am 06.06.2005 haben Sie ausführlich geschildert,
dass Sie mit dem Täter, der sich in Holland aufhielt, trotz Anzeige und
Haftbefehl über einen längeren Zeitraum weiter einen intensiven persönlichen
Kontakt gepflegt haben. In diesem Rahmen haben Sie Herrn L. auch erhebliche
finanzielle Mittel zukommen lassen und damit praktisch seinen Lebensunterhalt
sichergestellt. Bei Ihrer polizeilichen Vernehmung am 10.03.2006 haben Sie
vorgetragen, dass Sie den Kontakt zum Täter, Herrn L., erst im Oktober 2005
total abgebrochen haben. Ausgehend allein von Ihren gemachten Angaben war Ihre
Beziehung zu Herrn L. erst im Oktober 2005 beendet. Bis zu diesem Zeitpunkt hat
die Beziehung sowohl in tatsächlicher als auch in emotionaler Hinsicht
weiterbestanden. Ausweislich der Strafverfolgungsakten haben Sie Informationen
über den Aufenthalt des Täters bis zu Ihrer Vernehmung am 10.03.2006 bewusst
zurückgehalten und damit das Ihnen Mögliche zur Ergreifung des Täters
unterlassen. Dies erfüllt die Voraussetzungen eines Versagungsgrundes nach § 2
Abs. 2 OEG".
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein mit dem sie vortrug, sie würde
von der Beklagten vom Opfer zum Mittäter gemacht.
Mit Bescheid vom 02. August 2007 wies die Beklagte den Widerspruch als sachlich unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am 13. August 2007 bei Gericht eingegangene Klage mit der die Klägerin vorträgt, sie sei in der fraglichen Zeit von Herrn L. massiv bedroht worden und damit in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt gewesen.
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 28.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.08.2007 aufzuheben.
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat zur Sachverhaltsermittlung ein Gutachten von der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie B. eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der einseitigen mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann vorliegend in Abwesenheit der Klägerin entscheiden, denn die Klägerin wurde auf diese Möglichkeit mit der Ladung hingewiesen.
Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -, denn die Bescheide erweisen sich als rechtmäßig.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen sie geworden ist und daher dem Grunde nach die Voraussetzungen für Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz erfüllt. Nach § 2 Abs. 2 OEG können Leistungen versagt werden, wenn der Geschädigte es unterlassen hat, dass ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Verfolgung des Täters beizutragen.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Die Klägerin hat es unterlassen, eine Festnahme des bis heutigen flüchtigen Täters zu ermöglichen, indem sie der Polizei den ihr bekannten Aufenthaltsort des Täters nicht mitgeteilt hat. Werden Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz anerkannt, so erhält die Klägerin staatliche Leistungen als Entschädigung dafür, dass sie Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs eines Dritten geworden ist. Mit der Leistungsbewilligung geht ein Anspruch auf Schadenersatz der Klägerin gegen den Täter auf die leistende Behörde über. Diesen Anspruch auf Schadenersatz kann die Beklagte vorliegend nicht realisieren, weil der Täter weiterhin flüchtig ist. Für diese Fälle hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 2 Abs. 2 OEG geschaffen und festgelegt, dass das Opfer alles ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts und auch zur Ergreifung des Täters unternehmen muss. Zwischen den Beteiligten dürfte unstreitig sein, dass die Klägerin die Voraussetzungen nicht erfüllt, denn sie hat bei der Polizei zum damaligen Zeitpunkt wahrheitswidrig angegeben, den Aufenthaltsort des Täters nicht zu kennen. Bei wahrheitsgemäßen Angaben wäre es der Polizei - nach Auffassung der Kammer - ein leichtes gewesen, den Täter zu ergreifen. Zwar hat die Sachverständige, Dr. B., in ihrem Gutachten dargelegt, dass die Klägerin - aufgrund einer bestehenden Persönlichkeitsstörung - zum damaligen Zeitpunkt mit dem Täter so verstrickt war, dass es zu einer Verkehrung der Rollen zwischen Täter und Opfer gekommen ist. Die Klägerin befand sich jedoch - nach Auffassung der Kammer - zum damaligen Zeitpunkt nicht in einem solchen psychischen Ausnahmezustand, dass sie nicht hätte erkennen können, dass ihr Verhalten in Bezug auf die von ihr gewünschte staatliche Entschädigung nicht rechtens sein kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu dem Zeitpunkt, zu dem sie der Polizei hätte den Aufenthalt des Täters mitteilen können, von diesem nicht mehr aktuell an ihrem Wohnsitz in Deutschland bedroht wurde. Sie musste nicht befürchten, dass die im Falle einer Anzeigenerstattung weiteren tätlichen Angriffen durch den Kläger ausgesetzt gewesen wäre (vgl. hierzu BSGE 68, 248 ff.). Vielmehr hat die Klägerin sich durch ihr Verhalten und Ihre Reisen zum Täter in die Niederlande einer weiteren völlig unnötigen Bedrohung selbst ausgesetzt. Dieses Verhalten der Klägerin ist - nach dem Gutachten der Sachverständigen Dr. B. - also nicht einer fortdauernden Bedrohung durch den Täter geschuldet, sondern einer Resultat einer bei der Klägerin bestehenden Persönlichkeitsstörung, die auf das Verhältnis zu ihrem Vater zurückgeführt werden kann. Die objektive Erfüllung der Kriterien des § 2 Abs. 2 OEG kann jedoch nicht mit einer schädigungsunabhängig erworbenen Persönlichkeitsstörung entschuldigt werden, denn dies würde im Endergebnis zu einer Haftung des Staates für eine psychische Gesundheitsstörung führen, die mit dem gegen die Klägerin geführten vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs in keinem Zusammenhang steht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.