Sozialgericht Berlin - S 46 SB 1405/10 - Gerichtsbescheid vom 07.02.2011
Auch bei einer massiven Urge- bzw. Stressinkontinenz besteht kein Anspruch des behinderten Menschen, wenn ihm das Tragen von Kondomurinalen und Windelhosen und deren ggf. notwendiger Wechsel unter Zuhilfenahme einer Begleitperson möglich ist. Eine solche Empfehlung verstößt weder gegen die Würde des Menschen noch gegen den Sozialstaatsgrundsatz.
Tatbestand:
Streitgegenstand der am 12. Juli 2010 erhobenen Klage sind die Bescheide vom 8. September 2009 und vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2010, in welchem (Bescheid vom 30. März 2010) unter Ablehnung des im vorliegenden Klageverfahrens ausschließlich streitgegenständlichen Merkzeichens "RF" die Merkzeichen "G" und "B" sowie ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit folgenden Behinderungskomplexen im einzelnen und den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB festgestellt wurden:
a) Chronische Bronchitis, Lungenfunktionseinschränkung, Bronchialasthma (GdB 50)
b) Durchblutungsstörung des Gehirns, Anfallsleiden, Depression, Gleichgewichtsstörungen, Migräne (GdB 50)
c) Verlust der Niere links (GdB 30)
d) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung (GdB 30)
e) Herzleistungsminderung, coronare Herzkrankheit, Herzklappenfehler, Bluthochdruck (GdB 20)
f) Sehminderung; eingepflanzte Kunstlinse rechts (GdB 20)
g) Harninkontinenz (GdB 10)
h) Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation, chronische Schleimhautentzündung (GdB 10)
i) Speiseröhrengleitbruch (Hiatushernie), Refluxerkrankung (GdB 10)
j) Schilddrüsenfunktionsstörung (GdB 10)
k) Funktionsbehinderung des Schultergelenkes beidseitig (GdB 10)
Zur Begründung ihres Widerspruches vom 17. September 2009 trug die Klägerin vor, sie könne an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen, da sie alle Stunde auf die Toilette müsse (das seien die Begleiterscheinungen der neuen Tablette gegen Epilepsie, die sie ab Dezember 2008 nehmen müsse). Da sie die Wege nicht kenne, müsse sie jemand begleiten. Dadurch störe sie die anderen Menschen, weil sie ja laufend raus müsse. Sie bitte um die Zuerkennung "B" und "RF" (im Antragsformular aus Juli 2008 auf Neufeststellung hatte die Klägerin die Merkzeichen "B" und "G" angekreuzt, das Merkzeichen "RF" nicht. Im Bescheid vom 8. September 2009 war zunächst das Merkzeichen "G" anerkannt worden, das Merkzeichen "B" (noch) nicht). Der Widerspruchsschrift war eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Urologen Dr. L vom 13. Oktober 2009 beigefügt, bei welchem die Klägerin seit 1989 wegen eines Nierenzellkarzinoms mit Nephrektomie links 1987 in Behandlung ist. In den letzten Jahren seien bei ihr typische Beschwerden im Sinne einer sen. Urgeinkontinenz und Stressinkontinenz hinzugekommen. Diese sei so massiv, dass sie medikamentös nicht beherrschbar sei. Hier sei lediglich eine Versorgung mit Inkontinenzmaterialien möglich. Es sei von einer Dauererkrankung auszugehen.
Dem, das Merkzeichen "RF" ablehnenden Widerspruchsbescheid lag eine schriftliche gutachtliche Stellungnahme des praktischen Arztes Dr. Y vom 26. Februar 2010 zugrunde in welcher dieser die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleiches RF - ohne weitere Begründung - nicht als erfüllt ansah. Das Merkzeichen "B" sollte aufgrund des Schwindels mit Fallneigung bei epileptischen Anfällen (entsprechend dem der Widerspruchsschrift ebenfalls beigefügten Attest des behandelnden Internisten Dr. M vom 9. November 2009) anerkannt werden (was dann auch im Teilabhilfebescheid vom 30. März 2010 geschah).
Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin - nach Akteneinsicht durch ihren Bevollmächtigten - vor, sie sei aufgrund einer Reihe von gesundheitlichen Funktionsbeeinträchtigungen zu 100 % schwerbehindert. Ihr seien antragsgemäß die Merkzeichen "B" und "G" zuerkannt worden. Mit der Klage begehre die Klägerin nur noch ergänzend die Zuerkennung des Merkzeichens "RF", denn sie sei aufgrund ihres Leidens ständig und dauerhaft nicht in der Lage, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Entgegen insbesondere den Feststellungen des Widerspruchsbescheides sei es der Klägerin nicht möglich, das überwiegende Angebot von Veranstaltungen auch mit Hilfe von Begleitpersonen und technischen Hilfsmitteln wahrzunehmen. Die Klägerin sei - insoweit seien die Feststellungen zutreffend - zwar körperlich in der Lage, mit Hilfe einer Begleitperson und einem Rollator zu öffentlichen Veranstaltungen, wie z. B. Theaterbesuchen, hinzugelangen. Sie könne derartige Veranstaltungen in der Tat aufsuchen. Sie anschauen - und damit ihr grundgesetzliches Recht auf Information und Teilhabe wahrnehmen - könne sie jedoch nicht. Sie leide u. a. medikamentös (Bl. 164 f. d. A.) bedingt an einer massiven Harninkontinenz, welche dazu führe, dass sie spätestens alle halbe Stunde die Toilette aufsuchen und/oder die Vorlage wechseln müsse (jedes Mal mit Begleitperson). Diese Erkrankung sei derart massiv, dass sie medikamentös nicht beherrschbar sei (Bl. 169 d. A.). Der Beklagte sehe die Voraussetzungen und den Sinn und Zweck der Befreiung von der Rundfunkgebühr zu eng und verkenne ihn damit. Dieser Nachteilsausgleich solle es dem schwerbehinderten Menschen ermöglichen, sein Informationsrecht und die Teilhabe am kulturellen Leben durch Information wahrzunehmen. Sei dies aufgrund körperlicher Funktionsbeeinträchtigungen nicht möglich, solle ihm die Wahrnahme dieses Rechts durch erleichterten Zugang zu Medien erleichtert werden. Die Klägerin habe aufgrund ihres Leidens gar keine andere Möglichkeit mehr, ihr Informationsrecht auf andere Weise wahrzunehmen als durch die Inanspruchnahme von Medien - Rundfunk und Fernsehen. Sie sei daher von der Rundfunkgebühr zu befreien.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung der Bescheide des Versorgungsamtes Berlin vom 8. September 2009 und vom 30. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesamtes für Gesundheit und Soziales vom 1. Juli 2010 zu verurteilen, bei der Klägerin das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er beruft sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, zuletzt Urteil vom 12. Februar 1997 - 9 RVS 2/96 -, wonach Behinderte, die an einer Harninkontinenz mit unwillkürlichem Harnabgang leiden, nicht allein aus diesem Grunde gehindert seien, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Ihnen sei zuzumuten, Windelhosen zu benützen, die den Harn bis zu 2 Stunden ohne Geruchsbelästigung für andere Menschen aufnähmen. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass bei der überwiegenden Anzahl der öffentlichen Veranstaltungen Toiletten, wenn auch gelegentlich nicht in ausreichendem Maße für alle Teilnehmer, zur Verfügung stünden. Bei Veranstaltungen, bei denen im Vorverkauf feste Sitzplätze erworben werden können, wäre durch die Auswahl eines gangnahen Platzes, die vermeintliche Beeinträchtigung anderer Besucher sogar auf ein Minimum zu reduzieren. Bei anderen Veranstaltungen könne dieser Effekt durch eine entsprechende Platzwahl erreicht werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Beklagtenakte verwiesen, die bei der Entscheidung vorlagen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Denn die entscheidungserheblichen Tatsachen waren vorliegend unstreitig und die gerichtliche Entscheidung selbst war ausschließlich von der Beantwortung einer Rechtsfrage abhängig, welche höchstrichterlich geklärt ist und der herrschenden Meinung in der Literatur und der ständigen Rechtsprechung der Kammer (zuletzt: Gerichtsbescheide vom 4. Februar 2008 - S 46 SB 1605/07 - und vom 1. August 2008 - S 46 SB 1045/07 -) entspricht.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig. Es besteht kein Anspruch auf Anerkennung des Merkzeichens "RF".
Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden - hier das Versorgungsamt Berlin - das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest, wobei gem. § 2 SGB IX Menschen behindert sind, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft sind gem. § 69 Abs. 1 Satz 4, 5 SGB IX abgestuft als Grad der Behinderung in Zehnergraden von 20 bis 100 entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG in Verbindung mit der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festzustellen. Nach der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMed-VO) vom 10. Dezember 2008 (Anlageband zum Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008, G 5702) "Versorgungsmedizinische Grundsätze", Teil A: Allgemeine Grundsätze, Abschnitt 2 Buchstabe d) sind die in der GdS-Tabelle (GdS=Grad der Schädigungsfolgen) aufgeführten Werte aus langer Erfahrung gewonnen und stellen altersunabhängige (auch trainingsunabhängige) Mittelwerte dar. Je nach Einzelfall kann von den Tabellenwerten mit einer die besonderen Gegebenheiten darstellenden Begründung abgewichen werden. Nach der Vorbemerkung zu der genannten Regelung wird einheitlich die Abkürzung GdS benutzt, wenn mit dem Grad der Behinderung und dem Grad der Schädigungsfolgen das Maß für die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gemeint ist.
Für die Beurteilungszeitraum von Sachverhalten bis Ende 2008, also bis zum Inkrafttreten der genannten Anlage sind die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gem. § 69 Abs. 1 Satz 3, 4 SGB IX abgestuft als Grad der Behinderung in Zehnergraden von 20 bis 100 entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG i.V.m. den vom Bundesminister für Gesundheit und Soziales herausgegebenen "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996" (AP 96) bzw. den seit Mai 2004 geltenden " Anhaltspunkten ...2004" (AP 04), den seit Juni 2005 geltenden AP 05 und den seit Januar 2008 geltenden AP 08 festzustellen. Hierbei kommt den AP die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu, d.h., dass die darin aufgestellten Bewertungen die Gerichte zwar nicht binden, eine Abweichung von diesen jedoch das Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall voraussetzt.
Nach § 69 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden - hier das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Versorgungsamt) Berlin - das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX treffen sie auch die erforderlichen Feststellungen, wenn neben dem Vorliegen von Behinderungen weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind.
Die Voraussetzungen der Vergabe des Merkzeichens "RF" sind gemäß § 69 Abs. 5 SGB IX in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 5 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) landesrechtlich im Land Berlin für die Zeit ab 1. April 2005 durch Art. 5 § 6 Abs. 1 Nr. 7 und 8 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 15. Oktober 2004 in der Fassung des Gesetzes vom 27. Januar 2005 (GVBl. 2005, S. 82, 85 f), in Kraft getreten am 1. April 2005 (GVBl. 2005, S. 228) bzw. ab 1. März 2007 in der Fassung des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrags in Verbindung mit dem Gesetz vom 25. Januar 2007 (GVBl. 2007, S. 10, 15), in Kraft getreten am 1. März 2007 (GVBl. 2007, 128) geregelt. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 7 b) des Rundfunkgebührenstaatsvertrags werden auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, und nach § 6 Abs. 1 Nr. 8 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags behinderte Menschen befreit, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen auch mit einer Begleitperson ständig nicht teilnehmen können.
Das Gericht hat keine Bedenken, die betreffenden Vorschriften anzuwenden und als gültige Anspruchsnorm für das Begehren der Klägerin anzusehen. Zwar wird vereinzelt die Auffassung vertreten, die landesrechtlichen Regelungen über die Rundfundgebührenbefreiung aus gesundheitlichen Gründen würden nicht der bundesrechtlichen Ermächtigungsnorm (hier § 126 Abs. 1 SGB IX) entsprechen, weil ein durch Gebührenbefreiung ausgleichbarer Mehraufwand behinderter Rundfunk- und Fernsehteilnehmer nicht mehr vorhanden sei, da der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung - völlig unabhängig von Behinderungen - nahezu vollständig Rundfunk höre und fernsehe (so LSG Hamburg, Urteil vom 8. August 2006, Az. L 4 SB 22/05, zitiert nach Juris). Indessen überzeugt diese Ansicht nicht (so im Wesentlichen auch: Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 08. November 2007, Az. B 9/9a SB 3/06 R, SozR 4-1500 § 155 Nr. 2), da fraglich sein dürfte, ob die Gewährung von Merkzeichen nicht mehr auf Integration der Behinderten ausgelegt ist als auf Kompensation des behinderungsbedingten Nachteils (vgl. Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg v. 29. Januar 2009, Az. L 11 SB 190/08, Juris Rn. 17).
Im Interesse der Gleichbehandlung aller behinderten Menschen hatte die konkrete Prüfung für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 nach Maßgabe der in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, zuletzt Ausgabe: 2008) niedergelegten Maßstäben zu erfolgen. Diese waren zwar kein Gesetz und auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen. Es handelte sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung, die die möglichst gleichmäßige Anwendung dieser Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hatte. Die AP engten das Ermessen der Verwaltung ein, führten zur Gleichbehandlung und waren deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich von diesen auszugehen (BSG, Urteil vom 18. September 2003, BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr. 2 Rdn. 18). In der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung verweist § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX insoweit auf die ebenfalls zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene "Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV)" vom 10. Dezember 2008 (BGBl I 2008 S. 2412), in deren Anlage zu § 2 nunmehr die zuvor in den AP enthaltenen Grundsätze wiedergegeben sind.
Für die Auslegung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" sind die in Nr. 33, S. 141 f. dargelegten Festlegungen der AP 2005 weiterhin maßgeblich, auch wenn die Nr. 33 in den AP 2008 nicht mehr aufgeführt waren. Auch wenn die Feststellung der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht mehr den Sozialbehörden obliegt, ändert dies nichts daran, dass die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen nach § 69 Abs. 4 SGB IX festzustellen haben.
Nach Nr. 33 Abs. 2 der genannten Anhaltspunkte sind die Voraussetzungen immer erfüllt bei
a) Blinden oder nicht nur vorübergehend wesentlich Sehbehinderten mit einem GdB von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung.
b) Hörgeschädigten, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist. Letzteres ist dann nicht möglich, wenn an beiden Ohren mindestens eine hochgradige kombinierte Schwerhörigkeit oder hochgradige Innenohrschwerhörigkeit vorliegt und hierfür ein GdB von wenigstens 50 anzusetzen ist,
c) behinderten Menschen - bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) - bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen können, - die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung abstoßend oder störend wirken (z. B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbarem Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können), - mit - nicht nur vorübergehend - ansteckungsfähiger Lungentuberkulose, - nach Organtransplantation, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden, - bei geistig oder seelisch behinderten Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.
Dieser Personenkreis muss allgemein von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen sein. Es genügt nicht, dass sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen bestimmter Art verbietet. Behinderte Menschen, die noch in nennenswertem Umfang an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, erfüllen die Voraussetzungen nicht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern. Öffentliche Veranstaltungen sind damit nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 1997 Az. 9/9a RVs 2/96, SozR 3-3780 § 4 Nr. 17; Urteil vom 10. August 1993, Az. 9/9a RVs 7/91, SozR 3-3870 § 48 Nr. 2; Urteil vom 17. März 1982, Az. 9a/9 RVs 6/81, SozR 3870 § 3 Nr. 15 = BSGE 53, 175).
Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d.h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher Veranstaltungen teilnehmen kann. Bei der vom BSG vertretenen Auslegung muss der Schwerbehinderte praktisch an das Haus gebunden sein, um seinen Ausschluss an öffentlichen Veranstaltungen begründen zu können. Es kommt nicht darauf an, ob jene Veranstaltungen, an denen er noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Vorlieben, Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen. Sonst müsste jeder nach einem anderen, in sein Belieben gestellten Maßstab von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar, denn die Gebührenpflicht selbst wird nicht bloß nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen, an denen die einzelnen Teilnehmer interessiert sind, bemessen, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm. Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der Nachteilsausgleich "RF" nur Personengruppen zugute kommt, die den gesetzlich ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind.
Nach diesen Grundsätzen kommt hier die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "RF" nicht in Betracht.
Im Befundbericht des behandelnden Nervenarztes R vom 23. September 2008 wurde eine Agoraphobie diagnostiziert, und zwar im Sinne einer "Angst, nach Krampfanfall alleine auf die Straße zu gehen". Im Widerspruchsschreiben vom 13. September 2009 gegen den Bescheid vom 8. September 2009 sowie im Schriftsatz vom 10. November 2009 hatte die Klägerin die weitergehende Geltendmachung des in dem Bescheid abgelehnten Merkzeichens "B" dahingehend begründet, dass sie ohne Begleitung keine Wege erledigen könne, da sie zu unsicher auf den Straßen und dem Straßenverkehr sei. Durch die Stehbehinderung könne sie keine Unebenheiten erkennen und stürze. Die neue Linse verbessere die Sehkraft von 16 % nicht. Also sehe sie rechts fast gar nichts oder herankommende Autos von rechts zu spät. Sie könne nicht alleine ohne Begleitung gehen. Anfang November 2009 habe sie einen Krampfanfall gehabt, es sei ein Glück gewesen, dass ihr Mann dabei gewesen sei, sodass dieser Schlimmeres habe verhindern können. Dies könne ja immer wieder mal passieren. Das geltend gemachte Merkzeichen "RF", welches ebenso wie das Merkzeichen "B" im Bescheid vom 8. September 2009 abgelehnt worden war, begründete die Klägerin dagegen ausschließlich damit, dass sie an öffentlichen Veranstaltungen deshalb nicht teilnehmen könne, da sie alle Stunde auf die Toilette müsse (Begleiterscheinungen der Tablette gegen die Epilepsie). Da sie die Wege nicht kenne, müsse sie jemand begleiten. Dadurch störe sie die anderen Menschen, weil sie ja laufend raus müsse.
Das dem Schriftsatz vom 10. November 2009 u. a. beigefügte Attest des behandelnden Internisten Dr. M vom 9. November 2009 bestätigte die Fallneigung bei epileptischen Anfällen, beschränkte aber den dazu erforderlichen Ausgleich auf die Notwendigkeit einer ständigen Begleitperson. Das dem Schriftsatz ebenfalls beigefügte Attest des behandelnden Urologen Dr. L vom 13. Oktober 2009 bestätigte die Urgeinkontinenz und Stressinkontinenz im massiven Ausmaß dahingehend, dass diese zwar nicht medikamentös beherrschbar sei, begrenzte den ärztliche für erforderlich gehaltenen Ausgleich allerdings auf die Versorgung mit Inkontinenzmaterialien.
Die aus dem Risiko von Krampfanfällen und der eingeschränkten Sehkraft (und der daraus folgenden Notwendigkeit einer Begleitung auf unbekannten Wegen) resultierenden Nachteile wurden mit dem Teilabhilfebescheid vom 30. März 2010 durch Bewilligung des Merkzeichens "B" ausgeglichen.
Die Widerspruchsbegründung vom 9. April 2010 gegen den Bescheid vom 30. März 2010 beschränkte sich zur weiteren Geltendmachung des Merkzeichens "RF" auf die wiederholte Darstellung der starken Inkontinenz und der Präzisierung dahingehend, dass die Klägerin "alle Stunde" auf die Toilette müsse und die Vorlage wechseln.
Im letzten aktenkundigen MDK-Gutachten zur Feststellung des Pflegeaufwandes (Begutachtungsdatum: 14. Mai 2009) wurde die Notwendigkeit der Unterstützung beim Windelwechseln nach Wasserlassen bzw. Stuhlgang, des Wechselns kleiner Vorlagen, des Wechselns/Entleerung eines Urinbeutels/Toilettenstuhles sowie eines Stomabeutels verneint. Es bestehe ausschließlich eine volle Übernahme der Unterstützung beim Stuhlgang selbst. Eine Verschlimmerung des Ausmaßes der Notwendigkeit der Hilfeleistung bei diesen Verrichtungen wurde von der Klägerin seit diesem Zeitpunkt im in der Klagebegründung dargestellten Umfang geltend gemacht. Die Klagebegründung im Schriftsatz vom 8. September 2010 geht allerdings über den, von der Klägerin im Vorverfahren dargestellten Vortrag "nur" insoweit hinaus, dass sie nunmehr spätestens alle halbe Stunde die Toilette aufsuchen und/oder die Vorlage wechseln müsse (jedes Mal mit Begleitperson).
Die danach bestehende, auch massive Urge- bzw. Stressinkontinenz steht der angefochtenen Ablehnung des Merkzeichens "RF" nicht entgegen. Denn der Klägerin ist das Tragen von Vorlagen bei öffentlichen Veranstaltungen sowie ein gegebenenfalls notwendiger Wechsel unter Zuhilfenahme einer Begleitperson nach ihrem eigenen Vortrag und den Attesten ihrer behandelnden Ärzte möglich und, jedenfalls aus Rechtsgründen, auch zumutbar. Solange ein Schwerbehinderter mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist er von der Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht ausgeschlossen. Dies gilt auch und sogar im Hinblick auf Kondomurinale und Windelhosen. Eine diesbezügliche Empfehlung verstößt weder gegen die Würde des Menschen noch gegen den Sozialstaatsgrundsatz. Der Behinderte wird dadurch nicht zum Objekt des Staates gemacht oder einer Behandlung ausgesetzt, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Die funktionsgerechte Benutzung eines üblichen, behinderungsgerechten Hilfsmittels kann als solche keine Verletzung der Menschenwürde darstellen, sondern mildert im Rahmen des Möglichen die Auswirkungen der Behinderung (Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. August 1995 in Breithaupt 2/1996, Seite 50, (vgl. Rohr/Strässer, Bundesversorgungsgesetz mit Verfahrensrecht, Handkommentar, Band V, Kommentar zu den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" 53. Lfg. - Stand Januar 1998, A 303).
Soweit die im Widerspruchsbescheid mit teils deutlichem Ausmaß der jeweiligen Funktionseinschränkungen anerkannten Behinderungskomplexe a) (Lunge), b) (Gehirn), e) (Herz) und f) (Sehminderung) im Hinblick auf die oben unter a) und c) aufgeführten gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "RF" theoretisch zur Begründung des Merkzeichens in Betracht kämen, wurden diese von der Klägerin konkret weder im Vor- noch im Klageverfahrens auch nur ansatzweise im Zusammenhang mit dem Merkzeichen "RF" geltend gemacht, sondern vielmehr in der Klagebegründung eingeräumt, dass sie jedenfalls körperlich in der Lage sei, mit Hilfe einer Begleitperson zu öffentlichen Veranstaltungen hinzugelangen.
Weitere Ermittlungen waren im vorliegenden Fall nicht geboten.
Gemäß § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amtswegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
Das Gericht muss von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen (BSGE 30, 192, 205). Es darf von einer Beweisaufnahme nur absehen, einen Beweisantrag der Beteiligten nur ablehnen, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn sie also als wahr unterstellt werden kann (aber nicht, wenn dies in Verbindung mit anderen Aussagen auf eine vorweggenommene Beweiswürdigung hinausläuft) oder wenn das Beweismittel völlig ungeeignet (BSG vom 11. Oktober 2006 - B 6 KA 46/05 R) - oder unerreichbar ist. Die Ablehnung ist weiter möglich, wenn die behauptete Tatsache oder das Fehlen der Tatsache bereits erwiesen ist, oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist. Gegenstand der Wahrunterstellung können nur Beweistatsachen sein, nicht Schlussfolgerungen (BVerwGE 77, 150, 156). Ein Beweisantrag kann auch abgelehnt werden, wenn er den Anforderungen an einen solchen Antrag nicht entspricht, insbesondere wenn es sich um einen Beweisermittlungsantrag handelt, weiter, wenn er rechtsmissbräuchlich ist, insbesondere, wenn Tatsachen ohne greifbare Anhaltspunkte aufs Gerade wohl, "ins Blaue" gemacht werden (TB Meyer-Ladewig § 103 Rz. 8, 8a m. w. N.).
Das Gericht ist an den Vortrag und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Das gilt auch für die Begründung, die die Verwaltung dem Verwaltungsakt oder dem Widerspruchsbescheid gegeben hat. Das Gericht bestimmt frei und ohne Rücksicht auf die Beteiligtenauffassung, welcher Beweismittel es sich bedienen will. Die Beweismittel sind grundsätzlich gleichwertig. (Meyer-Ladewig a. a. O., § 103 Rz. 9).
Das Gericht muss nicht immer alle von den Beteiligten übereinstimmend vorgetragenen Tatsachen anzweifeln und überprüfen. Das Beteiligtenvorbringen kann unter Umständen auch allein Entscheidungsgrundlage sein (vgl. BSG SozR Nr. 56 zu § 128 SGG), z.B. dann, wenn eine von einem Beteiligten mehrfach vorgetragene Tatsache vom anderen während des Verfahrens nicht bestritten wird (BSG vom 3. Juni 2004 - B 11 AL 71/03 R, Die Sozialgerichtsbarkeit 2004, 479), wenn ein Beteiligter eine bestimmte Ausprägung seines streitigen Gesundheitszustandes nicht geltend macht oder hierzu keine aussagekräftigen ärztlichen Unterlagen vorlegt (BSGE 92, 164, 171 = Die Sozialgerichtsbarkeit 2004, 704 mit Anmerkung Wolf Seite 708) oder wenn sonst ein dem Gericht nicht bekannter Sachverhalt von dem betroffenen Beteiligten nicht geltend gemacht oder jedenfalls nicht so spezifiziert wird, dass die rechtliche Relevanz erkennbar wird und damit Anlass zu Ermittlungen geben kann (BSGE 97, 125, 133, BSG vom 20. März 2007 - B 2 U 9/06 R). Dies gilt jedenfalls, solange kein Widerspruch mit der allgemeinen Lebenserfahrung auftritt (BSG SozR Nr. 20 zu § 128 SGG) oder sonst Zweifel des Gerichts bestehen (BVerfG Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 69 und Nr. 83). Auch im übrigen ist in der Rechtsprechung des BSG wiederholt auf die Entbehrlichkeit von Ermittlungen hingewiesen worden, wenn für bestimmte Tatsachen keine Anhaltspunkte ersichtlich waren (vgl. etwa BSGE 78, 207, 213; 81, 259, 263; 87, 132, 138; 89, 243, 247). Ohne eine Beschränkung der Amtsermittlung wäre eine rationale Erledigung des Verfahrens nicht möglich (Meyer-Ladewig a. a. O., § 103 Rz. 7 a).
Eine Beweisaufnahme kann überflüssig sein, wenn antizipierte Sachverständigengutachten Tatsachen feststellen. Ein solches unabhängig von einem konkreten Einzelfall erstelltes Gutachten soll eine möglichst einheitliche Bewertung z. B. der MdE in zahlreichen Parallelfällen gewährleisten. Beispiele für antizipierte Sachverständigengutachten sind die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (BSGE 72, 285, 286 f.; 91, 205, 209). Derartige Empfehlungen haben keinen Rechtscharakter, wirken jedoch "normähnlich", weshalb ihre generelle Richtigkeit durch Einzelgutachten grundsätzlich nicht widerlegt werden kann. Die Gerichte sind insoweit prinzipiell auf Evidenzkontrolle beschränkt (BSGE 72, 285; BVerfG NJW 1995, 30, 49). Im Rahmen der Amtsermittlung ist es Aufgabe des Gerichts, Art und Ausmaß von Gesundheitsstörungen oder Behinderungen erforderlichenfalls durch Sachverständige zu ermitteln und die Sachverständigen u. U. auch dazu zu hören, ob z. B. der auf der Grundlage des konkret ermittelten medizinischen Sachverhalts geschätzte GdB sich im Rahmen der Bewertungsgrundsätze bewegt (Meyer-Ladewig a. a. O., § 103 Rz. 7 b, 7 c).
Das SGG kennt keine erschöpfende Aufzählung der Beweismittel. Das Gericht kann nach seinem Ermessen unter den erwähnten Beweismitteln und anderen wählen, ohne an die Meinung der Beteiligten dazu gebunden zu sein (BSGE 30, 192, 205). Grundsätzlich bleibt es somit dem erkennenden Gericht überlassen, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen (BVerfGE 79, 51, 62). Das Verfahren muss aber geeignet sein, einem möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu erlangen (BVerfG vom 18. Januar 2006 - 1 BvR 526/04). Das Gericht braucht nicht alle möglichen Beweismittel ausschöpfen. Wenn sich das Gericht bereits Gewissheit verschafft hat, ist eine weitere Beweisaufnahme unnötig. Das Gericht entscheidet nach Zweckmäßigkeit. Beweisanträge der Beteiligten sind grundsätzlich nur Anregungen, sie sind aber nicht ohne Bedeutung, vgl. § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG. Das Gericht braucht einen Beweisantrag nicht durch Beschluss zurückzuweisen, es kann in den Entscheidungsgründen darauf eingehen, warum weitere Ermittlungen nicht erforderlich waren (Meyer-Ladewig a. a. O., § 103 Rz. 12 b, 12 c).
Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des § 103 SGG liegt vor, wenn sich das Tatsachengericht auf der Grundlage seiner eigenen materiell-rechtlichen Auffassung hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen (BSG 40, 49, 50; 93, 137, 148; 95, 76,79 f; 95, 112, 115; Meyer-Ladewig a.a.O., § 103 Rz. 20).
Es liegt im Ermessen des Vorsitzenden, welche Maßnahmen nach § 106 Abs. 2, Abs. 3 SGG er trifft. § 106 Abs. 3 SGG gibt keine abschließende Regelung (Meyer-Ladewig a.a.O., § 106 Rz. 7).
Nach diesen Grundsätzen und in der vorliegenden Beweissituation waren (weitere) Ermittlungen durch das Gericht nicht geboten, geschweige denn drängten sich solche auch nur ansatzweise auf. Vielmehr verstießen weitere Ermittlungen gegen das Notwendigkeitsgebot, da eine weitere Beweisaufnahme nicht erforderlich war. Denn der Vortrag der Klägerin sowohl im Widerspruchs- als auch im Klageverfahren bezüglich der von der Kammer als wahr unterstellten gesundheitlich bedingten Funktionseinschränkungen war aufgrund der Harninkontinenz im Hinblick auf die vom Gericht vorzunehmende und auch bereits mögliche Subsumtion unter die genannten Tatbestandsvoraussetzungen rechtlich unschlüssig, dagegen war die Klageerwiderung vom 8. Dezember 2010 aus Rechtsgründen erheblich, wobei auch der Beklagte die von der Klägerin vorgetragenen Tatsachengrundlagen in keiner Weise bestritten hat, sondern lediglich in der rechtlichen Bewertung der daraus folgenden Rechtsfolgen abweicht.
Daher war schon die Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte nicht erforderlich, da diese den - vom Beklagten nicht bestrittenen - Vortrag der Klägerin in den genannten Attesten bestätigten, ohne über das weitergehende Ausmaß, welches in der Klagebegründung vorgetragen wurde, hinauszugehen, wobei auch dieses weitergehende Ausmaß nach Wahrunterstellung nicht ausreicht, um das Merkzeichen "RF" begründen zu können, und zwar, nach der getroffenen Feststellungen, aus Rechts-, nicht aus Tatsachengründen.
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war bereits aus dem Grunde nicht geboten, da der, der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt nach dem Vortrag beider Beteiligter unstreitig ist, und ein Vorschlag eines Sachverständigen, selbst eines Facharztes, zur Frage, ob der unstreitige Sachverhalt die gesundheitlichen Voraussetzungen des streitgegenständlichen Merkzeichens erfüllt, aus dem Grunde entbehrlich ist, da die Beantwortung dieser insoweit ausschließlichen Rechtsfrage letztendlich dem Gericht obliegt, welches sich im vorliegenden Fall zur Beantwortung ohne die Einschaltung eines Sachverständigen (als bloßer Hilfsperson des Gerichts, vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Auflage 2010, § 120 Rz. 2, § 121, Rz. 1, 8; Meyer-Ladewig a. a. O., § 118 Rz. 11 a, 11 b) auf der Grundlage seiner festgestellten eigenen materiell-rechtlichen Auffassung ohne weiteres im Stande sah, ohne dass auch nur ansatzweise Zweifel des Gerichts erkennbar geworden sind, welche die Einschaltung eines Sachverständigen auch nur nahegelegt hätten, mit anderen Worten: sowohl die Einholung von Befundberichten als auch die Einholung eines oder mehrerer (auch fachärztlicher) Sachverständigengutachten war angesichts der aufgezeigten Besonderheiten des Einzelfalles schlicht überflüssig und verboten sich aus diesem Grunde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.